Kirche auf neuen Wegen?

Print Friendly, PDF & Email

Ist der Kirche
noch zu helfen ?

Vorbemerkung 
Ist der Kirche noch zu helfen? – diese Frage wird von vielen gestellt und es werden sehr unterschiedliche Antworten darauf gegeben. Das Angebot an Untersuchungen und Ratschlägen reicht von der Unternehmensberatung McKinsey & Co. bis zum TV-Moderator Jürgen Fliege. Sicher ist manches von dem, was da zur Rettung der Kirche überlegt und vorgeschlagen wurde, bedenkenswert. Die meisten dieser Hilfsangebote haben jedoch eines gemeinsam: sie gehen von außen an die Kirche heran. Die Maßstäbe und Kriterien, nach denen das »Unternehmen« Kirche beurteilt wird, kommen aus der Wirtschaft oder Werbung, also aus Bereichen, deren oberstes Ziel die Gewinnmaximierung ist.
Ich habe große Zweifel, ob diese Kriterien für ein Unternehmen ausreichen, das nicht von Menschen erdacht und geführt wird, und dessen Grund und Ziel außerhalb jeder menschlichen Planung liegt. Im folgenden wird versucht, die Kirche von ihrer Mitte her zu verstehen und zu beurteilen, soweit das überhaupt menschenmöglich ist. Eine Untersuchung ihres Ursprungs und der biblischen Rahmenbedingungen für die Kirche zeigt, daß weder hektische Betriebsamkeit noch Resignation die angemessene Antwort auf die Frage, ob der Kirche noch zu helfen ist, sein kann. Der Grund unserer Hoffnung für die Kirche ist in der Kirche selbst zu suchen und zu finden. 
Die folgenden Ausführungen sind entstanden beim Nachdenken über Predigttexte dieses Jahres. Beim Treffen des Berneuchener Dienstes und der Evang. Michaelsbruderschaft am 19. Juli 1997 habe ich darüber referiert und den Vortrag auf mehrfachen Wunsch vervielfältigt. Er erhebt nicht den Anspruch, das Thema umfassend zu behandeln. Die Kirche Jesu Christi sprengt alle Versuche, sie mit unserer Begrifflichkeit zu umschreiben oder zu analysieren. Gott sei Dank!

»Seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten« (Lk 12,36)
Damit lenkt Jesus unseren Blick in die richtige Richtung. Das ist das erste und wichtigste, was wir bei allen unseren Überlegungen festhalten müssen: wir warten nicht auf Kundschaft, sondern auf Jesus Christus. Wer auf Kundschaft wartet, der muß auf sich und sein Angebot sehen, wer auf Jesus wartet, der muß auf ihn sehen. Das EMP1 sieht auf die Kunden, und infolgedessen stellt es hohe Erwartungen an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, an neue Strukturen und an neue »professionelle« Methoden. Nun ist eine gute kirchliche Struktur zweifellos besser als eine schlechte, und professionelle Arbeitsweisen stehen auch der Kirche besser an als provinzielle Methoden. Aber die Gefahr liegt nahe, daß wir vor lauter Strukturprogrammen und Qualitätsverbesserungen an unseren kirchlichen Angeboten vergessen, daß nicht wir die Macher sind und daß es auch nicht unsere Aufgabe sein kann, die Maßstäbe zu setzen. Qualität und Professionalität kommen im Vokabular Jesu nicht vor. Selig sind nicht die Profis, sondern die, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet (Lk 12,37). Selig sind nicht die Macher und Qualitätsverbesserer, sondern die Sanftmütigen und Barmherzigen (Mt 5), die Jesus ausdrücklich in seiner Bergpredigt nennt. Kirchliches Handeln muß sich nicht durch Perfektion ausweisen. »Was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist« (1. Kor 1,27) schreibt der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief. Damit hat er nicht die Schwachheit zum Maßstab erhoben, sondern die Realität der Gemeinde beschrieben.
»Seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten« mahnt Jesus wiederholt. Dabei ist Warten nicht einfach Passivität, sondern warten im Sinne Jesu heißt die Lenden umgürtet sein und die Lichter brennen lassen (Lk 12 35), ohne Bild gesprochen: Warten heißt vertrauen auf die Zusagen Jesu. Vor 12 Jahren, als die St. Matthäus-Kirche eingeweiht wurde, sagte Oberkirchenrat Schabert in seiner Predigt: »In unseren Kirchen sammelt der kommende Herr schon jetzt durch sein verkündigtes Wort und durch seine dargereichten und empfangenen Sakramente sich seine Gemeinde, die Gemeinde seines kommenden Tages. Auch hier, liebe Gemeinde, in dieser deiner neuen Kirche will er das tun. Er will uns wecken aus dem Schlaf der Sicherheit, uns herausrufen aus der vergehenden Nacht, damit wir nicht mit ihr zu vergehen brauchen. Er will uns im Dunkel des Leides und des Todes … damit trösten, daß wir dennoch schon ihm und seinem Tage angehören.« Trauen wir uns das nicht mehr zu sagen in unseren Kirchen? Manchmal habe ich diesen Eindruck. Es werden große Anstrengungen unternommen, um den Herausforderungen zu begegnen, die der Kirche durch die postmoderne Erlebnisgesellschaft, den Strukturumbruch der Arbeitsgesellschaft und das multikulturelle und multireligiöse Umfeld gestellt werden. Durch eine Neuausrichtung des Angebotskonzeptes und klare Entscheidungs- und Führungsstrukturen (EMP S.17) soll die Evang.-Luth. Kirche eine »relevante und attraktive Institution für das Leben und den Glauben werden und ihren Beitrag zur Überlebensfähigkeit der städtischen Gesellschaft leisten« (EMP S.15). Ist das wirklich unsere Aufgabe oder erwecken wir nicht gerade dadurch den fatalen Eindruck, daß das Überleben der Kirche von der Tüchtigkeit und Professionalität ihrer haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter abhängt? Paulus hatte ein sehr einseitiges Angebotskonzept in seiner Predigt, und die Akzeptanz war denkbar schlecht. Er predigte den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit (1. Kor 1,23). Das Bild, das er und seine Mitarbeiter in der Öffentlichkeit abgaben, bezeichnet der Apostel selber als »Abschaum der Menschheit, jedermanns Kehricht« (1. Kor 4,13). Wir sind Narren um Christi willen, schwach, verachtet, geschmäht und verlästert (1. Kor 4,10-13), schreibt er. Trotzdem – oder gerade deshalb? – hat er die Menschen beeindruckt und ihnen die Botschaft Jesu Christi verkündigt. Wie hat er das fertiggebracht mit seinem miserablen Image und einer Marktorientierung, die ihm in Philippi Prügel und Gefängnis (Apg 16) und auf dem Marktplatz von Athen schallendes Gelächter (Apg 17) einbrachte? Seine Antwort lautet: Der Glaube soll nicht stehen auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft (1. Kor 2,4f). Genau das bietet Jesus uns an! »Seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten!« Wer auf den Herrn wartet, der rechnet mit seiner Kraft, der weiß, daß ER auch bei uns gegenwärtig und wirksam ist, der weiß, daß er nicht alles selber machen muß; er braucht sich um sein Image keine Sorgen zu machen.

