Von der Verwaltung zur Gestaltung: Das Amt des Dekans/der Dekanin im Wandel [1]

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Steffen Schramm
Jung-Stilling-Straße 28, 67663 Kaiserslautern

Keine Ebene landeskirchlicher Organisation hat sich seit der Nachkriegszeit stärker verändert als die mittlere. Kirchengeschichtler sprechen bereits von der „neuen Mitte der Kirche“. Die Veränderungen bleiben nicht ohne Folgen für die Rolle von Dekaninnen und Dekanen. Weil Organisation und Amtsrolle korrelieren, geht es im Folgenden in einem ersten Schritt darum, die Entwicklung des Kirchenbezirks mit der Entwicklung des Amts des Dekans, der Dekanin in einer knappen Skizze in Beziehung zu setzen. In einem zweiten Schritt werden einige Aspekte des leitungskonzeptionellen Übergangs von der Verwaltung zur Gestaltung in groben Strichen angedeutet.

1. Organisation und Amtsrolle

Für die Entwicklung der Organisationsform „Kirchenbezirk“ lassen sich drei Phasen unterscheiden, denen drei Rollenmuster des Dekansamts entsprechen: in einer ersten, von der Gründung der Landeskirchen im frühen 19. Jahrhundert bis ca. 1970 reichenden Phase, waren die Dekanate Verwaltungsebenen, die Rolle des Dekans war wesentlich von Aufsicht geprägt. In einer zweiten Phase – der Differenzierungsphase – wurden die Dekanate zu Arbeitsebenen ausgebaut, die Rolle des Dekans bleibt weiterhin grundlegend von Aufsicht geprägt, erfährt aber einen Aufgabenzuwachs. In einer dritten, aktuell im Gang befindlichen Phase – der Integrationsphase – werden die Kirchenbezirke zu Gestaltungsebenen, die Rolle der Dekaninnen und Dekane wird durch die Aufgabe der Gestaltung geprägt.

1.1 Der Kirchenbezirk als Verwaltungsebene – Der Dekan als Aufsicht und Verwaltung

An der Spitze der aus dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und dem Wiener Kongress von 1814/15 hervorgehenden Landeskirchen stehen weltliche Landesherren. Die Leitung erfolgt monarchisch-konsistorial durch Oberkonsistorien und Konsistorien. Das Leitungskonzept ist bürokratisch und durch folgende Merkmale charakterisiert: 

·      Hauptamtliches, fachlich ausgebildetes Personal; definierte Qualifikationsanforderungen für Stelleninhaber.

·      Regelgebundenheit der Amtsführung. 

·      Genau abgegrenzte Kompetenzbereiche. 

·      Genaue Festlegung von Amtspflichten. 

·      Prinzip der Amtshierarchie.

·      Schriftlichkeit und Aktenmäßigkeit aller Vorgänge mit der Möglichkeit interner und externer Kontrolle.

·      Unpersönlichkeit der Amtsführung; Trennung von Amt und Person.

·      Fixierte Laufbahnen einschließlich Gehaltshierarchie.

Kirchenbezirke sind Verwaltungsbezirke im Feudalstaat, angepasst an die weltlichen Territorialgliederungen (Landkreise) und eingegliedert in eine monokratisch-bürokratische Staatsverwaltung.

Auch mit dem Wegfall landesherrlicher Kirchenregimentschaft und dem Beginn kirchlicher Selbstverwaltung 1918 bleibt das bürokratische Leitungskonzept in Kraft. Dies spiegelt sich hinsichtlich des Dekansamts deutlich in der Verfassung der Evangelischen Kirche der Pfalz von 1920, die bis Ende der 1970er Jahre in Kraft war:

·      Der Dekan wird von der Kirchenregierung auf Lebenszeit berufen (KV Pfalz 1920 § 63,2), d.h. „von oben“ eingesetzt. 

·      Eine seiner Aufgaben besteht in „der Vermittlung des Verkehrs zwischen dem Landeskirchenrat einerseits und den Geistlichen und Gemeinden anderseits“ (KV Pfalz 1920 § 64,9). 

·      Er hat, von oben eingesetzt und nach oben verpflichtet, auf die Umsetzung der landesherrlichen bzw. landeskirchenrätlichen Erlasse zu achten. § 63,1 KV Pfalz 1920 erlegt dem Dekan die Pflicht auf, „die kirchliche Ordnung“ in seinem Kirchenbezirk „zu wahren“.

·      Er führt deshalb „die Aufsicht in den Gemeinden über Lehre, Kultus, Zucht und Verfassung“ (KV Pfalz 1920 § 64,2), unter anderem auch „die Untersuchung gegen Presbyter und die Erteilung von Verwarnungen an sie“ (§ 64,7).

Zwar zählen die Aufsicht über Lehre und Leben zu den klassischen Aufgaben der episkope, die Nähe der hier mit den Begriffen Verwaltung und Aufsicht gemeinten Sachverhalte zum Weberschen Bürokratiemodell, die Eingebundenheit der Dekane in die bürokratisch konzeptionierte Kirchenverwaltung und ihre Verantwortung für Bau und Finanzen im Rahmen der Visitationen überlagert jedoch – seit der Reformation – tendenziell den geistlichen Charakter der Aufsicht. Dem Dekan wird zwar im § 64,1 die Aufgabe zugewiesen, das kirchliche Leben im Kirchenkreis zu fördern, seine Funktion wird im Wesentlichen aber als Aufsicht, Kontrolle und nachgängige Krisenintervention charakterisiert. [2] Es geht um regelgebundenes Handeln und dessen Beaufsichtigung, nicht um lebenswelt- und zukunftsorientierte Gestaltung.

Dementsprechend bildet sich ein „passiver Führungsstil“ aus, der seinen Anhalt außer an einem bürokratischen Führungsverständnis an der hohen strukturellen Eigenständigkeit der Gemeinden hat, die im Zuge des Kirchenkampfes theologisch und im Zuge der enormen Parochialisierungswelle nach dem Zweiten Weltkrieg faktisch zusätzliche Plausibilität gewann – auch wenn bereits in den 1950er Jahren die Möglichkeiten des Parochialmodells angesichts veränderter gesellschaftlicher Bedingungen diskutiert wurden.

