Die These in den Reden Schleiermachers, dass “Philosophie und Ethik in der Religion ihre Einheit finden“…
Helmut Aßmann Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen … und ihr Verhältnis zum Artikel der Glaubenslehre „wie sich die Gemeinschaft mit derVollkommenheit und Seligkeit des Erlösers in der einzelnen Seele ausdrückt“. In der zweiten Rede – „ Über die Religion – Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“aus dem Jahr 1799 – bezeichnet Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher die Religion als dasHöhere gegenüber Philosophie und Ethik. Für Schleiermacher lagen Ethik und Philosophie,die er mit Kants kategorischem Imperativ einerseits und der platonischen Ideenlehreandererseits gleichsetzte, weit auseinander. Was er anstrebte, war keineswegs nur dieVermittlung zwischen der Kritik der Praktischen Vernunft, die die Religion ganz auf das Gebietder Ethik verwies und der Lehre Platos von den Ideen des Wahren, Schönen und Guten,mithin eine Vermittlung zwischen Philosophie und Ethik, sondern die Bestimmung dessen, wasReligion und Frömmigkeit ihrem Wesen nach und im Unterschied von den beiden ersterensind. Wenn nämlich in der Religion Ethik und Philosophie ihre Einheit finden, wie er in derzweiten Rede schreibt, muss diese eine eigene Wahrheit besitzen, die von der Wahrheit derEthik und der Philosophie zu unterscheiden ist. In der Dialektik hatte Schleiermacher seine Lehre vom Menschen entfaltet. Dort bestimmte erden Menschen als ein Wesen aus Vernunft, Wille und Gefühl. Daraus folgt für ihn, dass derWille der Gegenstand der Ethik ist, die Vernunft der Gegenstand der Philosophie und dasGefühl der Gegenstand der Religion. In § 3 der Glaubenslehre von 1830/1831 definiert Schleiermacher sein Verständnis vonFrömmigkeit. Er sagt: „Die Frömmigkeit, welche die Basis aller kirchlichen Gemeinschaftenausmacht, ist rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Thun, sondern eineBestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewusstseins.“ Das unmittelbare Selbstbewusstsein als der Ort der Frömmigkeit ist vom gegenständlichenSelbstbewusstsein zu unterscheiden, das im Unterschied zu diesem vermitteltesSelbstbewusstsein ist. In § 4 unterscheidet Schleiermacher „das sich selbst gleiche Wesen derFrömmigkeit“ als Gefühl von allen andern Gefühlen dadurch, „daß wir uns unserer selbst alsschlechthin abhängig, oder, was dasselbe sagen will, als in Beziehung zu Gott bewusst sind.“ Religion ist also Gefühl, Gefühl ist Frömmigkeit, Frömmigkeit ist unmittelbaresSelbstbewusstsein, unmittelbares Selbstbewusstsein ist schlechthinnigesAbhängigkeitsbewusstsein, schlechthinniges Abhängigkeitsbewusstsein ist das Bewusstsein,in Beziehung zu Gott zu sein, das heißt, es ist Gottesbewusstsein, wie Schleiermacher es imersten Teil der Glaubenslehre in den §§ 50-56 ausführt, wo er die Eigenschaften Gottes ausdem frommen Selbstbewusstsein des Menschen ableitet und nicht aus dem Begriff Gottes,wie es die Scholastik getan hat, indem sie die Gotteslehre zum Gegenstand der reinenVernunft gemacht hat, eine Vorgehensweise, die nach Kants „Kritik der reinen Vernunft“ – unddarin folgt Schleiermacher Kant – keine Möglichkeit der Theologie mehr sein kann. Eine Lehre von Gott lässt sich also nur aus dem frommen Selbstbewusstsein entfalten, nichtaus der Vernunft, sie ist Gegenstand der Religion, nicht der Philosophie. Diese PositionSchleiermachers widerspricht auf eminente Weise der Vernunftreligion der Aufklärung z.B. dereines Herbert von Cherbury, sowie Spinozas Pantheismus „sive deus – sive natura“, aber vorallem auch der Scholastik. Wenn nun der Wahrheitsanspruch der