Stille Heldinnen

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Das zivilgesellschaftliche Engagement von Elisabeth Abegg und Elisabeth Schmitz gegen den Antisemitismus und Holocaust

Dr. Karlheinz Lipp
Friedrich-Wilhelm-Straße 42, 12103 Berlin

Während der NS-Diktatur gab es Menschen, die jenen halfen, die verfolgt wurden. Sie setzten damit ein deutliches Zeichen für Zivilcourage und Menschenrechte in Zeiten der Barbarei. Dieser Rettungswiderstand soll anhand zweier Frauen aufgezeigt werden.

Elisabeth Abegg (1882-1974) und ihre vielfachen Rettungsaktionen

Elisabeth Abegg wurde im damals deutschen Straßburg geboren und entstammt einer bürgerlich-liberalen Familie. Nach einer längeren Krankheit legte sie im Alter von 27 Jahren ihr Abitur ab und studierte Geschichte, Romanistik und Latein. Im Jahre 1916 wurde sie als eine der ersten Frauen an der Universität Leipzig mit einer Dissertation über die Politik Mailands im 13. Jahrhunderts promoviert. Neben ihrer Ausbildung zur Studienrätin arbeitete Abegg weiterhin wissenschaftlich im Bereich der Mediävistik, so als mehrjährige Mitarbeiterin der renommierten Monumenta Germaniae Historica.

Im Jahre 1924 begann die Lehrerin ihren Dienst am Luisen-Oberlyzeum in Berlin-Mitte, die erste Höhere Mädchenschule der Hauptstadt mit vielen jüdischen Schülerinnen. Der Beginn des NS-Staates 1933 bedeutete für jüdische und politische andersdenkende Lehrkräfte ein Berufsverbot. Abegg, die der SPD nahestand, entging nur knapp einer Entlassung. Gegen die NS-Propaganda behielt Abegg ihre kritische Haltung und ihre Position einer emanzipatorischen Pädagogik bei.

Im Jahre 1935 erfolgte die Strafversetzung Abeggs an eine andere Berliner Schule, die Erteilung des Geschichtsunterrichts wurde ihr untersagt. Ihre mutigen Aussagen zum Pazifismus und zur Völkerverständigung brachten der Lehrerin eine Denunziation aus Kreisen der Schülerschaft ein. Dies führte 1941 zur Versetzung in den Ruhestand. Bereits 1940 trat Abegg den Quäkern bei, da sie einen konsequenten Pazifismus, die Gleichheit aller Menschen sowie eine Hilfe für alle Bedürftige befürwortete. Ihre ablehnende Haltung zum NS-Staat änderte sie auch nach einer Vorladung zur Gestapo und der Überwachung ihres Telefons nicht.

Den entscheidenden Anstoß für Abeggs Aufbau eines Netzwerks zur Rettung jüdischer Menschen bildete ein sehr persönliches Erlebnis. Die langjährige Freundin, die jüdische Studienrätin Dr. Anna Hirschberg, ignorierte im Oktober 1941 Abeggs Flehen, unterzutauchen. Hirschberg wurde im Sommer 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet. Abegg begann nun, verfolgte Personen von der Flucht zu überzeugen und ihnen Hilfen anzubieten. 

Die Rahmenbedingungen hierzu waren nicht einfach. Abegg lebte von einer gekürzten Pension in einer Drei-Zimmer-Wohnung mit ihrer alten Mutter und ihrer behinderten älteren Schwester Julie. Im Mietshaus wohnten überzeugte Nazis als Nachbarn. Dennoch startete die Quäkerin ihre Rettungsaktionen für Menschen, die von der Gestapo und der Polizei gesucht wurden.

Wie gestaltete sich der konkrete Alltag des Rettungswiderstands? Bereits Anfang 1943 nahm Abegg mindestens fünf Verfolgte auf, die sie kaum kannte. Als Verstecke dienten ihre eigene Wohnung, Wohnungen loyaler Freunde oder Wohnungen von verreisten Nachbarn, die ihre Schlüssel der Studienrätin hinterließen – ohne zu wissen, welche Personen in der Zeit der Abwesenheit in den Wohnungen lebten. Abeggs Kontakte reichten bis in Dörfer der Mark Brandenburg oder nach Königsberg hinein, wenn es galt, neue Verstecke zu organisieren. Sie konnte sich bei diesen Aktionen auf enge Vertraute verlassen, so z. B. besonders auf ihre ehemalige Schülerin Hildegard Kniess.