1.2 Der Kirchenbezirk als Arbeitsebene – Der Dekan als Aufsicht und Verwaltung (seit Mitte der 1970er Jahre)

In den 1970er Jahren führen Veränderungen der rechtlichen Stellung und der organisatorischen Funktion der Kirchenkreise zu einer Veränderung der Dekansrolle. Die Veränderungen der Kirchenbezirke in den 1970er Jahren lassen sich anhand der Begriffe Differenzierung/Professionalisierung und Demokratisierung beschreiben. 

Differenzierung/Professionalisierung

Die Kirchenreformdiskussion der 1950er und 1960er Jahre hat die gesellschaftlichen Veränderungen als Differenzierung wahrgenommen, die durch die veränderte Berufswelt (Umbruch von der agrarischen zur Industriegesellschaft auch in ländlichen Räumen, der „Pendler“ als kirchliche Herausforderung) auch zu einer Relativierung der Bedeutung des Wohnorts und damit der Parochie führte. Viele kirchliche Aufgaben der Verkündigung, Mission und Diakonie, so die Argumentation, können auf parochialer Ebene nicht mehr adäquat bearbeitet werden, sondern erfordern eine Professionalisierung des Personals und organisatorische Lösungen auf überparochialer Ebene. Die Kirchenbezirke werden nun als Arbeitsebenen gedacht.

Verfassungsrechtlich hat dies zur Folge, dass die Kirchenbezirke zu Körperschaften des öffentlichen Rechts werden. Bezirkssynode, Bezirkskirchenrat und Dekan/Dekanin werden dementsprechend zu „Organen“ der juristischen Person Kirchenbezirk, die an der Willensbildung im Kirchenbezirk beteiligt sind (KV § 48,2) – während sie bisher den Kirchenbezirk „verwaltet“ haben (KV 1920 § 48).

Organisatorisch werden Aufgaben „von unten“ und „von oben“ auf die mittlere Ebene verlagert, durch spezialisiertes Personal professionalisiert und in Form von Einrichtungen institutionalisiert:

·      Gemeinden lagern die Gemeinderechnerfunktion auf die mittlere Ebene aus: Verwaltungsämter.

·      Die Gemeindeschwesterfunktion wird nach oben ausgelagert: Sozialstationen.

·      Gemeinden lagern Jugendarbeit aus, das Landesjugendpfarramt erweitert sich von der landeskirchlichen Ebene in die Region hinein: Jugendzentralen.

·      Beratungsdiakonie als Spezialfunktion der Seelsorge wird auf Kirchenbezirksebene eingerichtet.

Für das Amt des Dekans/der Dekanin bedeutet dies: Zu Verwaltung und Aufsicht kommt Mitarbeiterführung als Aufgabe hinzu, wenngleich sich deren Wahrnehmung wesentlich im Rahmen des Bürokratiemodells vollzieht, also aus Aufsicht und Krisenintervention besteht. Die Aufgabe der Personalentwicklung resp. Personalbildung gelangt noch nicht in den Blick.

Demokratisierung

Im Zuge der gesamtgesellschaftlichen Demokratisierungsdebatte der 1960er Jahre im Kontext der „Neugründung der Republik“ und der Entstehung neuer sozialer Bewegungen wurden auch die Landeskirchen „demokratisiert“. Dies wirkte sich auch auf die Berufsrolle des Dekans/der Dekanin aus: 

·      Das Dekansamt wird nun ein Wahlamt auf Zeit. Wurde der Dekan bislang von der Kirchenregierung, also „von oben“ ernannt, und zwar auf Lebenszeit, so wird er nun, „von unten“, durch die Bezirkssynoden auf Zeit gewählt, wobei die Kirchenregierung geeignete Bewerber vorschlägt (diese Regelung wurde später aufgehoben). 

Durch die Wahl „von unten“ verändert sich die Rolle des Dekans im Leitungsgefüge: War er bisher der Vertreter und Aufseher des Landeskirchenrats im Kirchenbezirk, so wird er nun auch zum Vertreter des Kirchenbezirks gegenüber dem Landeskirchenrat. Die Aufsichtsfunktion wird verwässert, wenn der Dekan diejenigen beaufsichtigen soll, die ihn gewählt haben und meist auch wiederwählen sollen. Die „Sandwich-Position“ wird verstärkt: Imperative und Erwartungen kommen nun sowohl von unten als auch von oben.

·      Der Grundsatz „demokratische Gremien statt Einzelpersonen“ wird verfassungsrechtlich durch einen Zuwachs der Funktionen und Kompetenzen des Bezirkskirchenrats umgesetzt (vgl. KV § 60,1). [3]

·      Die Visitation ist nun Sache des Bezirkskirchenrates, nicht mehr allein des Dekans/der Dekanin wie vorher.

·      Die Schlichtung von Unstimmigkeiten im Kirchenbezirk sowie in und zwischen Kirchengemeinden oblag vorher dem Dekan, nun dem Bezirkskirchenrat.

·      Stellungnahmen, die von Organen der Landeskirche (KV § 65, 2) zu Personal- und Sachfragen angefordert werden sowie die

·      Mitwirkung bei Baumaßnahmen im Kirchenbezirk ist nun Sache der Bezirkskirchenräte.

Die Koordination von Aktivitäten im Kirchenbezirk wird aber den Bezirkssynoden als Aufgabe zugewiesen (KV § 53,2).

1.3 Der Kirchenbezirk als Gestaltungsebene – Die Dekanin als Gestalterin (seit den 2000er Jahren)

In der Pfälzischen Landeskirche tagen Perspektivkommissionen in den Jahren 1992/1993 [4], 1994-1996 [5], 1999-2002 [6], 2007/2008 [7] und seit 2010 der Arbeitskreis Zukunft, der 2011 erste Ergebnisse vorlegt. [8] Sie führen zu folgenden Veränderungen:

·      Seit 2002 besteht die Möglichkeit, pädagogische Mitarbeitende aus den Parochien herauszulösen und auf Kirchenbezirksebene Gemeindepädagogische Dienste einzurichten. Zehn von 19 Kirchenbezirken haben davon bis 2013 Gebrauch gemacht.

·      Seit 2003 werden Mitarbeitendenjahresgespräche eingeführt, zunächst im Landeskirchenrat, seit 2004 in den Kirchenbezirken (zwischen Pfarrern und Dekanen), seit 2009 in Kindertagesstätten und Parochien.

