Religionsfreiheit als Leitbild

Print Friendly, PDF & Email

Ingrid Schellhammer
Ahornstr. 47, 67112 Mutterstadt

Carl Amery, Global Exit. Die Kirchen und der Totale Markt, München (Luchterhand Literaturverlag) 2002, 237 Seiten, 18,- €, ISBN 3-630-88004-5 (Taschenbuchausgabe bei btb-Verlag [Goldmann], München 2004, 8,50 €, ISBN 3-442-73133-X)

Das Buch ist in 3 große Kapitel gegliedert:

1. Die Reichsreligion

2. Die Christen im Pantheon

3. Das Notwendige in Wort und Tat

1.

Die Reichsreligion ist der Glaube an den Totalen Markt. Das erste und oberste Dogma dieser Religion lautet: Alles hat seinen Preis und alles kann gekauft werden.

Amery vergleicht diese Reichsreligion mit der Reichsreligion des Imperium Romana vor der constantinischen Wende von 312. “Dieses Imperium war auf den ersten Blick tolerant … man huldigte 1000 Göttern unter dem Pantheon … aber der Schluss-Strich des Gewölbes war der Kaiserkult. Der Kaiserkult war eine transzendenzarme Metareligion, die den anderen Kulturen und Mysterien genug Raum für ihre geheimnisvollen und trostreichen Heilsversprechen ließ.

Der Kaisereid allerdings bedeutete “There is no alternative (= TINA), der Kaiser ist das Größte und Höchste, es gibt keine Erwartung darüber hinaus. Die Christen und Juden damals aber glaubten an die Alternative. Sie verehrten einen ganz anderen: den Gott des Bundes und sie erwarteten ihn.”

Damit ist angedeutet, auf was Amery hinaus will: Es gibt eine Alternative zur herrschenden Reichsreligion TINA: den Glauben an den Gott des Bundes.

Amery beschreibt die gegenwärtige Situation so: Seit 1989 scheint es keine Alternative zum Kapitalismus mehr zu geben. Doch auch zu Zeiten des kalten Krieges hat es wirkliche Alternativen nicht gegeben: Beide Gesellschaftssysteme setzten auf die gute alte Wachstumsspirale – umstritten war lediglich der Weg: freier Markt oder Plan. Und hinter den Kulissen des kalten Krieges wuchsen unbemerkt zwei neue Probleme heran: das Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts und die zunehmende biosphärische Bedrohung.

Ungefähr seit der Wahl von Reagan sen. zum US-Präsidenten wird vor unseren Augen nicht nur die Sozialdemokratie, sondern die Arbeiterklasse liquidiert d.h. überflüssig gemacht. Überflüssigkeit tritt an die Stelle von Ausbeutung. Sozialdemokratische Ideale sind genauso out wie sozialistische. Der Triumph über das sozialdemokratische Jahrhundert scheint komplett.

Der zweite Konflikt hat ein anderes Format: was noch kein noch so mächtiger Despot je schaffen konnte, in unserem Jahrhundert könnte es möglich werden: dass sich die Gattung Mensch ihre Lebensbedingungen selbst und grundlegend zerstört.

Es folgt ein Kapitel über die Rolle der Politik und die Rolle der Wissenschaft bzw. der Wissenschaftler.

Für beide Bereiche scheint zu gelten: “Die Beteiligten sind letzten Endes in der psychischen Lage der Lokführer nach Auschwitz, der sich an seinen Fahrplan hält und den der Inhalt der Waggons nicht kümmern darf … Sie können seelisch überhaupt nur existieren, weil sie die Zersplitterung der Verantwortung als gegeben hinzunehmen gelernt haben bzw. gelehrt wurden und diese Zersplitterung setzt sich bis in die völlige Unübersichtlichkeit fort”.

Am Endes des Kapitels über die Wissenschaft preist Amery die “Unbequemen und Unkäuflichen”, die wissenschaftliche Opposition, die, die uns die Augen für die Wahrheit öffnen, die aussteigen und/oder den Mund aufmachen, TINA zum Trotz.