Nachfolge statt Nachfrage
Im Rahmen des Evangelischen München-Programms werden jetzt sogenannte Analyseworkshops durchgeführt. Interessierte Gemeindeglieder lernen dort Methoden kennen, mit denen sie feststellen, welche Menschen durch das Angebot ihrer Kirchengemeinde erreicht werden. Ziel ist, das kirchliche Angebot effektiver zu gestalten. Es soll endlich mehr auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen ausgerichtet werden. Es ist sicher sinnvoll und angebracht, sich auch darüber einmal Gedanken zu machen, wie das Verhältnis von Arbeitsaufwand und Erfolg innerhalb der Kirche ist. Es gibt tatsächlich Arbeitsfelder, wo man sich fragen kann, wie lange hier noch Zeit, Kraft und Geld investiert werden soll. Aber stellen wir uns einmal vor, Jesus würde unerkannt an einem solchen Analyseworkshop teilnehmen. Man würde ihm sehr schnell zu verstehen geben, daß er hier fehl am Platz ist. Nicht nur, weil er keine Ahnung von Gemeindeanalyse und Zielgruppenabdeckung hat, sondern vor allem wohl deshalb, weil seine Art, mit den Menschen umzugehen, ganz bestimmt kein Beitrag für eine konstruktive Gemeindearbeit ist. So wie er das macht, kann man keine Mitglieder werben. Da werden ja selbst diejenigen, die der Kirche noch einigermaßen aufgeschlossen und wohlwollend gegenüberstehen, auch noch vergrault. »Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.« (Mt 16,24f). So kann man nicht auf potentielle Kunden zugehen und so kann man auch keine neuen Mitglieder gewinnen. Jesus würde darauf vermutlich antworten, daß es nie seine Absicht gewesen sei, Kunden oder Mitglieder zu werben. Er ist kein Vereinsvorstand, dessen wichtigste Aufgabe darin besteht, die Zahl der Mitglieder zu erhöhen und damit die Summe der Vereinsbeiträge. In der ganzen Heiligen Schrift ist nicht ein einziges Mal von Mitgliedern die Rede, dafür von den Gliedern am Leib Christi (1. Kor 12,27) – und das ist etwas völlig anderes. Jesus ist weder der Marktstratege, der seine Jünger aussendet, um die Nachfrage zu sondieren, noch der Produktmanager, der seine Ware geschickt den Wünschen und Erwartungen möglicher Käuferschichten angleicht, sondern er ist der »auserwählte Sohn Gottes«, dessen Wort wir hören sollen (Lk 9,35). Jesus bietet sein Wort auch nicht im Schnupperangebot feil, um die Nachfrage zu erhöhen. Es geht ihm überhaupt nicht um Nachfrage, sondern um Nachfolge. Nachfolge gibt es nicht zum Billigtarif und hat es nie gegeben. Nachfolge hat ihren Preis, und der Preis ist unsere gesamte Existenz. »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach« (Lk 9,23), sagt Jesus. Mit den Bemühungen, das kirchliche Angebot immer mehr den Wünschen und Erwartungen anzupassen, die an uns herangetragen werden, steht die Kirche in der großen Gefahr, das Evangelium zu verramschen und aus der Nachfolge einen billigen Kundendienst zu machen. Je erfolgreicher unser in Analyseworkshops entwickeltes und professionell hochgestyltes kirchliches Angebotskonzept wird, desto mehr begeben wir uns auf die Ebene jener massenhaft angepriesenen Trainingsprogramme, die uns garantierten Erfolg in Beruf, Familie und Gesellschaft versprechen. Auch da geht es um Kommunikation und Menschenführung, um Management und Teamarbeit (z.B. Dale Carnegie Training). Das mag alles gut und nützlich sein, aber das sind nicht die herausragenden Merkmale der Kirche Jesu Christi. Ich glaube auch nicht, daß sich dadurch die Zahl der Austrittswilligen verringern läßt. Warum greifen wir nicht einfach das auf, was Jesus uns vorgegeben hat? Warum sagen wir nicht, daß Nachfolge einen hohen Preis hat? Jesus hat sich nicht gescheut, das in aller Deutlichkeit zu sagen, und er hat dadurch sicher manche abgeschreckt. Wollen wir besser und erfolgreicher sein als Jesus? Oder haben wir Angst, daß wir im Konkurrenzkampf mit New Age, Scientology und TM (Transzendentale Meditation) unterliegen könnten? Wenn wir IHM nachfolgen, können wir getrost die Angst um die Kirche vergessen. Sie hat mit Hilfe des Heiligen Geistes schon viel schwierigere Phasen und auch größere Austrittswellen überstanden als die, die wir erleben. Schon oft wurde der Kirche ihr Ende prophezeit. Die Gemeinde Jesu Christi hat sie alle überlebt. Sie sind tot und begraben, die ihren Tod wollten. Die Kirche aber lebt, so wie Jesus lebt und seine Gemeinde durch die Zeiten erhält, indem er immer wieder Menschen in seine Nachfolge ruft.