·      Seit 2003/2004 ist die Personalsteuerung in die Kirchenbezirke verlagert. Den Kirchenbezirken werden Personalbudgets zugewiesen, die sowohl bei Zuwächsen wie bei Reduzierungen von den Dekanaten, konkret: den Bezirkskirchenräten, zu bewirtschaften sind.

·      Die Visitationsordnung wird verändert: war sie vorher eher ein aufsichtliches Instrument, so wird jetzt Zielorientierung eingeführt. Der Weg geht von der Kontrolle zur Beratung und vom Bericht zur Zukunftsorientierung qua Zielvereinbarung. [9]

·      Das Verwaltungsamtsgesetz von 2006 klärt das Verhältnis zwischen den Leitungen der Verwaltungsämter und den Dekaninnen. Der Dekan/die Dekanin ist nun Chef/in des Verwaltungsamtsleiters/der Verwaltungsamtsleiterin.

·      Das seit 2002 erprobte „Homburger Modell“, das die Verantwortung und Entscheidungskompetenzen zur Nutzung von Baumitteln auf die Kirchenbezirksebene verlagert, wird 2011 flächendeckend eingeführt: die Baugenehmigung erfolgt jetzt durch den Bezirkskirchenrat. Die Art der Verteilung der Baumittel wird auf Vorschlag des Bezirkskirchenrats auf Kirchenbezirksebene geregelt. [10]

·      2012 werden Gemeinden verpflichtet, regionale Kooperationszonen unter Einbezug der regionalen funktionalen Dienste zu bilden. Die Verantwortung für die Bildung der regionalen Kooperationszonen liegt bei den Dekanen und Bezirkskirchenräten.

2. Von der Verwaltung zur Gestaltung

2.1 Die neuen Aufgaben und ihre leitungskonzeptionellen Folgen

Wie sich diese Veränderungen auf die Rolle von Dekaninnen und Dekanen auswirken, soll am Beispiel der Einführung Gemeindepädagogischer Dienste (GPD), regionaler Kooperationszonen, von Jahresgesprächen sowie der Zuweisung von Personal- und Baumittelbudgets kurz angedeutet werden.

2.1.1 Die Einführung Gemeindepädagogischer Dienste

Die Einrichtung von GPDs führt zur Notwendigkeit der Entwicklung von Strukturen und Konzeptionen, und sie hat kulturelle Auswirkungen:

Bisher galt: Parochien wünschten sich kein Programm, sondern eine Person: einen Pfarrer, einen Gemeindediakon. Personen sind Programme. Sofern das Konzept der Gemeindepädagogischen Dienste funktional ist (d.h. sofern nicht mehr Mitarbeitende in den GPDs bestimmten Regionen oder Gemeinden in unspezifischer Weise zugeordnet sind, sondern sich funktional, d.h. themen- oder projektspezifisch auf Kirchenbezirksebene verorten) müssen die pädagogischen Mitarbeitenden, die bislang in den Gemeinde selbst Programm waren, jetzt Konzepte und Projekte entwickeln, die sie auf Kirchenbezirksebene oder mit einzelnen oder mehreren Gemeinden zusammen realisieren. Die Gemeinden müssen überlegen, ob und wie sie sich an diese Konzepte und Projekte andocken. Im Blick auf Steuerung und Führungsdenken vollzieht sich also ein Wandel von „Personen als Programme“ hin zu „Konzepte/ Strategien als Programme“. Mussten sich Gemeindepfarrer bisher überlegen wie sie sich mit den den Parochien zu- und ihnen faktisch untergeordneten pädagogischen Mitarbeitenden ins Benehmen setzen, so sehen sie sich jetzt funktionalen Spezialisten gegenüber, mit denen zusammen sie Konzepte entwickeln oder an deren Konzepte und Angebote sie andocken.&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp; 

Für Dekaninnen und Dekane hat die Einführung von Gemeindepädagogischen Diensten unmittelbare Folgen:Die pädagogischen Mitarbeitenden wechseln nicht nur die Rolle, sondern auch die Systemebene. Sie werden von Mitarbeitern der Parochie zu Mitarbeitenden des Dekanats; und von parochial arbeitenden Mitarbeitenden werden sie zu funktional arbeitenden Mitarbeitenden. Dekaninnen und Dekane hatten vorher mit dem Personaleinsatz der pädagogischen Mitarbeitenden nur am Rande zu tun. Jetzt sind sie letztlich verantwortlich für die Konzept-, Struktur- und Kulturentwicklung der Gemeindepädagogischen Dienste. Waren Dekaninnen und Dekane vorher primär in Konfliktfällen mit pädagogischen Mitarbeitenden beschäftigt, so haben sie nun die Verantwortung dafür, dass der Gemeindepädagogische Dienst gut arbeitet – wozu er entsprechende Rahmenbedingungen braucht, angefangen von Räumlichkeiten und deren Ausstattung, über Konzepte bis zur Einbindung in Strukturen. Hatte der Dekan vorher nur interpersonale Führungsaufgaben innerhalb eines bestehenden Systems, so ist er jetzt (mit)verantwortlich für die Gestaltung des Systems selbst. Dekaninnen und Dekane sind nun jedoch nicht nur für die Politik- und Strukturentwicklung verantwortlich, sondern auch für die Personalentwicklung (Instrument: u.a. Jahresgespräche), sie werden zu „Personalentwicklern vor Ort“. Ihre Aufgaben verlagern sich von der Aufsicht hin zur Gestaltung.

2.1.2 Einführung regionaler Kooperationszonen

Ein ähnliches Beispiel für die Veränderung des Dekansamtes ist die Einführung regionaler Kooperationszonen. Unversehens finden sich Dekaninnen und Dekane in der Rolle, Kooperationsprozesse anstoßen und begleiten zu müssen. Kooperationszonen brauchen interne Steuerungsstrukturen, die sich wiederum auf die Leitungsarbeit im Kirchenbezirk auswirken, und Kooperation bietet die Möglichkeit zur gaben- und kompetenzspezifischen Schwerpunktsetzung – was den Dekan/die Dekanin wiederum als Personalentwicklerin fordert.

