Kirche als lernende Organisation – lernt die Organisation?

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Was die Idee der lernenden Organisation für Kirche bedeuten könnte am Beispiel von „SIXPACK“

Dagmar Peterson
Haßlocher Straße 24, 67459 Böhl-Iggelheim

Was ist SIXPACK?

Angebot und Ziel von SIXPACK

SIXPACK ist ein Angebot im Rahmen des Projektes zur Qualitätsentwicklung in Kindertagesstätten, Kita+QM. Dieses Projekt wird verantwortet von der Evangelischen Kirche der Pfalz (Prot. Landeskirche) und dem Diakonischen Werk Pfalz. Die Teilnahme aller Kindertagesstätten der pfälzischen Landeskirche ist dabei das Ziel. Die Erzieherinnen sollen geschult werden, einen Qualitätsentwicklungsprozess in ihrer Einrichtung zu initiieren und künftig selbständig zu steuern. Das Projekt läuft in einem Zeitraum von sechs Jahren. In verschiedenen Staffeln erhalten die jeweils angemeldeten Kindertagesstätten eine zweijährige Weiterbildung. 

Das Angebot von SIXPACK innerhalb dieses Projektes richtet sich an die Trägervertreter/innen. Das Konzept für dieses Angebot ist entwickelt worden von der Gemeindeberatung Pfalz in Kooperation mit der Projektleiterin von Kita+QM, Alida Zaanen. Hinter dem Namen SIXPACK steht das Konzept einer angeleiteten kollegialen Beratung mit sechs Teilnehmern an sechs aufeinanderfolgenden Terminen. Ziel dieses Angebots ist es, einen Austausch zu befördern darüber, was Qualitätsentwicklung aus der Perspektive der Träger vor Ort bedeutet. 

Das Angebot wurde rege angenommen, verschiedene Trägervertreter/innen trafen bisher in den ersten drei Staffeln des Projektes aufeinander: Verwaltungsamtsleiter/innen, Dekane/innen, Pfarrer/innen, auch Presbyter/innen.

Methodik

Anhand von Beispielen und „Fallbesprechungen“ der Trägervertreter/innen werden im Gespräch Lösungen für die konkreten Herausforderungen vor Ort miteinander entwickelt .Entsprechend des systemischen Beratungsansatzes der Gemeindeberatung geht es darum, die unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven der Teilnehmenden zur Sprache kommen zu lassen und unterschiedliche Lösungswege und verschiedenartige Strategien zu entfalten helfen. Es geht nicht darum, die eine, „richtige“ Lösung zu suchen, sondern die auf die jeweilige Situation und für die jeweiligen Beteiligten „passende“. Die Trägervertreter/innen erleben sich dabei als Experten für ihre Situation vor Ort.

Bisherige Entwicklung

Nach bisherigen Rückmeldungen wurde als bereichernd und positiv erlebt, dass unterschiedliche Einschätzungen und Meinungen im Austausch vorkommen und Verschiedenheit als Ressource gewürdigt wird. Darüber hinaus traten in den Gruppen der ersten drei Staffeln unabhängig voneinander die gleichen Themen auf, die alle Vertreter/innen gleichermaßen beschäftigten. Sie betrafen alle den von den Teilnehmenden erlebten Prozess des Wandels in der Arbeit der Kirche im Allgemeinen und daraus resultierend den Wandel in der Wahrnehmung des Auftrages von ortbezogener Diakonie im Bereich Kindertagesstätten in Speziellen. Darauf gehe ich später noch genauer ein.

Aus dem Kreis der Teilnehmenden wurde daher der Wunsch geäußert, diese Themen auch mit der Kirchenleitung und mit der Leitung des Diakonischen Werkes zu erörtern, was auch bislang einmal geschehen ist und für dieses Jahr wieder in Aussicht gestellt wurde.

Was heißt lernende Organisation?