2.

Das 2. Kapitel hat den Titel “Die Christen im Pantheon”. Es beginnt mit einer Geschichte, die in Texas spielt: In den Zeiten des kalten Krieges lebte die Stadt Amarillo größtenteils von der Arbeit an Sprengköpfen für MIRV-Raketen: nukleare Geschosse für Mehrfachträger, die einzeln auf verschiedene Ziele im Sowjetblock programmiert wurden. Diese Produktion führte zu beträchtlichem Wohlstand. Amarillo war bekannt als besonders guter Nährboden für Sekten und Freikirchen aller Art. Eine dieser Sekten lebte in der festen Überzeugung, dass Gott in einem nur ihm bekannten künftigen Augenblick seine Erwählten körperlich und mit einem Schlag in eine glückselige Welt versetzen werde – einem Schlag, der dem Rest des sündigen Planeten den Garaus macht. Die Sekte nannte diesen Akt Gottes “rapture”, Entrückung. Ihre Anhänger befestigten an den Stoßstangen ihrer Autos die Inschrift: In case of rapture, this car will be empty – im Entrückungsfall wird dieser Wagen leer sein. Amarillo hatte aber auch eine römisch-katholische Gemeinde. Ihr damaliger Bischof war offensichtlich ein gewissenhafter Hirte. Vermutlich nach langem Ringen mit sich selbst verfasste er einen Hirtenbrief, in dem die Herstellung der nuklearen Ungeheuer als unchristlich beschrieben und die Schar seiner Gläubigen aufgefordert wurden, die Mitarbeit zu kündigen. Dem Aufruf folgte ein einziger Mann. Er war Mexikaner.

Diese Geschichte – so Amery – spiegelt fast die gesamte Problematik der christlichen Situation heute: Mitspielen und daran glauben dass in case of rapture … oder – wie im Fall der kath. Kirche in der Geschichte – vielleicht nur einen einzigen armen Mexikaner zu erreichen. Klar ist: die case-of-rapture-Kirchen sind voller …

Die Christentümer befinden sich inmitten eines gewaltigen Umbruchs. Die entscheidende Veränderung ist die wachsende Zahl der Freikirchen. In einem Jahrhundert kamen sie von null auf ca. 500 Mio. Anhänger und sie werden aller Voraussicht nach innerhalb der nächsten Generation die Milliarde erreichen oder übersteigen. Zweifellos wäre der Aufstieg der Frei- und Kleinkirchen nicht möglich, wäre die Vitalität der großen Konfessionen nicht geschwächt und drohte ihnen nicht die Gefahr, eines Tages mit dem einen Mexikaner dazustehen.

In Abschnitt 3 mit dem Titel “Glück im Container” beschäftigt sich Amery mit den Sekten, Freikirchen und sektenähnlichen Fraktionen der Großkirchen: “Wer in eine der genannten Gruppen gefunden hat, hat das Glück nicht mehr einsam zu sein und das Glück eine Weltdeutung oder Einfärbung der Wirklichkeit geschenkt zu bekommen, die den Nebel der Ratlosigkeit, wenn nicht ganz lichtet, so doch zumindest – scheinbar – durchsichtiger macht. Das Glück kann in vielen Fällen darin bestehen, dass man zu einer menschenwarmen Existenz in einem geschlossenen Container gelangt ist.”

In diesem Container spielt das keine Rolle mehr, was wir “strukturelle Sünde” zu nennen gelernt haben: die Verantwortungsketten, die uns an den Weltzustand des Totalen Marktes ketten und der daraus geforderte gemeinschaftliche Auszug aus seinem Sklavenhaus. Schon deshalb nicht, weil für die Fundamentalisten dieser Auszug längst gegeben ist, im Gründungsakt der Sezession von einer Mutterkirche oder in der individuellen Bekehrung aus der Ratlosigkeit. Man ist bereits entrückt oder steht bereit zur Entrückung, erwählt aus der Masse der ohnehin hoffnungslos Verlorenen.