2.1.3 Die Einführung von Jahresgesprächen

Ein weiterer Indikator für den Wandel des Dekansamtes weg vom Bürokratiemodell sind Jahresgespräche. Mit der Einführung dieses Instruments tritt die Leitungsfunktion des Dekans/der Dekanin deutlicher hervor und damit auch seine/ihre Verantwortung für Personalentwicklung. Diese Verantwortung dürfte mit dem Personalrückgang in den 2020er Jahren noch steigen. Personal wurde bis in die 1990er Jahre häufig nur unter dem Gesichtspunkt der Stellenbesetzung sowie der Aufsicht und nachgängigen Krisenintervention wahrgenommen. Typisch für dieses Leitungsverständnis ist die Haltung: „Das muss ein guter Mann sein, ich habe noch nie von ihm gehört.“ Sie entspricht dem Bürokratiemodell von Leitung, in dessen Rahmen Visitationsordnungen zum doppelten Zweck der Führung und Kontrolle ausgestaltet wurden, die im Bischofs- und Referentenmodell landeskirchlicher Leitung allerdings an Kraft verloren und eine Leerstelle hinsichtlich der Motivation und Förderung von Mitarbeitenden hinterließen. Diese Leerstelle wird nun von den Mitarbeitendengesprächen gefüllt. Generell markieren Jahresgespräche einen veränderten landeskirchlichen Umgang mit Mitarbeitenden: war das Verhältnis vorher durch Aufsicht und Kontrolle geprägt, so jetzt durch Begleitung, Unterstützung und Entwicklungsangebote, aber auch -erwartungen. 

2.1.4 Zuweisung von Personal- und Baumittelbudgets

Dass die Zuweisung von Personalbudgets und die Verlagerung der Baumittelverwaltung auf die mittlere Ebene die Rolle von Dekaninnen und Dekanen und Bezirkskirchenräten verändert, ist evident. Sie tragen nun Verantwortung für die Entwicklung des Kirchenbezirks im Ganzen hinsichtlich des Gebäudebestandes und des Personaleinsatzes.

2.2 Leitung des Kirchenbezirks als Verwaltung: Das Amt des Dekans/der Dekanin in der aktuellen Kirchenverfassung (Stand 2012)

Durch die beschriebenen Veränderungen werden dem Amt des Dekans/der Dekanin Leitungsfunktionen zugewiesen, die in der Kirchenverfassung nicht explizit genannt werden. Das Führungsverständnis, wie es in der Kirchenverfassung zum Ausdruck kommt, hat mit der organisatorischen Entwicklung der Dekanate nicht Schritt gehalten.

In der Praxis kollidieren die Aufgabenzuweisungen an die Dekaninnen und Dekane an etlichen Stellen mit den rechtlichen Verhältnissen. Teilweise wurden zwar neue Aufgaben an Dekaninnen und Dekane delegiert, nicht jedoch die entsprechenden Entscheidungskompetenzen.

Als Problemanzeigen können folgende Beobachtungen dienen: So bleibt die letzte Genehmigung bei Baumaßnahmen weiterhin von der Genehmigung durch den Landeskirchenrat abhängig. [11] Werden Sachkostenverträge mit der Kommune ausgehandelt durch Dekaninnen und Dekane, muss dennoch weiterhin der Landeskirchenrat zustimmen. Bei der Bildung von Kooperationszonen stehen Dekane und Bezirkskirchenräte in der Pflicht, Vorlagen für die Kirchenregierung zu erarbeiten. Sie haben jedoch keine Handhabe, wenn sich Gemeinden oder Pfarrerinnen und Pfarrer einer Kooperation verweigern. Gleiches gilt bei der Verweigerung von Jahresgesprächen.

Wie auch immer diese Problemkonstellationen im Einzelnen aufzulösen sind – es gibt eine Spannung zwischen Aufgabenzuweisung und Kompetenzausstattung. Der Dekan/die Dekanin und der Bezirkskirchenrat leisten faktisch Leitungsarbeit, sind kirchenrechtlich aber noch immer eine Mittelinstanz ohne kirchenleitenden Kompetenzzuschnitt. Das Dekanat ist hinsichtlich seiner Kompetenzausstattung noch immer Arbeitsebene und noch nicht Gestaltungsebene.

Diese Situation – und das bürokratische Leitungsmodell – spiegelt sich in der Verfassung der Evangelischen Kirche der Pfalz (Stand 2012), wie ein Vergleich der Regelungen zu Gemeinde/Pfarramt, Dekanat/Bezirkskirchenrat, Landessynode/Kirchenregierung/ Landeskirchenrat zeigt.

Während Pfarramt und Presbyterium sowie den landeskirchlichen Entscheidungsgremien die Aufgabe der „Leitung“ (und „Verwaltung“) expressis verbis zugeschrieben wird, fehlt dieser Begriff in den Paragraphen zur mittleren Ebene. Stattdessen ist von den „Amtspflichten“ des Dekans/der Dekanin die Rede (während im Blick auf Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer nur von „Aufgaben“ die Rede ist und die landeskirchliche Ebene vor allem hinsichtlich ihrer Rechte in den Blick kommt). Die Pflichten des Dekans/der Dekanin werden vor allem als Aufsicht, Konfliktbearbeitung, Vermittlung zwischen Gemeinde und landeskirchlicher Ebene beschrieben. Der Leitung von Pfarrwahlen, der Einweihung von Kirchen, der Ordination von Pfarrerinnen und Pfarrer gehen jeweils Beschlüsse der landeskirchlichen Ebene voraus, in deren Auftrag Dekaninnen und Dekane dann handeln. Auch die aktuelle Verfassung definiert das Leitungshandeln von Dekaninnen und Dekanen als Verwaltung im oben beschriebenen Sinne.