In der Darlegung der Kernprozesse für Kita+QM taucht der Begriff „lernende Organisation“ auf. Der Begriff „lernende Organisation“ ist seit 1990 vorrangig durch Peter Senge in das Denken über Organisationen eingebracht worden. Viele andere Theoretiker und Praktiker in der Sache Organisationsentwicklung haben diesen Begriff und die damit verbundene Idee aufgenommen und weitergeführt. Peter Senge stellte fest, dass die große Herausforderung für Organisationen in der gegenwärtigen Zeit darin liege, sich mit den ständig sich neu aktualisierenden und verändernden Erwartungen, Ansprüchen und Rahmenbedingungen von außen auseinanderzusetzen und sich darauf einzustellen. Veränderung ist also eine stetige Anforderung an heutige Unternehmen und Organisationen. Der Begriff „lernende Organisation“ steht in diesem Kontext für den Ansatz, dass Veränderung in Organisationen als ein zirkulärer, stetiger Prozess zu verstehen ist und daher nicht hierarchisch, nicht linear und nicht punktuell vonstatten gehen kann. Lernen erfordert das Engagement der gesamte Organisation, aller Abteilungen oder Einrichtungen, aller Mitarbeitenden. Und Lernen bedeutet in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, sich auf jeweils veränderte Anforderungen je spezifisch einzustellen und darauf mit passenden Maßnahmen reagieren zu können. Lernen wird daher im Rahmen von Organisationen als hohe notwendige Kompetenz zur Entwicklung betrachtet und nicht als eine die eigentliche Arbeit belastende zusätzliche Pflichtübung zum Ausgleich von Defiziten.

Der Begriff „lernende Organisation“ hat für uns als Kirche meiner Meinung nach mehrere Aspekte, die unserem Selbstverständnis gut entsprechen: 

1. Beteiligung: Da diese Kompetenz zur Entwicklung so wichtig ist, wird sie allen Mitgliedern einer Organisation zugesprochen, Betroffene werden zu Beteiligten, Erfahrung wird als Schatz angesehen und in den gemeinsamen Lernprozess aufgenommen. Statt Anweisungen wird auf Mitteilung und Überzeugung gesetzt, weshalb Sinndeutung und Verständigung an vorrangiger Stelle steht. So könnte man meiner Meinung nach den traditionellen Begriff „Dienstgemeinschaft“ inhaltlich ergänzen. Es gibt nämlich gehäuft die Klage, dass sich Kolleginnen und Kollegen in der Funktion als Träger als Einzelkämpfer erleben.

2. Sinnfragen, Deutung und Integration durch Kommunikation: Um kompetente Mitglieder der Organisation zu Beteiligten zu machen, reicht Information nicht aus, denn die reine Information über neue Sachverhalte und Umstände, die die Organisation betreffen, löst nicht quasi automatisch den Impuls zu Veränderung aus. Information muss gedeutet und integriert werden, und dieser komplexe Prozess der Aneignung bringt die Veränderung mit sich. Dieser Aneignungsprozess ist ein Kommunikationsprozess. Wesentlich ist also die Kommunikation, Information ist lediglich ein Teil davon. Kommunikation ist nicht das Laufband auf dem Information befördert wird. Worum es geht, lässt sich überhaupt nicht in „mechanischen“ Kategorien denken, sondern in Kategorien von „lebendigen Systemen“ – ein Bild aus der Systemtheorie, mit dem wir als Kirche, als „Leib Christi“, meiner Meinung nach gut arbeiten können. Kommunikation kann also als Pulsschlag in einem lebendigen System betrachtet werden, ein lebendiges System, das in der Lage ist, sich zu verändern und zu lernen, was es zum (Über)-Leben braucht.

3. Verantwortung: Gemeinsames Lernen wird verstanden als gemeinsame konstruktive Suche nach neuen Paradigmen, Denkmodellen und praktischen Lösungsstrategien für neue, beziehungsweise sich verändernde Situationen. Es ist die verantwortliche gemeinschaftliche Übernahme des Auftrages, für andere da zu sein, was das Wissen darum einschließt, dass die Antwort auf die Frage, wie können wir hilfreich sein, niemals abschließend zu beantworten ist. Vielmehr muss sie immer wieder auf die jeweiligen spezifischen Voraussetzungen neu überlegt und bedacht werden. 