Paulus, ein Profi für Gemeindegründung und Begleitung
»Mir, dem allergeringsten unter allen Heiligen, ist die Gnade gegeben worden, den Heiden zu verkündigen den unausforschlichen Reichtum Christi« (Eph 3,8), schreibt der Apostel im Epheserbrief. So ist er von Jerusalem über Kleinasien und Griechenland bis nach Rom gelangt und wollte noch weiter nach Spanien (Röm 15,24 u. 28), d.h. zur äußersten Grenze der damaligen Welt im Westen. Wie gestaltete sich der Arbeitsalltag des Völkerapostels? Er reiste nicht mit Mitra und vergoldetem Krummstab, es versammelten sich auch nicht Zigtausende, wenn er seinen Besuch ankündigte. Nirgends in seinen Briefen lesen wir etwas von Public Relation, Öffentlichkeitsarbeit und professionellen Werbemethoden, die die Repräsentanten der römischen Weltmacht auch damals schon beherrschten und für ihre Zwecke einsetzten. Zwei Mittel benutzte Paulus für seine Mission: das gesprochene und das geschriebene Wort. Er war felsenfest davon überzeugt, daß es genügte, den Menschen zu verkündigen, daß nun auch die Heiden von Gott durch Jesus Christus in seine Gemeinschaft berufen sind. Das war das Neue, was er allen Völkern sagen mußte: Gott hat sein Angebot weltweit geöffnet, es gilt für Juden und Heiden. Das hat nichts mit Kundenfreundlichkeit der Kirche zu tun, sondern das ist die unbegreifliche Menschenfreundlichkeit Gottes, der sein Evangelium durch Jesus Christus allen Menschen zugänglich gemacht hat. Durch den Glauben an Christus Jesus haben wir Zugang zu Gott (Eph 3,12), ein Privileg, das bis dahin dem auserwählten Volk Gottes, nämlich Israel vorbehalten war.
Die Reaktion auf seine Verkündigung war vorhersehbar: die einen, die Juden, empfanden sie als ungeheuerliche Provokation und einen Angriff auf ihre Sonderstellung bei Gott, und die anderen, die Heiden, waren nicht interessiert. Sie wollten in Ruhe gelassen werden mit diesem Unsinn (1. Kor 1,23). Das war die Erfahrung, die Paulus nicht nur in Ephesus, sondern überall machte. Weshalb wurde er dann einer der größten Theologen, der Apostel der Völker? Weil er dabei blieb, weil er sich nicht beirren ließ und immer wieder genau das predigte, was er als richtig erkannt und als Gottes Willen vernommen hat: »Daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters« (Phil 2,10f). Paulus hat diese Botschaft weder in einer gefälligen Verpackung serviert, noch in mundgerechte, kleine Häppchen zerlegt. Die heute vieldiskutierte Frage nach den Bedürfnissen seiner Hörer interessierte ihn nicht. Im Gegenteil. Sein Ziel war, »im Namen Jesu Christi den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden« (Röm 1,5). Es ist eine totale Verkennung des kirchlichen Auftrags, wenn uns heute von kirchlichen Insidern immer wieder gesagt wird, die Kirche müsse ihr Angebotskonzept nach den Wünschen, Erwartungen und Erfahrungen ihrer Mitglieder ausrichten (EMP S.3). Nicht ein Kirchenmann, sondern der Erfolgsautor Neil Postman2 sagt uns, was unsere ureigenste Aufgabe ist. In seinem Weltbestseller »Wir amüsieren uns zu Tode« schreibt er wörtlich: »Kein einziger großer Religionsstifter – weder Buddha noch Moses, weder Jesus noch Mohammed, noch Luther – hat den Menschen je das geboten, was sie wollten. Sondern immer nur das, was ihnen nottat.