Religion in der empirischen Frömmigkeit liegt, aus derallein die Lehren der Religion deduziert werden können, wie verträgt sich das dann mit derAussage Schleiermachers in der zweiten Rede, dass Philosophie und Ethik in der Religionihre Einheit finden und die Religion dann im Vergleich zu jenen beiden das Höhere ist, daimmer, wenn zwei in einem Dritten ihre Einheit finden, das Dritte im Verhältnis zu jenen beidendas Höhere ist, wodurch die Religion zur höchsten Geistestätigkeit wird? Dieser Gedankeenthält im Ansatz eine Phänomenologie des Geistes. In seinem gleichnamigen Werk hat Hegel 1807 den Gedanken ausgesprochen, dass Theseund Antithese in der Synthese aufgehoben sind und das heißt, dass sie in ihr ihre Einheitfinden. Wie bei Schleiermacher die Religion das Höhere im Verhältnis zu Philosophie undEthik ist, ist auch bei Hegel die Synthese das Höhere im Verhältnis zu These und Antithese,die beide in ihr ihre Einheit finden. Während aber Hegels „Phänomenologie des Geistes“ zurGeschichtsphilosophie wird, in der er Gott die Rolle des Weltgeists zuweist, wirdSchleiermachers Phänomenologie des Geistes in seinen „Reden über die Religion“, die erbereits 1799, also acht Jahre vor Hegels „Phänomenologie des Geistes“, veröffentlich hatte,zur „Christlichen Glaubenslehre“. Indem er von der Idee der Religion ausgeht, nicht von derIdee Gottes, führt er seine Lehre von der Einheit von Philosophie und Ethik in der Religion inden Lehnsätzen aus der Religionsphilosophie in den §§ 7-10 der Einleitung zur Glaubenslehreaus.…
„Die christliche Kirche ist die Gemeinde…“ (Barmen III)
Das Impulspapier der EKD und das evangelische Kirchenverständnis.* Prof. Dr. Eberhard L. J. MechelsWangerooger Straße 14, 26810 Westoverledingen-Ihrhove Vorbemerkung Eine persönliche Bemerkung möge mir vorweg erlaubt sein: das Faszinierende und Aufregende amThema „Kirche“ und an der Lehre von der Kirche, der Ekklesiologie, ist für mich ihre Scharnierfunktionoder Brückenfunktion zwischen der unsichtbaren Wirklichkeit, die Gegenstand des Glaubens ist, undder sichtbaren Welt, die Sache der empirischen Erfahrung ist. Zwar gibt es eine ziemlich langeprotestantische Tradition, die gerade diese Vermittlungsfunktion von geistlicher und empirischerWirklichkeit der Kirche umgeht oder gar beseitigt. Dann haben wir eine Art Zwei-Bereiche-Lehre imGebiet der Ekklesiologie. Demnach verhält sich die geglaubte Kirche zu ihrer empirischen Gestaltoder Organisation indifferent. Dann gerät die Ebene der Gestalt, auch der Gestaltung, in dieBeliebigkeit. Das bedeutet: die Organisation der Kirche, ihre äußere Gestaltung, ihre Sozialgestaltregeln wir je nach den Erfordernissen der Nützlichkeit, der geschichtlichen Situation, d.h de facto:nach der jeweiligen Verfassung der gesellschaftlichen Umwelt. D.h.: die Kirche hat in diesenscheinbar „äußerlichen“ Belangen keinen eigenen Kompass, sondern ist außengelenkt. Die Fragender Organisation, der Gestaltung sind Ermessensfragen, sie haben keine geistliche Relevanz undsind in der gegenwärtigen Reformdiskussion bezogen auf Erfordernisse der Integration von Kircheund Gesellschaft. D. Bonhoeffer war als junger Mensch von 21 Jahren in mancher Hinsicht seinerZeit theologisch weit voraus, indem er genau an dieser Stelle der Dissoziierung von geistlicher undempirischer Ebene der Kirche das Problem erkannte und die geglaubte communio sanctorum mit dersozialen Empirie der Kirche wieder auf Tuchfühlung brachte. In Anlehnung an Lessings Dictum formuliert: Den garstigen breiten Graben zwischen der geglaubtenunsichtbaren Kirche und der empirischen sichtbaren Kirche hat er ins Visier genommen. SeinAnliegen