In der Organisationstheorie werden die Orte für Kommunikation und gemeinsames Lernen in unterschiedlichen Varianten spezifiziert. Ich finde es lohnenswert, sich von der Idee der lernenden Organisation zu der Frage nach Kommunikations- und Lernorten bei uns als Kirche führen zu lassen.

In unserem Zusammenhang möchte ich die kollegiale Beratung in Form von SIXPACK als einen solchen Kommunikationsort beschreiben. 

Was hat das Angebot SIXPACK mit der Idee der lernenden Organisation zu tun?

Was ist die Ausgangslage?

Der entscheidende Ausgangspunkt für das beschriebene gemeinsame Lernen ist das, was immer der Ausgangspunkt für Lernen ist: Veränderung des bisher Gewohnten und Vertrauten, neue Herausforderungen und Fragestellungen. Die andauernde und sich stetig wiederholende Erfahrung, dass die bisherigen Verhaltensweisen und das bisher Gelernte und Gedachte nicht mehr ausreichende Effekte erzielen und sich in der Problemsituation als nicht mehr hinreichend nützlich erweisen, setzt genauso stetig jeweils einen markierenden Impuls, der dann schließlich eine Suchbewegung auslöst. Diese Suchbewegung als Leistung zu betrachten und das Tasten nach Neuem zu würdigen und nicht als defizitäre Ahnungslosigkeit zu werten, ist für den Betroffenen selbst und für die anderen Mitverantwortlichen die Grundlage für Lernen im Sinne des eigenverantwortlichen Herangehens an Probleme und deren Lösung.

Nichts ist so hinderlich in dieser Phase wie die Vorgabe der Lösung von außen. Eine solche Vorgabe beendet die Suchbewegung und ist nur dann sinnvoll, wenn die Lösung tatsächlich schon vorhanden ist und wenn völlig eindeutig ist, dass diese Lösung von allen angewendet werden kann und soll. Und wenn sie für das Problem in jedem Fall passt – das Rad muss nicht ständig neu erfunden werden. Ist das Problem allerdings vielschichtiger und die Ausgangslage komplexer, ist es eher unwahrscheinlich, dass es die eine richtige Lösung gibt. Bei dieser Ausgangslage ist es wichtig und sinnvoll die verschiedenen betroffenen Menschen mit ihren unterschiedlichen Gaben und Erfahrungen als wertvollen Schatz zu betrachten. Hierein sollte investiert werden! Mit diesen Pfunden gilt es zu wuchern! Zum Beispiel dadurch, dass man den Austausch dieser verschiedenen Kompetenzen ermöglicht – Betroffene werden zu Beteiligten.

Dies war schon die Idee bei der Planung von SIXPACK, bezog sich aber auf die Fragestellung: Wie kann Kita-Arbeit aus Trägerperspektive qualitätvoll vor Ort aussehen und wir dachten daran, die Fülle der verschiedenartigen Ansichten, Ansätze, Konzepte und Modelle zu nutzen, um zum Ausprobieren anderer Arbeitsweisen anzuregen. Wir sind dabei davon ausgegangen, dass die Trägervertreter/innen, die sich angemeldet haben, motiviert sind, bestimmte ausgetretene Pfade zu verlassen und bestimmte Verfahren zu überdenken und dazu ihr Expertenwissen, sowie ihre Fragen mitbringen.

Was kann daraus entstehen?

Doch die Beschreibungen der Einzelfragestellungen erwiesen sich dann zu einem großen Teil als Hinweise auf einen ganzen Komplex an grundlegenden Fragen, die mit einer grundsätzlichen Wahrnehmung einer veränderten Ausgangslage im Bereich Kindertagesstätten verbunden sind. Das wurde allen Teilnehmer/innen und uns als Leitung des Angebotes deutlich.

Dies brachte eine Veränderung zum ursprünglichen Konzept mit sich. Aus der kollegialen Beratung als gemeinsamer Lernort für die Teilnehmenden, entstand ein Kommunikationsort im Sinne der lernenden Organisation: Der Austausch bezog sich nicht mehr allein auf den Kreis der Teilnehmenden und ihren jeweiligen Aufgaben als Träger vor Ort, sondern auf die allgemeine Aufgabenstellung für die evangelische Trägerschaft von Kindertagesstätten mit dem Anliegen, dies auch mit anderen Zuständigen aus anderen Verantwortungsbereichen zu diskutieren.