Damit entfällt letzten Endes jedes engagierte Interesse an Geschichte. Für den so Gläubigen ist Geschichte ein Wartezustand zwischen ganz wenigen metaweltlichen Ereignissen, zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen Christi, zwischen Sündenfall und jüngstem Gericht, vielleicht auch dem sezessionistischen Gründungsakt und seiner erfüllten Rechtfertigung in dem demnächst fälligen Jüngsten Gericht.

Wie steht nun der Kultkaiser – der Totale Markt – zu dieser bunten Schar der Christentümer? Dogmatisch, so möchte man meinen, sind ja viele von ihnen rigoroser als die etablierten Großkirchen, stehen der profanen Welt fremder gegenüber. aber durch die paranoide Logik des geschlossenen Containers entziehen sie sich selbst der feindlichen Reibung an der Reichsmacht. Beispiel USA: Bekannt ist, dass fundamentalistische Freikirchen und Sekten den Kern der sogenannten “Moral Majority” bilden, einer mächtigen Initiative, die oft sehr erfolgreich den Kurs der republikanischen Partei, also der kapitalistischen Rechten, beeinflusst. In den USA ist es durchaus üblich, dass Angehörige dieser Sekten zu den eifrigsten und willigsten Kooperationspartnern republikanischer Regierungen geworden sind. Und es ist andersherum auch nur logisch, dass eine Regierung, der es um möglichst brutale biosphärische Ausbeutung geht, überzeugte Gläubige der Naherwartung des jüngsten Gerichts in die entsprechenden Schlüsselpositionen setzt. So überließ Ronald Reagan in seiner ersten Amtszeit das Umweltministerium einem Fundamentalisten, der die Wiederkehr Jesu sozusagen übermorgen erwartete – was macht es da schon aus, ein paar 100.000 ha Urnatur der Ausbeutung zu überliefern? Und Georg Bush folgte 20 Jahre später diesem Beispiel: sein Kabinett ist durchsetzt mit Fundamentalisten der Moral Majority. Geschichte, auch künftige Geschichte, ist für sie kein Problem, denn für eine millenarisches Gemüt geht hinter der Asche der verwüsteten Erde erst die Sonne des Paradieses auf.

Nach diesem Kapitel betreibt Amery etwas Kirchengeschichte, vor allem der beiden letzten Jahrhunderte, wo die “farblose bourgeois Innerlichkeit” entstand, wo das Proletariat für die Kirchen total verloren ging, wo die Ideologie der Lokführer nach Auschwitz, die Zersplitterung jeglicher Verantwortung zur Normalität wurde und wo sich die Kirchen darauf beschränkten, den Individuen gegen die böse Welt beizustehen.

Abschnitt 5 endet mit der Zwischenthese: “Die Koexistenz des Christentums mit den Mächten des Totalen Marktes wird zur Existenzfrage: entweder schließen sich die Kirchen den Marktfundamentalisten an oder ihrer eigenen Binnensekten oder – 3. Möglichkeit – sie fragen sich grundsätzlich nach ihrem möglichen Standort und damit nach ihrem möglichen Standort in der Welt der von der strukturellen Sünde bestimmten Alternativlosigkeit.” Welche Hoffnung, welches Heil, ist zu verkündigen?

In Abschnitt 6 fragt Amery mit welchem biblischen Modell unsere gegenwärtige Lage am ehesten zu vergleichen bzw. wiederzufinden ist: Exil oder Exodus? Amery plädiert für Exodus und fragt in Abschnitt 7 nach Kriterien der Befähigung.