steckt bereits im Titel: „Sanctorum communio. Eine dogmatische Untersuchung zurSoziologie der Kirche“. Sanctorum communio ist eine Glaubenswirklichkeit – Soziologie ist eineempirische Wissenschaft, und die dogmatische Untersuchung bringt das in Berührung, sie sitzt genaudazwischen an der Schnittstelle. Und so durchbrach er die ekklesiologische Zwei-Bereiche-Ideologie.Es geht um den Schnittpunkt (das ist der Akzent von A. Denecke) bzw. die Schnittmenge (das isteher meine Interpretation) zwischen geistlicher und sozialer Wirklichkeit der Kirche. Dieses Bemühenfür die heutige Situation fortzuschreiben, das ist ein Weg, um im gegenwärtigen Streit über den Wegder Kirche aus der derzeitigen Blockade, um nicht zu sagen Agonie herauszukommen. In dieserSache auf Bonhoeffer zu hören ist außerordentlich hilfreich. Um es mit Worten von Eberhard Jüngelzu sagen (er sagte das in Bezug auf Karl Barth): Die Zitrone gibt immer noch Saft. I. Evangelisches Kirchenverständnis. 1. Die Kirche ist versammelte Gemeinde Am häufigsten (46 mal) kommt das neutestamentliche Wort für Kirche: „ekklesia“, in denPaulusbriefen vor. Und Paulus war es auch, der diesem Wort seine besondere Prägung gegebenhat. Diese paulinische Prägung hat das kirchliche Selbstverständnis immer wieder, wenn auch nichtdurchgängig, orientiert und geleitet. Dies Wort beschreibt unseren Konsens, es sagt, als was wir unsverstehen. Die Frage im Zusammenhang der Kirchenreformdiskussion ist, ob dieser Konsens nochbesteht. (Ich habe da Zweifel.) Dieses Wort enthält implizit die Antwort auf die Frage: Wer seid ihr?Was ist die Kirche? Die Antwort ist überraschend lapidar: Versammlung! Das Wort „ekklesia“ stammtaus dem Profangriechischen, hat dort überhaupt keine religiösen Implikationen und meinte schlicht:die Volksversammlung. Es ist sehr bedenkenswert, dass ein so profanes Wort ein ekklesiologischerZentralbegriff wird. Dieser Befund verweist uns bereits darauf, dass eine bestimmte Sozialform,nämlich die leibliche Anwesenheit von Menschen zu gleicher Zeit am gleichen Ort, zentraleBedeutung hat. Aber lassen wir Paulus sprechen: 1. Kor. 11,17ff. „Ich kann´s nicht loben, dass ihr nicht zu euremNutzen, sondern zu eurem Schaden zusammenkommt. Zum ersten höre ich: Wenn ihr in derGemeinde zusammenkommt, sind Spaltungen unter euch.“ 11,20): „Wenn ihr nun zusammenkommt,so hält man da nicht das Abendmahl des Herrn…“ 11,33: „Darum, meine lieben Brüder, wenn ihrzusammenkommt, um zu essen, so wartet aufeinander.“ 14,26: „Wie ist es denn nun, liebe Brüder?Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeder einen Psalm, er hat eine Lehre, er hat eine Offenbarung,er hat eine Zungenrede, er hat eine Auslegung. Laßt es alles geschehen zur Erbauung!“ Auffällig oftist bei Paulus vom „Zusammenkommen“ die Rede. Es ist nicht zu übersehen, dass das leiblicheZusammenkommen in engem Zusammenhang steht mit dem Verständnis der Gemeinde als LeibChristi. Hier kommen bereits empirische und geistliche Wirklichkeit in Kontakt. Otto Weber [1] fasst den neutestamentlichen Befund so zusammen: „Es ist deutlich, daß dasSchwergewicht der Aussage beim konkreten Zusammenkommen der ekklesia liegt. …Wir tun dahergut daran, bei dem Wort `Gemeinde` … stets das konkrete Moment des Zusammenkommens, der`Versammlung` mit zu denken…“ Weil die versammelte Gemeinde der Leib Christi ist, kann Paulus z.B. die Gemeinde zu Korinth „dieekklesia Gottes, die in Korinth ist“, nennen, und die Gemeinde in Thessalonich nennt er: „die ekklesiader Thessalonicher in Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus“. Die ekklesia zu Korinth, Thessalonich, Philippi usw. ist jeweils die ganze