Dass dies so durchschlagend deutlich werden würde bei SIXPACK, war uns bei der Planung der Veranstaltung nicht klar. Wir haben dann im weiteren Verlauf bewusst darauf geachtet, dass das Prinzip der Zirkularität für diese Veranstaltung in den Blick genommen wird. Das Prinzip der Zirkularität bedeutet, dass Veränderung als ein Prozess zu gestalten ist. Dabei müssen die verschiedenen einander ergänzenden und ineinandergreifenden Komponenten berücksichtigt werden: Zum einen gibt es veränderte Rahmenbedingungen, diese bringen die Entwicklung von bestimmten Verfahren oder Strategien hervor. Dann entscheidet sich aber an der Art, wie diese angewendet werden und wie sie aufgenommen werden von zuständigen Mitarbeitenden und Verantwortlichen, inwieweit sie nützlich sind für die neue Situation und ob sie dazu anregen, einen neuen Umgang und veränderndes Lernen und verändertes Handeln zu erwirken. Dafür ist ein wechselseitiges Bemühen aller Zuständigen erforderlich. Und erst die Anstrengung, die verschiedenen Beteiligten mit ihren verschiedenen Sichtweisen miteinander in einen kritischen und konstruktiven Austausch zu bringen, bewirkt einen zirkulären Prozess des Miteinanderlernens und Vorankommens.

Nach meiner Einschätzung ist im Rahmen von SIXPACK eine gemeinsame Suchbewegung entstanden, in der zirkulären Weise, wie ich sie beschrieben habe. Zum einen durch die teilnehmenden Trägervertreter/innen von Kindertagesstätten und ihre Bereitschaft, ihre Erfahrungen zu erzählen und miteinander zu analysieren. Zum zweiten dadurch, dass Alida Zaanen als Projektleiterin aus dem Diakonischen Werk in den SIXPACK-Sitzungen anwesend ist, zuhört und ihre Perspektive einbringt. Zum dritten dadurch, dass Oberkirchenrat Manfred Sutter als zuständiger Vertreter aus dem Landeskirchenrat interessiert ist daran, ins Gespräch mit den Teilnehmer/innen zu kommen, zuzuhören und seine Perspektive und Standpunkte darzulegen.

Bei allen Beteiligten ist dabei deutlich geworden, dass es grundlegende Veränderungen gibt und dass es sinnvoll ist, darüber gemeinsam nachzudenken.

Welche Veränderungen erleben wir?

Im Rahmen von SIXPACK tauchen gehäuft die Beobachtungen und Beschreibungen von veränderten Bedingungen in Bezug auf Kindertagesstättenarbeit gegenüber der Zeit vor etwa zehn Jahren auf.

Ich möchte die beschriebenen Veränderungen in drei Aspekte zusammenfassen

1. Neue Herausforderungen aus der Perspektive der „Umwelt“ 

Mit Umwelt ist gemeint, was von außen an die Organisation herangetragen wird: Erwartungen und Ansprüche von den Menschen, die die Dienste der Organisation Kirche in Anspruch nehmen, aber auch gesellschaftliche Entwicklungen und (sozial-)politische Themen, die bestimmte Rahmenbedingungen abgeben für den Dienst der Kirche.

Knapper werdende Mittel in Kirchengemeinden, schwieriger werdender Status in Verhandlungen mit Kommunen und Kreisbehörden.

Aufgrund knapper werdender Mittel sind Kirchengemeinden immer häufiger in Verhandlungen mit Kommunen und Kreisbehörden mit der Thematik der Sachkostenzuschüsse konfrontiert und erleben sich in ihrer Freiheit, nach dem Prinzip der Subsidiarität zu handeln, eingeschränkt. Darüber hinaus wird der Bereich der Kinderbetreuung zunehmend als „Markt“ erlebt, sowohl was die Vielfalt der Angebote, als auch was die sich verändernde Erwartungshaltung von Eltern angeht, daraus resultierend taucht die Kita in etlichen Kontakten und Gesprächen immer wieder mit dem Begriff des sogenannten „Dienstleistungsunternehmen im Wettbewerb“ auf. Und die Fragen sind z.B.: Wie verändert das unser Angebot? Was können wir (noch) beeinflussen, was nicht?

