Ehrenamt braucht Management

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Ansprache zur Zertifikatsverleihung „Freiwilligenmanager/in“ als Abschluss der Weiterbildung „Ehrenamt braucht Management“ am 5. Juni 2013 in Landau, Butenschoen-Haus [1]

Steffen Schramm
Jung-Stilling-Straße 28, 67663 Kaiserslautern

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Kirche ist Organisation geworden, genauer: sie erlebt gerade einen neuen Schub der Organisationswerdung.

Drei einschneidende Ereignisse haben uns das immer bewusster werden lassen: Seit ca. 1970 verlieren wir Mitglieder: zum einen durch Austritte – das haben wir damals schon wahrgenommen. Zum andern durch den demographischen Wandel – das wahrzunehmen haben wir etwas länger gebraucht. Seit ca. 1992/93 ist klar: Wir werden auf Dauer mit weniger Geld, zumindest mit weniger Kaufkraft auskommen müssen. Das betrifft unsere Strukturen, die wir rück- und vor allem umbauen müssen. Seit einigen Jahren dringt es ins allgemeine Bewusstsein vor: Wir werden auch weniger Hauptamtliche haben. Was liegt da näher als nach den Ehrenamtlichen zu rufen und sich um sie zu bemühen? 

Seit den 1990er Jahren gibt es Richtlinien für die Arbeit mit Ehrenamtlichen, seit den 1960er Jahren wurden Ehrenamtliche aus missionarischen Gründen aktiviert und zwar in unterschiedlicher Weise: Einmal indem man sie wollte als diejenigen, die dort sprechen sollten wo Pfarrerinnen und Pfarrer nicht hinkommen, nämlich in der Diaspora des Alltags, in den Betrieben und Familien, zum andern wollte man sie als diejenigen, die in der Kirche mitwirken und sie als Organisation stärken. 

Eine Idee der boomenden Parochialisierung der 1960er Jahre war es, dass man mehr Ehrenamtlichen Engagementmöglichkeiten gibt, wenn es mehr Presbyterien gibt. Was damals als fortschrittliche Lösung galt ist heute angesichts sinkender Mitgliederzahlen eher ein Problem. Jedenfalls: Kirche hat Plätze für Ehrenamtliche geschaffen. Ehrenamtliche sollten quasi kirchlich in Dienst genommen werden.

Vorher, im 19. Jahrhundert vor allem, war das doch nicht ganz so der Fall. Da gab es ein reges Vereinsleben außerhalb der Kirche, das zwar kirchlich verbunden, aber nicht kirchlich angebunden war. Emil Sulze, der Prophet der modernen Parochie, hat dann aber deutlich gesagt: Synoden statt Kongresse. Synoden der verfassten Kirchen statt Kongresse der Verbände. Er hat schon im Kaiserreich das hohe Lied der Eingemeindung der Vereine gesungen, das dann in den 1950er Jahren zum Abgesang auf das Evangelische Vereinswesen wurde. Wozu die Nazis ungewollt beigetragen haben, das haben dann die Kolleginnen und Kollegen vollendet: die Integration der Vereine in die verfasste Kirche.

Damals hielt man das für Fortschritt, für eine Stärkung der Kirche – und vielleicht war es das auch. Aber es war auch eine Verengung. Es war auch ein Zeichen für das, was manche liberale Theologen die Verkirchlichung des Christentums nennen. Den Laien wurden innerkirchlich die Plätze zugewiesen.

Seit 1970 weisen viele Menschen den Kirchen ihren Platz zu: indem sie durch ihr Verhalten deutlich machen, dass sie von einer Landeskirche so viel nicht mehr erwarten. Es gibt neben den vielen, die sich in den Kirchen engagieren, auch ganz viele, die wollen bei uns nicht mitmachen. Oder jedenfalls: So wie es bisher war, wollen sie nicht mitmachen. Deshalb bin ich froh, dass Sie diesen Kurs in Freiwilligenmanagement mitgemacht haben.

Ich halte das für eine verheißungsvolle Sache. Weil ich die Vermutung und Hoffnung hege, dass sich dadurch in unserer Landeskirche neue Formen der Beteiligung und der Teilhabe entwickeln, neue Anknüpfungsweisen für Menschen, die sich bisher nicht von kirchlichen Beteiligungsformen angezogen gefühlt haben.

Wenn ich den Titel von Judith Göds Arbeit lese „Charismenorientierte Mitarbeit entdecken“, dann hört sich das für mich so an, dass hier der Mensch im Vorder- und im Mittelpunkt steht und dass es nicht darum geht, jemanden zu finden für eine Aufgabe, die man schon parat hat. Und ich frage mich, wenn es denn stimmt, dass sich unsere Gesellschaft individualisiert hat und die Menschen sich aussuchen, was sie haben wollen – und Kirche nur eine der vielen Optionen ist – macht es dann nicht Sinn, wenn wir als Kirche Menschen einen Raum eröffnen, in dem sie sich und ihre Gaben entdecken können?

Wobei sich dort, wo Menschen im Raum der Kirche sich ehrenamtlich engagieren, vielleicht auch neue Gemeinden und neue Formen von Gemeinde entstehen. Z.B. in einem Altenzentrum wie St. Josef in Herxheim, über das Frau Jochim ihre Abschlussarbeit geschrieben hat, oder wie bei der SENTA in Ludwigshafen, Frau Kiefers Thema: Eine Info-Mappe für Ehrenamtliche: Alleine das macht schon Lust und klingt nach Mehr und Möglichkeit.