« Genau das war auch das Anliegen des Apostels Paulus. Die Frage ist nicht, ob wir uns in einem Gottesdienst wohl fühlen, und ob wir das hören, was wir gerne hören möchten, sondern ob wir das hören, was zu unserem Heil dient. Das, was wir gerne hören und sehen möchten, bietet uns das Fernsehen. Die Wünsche und Vorstellungen des Publikums sind das oberste Gesetz für die Programmgestaltung. Wenn es unser Ziel ist, unsere Gottesdienste und sonstigen kirchlichen Angebote ebenso danach auszurichten, sollten wir uns besser gleich daheim vor den Fernseher setzen. Wenn die Kirche versucht, hier gleichzuziehen, wird sie in kurzer Zeit das erreichen, was ihre Gegner in zwei Jahrtausenden nicht geschafft haben: sie macht sich selbst überflüssig, weil es dann andere gibt, die es besser können als sie. Paulus zeigt uns, wie es anders geht. Niemals können die Wünsche und Erwartungen der Menschen Maßstab unserer Verkündigung sein. Unser Maßstab ist und bleibt »Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit« (Hebr 13,8). Und unser Auftrag ist, den Heiden zu verkündigen, daß sie Miterben sind und mit zu seinem Leib gehören und Mitgenossen sind der Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium (Eph 3,6). Ob die Menschen das hören wollen oder nicht, ob das ihren Erwartungen entspricht und ob wir damit die aktuellen Fragen der Zeit beantworten, ist nicht unser Problem. Paulus hat selten den Geschmack seiner Zuhörer getroffen. Wenn er das geschafft hätte, wäre er nicht so oft verprügelt und ins Gefängnis geworfen worden. Er hat ganz einfach zum Gehorsam des Glaubens (Röm 1,5) aufgerufen, des Glaubens an Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, und Gott hat dazu das Gedeihen gegeben (1. Kor 3,7).

Berufung statt Werbung
Es ist erstaunlich, was derzeit alles an wohlfeilen Ratschlägen aus berufenem und weniger berufenem Mund zur Rettung der Kirche im Umlauf ist. Psychologie und Management, Showbusiness und neue Mystik und noch vieles andere muß dazu herhalten, einer, wie es heißt lahmen und wenig attraktiven Kirche wieder auf die Beine zu helfen. Da wird z.B. vorgeschlagen – im Deutschen Sonntagsblatt (DS) vom 20.6.97, S. 4 -, daß 100 Promis sich mit »ihrer« Kirche identifizieren sollen. D.h. sie sollen ihren Namen, ihr Ansehen, ihre Bekanntheit, ihre Autorität einsetzen, um damit die Kirche aufzuwerten und für andere attraktiv zu machen. Jesus machte es genau umgekehrt. Er hat nicht versucht, seine Botschaft durch bekannte Namen aufzuwerten, sondern er hat Menschen mit völlig unbekannten Namen dadurch aufgewertet, daß er ihnen seine Botschaft anvertraute. Der Name Jesu wurde nicht dadurch bekannt und geschätzt, weil ein Petrus und Paulus sich für ihn eingesetzt haben, sondern die Namen von Petrus und Paulus wurden weltberühmt, weil ein gewisser Jesus von Nazareth sie in seinen Dienst genommen hat. Wenn wir etwas für die Kirche tun wollen, dann müssen wir uns nicht nach Menschen umsehen, die großzügig ihren Namen für ein besseres Image der Kirche hergeben, sondern dann müssen wir die Menschen suchen, die der Herr der Kirche auch heute in seinen Dienst stellt. Die Kirche lebt niemals von ihren prominenten Mitgliedern, sondern die Kirche lebt heute wie zu allen Zeiten davon, daß der heilige Geist Menschen durch das Evangelium beruft und im rechten Glauben heiligt und erhält. Das kann auch einmal jemand sein, den wir aus den Medien kennen, aber in der Regel sind das heute wie damals ganz unscheinbare Leute wie Petrus. Er war kein Held, aber das Besondere, das Herausragende an Petrus ist ein Satz, der ihn im wahrsten Sinne des Wortes unsterblich gemacht hat, sein Bekenntnis zu Jesus: »Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!« (Mt 16,16). D.h. er hat Jesus geglaubt und vertraut. Seitdem haben ungezählte Menschen sein Bekenntnis nachgesprochen und gaben sich dadurch als Jüngerinnen und Jünger Jesu zu erkennen.