Forderung hoher Professionalisierung und Qualitätssteigerung an das Personal der Kitas, gleichzeitig aber keine Anpassung der Vergütung entsprechend der Länge der Ausbildung und den geforderten Kompetenzen.

Wie soll man sich als Kirche positionieren in einem Bereich, wo in rasanter Geschwindigkeit eine hohe Professionalisierung und Qualitätssteigerung gefordert wird, gleichzeitig aber die Vergütung der Länge der Ausbildung und den geforderten Kompetenzen gegenüber nicht angepasst wird. Die Folge ist ein Mangel an qualifizierten Mitarbeiter/innen. Dies bringt Trägervertreter in ein Dilemma: Sehen sie sich als Vertreter der Kirche in der Verantwortung sozialpolitisch auf die Diskrepanz aufmerksam zu machen? Können sie aber andererseits einer höheren Vergütung tatsächlich auch als Arbeitgeber nachkommen, wenn sie zumindest prozentual Anteile an Personalkosten weiterhin übernehmen sollen? Wie stehen sie da gegenüber den Vertretern von Kreis und Land, die den Löwenanteil der Personalkosten tragen, wenn sie zwar angemessenere Entlohnung fordern, aber aus der Verpflichtung zur Beteiligung an den Personalkosten nach und nach sich zwangsläufig zurückziehen müssen?

Daneben natürlich die dringende pragmatische Frage: Wie gehen kirchliche Trägervertreter/innen mit Personalengpässen um, was bedeutet dies für die Qualität der Arbeit und für die Verantwortung zu kindgerechter Betreuung und familienorientierter Begleitung?

Ausweitung und Ausdifferenzierung von Trägeraufgaben, sowie von Leitungsaufgaben.

Einhergehend mit der Professionalisierung und dem Arbeiten nach Qualitätsstandards ist die Ausweitung und Ausdifferenzierung von Trägeraufgaben, sowie von Leitungsaufgaben.

Dies bringt die Frage nach Klärung von Funktionen und Kompetenzen mit sich, wie es bisher noch nicht erlebt wurde. Fragen aus dem Bereich des Sozialmanagements tauchen gehäuft im alltäglichen Umgang miteinander auf. Wie soll Personalentwicklung bei uns stattfinden? Wie definieren wir Mitarbeiterführung und wer von Träger und Leitung hat dabei welche Funktion?

Hieraus ergibt sich die Frage, wie evangelische Trägerschaft weiterentwickelt werden könnte, um diesen Herausforderungen angemessen zu begegnen. Diskutiert wird z.B. kontrovers, ob mit der Zuordnung der Trägerfunktion auf der Ebene der Kirchengemeinden diesen Herausforderungen angemessen begegnet werden kann: Wenn ja, unter welchen neu zu entwickelnden Rahmenbedingungen? Falls nicht, welche anderen Modelle gibt es oder sollte es geben?

2. Herausforderungen aus der Perspektive der „Struktur“

Mit Struktur ist die materielle, personelle und räumliche Ausstattung sowie die darauf bezogenen ordnenden und verbindenden Regelungen für das Gesamtgefüge in der Organisation gemeint.

Kirchengemeinden sehen sich mit den Aufgaben von Veränderungen auf der Ebene der Strukturen der Organisation konfrontiert, was auch ihre Zuständigkeit für Kindertagesstätten betrifft, z.B. mit der Frage, inwiefern sie belastbar sind mit zusätzlichen Themen oder mit der Herausforderung, die zeitlichen Ressourcen einzuteilen und zu regeln. 

