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Dr. Claus Müller

Immanuel-Kant-Weg x, 67346 Speyer

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Einbildung ist auch eine Form der Bildung.“ Diesen Spruch hat meine Mutter öfter benutzt. Vor allem, wenn sie es mit Menschen zu tun hatte, die aufgetretenen sind mit einer Attitüde, als ob sie alles wüssten, den Durchblick hätten und andere belehren könnten; die dann aber durch das, was sie sagten, eigentlich zeigten, dass sie nicht wirklich Ahnung hatten, sondern die ganze Attitüde mehr Schein als Sein war.

„Einbildung ist auch eine Form der Bildung…“ Wahrhaft gebildet zu sein, umfasst also offensichtlich mehr als viele Worte und viel Wind machen zu können. Und Bildung ist auch etwas anderes als eine wilde Ansammlung von Fakten und Informationen – von Fakenews und Halbwissen ganz zu schweigen.

Doch was ist wahre Bildung? Bildung, die diesen Namen verdient? Bildung, die nicht nur Einbildung ist…

Oder umgekehrt…? Bildung, die geradezu Einbildung ist. Denn man kann das Wort Ein-bildung noch ganz anders verstehen. Und dann ist Einbildung nicht nur eine Form der Bildung – sondern sie ist geradezu die wahre Bildung. So würde es zumindest Meister Eckhart sagen. Jener Theologe und Mystiker des 13. Jahrhundert, dem wir das deutsche Wort „Bildung“ verdanken. Denn diesen Begriff, „Bildung“, gibt es so in der Tat nur in der deutschen Sprache. Andere Sprachen sprechen von Erziehung, education, éducation oder Lernen, learning – aber nicht von Bildung.

Dabei vermag gerade dieses Wort „Bildung“ die ganze Fülle, um die es dabei geht, zu erschließen. Und es war Meister Eckhart, der diesen Begriff in die deutsche Sprache eingeführt hat. Für ihn ist Bildung ein zutiefst spiritueller Vorgang. Bildung heißt für ihn nämlich, das Bild Christi in der menschlichen Seele einzuprägen – eben einzubilden. 

„Und wenn sich daher der Mensch in Liebe ganz zu Gott fügt, so wird er entbildet [nämlich von der Welt] und eingebildet und überbildet in der göttlichen Einförmigkeit, in der er mit Gott eins ist.”, so schreibt Meister Eckhart. Bildung ist Einbildung. Die Einbildung Gottes, die Einbildung Christi in die menschliche Seele. Durch die die Seele selbst wiederum christusförmig wird. Alle Bildungsbemühungen zielen für Eckhart auf diese Christusförmigkeit der Seele. Und deswegen ist für ihn alle Bildungsbemühung ein zutiefst spirituelles Unterfangen, das der geistlichen Übung bedarf.

Der deutsche Bildungsbegriff hat somit eine zutiefst theologische und spirituelle Wurzel. Diese ist heute oft vergessen – oder verleugnet. Und dennoch stellt sich m.E. bei jeder Bildungsdebatte explizit oder implizit die Frage: Was ist denn das Bild, auf das hin ihr bilden wollt? Welches Selbst- und Weltbild steht hinter eurem Bildungshandeln? Um welches Bild geht es eigentlich bei der Bildung? Und: Was bildet ihr euch eigentlich ein?

Lassen sie mich diese Frage noch weiterzuspitzen. Gehen wir einen Moment mit Meister Eckhart mit: Es ist das Bild Gottes, genauer gesagt das Bild Christi, das wir in unsere Seele einbilden sollen und das all unser Bildungshandeln prägen und leiten soll.

Aber wie sieht dieses Bild Christi aus? Welches Christusbild leitet uns – und unser Bildungshandeln? Der Wanderprediger aus Galiläa, der Weisheitslehrer, der Sozialrevoluzzer oder der Kyrios, der Pantokrator – der Weltenherrscher, der Richter am Ende aller Zeiten?

Wir haben ja in unserer Umfrage nach wichtigen Bibelstellen für ein protestantisches Bildungshandeln gefragt. Und es wurden viele Stellen genannt: Der Schöpfungsbericht, die 10 Gebote, die Bergpredigt, das Doppelgebot der Liebe, die Gleichnisse Jesu…

Eine Stelle wurde aber interessanterweise nicht genannt; in der es aber eigentlich explizit um einen Bildungsprozess geht: Der Philipperhymnus.

In Phil 2 heißt es: 5 Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:[1] 6 Er, der in göttlicher Gestalt (morphe) war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung (schäma) nach als Mensch erkannt. 8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. 9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, 10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, 11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Zugegeben, man könnte diesen Hymnus geradezu als Anti-Bildungstext bezeichnen. Denn da gibt Christus seine göttliche Gestalt auf – um ganz Mensch zu werden. Er gibt die Gottesgleichheit auf und nimmt Knechtsgestalt an. Er taucht ganz hinein in das Menschsein bis in die Tiefen des Leidens und des Todes – und verändert gerade so die Spielregeln, die Textur der Wirklichkeit, das Weltbild, das Gottesbild. 

Gott ist nicht mehr oben – sondern unten. Nicht mehr unbewegt – sondern mitleidend, Mitmensch. Nicht mehr der Vergangene – sondern der Kommende.

Lassen Sie mich Eckhart und den Philipperhymnus zusammendenken: Wie gestaltet sich unser Bildungshandeln, wenn wir dieses Bild Christi vor Augen und in unserer Seele haben? Wenn wir uns dieses Bild Christi einbilden? Das Bild dessen, der auf seine Göttlichkeit verzichtet und ganz Mensch wird und uns gerade so Gott in unser Leben und in unsere Welt bringt. Und damit die Welt verändert.

Wo müssen wir als Kirche vielleicht auf hohe Ansprüche und Privilegien verzichten und ganz Mitmenschen werden? Um gerade so die Schemata dieser Welt zu verändern? Und: Was bedeutet es, wenn wir Bildung als spirituelles Geschehen verstehen.

Diese Fragen stellen sich mir, in Nachdenken über Bildung und kirchliche Bildungsarbeit. Sie sind nicht einfach zu beantworten – und schon gar nicht am grünen Tisch des Landeskirchenrates.

Vielmehr möchte ich all diese Fragen gerne mit Ihnen bedenken, meditieren und diskutieren. Dazu ist heute bei unserem Werkstatttag Raum und Zeit und Gelegenheit. Deshalb freue ich mich auf diesen Tag heute, auf alle Gespräche und Diskussionen. Und bin gespannt auf unsere Ergebnisse. 

Lassen Sie mich schließen mit einem Wort von Eckhart, das unsere Diskussionen begleiten möge: „Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart. Der bedeutendste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht. Das notwendigste Werk ist stets die Liebe.“ In diesem Sinn: Machen wir uns an die Arbeit! Auf die wir uns dann am Ende sicherlich etwas „einbilden“ können.

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