Neue sichere Möglichkeiten zum Untertauchen mussten gefunden werden, da bei den jüdischen Menschen Abeggs Engagement bekannt wurde. Ferner mussten die Verstecke öfters gewechselt werden, um Denunziationen zu entgehen. Diese organisatorische Leistung gelang Abegg vor allem durch ihre langjährigen Beziehungen zu Menschen, die dem NS-Staat kritisch gegenüber standen. Der Antisemitismus und Holocaust des NS-Staates brachte noch weitere Herausforderungen mit sich, denen sich die Quäkerin couragiert stellte. So mussten Lebensmittel organisiert werden, was in der Zeit des Zweiten Weltkrieges und der eingeschränkten Lebensmittelkarten für die jüdische Bevölkerung problematisch war. Julie und Elisabeth Abegg kochten einfachen Gerichte für einen Mittagstisch. Verfolgte konnten sich so zumindest manchmal satt essen.

Auch mit Geld half Abegg aus. Um dem jüdischen Lehrer Jizchak Schwersenz die Helfer bei der Flucht in die Schweiz zu finanzieren, verkaufte Elisabeth Abegg einen Teil ihres Schmuckes. Um Untergetauchte mental zu stärken, machte Abegg ihnen Mut und gab ihnen damit Kraft zum Durchhalten in der Zeit der Verfolgung und Vernichtung. Für jüdische Kinder, die vom Unterricht ausgeschlossen wurden, gab die Lehrerin Unterricht, um somit einen Teil von Bildung zu vermitteln.

Wie weit Abeggs Zivilcourage ging, zeigte sich auch darin, dass sie auf einem Polizeirevier in einem günstigen Augenblick ein Dienstsiegel mitnahm, um damit Dokumente für Flüchtende abzustempeln. Durch fiktive Lebensläufe für die sich Abegg gegenüber amtlichen Stellen offiziell verbürgte, konnten ebenfalls Menschen gerettet werden.  

Vermutlich half Abegg ca. 80 Personen in der NS-Zeit. Ihr Engagement setzte sie auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fort. Sie trat der SPD bei und kümmerte sich mit der Quäkerhilfe um 

Heimatlose und Opfer des Krieges. Im Jahre 1957 wurde Elisabeth Abegg das Bundesverdienstkreuz für ihre Unterstützung für Verfolgte verliehen. Zehn Jahre später ehrte sie die Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“. 

Elisabeth Schmitz (1893-1977) und ihre Denkschrift gegen den Antisemitismus

Im Kollegium des Luisen-Oberlyzeums begegnete Abegg der Lehrerin Elisabeth Schmitz, ebenfalls eine entschiedene Gegnerin des NS-Staates. Schmitz entstammte einer bürgerlich-liberalen Familie aus Hanau. Ab 1914 studierte sie Germanistik, Geschichte und Evangelische Theologie zunächst in Bonn, ab 1915 in Berlin, wo sie ihre intellektuelle Prägung durch den Kulturprotestantismus erhielt. So zählten der Kirchenhistoriker Adolf von Harnack und der Historiker Friedrich Meineke zu ihren Lehrern. Im Jahre 1920 wurde sie mit einer Dissertation über Edwin von Manteuffel, einen konservativen Politiker in der Revolution von 1848/49, promoviert. Von 1929 wirkte Schmitz als Studienrätin am Luisen-Oberlyzeum.

Mit Distanz und Erschrecken beobachtete sie den eklatanten Rechtsruck in Staat, Gesellschaft und den evangelischen Landeskirchen. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April ermöglichte dem NS-Staat rechtzeitig zum Beginn des neuen Schuljahres nach den Osterferien die Entfernung von jüdischen und oppositionellen Lehrkräften aus dem Schuldienst – auch an dem Oberlyzeum. So bedeutete dieses Gesetz die Entlassung der sozialdemokratischen Schulleiterin. Nach Problemen mit der neuen Schulleitung wurde Schmitz 1935 an die Auguste-Sprengel-Schule (Heute: Beethoven-Oberschule) versetzt.

Ab April 1933 zählte Schmitz zum Kirchenvorstand der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und appellierte von diesem Zeitpunkt an bekannte Theologen und Kirchenführer, gegen die Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung deutlich und öffentlich zu protestieren – allerdings vergeblich. Ein Jahr später schloss sich Schmitz der Bekennenden Kirche an, allerdings nicht unkritisch.