Das erste Kriterium – so Amery – ist die Bejahung der Evolution. “Jeder Fundamentalismus, sei es der des Totalen Marktes oder der des in-case-of-rapture-Sekten, schwächt die kollektive Bereitschaft, sich den biosphärischen Gefahren zu stellen, indem er sie relativiert und quasi in die zweite Heilsliga abschiebt.” Ganz anders stellt sich unsere Verantwortung dar, wenn wir die Abläufe der Evolution bejahen. Dann bejahen wir nämlich auch, dass die Schöpfung nicht abgeschlossen ist, dass sie vielmehr noch immer im Gange und dass wir von ihr Geformte wie auch an ihr Mitwirkende sind. Amery meint, die Formulierung “Bewahrung der Schöpfung” sei unglücklich getroffen, besser sei: “Mitwirkende Begleitung der Schöpfung”.

Fazit aus Kapitel 2: Die Geister scheiden sich oder werden geschieden an der Sicht der Eschatologie und am Verhältnis zur nichtchristlichen Welt. “Es zeigt sich, dass eine fundamentalistische Eschatologie, eine Erwartung des großen Knalls oder der großen Entrückung, ihre Anhänger zwangsläufig jeder grundsätzlichen Verantwortung für die Weiterexistenz eines bewohnbaren Planeten enthebt. Die reale Lebenswelt wird dann uneigentlich und die realen Verantwortlichkeiten beschränken sich auf die Binnenbedürfnisse und -strukturen der Gruppe. Ganz anders liegen die Dinge, wenn sich eine Kirche oder Glaubensgemeinschaft den wissenschaftlichen Erkenntnissen öffnet, insbesondere wenn sie die Evolution bejaht. Die Schöpfung ist dann keine abgeschlossene historische Episode, sondern ein komplexer Prozess, in dem wir mit all unseren Fähigkeiten und Schwierigkeiten verwoben sind. Daraus folgt u.a. dass unser schöpferisches Tun integraler Bestandteil einer Heils- oder Unheilsgeschichte ist.

3.

Das folgende und letzte Kapitel hat die Überschrift “Das Notwendige in Wort und Tat”.

Erste Notwendigkeit: die Grundsatzentscheidung: “Die verfassten Kirchen befinden sich – wie wir sahen – inmitten eines bunten Medleys von spirituellen Angeboten auf dem Pflaster des Pantheons, das sich riesig über uns allen wölbt. Wir sind in die Situation von vor 312 n. Chr. zurückgeworfen … Worauf es jetzt ankommt oder ankäme, ist eine Grundsatzentscheidung: wird die tödliche Gefährdung der Lebenswelt und damit der menschlichen Zukunft durch die Reichsreligion als theologisch bedeutsam – als status confessionis, wie die Reformierten sagten – begriffen? Und wird deutlich darüber geredet und deutlich gehandelt? Und sollten die Kirchen sich dazu entschließen, welches Modell des Widerstandes wäre am wirksamsten?”

Amery plädiert für einen “planvollen Exodus”. Planvoll heißt. hier, mitten in den Landen der Reichsreligion gegen die Reichsreligion eine lebhafte Zukunft vorzubereiten. Für diesen planvollen Exodus gibt es Ressourcen und Hindernisse.

Ein handfestes Hindernis ist die Angst der Kirchen durch die Verkündigung der Wahrheit vernichtet zu werden bzw. nur noch mit dem einen Mexikaner dazustehen. Zitat: “Die netten Leute, die noch in die Sonntagsgottesdienste kommen, dürften sich etwa im Verhältnis 1:10 zu unserer Wahrheit bekennen wollen. Mehr zu erwarten wäre albern.”

Die Angst muss natürlich respektiert werden. Man muss ihr allerdings auf zweierlei Weise antworten: ethisch und taktisch. Ethisch heißt: ich muss den mir Gegenüberstehenden vor dem Schritt in den Abgrund warnen, ich muss ihn zu tätiger Reue, zum Umdenken und Umhandeln auffordern. Warnen muss ich ihn – ob erhört oder nicht, liegt nicht in meinen Händen.