Tabelle: Leitungsebenen der Ev. Kirche der Pfalz in der Kirchenverfassung, Stand 2011 (Vergleich)

Pfarramt/PresbyteriumDekansamt/BezirkskirchenratLandessynode/Kirchenregierung/ Landeskirchenrat
     § 53 Bezirkssynode1 Aussprache2 Förderung (Kirchl. Leben, Zsa. KG, Zsa. m. funktionalen Diensten)3 Stellungnahme4 Beschlussfassung Haushalt5 Entlastung Haushaltsrechnung6 Beratung von Anträgen7 Erledigung von Vorlagen des LKR8 Wahl§ 66 Landessynode: „Inhaberin der Kirchengewalt“§75 „über alle Angelegenheiten der Landeskirche beraten und beschließen“  
§13,1 Presbyterinnen, Presbyter, Pfarrerinnen und Pfarrer (Presbyteriumleiten zusammen die Kirchengemeinde. § 60 Bezirkskirchenrat1 Vorbereitung Tagungen BZ-Synode2 Bericht über seine Tätigkeiten3 Vorlage des HH-Planes4 Ausführung von Aufträgen der Bezirks-Synode5 Mitwirkung bei Visitationen, d.h. Aufsicht6 Schlichtung bei Unstimmigkeiten7 Mitwirkung bei Wahlen8 Stellungnahmen9 Mitwirkung bei Baumaßnahmen+ weitere Aufgaben können übertragen werden§ 81 Kirchenregierung:„oberste Stelle zur Leitung und Verwaltungder Landeskirche im Auftrag der Landessynode“ 
§16 PfarrerDiener des Wortes Gottes“Amt gewissenhaft und treu führen…in ihrem ganzen Leben….“ §17 „besondere Aufgaben der Pfarrerin“•     Leitung des Gottesdienstes mit Predigt und Verwaltung der Sakramente, •     die Amtshandlungen,•     Seelsorge•     christliche Unterweisung.•     pfarramtliche Geschäftsführung•     sonstige Aufgaben § 19 „öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis der besonderen Art§ 64 „Amtspflichten“ der Dekanin/desDekans1 „Sorge“ für kirchliches Leben im KB2 Vertretung KB in Öffentlichkeit3 Aufsicht ü. Lehre und Ordnung i. d. KG4 Kirchenvisitation (= Aufsicht)5 Aufsicht über PfarrerInnen6 Dienstaufsicht über MitarbeiterInnen7 Gespräch in Konfliktfällen8 Leitung Pfarrwahlen9 Ordination und Einführung von Pfr. im Auftrag des LKR10 Einweihung von Kirchen im Auftrag des LKR11 Bericht an&xnbsp; BZ-Synode12 Leitung Pfarrkonferenzen13 Förderung der Gemeinschaft aller MA14 Beratung und Förderung des theol. Nachwuchses15 Vermittlung zwischen KG und LKR16 Regelung von Vertretungen und Aushilfen§ 93 Landeskirchenrat:„oberste Behörde zur Leitung und Verwaltungder Landeskirche“ 

2.3 Leitung des Kirchenbezirks als Gestaltung

2.2.1 Leitung als Gestaltung von Politik, Struktur und Kultur

Bis in die 1990er Jahre hinein wurden Kirchenbezirke vor allem durch kirchenrechtliche Rahmensetzungen und Ressourcenzuweisung von außen gesteuert (Personal, Finanzen). Die Verfügungsmöglichkeiten über die zugewiesenen Mittel waren – auch nach den bis 1982 vorgenommenen Verfassungsänderungen – begrenzt. 

Mit der oben bereits skizzierten Entwicklung des Kirchenbezirks zu einer Gestaltungsebene – durch einen Zuwachs an Ressourcen und Aufgaben, d.h. durch eine Erhöhung des Selbstorganisationsgrades von Kirchenbezirken – wird jedoch eine Weiterentwicklung des Steuerungssystems induziert. Die sich derzeit abspielende Veränderung lässt sich als Entwicklung von der Verwaltung zur Gestaltung beschreiben, die sich dadurch auszeichnet, dass Steuerung durch die Entwicklung von Programmen geschieht, d.h. durch Politikentwicklung, die sich in Konzepten konkretisiert.

Die Leitungsaufgabe von Dekaninnen und Dekanen kann unter diesen Bedingungen nicht nur als „Verwalten“ (als ein Handeln zwischen oben und unten: Oben werden Gesetze gemacht, deren Umsetzung und Einhaltung „unten“ der Dekan garantieren muss) verstanden werden, nicht nur als „Führen“ (als ein Handeln zwischen Person und Person), sondern auch als „Gestalten“: als Gestaltung des Systems Dekanat als Rahmen(bedingung) der Arbeit der haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden und als Rahmenbedingung darstellenden und wirkenden Handelns zur Kommunikation und Praxis des Evangeliums. 

Gestaltung bezieht sich auf die drei Ordnungsmomente einer komplexen Organisation: auf ihre Politik, d.h. auf ihre leitenden Bilder und ihre Umsetzung in Konzepte und Aktivitäten, auf ihre Organisationsgestalt, d.h. ihre Strukturen, und auf das Miteinander, die Zusammenarbeit, die Einstellungen, Haltungen und Wahrnehmungen der Mitarbeitenden, d.h. die Kultur des Kirchenbezirks.

2.2.2 Gestaltung als Wahrnehmung hermeneutischer, kommunikativer und organisatorischer Aufgaben

Die Leitungs- und Gestaltungsfunktion von Dekaninnen und Dekanen konkretisiert sich dementsprechend in der hermeneutischen, der kommunikativen und der organisatorischen Funktion. Die hermeneutisch-heuristische Funktion von Leitung bezieht sich auf die Politik, die kommunikative auf die Kultur, die organisatorische auf die Struktur kirchlicher Organisation, hier eines Kirchenbezirks.

Die hermeneutisch-heuristische Funktion bezeichnet die theologisch-konzeptionelle Arbeit der Politikentwicklung. Sie zielt auf das gemeinsame Entdecken und Erneuern leitender Bilder im Licht der biblischen Bilder und kann als Konkretion der Leitung durch das Wort verstanden werden. Leitung durch das Wort liefert nicht die „richtigen“ Leitbilder, sondern leitet zur Entdeckung dieser Bilder durch die Betroffenen selbst an. Praxisformen sind angeleitete Spiritualität, konziliare Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse, Entwicklung von Konzepten. Es geht darum, die Situation mit soziologischen und theologischen Augen zu sehen, Möglichkeiten und Risiken kirchlichen Handelns zu entdecken und darauf zu reagieren, indem theologische Sinn- und Werthorizonte in Diskussionen und Entscheidungsprozesse eingespielt und in Konzepten konkretisiert werden. 