Bildung von Kooperationszonen: Kirchengemeinden sind miteinander in Verhandlung um künftig die Aufgaben in Kooperationen miteinander zu teilen. Ziel dieser Bemühungen soll eine gerechte Verteilung von hauptamtlichen Kräften und inhaltlichen Angeboten sein, auch wenn Gemeindegliederzahlen ungleichmäßig, aber doch überall stetig zurückgehen. Die Komplexität dieser Aufgabe, die Ungleichzeitigkeit dieser Prozesse in den verschiedenen Regionen einerseits, sowie der momentane Zwischenzustand ohne unmittelbar einsetzende Effekte der Verbesserung andererseits, bewirkt Verlustängste und Widerstände gegenüber der Anforderung der Neuorganisation.

Neuorganisation von Kirchenbezirken: Die Anzahl der Kirchenbezirke soll in den nächsten Jahren reduziert werden, dazu werden Verhandlungen geführt, das betrifft auch die Arbeitsbereiche und Zuständigkeiten der Verwaltungsämter. Die Verhandlungen sind im Gange, es gibt noch keine festen Verabredungen. Dies wird in Bezug auf Kindertagesstättenarbeit auch darin spürbar, dass in verschiedenen Kirchenbezirken die Dekan/innen und Verwaltungsamtsleiter/innen sich verschieden zu den jeweiligen Herausforderungen verhalten und jeweils verschieden mit Trägern kooperieren. 

Außerdem ist für jede Kirchengemeinde künftig auch übergemeindliche Planung und Gestaltung nicht nur bezogen auf die Kooperationszone, sondern auch bezogen auf den Kirchenbezirk ein wichtiger Bestandteil der Arbeit, was gleichfalls die Belastbarkeit und die zeitlichen Ressourcen für die Aufgaben im Bereich Kindertagesstätten auf eine Probe stellt.

3. Herausforderungen aus der Perspektive der „Kultur“

Mit Kultur ist das Gefüge der Regeln des sozialen Miteinanders, der Werte, der Normen einer Organisation gemeint. Dieser Begriff, von Edgar H. Schein aufgebracht, ist in den letzten Jahren gerade in sogenannten „Change-Prozessen“ von Organisationen in den Fokus gerückt. Man geht davon aus, dass das, was mit dem Begriff Kultur beschrieben wird, hohe Auswirkungen auf das Verhalten der Beteiligten hat und Veränderungen entweder konstruktiv befördern oder komplett verhindern kann.

Aus dieser Perspektive ergeben sich folgende Herausforderungen:

Verunsicherung: Die strukturellen und umweltbezogenen Veränderungen bewirken auch eine kulturelle Veränderung und zwar taucht sie im Austausch bei SIXPACK auf in der Form von Verunsicherung. Verunsicherung gibt es zum Beispiel darüber

·         Ob die Veränderungen tatsächlich von allen als relevant für das jeweils eigene Handeln wahrgenommen werden. Gibt es einen Konsens in der Wahrnehmung?

·         Wenn die Veränderungen von allen oder zumindest vielen als relevant wahrgenommen werden, steht die Frage im Raum, wie sie von den verschiedenen Betroffenen bewertet werden. (Wie bewerten wir das?)

·         Weiterhin wird gefragt, ob ein gemeinsamer Prozess zur Entwicklung von Lösungen erwünscht ist und ob ein solcher Prozess organisiert wird. (Wie gehen wir damit um?)

Widerstand: Der Widerstand, der im Austausch in SIXPACK in Erscheinung trat, hat im Wesentlichen zwei Ausprägungen: Zum einen gibt es den Widerstand gegenüber den Neuerungen, verbunden mit der tief empfundenen Loyalität gegenüber den bisherigen Tätigkeitskonzepten und Denkmodellen im Auftrag der Organisation Kirche, die Ausdruck findet in der Forderung nach Erhalt von noch funktionierenden Handlungsfeldern.

Zum anderen gibt es den Widerstand gegenüber dem Festhalten am Bestehenden, die Ausdruck findet in der Forderung nach Ausrichtung der Aufgaben an den neuen Verhältnissen und ebenfalls verbunden ist mit tief empfundener Loyalität gegenüber dem Auftrag der Organisation.