Im März 1935 veröffentlichte der Theologe Walter Künneth seine Schrift Antwort auf den Mythus, eine Auseinandersetzung mit dem Chef-Ideologen der NSDAP Alfred Rosenberg und seinem Mythus des 20. Jahrhunderts von 1930. Entsetzt registrierte Schmitz im Juli 1935, dass dieser Theologe der Bekennenden Kirche den Antisemitismus Rosenbergs übernahm. In einem Brief an den Privatdozenten der Evangelischen Theologie der Berliner Universität kritisierte Schmitz sein „Zerrbild des Judentums“. Ferner fehle bei Künneth völlig die kulturelle und wissenschaftliche Bedeutung jüdischer Menschen.  

Schmitz beließ es nicht nur bei einer negativen Kritik. Ein beeindruckendes Zeugnis ihrer Kritik am NS-Staat stellt ihre zwanzigseitige Denkschrift Zur Lage der deutschen Nichtarier gegen den Antisemitismus vom Sommer 1935 dar. Sie verfasste dieses anonym erschienene maschinenschriftliche Memorandum (ca. 200 Exemplare) alleine. Die Jahre zuvor sammelte Schmitz, darin auch unterstützt durch Elisabeth Abegg, Material, das die Diffamierung und Verfolgung jüdischer Menschen durch den NS-Staat eindrucksvoll und konkret belegte. So schrieb die Studienrätin: „Die folgende Zusammenstellung kann nur ein Versuch sein, an ein paar zufälligen Punkten etwas Licht fallen zu lassen auf die furchtbare Tragödie, die sich seit drei Jahren in unserer Mitte vollzieht, und von der die Allgemeinheit – dank der lückenlosen Abschnürung der Presse – sehr wenig weiß. Die Schrift wurde im September 35 abgeschlossen, kurz vor Erlaß der Nürnberger Gesetze. Es sind deshalb in einem Nachtrag einige Folgen dieser Gesetze kurz angegeben, Folgen, die einen erschütternden Beweis erbringen für die unheimlich schnelle Entwicklung der Dinge. Manches, was sich selbst damals noch verhältnismäßig schüchtern nur an die Öffentlichkeit wagte – ‘Rassenschande’ – ist längst gesetzlich verankert und allgemeiner Sprachgebrauch. […] 

Im Namen von Blut und Rasse wird seit stark zwei Jahren die Atmosphäre in Deutschland unaufhörlich planmäßig vergiftet durch Haß, Lüge, Verleumdung, Schmähungen niedrigster Art in Reden, Aufrufen, Zeitschriften, Tagespresse, um die Menschen zu willigen Werkzeugen dieser Verfolgungen zu machen“ (Gailus, 2010, 223 und 225. Die Rechtschreibung folgt dem Original). 

Schmitz kritisierte mit ihrer Denkschrift nicht nur den NS-Staat sondern auch die Passivität der evangelischen Kirchen – einschließlich der Bekennenden Kirche, die den Antisemitismus nicht öffentlich anprangerte. Die Mahnrufe der engagierten Frau verhallten ungehört.

Seit dem Herbst 1933 wohnte die „nichtarische“ Ärztin Martha Kassel bis zu ihrer Emigration im Dezember 1938 bei Schmitz. Aus diesem Grund versuchte die NSDAP 1937 die Studienrätin aus dem Schuldienst zu entfernen. Doch es kam anders. Der 9. November 1938, der Tag der Pogromnacht, wurde für Schmitz zum letzten Unterrichtstag. Sie selbst meldete sich zunächst krank und quittierte dann den Staatsdienst. Schmitz wollte den neuen schulischen Rahmenplan, der eine Erziehung zum nationalsozialistischen Menschen vorsah, nicht in ihrem Unterricht umsetzen. Ihr Antrag auf Frühpensionierung wurde positiv beschieden.

Eine Woche nach der Pogromnacht predigte Helmut Gollwitzer am Buß- und Bettag. Der Dahlemer Pfarrer kritisierte den NS-Staat und sparte auch nicht mit Selbstkritik an der Bekennenden Kirche hinsichtlich des Zögerns zu Stellungnahmen gegen den Antisemitismus. Vermutlich lässt sich hier der Einfluss von Schmitz auf Gollwitzer erkennen. Schmitz selbst nahm an diesem denkwürdigen Gottesdienst teil.