Die kommunikative Funktion von Leitung dient der Entwicklung einer Kultur des Miteinanders und der Zusammenarbeit. Sie konkretisiert sich in der Begleitung von Mitarbeitenden (Hilfe bei Rollenfindung und Rollenklärung, Klärung der eigenen Rolle in unterschiedlichen Kontexten, Reflexion des Agierens im Handlungsfeld, z.B. in Jahresgesprächen), der Entwicklung der Beziehungsebene (Räume zweckfreier Kommunikation, Reflexion der Zusammenarbeit und der Konflikte) und der Ermöglichung gemeinsamen Lernens. Zu den kommunikativen Aufgaben zählt auch die Öffentlichkeitsarbeit. 

Die organisatorische Funktion von Leitung bezieht sich auf die Weiterentwicklung der Organisation: auf aufbauorganisatorische Fragen (Klärung von Zuständigkeiten etc.), Abläufe, Ressourcen, Klärung von Zielen und Verfahrensregeln sowie den haushalterischen Umgang mit vorhandenen Ressourcen.

Die besondere Verantwortung der Dekaninnen und Dekane für die Politik- und Strategieentwicklung im Dekanat liegt dabei in folgendem:

·      Sorge für die Prozessgestaltung hin zur Entscheidung (ggf. durch externe Kräfte).

·      Entwicklung von Politiken im Kirchenbezirk [12]: Gottesdienstpolitik, Bildungshandeln-Politik, Hilfehandeln-Politik, Gerechtigkeitshandeln-Politik.

·      Einspielen normativer ekklesiologischer Sinn- und Wertgehalte. Relativierung aller diskutierten Politik- und Strategieentwürfe auf die „theologische Sinnmitte“. Nicht Dekaninnen und Dekane definieren sie, aber sie spielen die Frage danach immer wieder ein und sorgen dafür, dass die theologische Sinnmitte klar bleibt.

·      Entwicklung von sinnvollen Aufbau- und Ablaufstrukturen in allen Bereichen kirchlichen Handelns im Dekanat (z.B. Regionalstruktur).

·      Entwicklung und Förderung einer Kultur der Zusammenarbeit auf dem Hintergrund eines theologischen Verständnisses des Dekanats als einer Struktur, die sich der Leib Christi in einer Region gibt, um sich selbst im Sinne von Zeugnis und Dienst resp. im Sinne eines Zeichens des Reiches Gottes gestalten zu können.

Ihre inhaltliche, sachliche Fokussierung findet das leitende Handeln von Dekaninnen und Dekanen in der Bestimmung der Kirche, vorläufiges Zeichen des Reiches Gottes zu sein, und in den Grundvollzügen, in denen die Gemeinschaft der Gläubigen diese Bestimmung realisiert: in darstellendem und wirkenden Handeln, also in Verkündigungshandeln sowie Hilfe-, Bildungs- und Gerechtigkeitshandeln. [13] Dafür haben Dekaninnen und Dekane (zusammen mit Bezirkskirchenrat und Bezirkssynode sowie dem Pfarrkonvent/Mitarbeitendenkonvent) durch die Gestaltung von Struktur, Kultur und Politik des Kirchenbezirks förderliche und ermöglichende Rahmenbedingungen zu schaffen.

2.2.3 Die Leitungsrolle des Dekans/der Dekanin verändert sich

Die Entwicklung der Berufsrolle des Dekans/der Dekanin kann folgendermaßen charakterisiert werden:

·      Vom Verwalter zum Gestalter.

·      Vom Aufseher zum Ermöglicher, Förderer, Konfliktberater, Organisationsentwicklungsmanager, Personalentwickler vor Ort.

·      Von der Mitarbeiterführung zur Systemgestaltung.

·        Vom Primus inter pares zum „Kirchenbezirks-Kybernetiker“.

Dabei nimmt der Dekan, die Dekanin als Person ihre hermeneutischen, organisatorischen und kommunikativen Funktonen im Spannungsfeld von Amtsrolle, (Umwelt-)Situation, Auftrag, Mitarbeitenden und Organisation wahr.

2.2.4 Leitungsqualifikation

Die zukunftsgerichtete Gestaltung von Politik, Struktur und Kultur eines Dekanats im Spannungsfeld von Auftrag, Zustand der kirchenbezirklichen Organisation und der aktuellen und zu erwartenden 

Umweltsituation vollzieht sich in Leitungsprozessen mit operativen, strategischen und normativen Problemarten und Herausforderungen und bedarf entsprechender Kompetenzen:

·      normatives Orientierungswissen: Kenntnisse in dogmatischer und praktischer Ekklesiologie, um die Politikentwicklung auf die innere theologische Achse hin relativieren zu können. Soziologische, kirchensoziologische und philosophische Kompetenz, um mit reflektierten Begriffen reflektiert wahrnehmen und entscheiden zu können.

·      strategisches Entscheidungswissen: Kenntnisse über die geschichtliche Gewordenheit aktueller kybernetischer Problemlagen, statistische, rechtliche, demographische, soziologische, organisationstheoretische Kenntnisse. 

·      operative Handlungskompetenzen, d.h. die Beherrschung gängiger und zukünftig wichtiger Leitungstechniken und Organisationsentwicklungsmethoden. Dazu gehören auch Kenntnisse über die Mitgliedschaft, Methoden der Mitgliederwahrnehmung wie z.B. der Milieutheorien und Methoden der reflektierten Wahrnehmung des sozialräumlichen Umfeldes.

Im Überschritt vom „Verwalten“ und interpersonalen „Führen“ zum „Gestalten“ von Politik, Struktur und Kultur zeigt sich auch die Grenze der bisherigen Aus- und Fortbildung von Leitenden. Wurde bislang vor allem Handwerkszeug des Führens und Leitens vermittelt, Führungstechniken und -tools, so wird zukünftig die Bedeutung der Kenntnis von Führungskonzepten und die Entwicklung strategischer Kompetenz zunehmen. Stand bisher ganz das „How to do it?“ im Mittelpunkt, so wird angesichts rückläufiger Ressourcen zukünftig stärker die Frage „What and Why to do?“ eine größere Rolle spielen. Dahinter steht die Überzeugung, dass Führen und Leiten in der Kirche nicht in Methodenkompetenz aufgeht, sondern sich an theologischen Sinn- und Werthorizonten zu orientieren hat. Die Frage „What and Why to do?“ kann auch verstanden werden als Frage nach den je orts- und zeitspezifisch besten Strategien und mittelfristigen Konzepten kirchlichen Handelns von Parochien, regionalen Kooperationszonen, Kirchenbezirken, funktionalen Diensten und einer Landeskirche als Ganzer. Dass diese Frage nicht nur operative Folgefragen aufwirft und Effektivitätserwägungen provoziert, sondern auch sachlich vorausliegende Fragen nach der impliziten Normativität der bisher praktizierten und zukünftig möglichen mittelfristigen Handlungskonzepte, liegt auf der Hand.