Taktisch-strategisch ist zu überlegen: “Wenn wir die Hand Gottes und nicht nur die unsichtbare Hand Adam Smiths in der Geschichte vermuten, dann könnte hinter dem scheinbaren Kompetenzverlust der Kirchen ein Sinn stecken: es könnte der Hinweis sein, dass die Kirchen einen Kompetenzbereich verloren oder noch nicht gefunden haben: den zivilisatorischen. Er ist alles andere als utopisch. Er stellt im Gegenteil die schlechte Utopie, in der wir leben, fundamental in Frage und biete die Suche nach einer lebbaren Alternative an – eine Alternative, die Gemeindestrukturen in gemeinsamer Überzeugung und Heilsperspektive voraussetzt und schaffen kann … Dies wäre das allein fruchtbare und zukunftsträchtige Kalkül, nicht nur für das Überleben der Kirchen, sondern der uns allen anvertrauten menschlichen Gemeinschaft. Ängstliche Selbstbewahrung oder gar Anpassung an die Marktseelsorge, Konsultationen von Werbefirmen, PR-Agenturen, Unternehmensberatern, ist nicht nur hochgradig lächerlich, sondern logischerweise der sicherste Weg, um den Untergang oder zumindest das Absinken in die Boutiquemeile oder das Abtauchen in trauliche sektiererische Seitenkapellen zu beschleunigen. Hier, wenn irgendwo, gilt das Wort Christi vom Leben, das man verliert, wenn man es zu erhalten sucht und vom Leben, das man gewinnt, wenn man das große Risiko eingeht.”

“Nochmals und ganz deutlich: das Bündnis mit oder die Neutralität gegenüber Denkschulen, die mit der biosphärischen Krise, als einer der bedeutendsten Herausforderungen der Menschheit seit der Sintflut, nichts anfangen können oder sie als Politikfeld Umwelt bagatellisieren, können sich die Kirchen ab sofort nicht mehr leisten, wenn sie nicht auf einen völlig verinnerlichten und von jeder Lebenswelt abstrahierenden Heilsbegriff zurückfallen und die Lebenswelt – und das heißt auch die Kinder und Enkelkinder – einem fürchterlichen Schicksal überlassen wollen.”

Die Ressourcen: Zuallererst geht es um eine nüchterne Bestandsaufnahme der Ressourcen, die den Kirchen hierfür (noch) zur Verfügung stehen, in erster Linie um die Ressourcen in den Fleischtopfkulturen, im engeren Sinn um das Sklavenhaus Europa … Da gibt es Bodenbesitz, Gebäudekomplexe, jede Menge großer Kirchendächer in Südlage; da gibt es noch die überdurchschnittliche Loyalität einer nicht kleinen Minderheit; da gibt es soziale Einrichtungen und erprobte Formen der kleinräumigen Organisation und der unmittelbaren Ansprache; da gibt es mehr als früher kritische Aktivisten, für die Dialog und Zusammenarbeit mit ebenso kritischen Weltkindern keine Anstrengung, sondern die Entdeckung synergetisch nutzbarer Energien bedeutet. Und vor allem ist eine Ressource sichtbar, über die Kirchen im Gegensatz zu den meisten Parteigängern der Fleischtopfkultur verfügen: der lange Atem.

Die Kirchen brauchen sich nicht am Wachstum des Bruttosozialproduktes messen zu lassen – sie können oder könnten es sich leisten, das Wachstum der Wälder zu bedenken. Und das ist letzten Endes d.h. biosphärischen Endes der wichtigste Maßstab. Wälder wachsen langsam. Und Langsamkeit, Entschleunigung ist heute ein dringlicher revolutionärer Auftrag, vielleicht der dringlichste. Und der sich, wie die Kirchen, frei wissen darf, oder frei wissen sollte, von den Sachzwängen der digitalen Beschleunigung, der kann, oder sollte, nicht umhin können, diesen Auftrag als den seinen zu erkennen.