In dem oben zitierten Vorschlag zur Erneuerung der Kirche (DS v. 20.6.97) heißt es: »Neue Mystik braucht das Land: Kerzen, Erfahrung, Wandern, Lieder, Träume, Schweigen, Fasten, Mantras.« Ich bin nicht der Meinung, daß das Land so etwas braucht, auch wenn die Angebote dazu wie Pilze aus dem Boden schießen. Auch die jetzt in vielen Münchner Gemeinden durchgeführten Untersuchungen und Analysen über die Akzeptanz des kirchlichen Angebotes werden nicht viel bewirken. Die Kirche Jesu Christi ist nun einmal kein Warenhaus und auch kein Dienstleistungsbetrieb. Diese Begriffe erscheinen nirgends im Neuen Testament. Statt dessen ist da die Rede vom Leib Christi (1. Kor 12,27), von der Herde und dem Hirten (Joh 10), von Gottes Ackerfeld und Gottes Bau (1. Kor 3,9). Begreifen wir doch endlich, daß das Unternehmen »Kirche« niemals nach marktstrategischen Prinzipien geführt wurde und auch nicht geführt werden kann, weil es total auf die Person ihres Gründers zugeschnitten und von ihm abhängig ist. Was wir brauchen, das sind – genau wie am Anfang der Kirche – Jüngerinnen und Jünger Jesu, die ihm nachfolgen und sich zu ihm bekennen. Sie entwickeln keine großartigen Pläne zur Rettung und Erneuerung der Kirche, sondern sie tun ganz einfach an der Stelle, an die Gott sie hingestellt hat, das, was in ihren Kräften steht, unter Einsatz der Gaben, die Gott ihnen anvertraut hat.

Das Erfolgsmodell: »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.« (Joh 15,5)
Landesbischof Dietzfelbinger begann im Jahr 1971 einen vieldiskutierten Synodalbericht mit den Worten: »Die Kirche scheint in der heutigen Gesellschaft vielen uninteressanter zu werden. Überwunden wird diese scheinbare Belanglosigkeit nicht durch eine bis zur Ununterscheidbarkeit gehende Angleichung an wechselnde Schlagworte und Meinungen, sondern durch die Besinnung auf das, was Kirche Jesu Christi nach Gottes Willen und Wort ist.« Dieser Satz hat nichts an Aktualität verloren.