2.2.5 Rahmenbedingungen und Unterstützungsstrukturen

Um ihren Gestaltungsaufgaben nachkommen zu können brauchen Dekaninnen und Dekane entsprechende Rahmenbedingungen und Unterstützungsstrukturen:

•     Ein leistungsfähiges Sekretariat.

•     Eine funktionstüchtige Verwaltung.

•     Steuerungsrelevantes Datenmaterial zu den einzelnen Politikbereichen: Gottesdienst, Bildungshandeln, Hilfehandeln, Gerechtigkeitshandeln. 

•     Gebraucht wird aber nicht nur Datenmaterial, auch Konzepte sind erforderlich. 

Datenmaterial und Rahmenkonzepte sowie andere Unterstützung bereit zu stellen und gute strukturelle Rahmenbedingungen zu schaffen, ist die Gestaltungsaufgabe der funktional umfassenderen Organisationsebene Landeskirche.

2.2.6 Von pyramidalen Vorstellungen zum Modell der ineinandergeschachtelten Systeme

Bei der Entwicklung „von der Verwaltung zur Gestaltung“ geht es nicht um die Ausweitung formaler Hierarchie, sondern um die Ergänzung der bestehenden funktionalen Hierarchie zur besseren Selbstgestaltung kirchlicher Organisation: Kirchenbezirke sollen zur organisatorischen Rahmengestaltung kirchlicher Arbeit und kirchlichen Lebens in ähnlicher Weise befähigt werden, wie es die landeskirchliche und die parochiale Ebene – jedenfalls potentiell – bereits sind. Dabei gilt das hier implizierte Verständnis von Leitung nicht nur für die mittlere Ebene, sondern auch für die parochiale und landeskirchliche Ebene kirchlicher Organisation. Das Zusammenspiel der verschiedenen funktionalen Ebenen landeskirchlicher Organisation wird nicht mehr im Sinne einer Pyramide gedacht, in der monokratisch-bürokratisch an der Spitze ein Wille gebildet wird, der „unten“ umgesetzt werden muss, sondern im Sinne des Modells der „ineinandergeschachtelten Systeme“: die übergreifende Ebene definiert einen Rahmen, einen Entwicklungspfad, der auf regionaler und lokaler Ebene eigenständige Ausgestaltung erfordert und ermöglicht. Im presbyterial-synodalen Leitungssystem kann dies so verstanden werden, dass sich Gemeinden qua Verständigung mit anderen Gemeinden auf kirchenbezirklicher (Bezirkssynoden) und landeskirchlicher Ebene (Landessynode) selbst einen organisatorischen Rahmen schaffen, mit dem sie ihrem theologisch zu bestimmenden Auftrag nachkommen können. War es lange Zeit ausreichend, die für die Kommunikation des Evangeliums nötige Rahmengestaltung auf parochialer und landeskirchlicher Ebene vorzunehmen, so hat sich in den letzten 50 Jahren immer stärker die Überzeugung durchgesetzt, dass es dazu einer weiteren Gestaltungsebene braucht: die mittlere Ebene der Kirchenbezirke. Die Weiterentwicklung des Dekansamts dient insofern der Steigerung der Selbststeuerungsfähigkeit der Landeskirche als ganzer ebenso wie der der einzelnen Gemeinden und regionalen Kooperationszonen.

Mit der Zuweisung von Personal- und Baumittelbudgets an die mittlere Ebene hat die landeskirchliche Ebene das oben skizzierte Bürokratiemodell von Leitung bereits hinter sich gelassen und Elemente des sog. neuen Steuerungsmodells (New Public Management) übernommen, das im kommunalen Bereich entwickelt wurde.

Leitung als Gestaltung ist auf allen Ebenen landeskirchlicher Organisation nötig und hebt Verwaltungshandeln oder interpersonale Führung nicht auf, sondern stellt beides in einen neuen leitungskonzeptionellen Rahmen, der den Umgang mit erhöhter Binnen- und Umweltkomplexität und -dynamik ermöglichen soll. Dies zu erläutern würde allerdings den Rahmen dieses Vortrags sprengen. 

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Eine Möglichkeit zur intensiveren Auseinandersetzung mit den in dieser Skizze angesprochenen Themen bietet die dreiteilige Fortbildung: „Kirche als Organisation und ihre Leitung“.

Der dritte Teil widmet sich ganz der Entwicklung „Von der Verwaltung zur Gestaltung“ (7. bis 9. Oktober 2014). Der zweite Teil beschreibt die Entwicklung landeskirchlicher Organisation „Von der Versäulung zur Vernetzung“ (14. bis 16. Juli 2014) und die Basis legt der erste Teil: „Vom zweifachen zum dreifachen Kirchenbegriff“ (5. bis 7. Mai 2014). Die Kurse können einzeln gebucht werden, eine Teilnahme an allen drei Seminaren ist empfehlenswert. Die Ausschreibung finden Sie in dieser Ausgabe des Pfälzischen Pfarrerblatts als Tagungshinweis und auf www.institut-kirchliche-fortbildung.de.

[1] Impulsreferat auf der Dekane-Roundtable-Klausur am 22. Oktober 2012.

[2] Einen Eindruck von der „Amtszuständigkeit der Dekanate“ vermitteln Edikte und Instruktionen aus dem 19. Jahrhundert, die im Hintergrund der Verfassung von 1920 stehen. Vgl. Wand‘s Handbuch der Verfassung und Verwaltung der protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz. In dritter Auflage neu bearbeitet von Ludwig Wagner, Kaiserslautern 1899, 138ff.