Des weiteren geht es um eine Orthopraxie, um zuversichtlich-legitimes Handeln gegen den Mammon im wirklichen Leben. Und es gibt zwei Größen, zwei tönerne Füße, auf denen das Idol des Tieres aus der Tiefe steht: Geld und Energie. Sie sind die Hauptstützen der technokratisch-finanziellen Globalherrschaft. Und sie sind die Hauptfaktoren der biosphärischen Zerstörung. Gegen sie wäre ein entschlossener Stoß zu führen. Und die Kirchen wären durchaus in der Lage ihn vorzubereiten.

Konkrete Utopie zum tönernen Fuß Energie: Menschen, die noch an ihrer Loyalität zur Kirche festhalten, ließen sich, wenn erst mit der biosphärischen Verantwortungsperspektive vertraut, zu Projekten-Gemeinschaften ermutigen, in denen gründlicher – da in der Kommunität – ein zu verwirklichender Umbau der Bedürfnisse als Dienst an der Zukunft begriffen, geplant und angegangen wird. Solche Projekte rufen natürlich nach ökumenischer Zusammenarbeit und darüber hinaus nach Allianz mit den Kräften der Zivilgesellschaft, die eine solche Perspektive teilen z.B. Agenda 21. Entscheidend ist, dass die eine Ressource herangezogen wird, die wir nach der Ansicht der Reichsreligion tunlichst vergessen sollten: die innere Energie, das Potential der Emanzipation und Souveränität.

Der zweite tönerne Fuß ist das Geld: jeder zeichnungsberechtigte, der einen Scheck ausstellt oder einzahlt, der eine Aktie kauft oder verkauft oder eine Leibrente erwirbt, nimmt aktiv teil an den inneren und internationalen Bewegungen des großen Hortes. Er ist als Zeichnungsberechtigter mitverantwortlich – so oder so. Geld arbeitet nicht, nie und nirgends, wer oder was arbeitet, ist … von alledem wissen wir nichts oder wollen nichts wissen. Es zieht uns nicht in die Hauptversammlungen. Wir unterschreiben die Vollmacht für die Bank und sie, zusammen mit den Versicherungen und den Energiekonzernen, stellen die höchstmögliche Rendite sicher. Mit anderen Worten: Sie verstehen es als ihre Pflicht, den biologischen und sozialen Ruin des Planeten zu beschleunigen. Anders ist ihre Selbstverpflichtung nämlich nicht zu lösen.

Was tun gegen solche Übermacht? Gegen die lückenlose Mauer der Finanz und des Marktes? Kerkert sie uns nicht von allen Seiten ein? Sind wir nicht verdammt in dem Kerker zu bleiben? Nein! The gates of the hell are locked from within. Es gibt Alternativen … Stiftungen, Leihen und Schenken, die anthroposophische Bank GLS … Worum es geht, ist die Rückführung des Geldes zum angenehmen Tauschmittel.

Nicht an Doktrinen und theologischen Distinktionen wird man sie erkennen, auch nicht an den Posten für Seelenservice, sondern an einer Praxis, einer Orthopraxie des Mutes und der Hoffnung.

Der politische Auftrag, der im Grunde schon heute als Pflicht wahrgenommen werden müsste, ist die stete Anstrengung in den Köpfen und in den Herzen, den Ernst der Weltlage erfassbar zu machen, der verhüllten Selbstmordtendenz des Systems dadurch entgegenzutreten, dass man sie überall kenntlich macht und die Objekte der Reichsseelsorge zum Schwierigsten aufzufordern, was sie sich vorstellen können: zur Verantwortung für Kinder und Enkel.

Was die Kirchen anzubieten haben und was sie anbieten müssten, ist Verantwortlichkeit und Verantwortung. Der Exodus ist angesagt. Es geht nicht um Jubel und Ruhm, es geht um eine erste, schlichte Bewährung, der noch viele folgen müssen – sozusagen um die mittlere Reife der Menschheit.

Die Veröffentlichung wurde angeregt von Frank-Matthias Hofmann, Am Kantor-Josef-Jacob-Platz 1, 67067 Ludwigshafen.

Ähnliche Artikel:

Keine passenden Beiträge gefunden

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
Menü