Was Kirche Jesu Christi nach Gottes Willen und Wort ist, sagt Jesus z.B. mit dem Bildwort vom Weinstock: »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.« D.h. mit anderen Worten: Kirche gibt es nur in unmittelbarer, engster Verbindung mit Jesus Christus. Er ist der Grund ihres Daseins, Er hält sie am Leben. Von einem Nutzen für Staat und Gesellschaft ist nicht die Rede. Es kann durchaus hilfreich für ein Staatswesen sein, wenn es da auch eine Kirche gibt, aber das ist niemals die Begründung für ihre Existenz. Die Kirche als ganze und jede einzelne Gemeinde lebt, weil und solange sie mit ihrem Herrn verbunden ist. Aus eben dieser Verbundenheit leitet sich ihr Wesen, ihre Aufgabe und ihre Zielsetzung ab. Das betrifft nicht nur die Kirche in ihrer Gesamtheit, sondern auch jedes einzelne Gemeindeglied. Was der Apostel Paulus mit den Gliedern am Leib Christi (1. Kor 12,27) beschreibt, das sagt Jesus mit dem Bild von den Reben am Weinstock: »Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.« 
Sollte hier der Grund für die oft genannten Defizite im Erscheinungsbild und im Handeln der Kirche zu suchen sein? Unmißverständlich wird von Jesus selbst festgestellt, wann Kirche erfolgreich ist und wann sie scheitern muß. Erste und wichtigste Priorität ist die Verbindung zu IHM. Wenn die stimmt, dann ergibt sich alles andere von selbst; wenn sie nicht stimmt, dann nützen auch die größten Anstrengungen und die schönsten Programme nichts. Statt hektischer Betriebsamkeit fordert Jesus etwas ganz anderes: bleiben, die Jünger sollen »in ihm bleiben«. Fast beschwörend wiederholt Jesus dieses Wort nicht weniger als siebenmal in dem kurzen Abschnitt seiner Rede. Das ist das Allerwichtigste, wichtiger als gute Ideen und Professionalität, wichtiger als Forschung und Entwicklung zur kirchlichen Selbstfindung, wichtiger als Handeln ist das Bleiben. »Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren!« (Joh 15,7).
Bleiben und bitten – das erinnert an das andere Wort Jesu, das er den Jüngern in Gethsemane zur Aufgabe machte: »wachet und betet!« (Mt 26,41). Bleiben und bitten, wachen und beten – das ist das Gebot der Stunde, das ist der Auftrag, den Jesus seiner Gemeinde gibt. Das ist aber auch die große Chance, der Vorzug, den nur die Kirche besitzt und wodurch sich Kirche grundlegend von allen Unternehmen, Betrieben und Vereinen unterscheidet. »Ich bin der Weinstock ihr seid die Reben« – das sagt kein Firmenchef zu seinen Mitarbeitern, das sagt auch kein Vorsitzender zu seinen Vereinsmitgliedern, das kann nur ein einziger sagen und das hat auch nur ein einziger gesagt: Jesus Christus zu seiner Gemeinde. ER ist der Weinstock, und wir sind die Reben. Bleiben und bitten, wachen und beten – eine Kirche, die sich diesen Auftrag Jesu wieder zu eigen macht, muß eine lebendige, eine starke, vollmächtige Kirche sein.

»Last die Leute sich lagern« (Joh 6,10)
Manchen ist das zu wenig, was wir für die Kirche tun können. Es ist ihnen nicht dynamisch genug. Sie möchten selber aktiv werden. Was können wir tun? Eine Antwort auf diese Frage – sicher nicht die einzig mögliche, aber doch eine sehr bedenkenswerte – gibt uns der Bericht über die Speisung der 5000, wie er uns im Johannesevangelium überliefert ist (Joh 6,1-15). Im Mittelpunkt steht eine Frage und ein Auftrag. Jesus fragt Philippus: »Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?« (Joh 6,5). Er antwortet auf die Frage von Jesus: »Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, daß jeder ein wenig bekomme« (Joh 6,7). Philippus hat nicht versucht, etwas zu tun, wozu weder seine finanziellen Möglichkeiten noch seine Kräfte ausgereicht hätten. Er besaß genügend Realitätssinn, um seine Situation und die der anderen Jünger richtig einzuschätzen. Im Gegensatz zu ihm erliegen wir immer wieder der Versuchung, daß wir meinen, wir müßten dem lieben Gott etwas unter die Arme greifen. Wir versuchen, mit vielerlei kirchlichen Angeboten den Hunger und die Sehnsucht der Menschen zu stillen und wollen oder können nicht begreifen, daß wir dabei hoffnungslos überfordert sind. »Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?« Die Antwort lautet: wir können es gar nicht kaufen, wir können es uns nur von Jesus schenken lassen. Es gibt keine Läden für dieses Brot, es gibt nur ihn, Jesus Christus, der selbst das Brot des Lebens ist (Joh 6,35). Lassen wir uns nicht mit billigem Ersatz abspeisen, sondern gehen wir zu ihm selbst und nehmen die anderen mit, die wie wir auf der Suche sind, und bitten ihn, den Herrn der Kirche, daß er uns sättigt mit dem Brot des Lebens.