Kirche. Und alle Gemeindenzusammen sind auch die ganze Kirche, nicht aufgrund organisatorischen Zusammenschlusses,sondern weil sie alle die gleiche Substanz haben, sie sind alle eins in Christus, sind sein Leib. 2. Die Gemeinde ist Leib Christi Diese konkret an einem Ort zusammenkommende, versammelte Gemeinde ist der Leib Christi. Undso folgt auf 1. Kor. 11, wo so oft vom Zusammenkommen der Gemeinde die Rede ist, das Kapitelüber die Gemeinde als Leib Christi, mit dem zentralen Vers 12: Denn wie der Leib einer ist und dochviele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind, — nunwürde ich den Satz beenden, vermutlich jeder von uns: so auch die Gemeinde. Das ist ganzfolgerichtig gedacht. Die Gemeinde ist ein sozialer Leib, ein Organismus, und der besteht aus vieleneinzelnen Gliedern. Das ist doch so ganz logisch. Aber das sagt Paulus nicht, sondern er kommt miteiner Riesenüberraschung. Das ist der ekklesiologische Spitzensatz und der enthält das ganzeGeheimnis der Kirche: Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie vielesind, doch ein Leib sind, so auch Christus. Das ist der paulinische Indikativ: Ihr aber seid der LeibChristi (1. Kor. 12,27).…
Reformation und Freiheit
Fünf Thesen für das Menno-Forum in Hamburg am 19. September 2015 im Hinblickauf das Reformationsjubiläum 2017 Prof. Dr. Hans-Jürgen GoertzHexentwiete 42b, 22559 Hamburg 1. Wenn heute landauf und landab über die Reformation gesprochen wird, geschieht dasnicht, um unserer Zeit ein wissenschaftlich korrektes Bild von der Reformation zuvermitteln. Soweit geht die Liebe zur Geschichte in Kirche und Gesellschaft nicht. Beidesuchen gewöhnlich nach einer „usable past“ – wenn überhaupt – einer Vergangenheit, diezu ihnen passt, nicht unbedingt auch stimmt. Und dafür gibt es einen guten Grund:Vergangenheit ist nicht nur eine Zeit, die war, sie ist auch eine Zeit, aus der noch waswerden kann. Das führt zur ersten These: Keine Kirche hat ihre Reformation hinter sich,alle Kirchen haben ihre Reformation vor sich. „Ecclesia semper reformanda“ (die Kirchemuss immer reformiert werden) ist übrigens ein Slogan der Reformationszeit und ruft unsauf, recht vorsichtig mit dem Begriff der Reformation umzugehen. Niemand hatte undniemand hat die „Reformation“ im Griff – weder Martin Luther noch die Täufer, die meinten,sie hätten eine von Luther halbherzig eingeleitete Reformation zu ihrer Vollendung geführt. Nichts davon ist vollendet, alle Kirchen arbeiten daran und warten immer noch darauf. 2. Auffälligerweise entspricht dem theologischen Konzept der unfertigen Reformation diehistorische Situation. Als Graf Mirabeau 1789 die berühmte Rede vor derNationalversammlung in Paris gegen das Ancien Régime hielt, wusste niemand, dass balddanach die Französische Revolution ausbrechen würde. Genau so verhielt es sich mit demAnschlag der Thesen gegen den Ablass, mit denen der junge Professor an der Wittenberger Universität zum Streit über den Handel mit dem Ablass …
„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.“*
Dr. Johann WeusmannHans-Böckler-Straße 7, 40476 Düsseldorf Diese Worte soll Martin Luther im Jahr 1521 vor dem Reichstag in Worms gesagt haben. „Hier stehe ich.…
„Das Wort, sie sollen lassen: liegen!“
Dr. Paul MetzgerWeinstraße 35, 67278 Bockenheim „Das Wort, sie sollen lassen: liegen!“ Anmerkungen zu den bösen Beobachtungen eines Wanderpredigers (Pfälzisches Pfarrerblatt 10/2012) Der arme…
Wahrheit und Zivilcourage – wie viel Reformation braucht die Kirche?
Dr. Ladislav BenešCema 9, P. O. Box 529, CZ-115 55 Praha Das Thema ist ein guter Anlass, ein bisschen das reformatorische Alphabet zu repetieren…