In einem Brief vom 24. November 1938 an Gollwitzer verdeutlichte sie nochmals ihre Position. „Als wir zum 1. April 33 [Tag des Boykottes jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien] schwiegen, als wir schwiegen zu den Stürmerkästen [Öffentliche Schaukästen des antisemitischen Hetzblatts, das Julius Streicher herausgab], zu der satanischen Hetze der Presse, zur Vergiftung der Seele des Volkes und der Jugend, zur Zerstörung der Existenzen und der Ehen durch sogenannte ‘Gesetze’, zu den Methoden von Buchenwald – da und tausendmal sonst sind wir schuldig geworden am 10. November 1938. Und nun? Es scheint, daß die Kirche auch dieses Mal, wo ja nun wirklich die Steine schreien, es der Einsicht und dem Mut des einzelnen Pfarrers überläßt, ob er etwas sagen will, und was. […]

In solcher Situation hilft nur der Einsatz aller Kräfte am entscheidenden Punkt, und das würde hier heißen: daß die Kirche in jedem Falle strikt als Kirche handelt, ohne rechts und links zu sehen, ohne Taktik, ohne zu fragen: was wird daraus, allein nach ihrem Wesen und ihrem Auftrag, daß sie sich selbst ganz ernst nimmt. Und daß sie vorbereitet ist auf das, was kommt. Kommen tut nach Ankündigung der Regierung zweifellos die völlige Trennung zwischen Juden und Nichtjuden. Es gehen Gerüchte um – und Derartiges hat auch in ausländischen Zeitungen gestanden – daß ein Zeichen an der Kleidung beabsichtigt sei. Unmöglich ist nichts in diesem Lande, das wissen wir“ (Gailus, 2010, 253 und 254. Hervorhebungen im Original).

Neben ihrem beeindruckenden Dokument gegen den Antisemitismus leistete Schmitz, wie auch Abegg, konkrete Hilfe für Verfolgte im Alltag. In ihrer Wohnung sowie in ihrem Wochenendhaus in Wandlitz, nördlich von Berlin, fanden Menschen Unterschlupf. Schmitz half auch mit Geld und Lebensmittelkarten aus.

Im Jahre 1943 verließ Schmitz Berlin und lebte fortan in ihrer Heimatstadt Hanau. Ab 1946 arbeitete sie wieder im Schuldienst bis zu ihrer regulären Pensionierung im Jahre 1958. Nebenbei wirkte sie im Hanauer Geschichtsverein. Elisabeth Schmitz starb 1977 – an ihrer Beerdigung nahmen sieben Personen teil. Die Zivilcourage von Elisabeth Schmitz blieb lange unbekannt. So wurde ihre Denkschrift viele Jahre fälschlicherweise Marga Meusel zugeordnet. Erst durch einen spektakulären Fund in der Hanauer Johanneskirche im Jahre 2004 konnte die Denkschrift zweifelsfrei Schmitz zugeschrieben werden.

Ehrungen für Schmitz erfolgten posthum – viele Jahre nach ihrem Tod. So ehrten die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck und die Stadt Hanau Schmitz 2005 mit einem Ehrengrab. In Hanau ist eine Schule nach der Kritikerin des Antisemitismus benannt. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem nahm Schmitz als „Gerechte unter den Völkern“ im Jahre 2011 auf. An ihrem Geburts- und Wohnhaus in Hanau sowie an der Beethoven-Schule in Berlin-Lankwitz erinnern Gedenktafeln an die mutige Frau.

Zum Weiterlesen 

Benz, Wolfgang (Hg.): Überleben im Dritten Reich. Juden im Untergrund und ihre Helfer. München 2003 

Gailus, Manfred: Mir aber zerriss es das Herz. Der stille Widerstand der Elisabeth Schmitz. Göttingen 2010

Ders. (Hg.): Elisabeth Schmitz und ihre Denkschrift gegen die Judenverfolgung. Konturen einer vergessenen Biographie (1893-1977). Berlin 2008

Ders./Clemens Vollnhals (Hg.): Mit Herz und Verstand – Protestantische Frauen im Widerstand gegen die NS-Rassenpolitik. Göttingen 2013 

Kosmala, Beate/Claudia Schoppmann (Hg.): Überleben im Untergrund. Hilfe für Juden in Deutschland. Berlin 2002

Silver, Eric: Sie waren stille Helden. Frauen und Männer, die Juden vor den Nazis retteten. München 2000

Voigt, Martina: Grüße von „Ferdinand“. Elisabeth Abeggs vielfältiger Einsatz für Verfolgte. In: Sie blieben unsichtbar. Zeugnisse aus den Jahren 1941 bis 1945. Hg. von Beate Kosmala und Claudia Schoppmann für den Förderverein Blindes Vertrauen e.V. des Museums Blindenwerkstatt Otto Weidt. Berlin 2006, 104-115

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