Bevor Jesus das Brot und die Fische den Hungrigen gab, damit sie satt werden, sagte er zu den Jüngern: »Laßt die Leute sich lagern« (Joh 6,10). Das ist ein Auftrag an die Jünger, ihr Beitrag zur Speisung der 5000. Jesus verteilt seine Gabe nicht im Vorbeigehen. Die Menschen sollen sich Zeit nehmen für ihn. Ein Gottesdienst – und die Speisung der 5000 war ein Gottesdienst – ist kein Schnellimbiß. Um Jesus zu begegnen, brauchen wir Zeit. Wir müssen uns niederlassen an einem Ort, der dafür geeignet ist, z.B. in der Kirche. Wir sind eingeladen, immer wieder zu kommen und Platz zu nehmen, am Sonntag, aber auch unter der Woche. Es ist wichtig, daß es in einer Stadt solche Räume gibt, die einzig und allein den Zweck haben, daß Menschen sich niederlassen können, zur Ruhe kommen und aufmerksam werden auf das, was Gott für sie bereithält. St. Matthäus möchte ein solcher Raum sein, und es ist ganz gleich, wie viele hier zusammenkommen, ob es nur 5 sind wie beim Gebet am Freitagabend oder 500 wie vor einiger Zeit bei den Jesustagen. »Laßt die Leute sich lagern« sagt Jesus. Wir nehmen diesen Auftrag an. Damit ist aber, wie wir gesehen haben, der Dienst der Jünger auch schon beendet. Was dann folgt, ist der ureigenste Dienst Jesu, dahinter steht sein Werk und seine Person.
Ich schließe mit einem Zitat von Henri J.M. Nouwen. Was er über die Kirchen von Rom sagt, möchte ich gerne auch für unsere Kirchen in Anspruch nehmen, weil ich meine, daß damit genau die Absicht Jesu aufgenommen ist: »Die Kirchen sind nicht nützlich, nicht praktisch, verlangen nicht nach unmittelbarer Aktion und erfordern keine schnelle Antwort. Sie sind Räume ohne laute Geräusche, ungezügelte Bewegungen oder ungeduldige Gesten. Sie sind stille Räume, die meiste Zeit seltsam leer. Sie sprechen eine andere Sprache als die Welt um sie herum. Sie möchten keine Museen sein. Sie möchten uns einladen, still zu sein, zu sitzen oder zu knien, aufmerksam zu hören und mit unserem ganzen Wesen auszuruhen.
Eine Stadt ohne sorgsam gehütete Räume, in denen die Stille, aus der alle Worte erwachsen, zu spüren ist, die Stille, die zu Taten ermuntert, eine solche Stadt ist in Gefahr, ihren wahren Mittelpunkt zu verlieren.«
(Der Autor ist Pfarrer an St. Matthäus in München. Wir dokumentieren den Beitrag aus: Arbeitsgemeinschaft Lebendige Gemeinde Bayern, Informationsbrief vom März 1998, München 1998, S. 15 – 24. Die Anregung zur Veröffentlichung gab Dr. Bernhard Bonkhoff, Kirchenstraße 3, 66501 Großbundenbach.)

Anmerkungen:
1 Das Evangelische München-Programm, gemeinsame Pro – Bono – Studie des Evang.-Luth. Dekanats München und der Unternehmensberatung McKinsey & Company, Inc. 1996 
2 Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, Fischer Taschenbuch Nr. 4285 (1988), S. 149 

Ähnliche Artikel:

Keine passenden Beiträge gefunden

Dieter Kuller
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
Menü