Beiden Formen von Widerstand liegen Werte, theologische Haltungen und ekklesiologische Überzeugungen zugrunde. Häufig leiden die Vertreter der einen Sicht an den Sichtweisen der anderen. Aus meiner Rolle der Supervisorin im Rahmen von SIXPACK heraus sind beide Ausprägungen von Widerstand gleichermaßen zu würdigen, nämlich als ernste Bemühung um die „richtige“ Lösung, die passend zu den jeweiligen Werten und Grundüberzeugungen als gut definiert wird. Ich finde, damit muss weitergearbeitet werden im Sinne des zirkulären Austauschprozesses.

Aufbruchstimmung: Die Krise, dass viele bisherigen Verhaltensweisen, Arbeitsbeschreibungen und Verfahren nicht mehr ganz zu den neuen Rahmenbedingungen passen, bringt auch Aufbruchstimmung hervor. Sie bewirkt eine positive Haltung, die sich in folgenden Formen beispielsweise äußert: Lust auf Experimente, Tatendrang, Neugierde.

Aus der Perspektive der Kultur ist der Austausch dringend notwendig, um sich gegenseitig zu vergewissern, dass man bei aller Veränderung weiterhin Bezug zueinander hat, dass man eine Gemeinschaft darstellt und das gemeinsame Ziel noch immer da ist. 

Nicht von ungefähr wird nach Unterstützung gesucht im Kolleg/innenverbund und der Wunsch geäußert, dass es Unterstützungsangebote geben soll.

Ausblick: Was lässt sich aus der Idee der lernenden Organisation für das Konzept von SIXPACK gewinnen?

Ich habe eben schon ausgeführt, dass die Idee der lernenden Organisation auf die gegenwärtige Situation des stetigen Wandels zu beziehen ist. Ich habe versucht darzulegen, wie diese Idee in der erlebten Situation des Wandels im Kindertagesstättenbereich sinnreiche Konzepte ermöglicht. Etwa das Konzept von organisierten verlässlichen Kommunikationsorten, bei denen Betroffene als Beteiligte angesprochen werden und in ihrer Suchbewegung nach neuen Lösungen ermutigt, unterstützt und gewürdigt werden; auch in ihrer Verunsicherung und mit ihren Widerständen aufgefangen werden.

Und ich habe meine Einschätzung dargelegt, dass ich SIXPACK unter den momentanen Bedingungen der Veränderung als einen solchen Kommunikationsort betrachte.

Welche Perspektiven ergeben sich daraus? Konzeptionell lässt sich daraus gewinnen, dass es sinnvoll ist, den Austausch fortzuführen und weiterzuentwickeln, und zwar nicht zufällig sich ereignend, sondern ausdrücklich gewünscht, geplant und gewürdigt. 

·         Geplant zum einen in der methodischen Gestaltung der Zusammentreffen, die ausdrücklich auch die Ermutigung zur Beteiligung an der grundsätzlichen Diskussion zum Thema evangelischer Trägerschaft aufnimmt.

·         Gewünscht und gewürdigt, indem ausdrücklich in Ausschreibungen und Einladungen auf die Möglichkeit des Austausches hingewiesen wird und dieses Angebot für Träger auch auf Auftakt- bzw. Abschlussveranstaltungen vorkommt.

·          Außerdem lässt sich konzeptionell daraus gewinnen, dass weiterhin darauf geachtet wird, dass dieser Austausch kein in sich geschlossener Prozess ist, sondern weitere Kreise zieht.

Dieser Austausch kann ausgedehnt werden zur weiteren gemeinsamen Analyse, Deutung und Integration der fremden, neuen Aspekte kirchlicher Arbeit. 

Abschließend möchte ich sagen, dass ich es prinzipiell wünschenswert finde, über noch andere, weitere Kommunikationsorte zum kollegialen Austausch nachzudenken. Lösungsmodelle, die man in den Blick genommen hat, könnte man ausprobieren und die Erfahrungen daraus wieder erneut in den Austauschprozess einbringen und so die gemeinsame Suchbewegung im Gange halten um verschiedene tragfähige Konzepte zu ermöglichen.

Dieser Vortrag wurde am 10. April 2014 vor den Mitgliedern des Lenkungsbeirates des Projektes Kita+QM im Diakonischen Werk Pfalz in Speyer gehalten.

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