[3] Analog dazu werden bisher dem Pfarramt zugeordnete pastorale Aufgaben in die gemeinsame Verantwortung von PfarrerInnen und Presbyterium überführt, vgl. KV Pfalz § 13 (1): „Presbyterinnen, Presbyter, Pfarrerinnen und Pfarrer (Presbyterium) leiten zusammen die Kirchengemeinde. Sie tragen deshalb gemeinsam Verantwortung für die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament, die Seelsorge, die christliche Unterweisung, die Diakonie und Mission sowie für die Einhaltung der kirchlichen Ordnung.“

[4] 1993: Memorandum zur Pfälzischen Union (1993), in: Zukunftsperspektiven der Kirche und Abschlussbericht des Perspektivausschusses (Protestantische Pfalz Texte 3), Speyer 19992, 2-9.

[5] 1996: Abschlussbericht des Perspektivausschusses an die Landessynode, in: Zukunftsperspektiven der Kirche und Abschlussbericht des Perspektivausschusses (Protestantische Pfalz Texte 3), Speyer 19992, 10-40 (erarbeitet von Anfang 1995-11/1996) (Strategiepapier).

[6] 2002: Tradition braucht Veränderung. Berichte und Empfehlungen der Perspektivausschüsse, Speyer 2002 (Die Perspektivausschüsse arbeiten von 7/1999-3/2002) (Umsetzung des 1996er Papiers).

[7] 2008: Bericht des Arbeitskreises Perspektivarbeit vom 13.11.2008 (erarbeitet 2007-2008; Bilanz der Perspektivarbeit seit 1994).

[8] 2011: Mutig voranschreiten, den Wandel gestalten, Gott vertrauen (1/2010-2/2011) (Strategiepapier, von der Synode verabschiedet im Mai 2011). Der Arbeitskreis Zukunft setzt seine Arbeit fort. 

[9] Mit Beschluss des Landeskirchenrats vom 12. Januar 2010 werden ab dem Berichtszeitraum 2008/2009 die Richtlinien für die Jahresberichte der Dekanate und Pfarrämter verändert. Waren die Jahresberichte bislang in der Zuständigkeit des Dekans/der Dekanin, des Pfarrers/der Pfarrerin, so müssen sie jetzt mit dem Bezirkskirchenrat bzw. dem Presbyterium abgestimmt sein (so unter Punkt 6.) Unter Punkt 4. werden die Pfarrer und Presbyterien verpflichtet, Herausforderungen und Ziele für den kommenden Berichtszeitraum zu nennen: „Der Bericht soll Ziele und Herausforderungen enthalten, über die sich die Pfarrerinnen und Pfarrer bzw. die Dekanin, der Dekan und die anderen Mitarbeitenden mit dem Presbyterium bzw. dem Bezirkskirchenrat verständigt und vereinbart haben. Dazu ist der Bericht in einer Sitzung aufzurufen und über seine Behandlung eine Niederschrift anzufertigen. Im nächsten Jahresbericht ist über die Zielerreichung zu berichten.“

[10] Die Gemeinden werden gleichzeitig verpflichtet, eine Instandhaltungspauschale zu bilden. Um Gemeinden zu unterstützen, die dadurch in finanzielle Bedrängnis geraten, wird auf landeskirchlicher Ebene ein Konzept entwickelt und ein Beraterstab ausgebildet. Vgl. http://www.zukunft-mit-konzept.de/.

[11] Dies entspricht dem Stand 2012. Ende 2013 wurde hier eine andere Regelung gefunden, die die Entscheidung auf der Ebene des Kirchenbezirks belässt, sofern die Finanzierung gesichert ist.

[12] Der Plural Politiken ist sprachlich unschön, aber grammatisch möglich. Er stellt den Versuch dar, den englischen Plural policies ins Deutsche zu übertragen. Das Englische unterscheidet policy (die Politik im Sinne von Programm), politics (die Prozesse der Politikentwicklung) und polity (die Strukturen und Verfahren, in denen sich die politics zur Entwicklung von policies vollziehen).

[13] Die Unterscheidung von Verkündigungshandeln, Bildungshandeln, Hilfehandeln und Gerechtigkeitshandeln versucht die Aufgaben von Kirche zu benennen, mithin das, was eine Kirche nicht unterlassen kann, wenn sie denn Kirche sein will.

Bekannt ist der Versuch, die Aufgaben der Kirche als leiturgia, martyria, diakonia, koinonia zu beschreiben. Abgesehen davon, dass das Verhältnis dieser Begriffe zueinander unklar ist – insbesondere der Begriff der koinonia zu den anderen Begriffen – knüpft diese Aufgabenbeschreibung an das dreifache Amt Christi an und könnte den Eindruck erwecken, das Handeln Christi prolongiere sich im Handeln der Kirche. Insofern könnte die Differenz von göttlichem und menschlichem Handeln in der Kirche verwischt werden.

Die Unterscheidung von Verkündigungs-, Hilfe-, Gerechtigkeits- und Bildungshandeln beruht auf der Einsicht in den nichtaufgebbaren Konnex von Gottesdienst und Gottesdienst im Alltag der Welt, von Glauben und Leben aus dem Glauben und versucht, das Handeln der Kirche in Wort und Sakrament (als ihren expliziten notae) zu verwurzeln.

Weil die Kirche aus der Verkündigung des Wortes lebt und dieses Geschehen selbst ein Bildungsgeschehen ist, setzt Verkündigung Bildungsimpulse frei, die auf die Teilnahme der Kirche am gesellschaftlichen Bildungsprozess zielen. Weil sich in der Taufe die Überzeugung ausdrückt, dass Menschen eine unverlierbare Würde und Anspruch auf gleiche Freiheit und gleiche rechtliche Anerkennung haben, ist die Teilnahme am Gerechtigkeitshandeln eine zweite Form, in der Kirche ihrem Glauben in ihrem Handeln entspricht. Weil im Abendmahl die Zusammengehörigkeit in Christus und so auch ein Solidaritätsethos zum Ausdruck kommt, gehört solidarische Hilfe seit den Anfängen zur Kirche Jesu Christi.

Mit der Unterscheidung von Verkündigungs-, Hilfe-, Bildungs- und Gerechtigkeitshandeln sind freilich nur „Handlungsfelder“ bestimmt, auf die eine Kirche nicht verzichten kann. Welche Funktionen bei der Reflexion und Gestaltung der kirchlichen Aktivitäten in diesen Handlungsfeldern beachtet sein wollen, dazu ist damit noch nichts gesagt.

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Steffen Schramm
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