Wir werden offensichtlich eine Kirche der vielen Möglichkeiten, gerade indem die Gemeinden nicht mehr alle gleich sind und sich unterschiedlich profilieren: So eine Kulturkirche, wie sie Klaus Eicher betreibt, bietet ganz andere Möglichkeiten des Engagements und sie bietet ganz anderen Menschen die Möglichkeit zum Engagement.

Und im Web 2.0, mit dem sich Frau Garcia de Reuter beschäftigt hat, knüpfen sich Menschen ins kirchliche Netz, die wir – vermute ich – in den Parochien eher nicht sehen – oder erst sehen, seitdem mit dem Web 2.0 operiert wird. Und in der Notfallseelsorge, die Klaus Zech untersucht hat, haben Menschen Raum zum Engagement, die bereit sind für große Herausforderungen und hohe Belastungen.

Es gibt ja diese Unterscheidung von Komm- und Gehstruktur. Ob wir noch eine Kirche der Komm-Struktur sind, sei dahingestellt, und ob uns mit der berühmten Geh-Struktur geholfen ist – ich habe meine Zweifel. Möglicherweise sind das Begriffe und Konzepte, die ihre Zeit hatten.

Vielleicht werden wir eine Kirche, die Möglichkeitsräume eröffnet. Eine Kirche der Ermöglichung. Der Ermöglichung von Erfahrungen des Helfens und des Geholfenbekommens, des Teilhabens an den Gaben anderer und des Teilgebens eigener Gaben – und das verbunden mit einem Teilhaben und Teilgeben an dem, der sich ganz gegeben hat, damit wir alle an ihm teilhaben: Am deutlichsten wird das dargestellt im Abendmahl. – Das wäre dann das, was im Neuen Testament koinonia heißt: Gemeinschaft untereinander, die durch Teilhabe an Christus begründet und umfasst ist. Kann es diese Gemeinschaft im Altenheim nicht genauso geben wie in der Parochie?

Eine Kirche der Ermöglichung, die Organisation geworden ist, braucht auch Menschen, die sich um die Organisation kümmern. Solche, die die Rahmenbedingungen für die Ermöglichung immer neu gestalten und auf Dauer erhalten. Man nennt sie Presbyterinnen und Presbyter, und mich würde interessieren, was Angela Fabian zur Gewinnung von Kandidatinnen und Kandidaten für die Presbyteriumswahl da entwickelt hat.

Und mich würde interessieren, wie sich die Kinder- und Jugendarbeit in Münchweiler ausnimmt, wenn man sie durch die Brille des Freiwilligenmanagements betrachtet und konzipiert, wie es Andrea Kuebart in ihrer Arbeit getan hat.

Das ist für mich die Frage und die Verheißung: Gelingt es uns, uns auf die Menschen von heute und morgen einzustellen und ihre Möglichkeiten, Interessen und Bedürfnisse wahrzunehmen? So wie Paulus in Röm 12,7 rät: Nehmt euch der Nöte, der Bedürfnisse der Heiligen an. Gelingt es uns, uns der Nöte und Bedürfnisse der Menschen anzunehmen, zu dem Zweck, der in Eph 4,12 beschrieben wird: damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes – in Kirche und Welt. Gelingt es uns, uns auf Individualität einzustellen – durch vielfältige Möglichkeiten des Engagements, der Teilhabe und Teilgabe? Und gelingt es uns, zeitlich befristetes Engagement zu akzeptieren? 

In der Fortbildungsarbeit haben wir uns entschieden, Räume zu eröffnen, in denen das erprobt werden kann. 2014 wird der nächste Kurs in Freiwilligenmanagement beginnen. Aber ein bisschen anders gestrickt. So, dass vor Ort nachhaltig wirken kann, was in den Kursen gelernt wird. Am Kurs teilnehmen können dann nur Teams aus Gemeinden und Region und Kirchenbezirk, gerne mit Beteiligung diakonischer Einrichtungen, ganz im Sinne einer diakonischen Gemeinwesenorientierung nach Wichern drei.

Und die organisatorische Weiterentwicklung vor Ort wird dann Teil des Kurses sein: Fortbildung plus Organisationsentwicklung, damit sich Freiwilligenmanagement vor Ort etabliert! Was sich dann auch in Form von Stellen oder Stellenanteilen ausdrücken wird – hoffentlich.

Das Thema wird uns also begleiten – und ich bin froh, dass wir mit Ihnen Menschen haben, die jetzt viel davon verstehen und damit weiterarbeiten werden und dann vielleicht auch vor Ort solche Prozesse und Strukturen initiieren, vielleicht indem Sie ein Team zur Teilnahme am nächsten Kurs zusammenstellen. Herzlichen Dank, dass Sie an diesem Kurs teilgenommen und sich fortgebildet haben – ich hoffe, das tut Ihnen auch persönlich gut, und ich weiß: Es tut unserer Kirche und unserer Sache gut. Und herzlichen Dank an die beiden, die den Kurs durchgeführt haben und auch den nächsten leiten werden: Carola Reifenhäuser und Heike Baier.

[1]              Der Vortragsstil wurde beibehalten. Die in der Ansprache erwähnten Kolleginnen und Kollegen haben sich mit der Nennung ihrer Namen in dieser Veröffentlichung einverstanden erklärt.

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