Die Wallonen und die Entwicklung des Tuchmachens in Lambrecht/Pfalz
Dr. Claudia KlemmMainstraße 10, 64347 Griesheim Der heutige Tag des offenen Denkmals in Lambrecht/Pfalz bei Neustadt an der Weinstraße steht ganz im Zeichen der…
Mit Waffengewalt gegen das Böse?
Dr. Stefan MeißnerIm Schloßgarten 10, 76872 Minfeld Kritische Einwände eines „Gutmenschen“ – zugleich ein Beitrag zum Thema „Reformationund Politik“ In einem Artikel des Evangelischen Kirchenboten (25/2014, S. 3) kritisiert der SpeyererMilitärgeistliche Ulrich Kronenberg die „pazifistische Friedensethik der evangelischen Kirche“.Wäre das Thema „Reformation und Politik“ nicht gerade so brandaktuell, hätte ich seineVerbalattacken gegen pazifistische „Gutmenschen“ und „Weltverbesserer“ vielleicht ignoriert. Abergerade der sich auf Luther berufende Duktus seiner Argumentation fordert mich heraus, seinenAussagen an drei zentralen Punkten zu widersprechen. 1. Sind wir weltfremd? Der erste Einwand betrifft den von Kronenberg erhobenen Vorwurf der Weltfremdheit desPazifismus. Der Mensch sei nun einmal böse, deshalb käme man um den Einsatz vonWaffengewalt nicht vorbei, um diesen in Zaum zu halten. Nun bin ich weit davon entfernt, zuleugnen, dass der Mensch dem Menschen zuweilen zum Wolf wird. Ein Blick in die Nachrichtengenügt, um sich von dieser traurigen Tatsache zu überzeugen. Die Frage ist allerdings, ob dieAndrohung und Anwendung von Waffengewalt wirklich geeignet ist, die menschliche Bosheit zuüberwinden. Mir scheint es vielmehr in der Konsequenz militärischen Denkens zu liegen, dass dieKette von Gewalt und Gegengewalt nicht abreißt. Wer sich die Ergebnisse der militärischen Interventionen der letzten Jahrzehnte vorurteilsfreianschaut, wird zugeben müssen, dass die Idee, dem Bösen durch Waffen Einhalt zu gebieten, alsgescheitert betrachtet werden muss. In kaum einem Krisengebiet haben sich die Hoffnungen desWestens erfüllt, mit militärischen Mitteln eine nachhaltige Stabilisierung der Lage herbeizuführen.Frau Käßmann hat Recht: „Nichts ist gut in Afghanistan.“ Das sollte der Kollege bei seinemviermonatigen Einsatz im Einsatzgebiet eigentlich gemerkt haben. Stattdessen versucht er, dieFolgen des Militäreinsatzes schön zu reden. Nein, wer als Soldat aus dem Kriegsgebiet heimkommt, den kümmern tatsächlich keine Parkplatzprobleme mehr. [1] Der hat wahrlich oft andereProbleme: posttraumatische Belastungsstörungen bis an sein Lebensende. Von den mittlerweileTausenden von zivilen Opfern, die der Krieg am Hindukusch gefordert hat und der nach wie vorproblematischen Sicherheitslage ganz zu schweigen. Selbst Afghanistan-Experten derBundesregierung geben mittlerweile unumwunden zu: „Wir haben Afghanistan mit Hoffnungen undIllusionen überfrachtet“. [2] Dieses negative Resümee in Blick auf Afghanistan ließe sich problemlos auf andere aktuelleBrandherde wie Libyen oder den Irak übertragen. Wo bleiben denn die angeblichen Erfolge derach so nüchternen Machtpolitiker? Haben die warnenden Stimmen aus dem Lager der„gouvernantenhaften Weltverbesserer“ [3] am Ende mehr Gespür für die Realität gehabt als dieWeltpolizei spielenden Säbelrassler? 2. Sind wir (un-)politisch? Kollege Kronenberg führt gegen den Pazifismus die Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers an, dieangeblich eine Einmischung in politisches Handeln verbiete. Doch was den WittenbergerReformator selbst angeht, so hat dieser sich nie gescheut, der Obrigkeit Ratschläge zu geben:Etwa als er gegen das aus dem Ruder laufende Kreditwesen seiner Zeit wetterte (1519/20), als erdie Fürsten ermunterte die aufständischen Bauern tot zu schlagen (1525), oder die ungläubigenJuden aus dem Land zu jagen (1543). In all diesen Fragen war Luther alles andere als politischabstinent. Ähnliches gilt übrigens auch weithin für das Luthertum späterer Jahrhunderte: DasLandesherrliche Kirchenregiment, anfangs als Notordnung gedacht, geriet im Kaiserreich zu einembedenklichen Bündnis von ‚Thron und Altar‘. Als Adolf Hitler sich anschickte, die deutscheGesellschaft gleich zu schalten, lieferten lutherische Kreise mit ihrer Volksnomos-Lehre denideologischen Überbau. Gegen politische Einmischung – so ist mein Eindruck – predigt dasLuthertum immer dann mit Vorliebe, wenn die Politik nicht die von ihm favorisierte national-konservative Richtung einschlägt. Statt politischer Einreden fordert Kronenberg, die Botschaft der Heiligen Schrift wieder zu Wortkommen zu lassen. Doch ist es wirklich eine „Hinwendung zur Bibel“, wenn er zum Zweck derLandesverteidigung und der Nothilfe den Einsatz von Waffen als ultima ratio fordert? Hat Jesusseine Jünger wirklich gelehrt, dem Bösen mit Gewalt zu widerstehen (Mt 5,38)? Waren estatsächlich Soldaten, die er selig gesprochen hat – oder nicht doch die von unseremMilitärgeistlichen der „Selbstgerechtigkeit“ und „Hybris“ bezichtigten Pazifisten? [4] Ich versuchemir auszumalen, was Kronenberg entgegnen könnte. Würde er in der Nachfolge Luthers dasbiblische Gebot der Feindesliebe so weit weichspülen, dass von ihm kein Anstoß mehr ausgeht?Die Bergpredigt als Sündenspiegel, ohne jede politische Relevanz, bestenfalls im Privaten nochvon Nutzen? Ist das tatsächlich noch immer state of the art im Protestantismus? Man täusche sichnicht: auch das wäre ein politisches Statement. Ein verheerendes allerdings, wie ich finde. 3. Führen wir ‚gerechte Kriege‘? An einer Stelle scheint Kronenberg aus der Geschichte gelernt zu haben, wenn er nämlich sagt,ein Krieg sei „niemals gerecht“. Widerspricht er hier der kirchlichen Lehre vom „gerechten Krieg“,mit der schon so viel Gewalt in der Geschichte ideologisch verbrämt wurde? Mancher Pazifist wirdan dieser Stelle innerlich applaudieren. Aber mit welchem Recht? Muss nicht, wer militärischeGewalt als ultima ratio legitimiert, seine rationes, d.h. die Grundsätze seines Handelns einerkritischen Überprüfung unterziehen? Kriege sollen „nach Gottes Willen nicht sein“ (1948 derÖkumenische Weltrat der Kirchen), aber sie werden bis heute de facto noch immer geführt. Weildies so ist, müssen sich diejenigen, die sich der Logik des Krieges verschrieben haben, auchimmer noch fragen, ob ihre Kriege nach den traditionellen Kriterien gerecht bzw. gerechtfertigtsind. Bei einigen Militäreinsätzen, an denen die Bundeswehr beteiligt war bzw. ist, kommen mirdiesbezüglich stellenweise zumindest Zweifel. Einige Beispiele müssen um der gebotenen Kürzewillen genügen. Das Recht zum Krieg (jus ad bellum) fordert eine legitime Autorität. Doch wer repräsentiert diesein einer Demokratie: die Bundesregierung oder das Parlament? In der Geschichte der Bundeswehrgab es immer wieder Kriseneinsätze, in denen eine Regierung Soldaten ohne vorhergehendenParlamentsbeschluss entsandt hat. [5] Während bei uns das Bundesverfassungsgericht dagegennun glücklicherweise einen Riegel vorgeschoben hat, ist es beispielsweise in den USA demPräsidenten möglich, Truppen ohne vorherige Zustimmung des Kongresses einzusetzen. Alsgerechter Grund für einen Krieg ist die Notwehr unstreitig. Auch die Unterstützung einesangegriffenen Bündnispartners – Kronenberg würde von Nothilfe sprechen – erfüllt nachübereinstimmender Meinung dieses Kriterium. Doch kann man wirklich mit Ex-Verteidigungsminister Peter Struck sagen, Deutschlands Sicherheit werde am Hindukuschverteidigt? [6] Nach dem damaligen Bundespräsident Köhler führten wir den Krieg in Afghanistan,„um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“. [7] Das war vielleicht eineehrliche Auskunft von unserem Staatsoberhaupt, aber eine „gerechte Absicht“ (recta intentio) füreinen Krieg stellt das Streben nach wirtschaftlichem Gewinn gewiss nicht dar. Krieg muss wirklichletztes Mittel sein, wenn alle andern Mittel (Diplomatie, Sanktionen etc.) bereits ausgeschöpft sind.Vor allem fordert das ius ad bellum eine begründete Hoffnung auf Erfolg. Doch ist ein kurzfristigermilitärischer Sieg noch lange kein nachhaltiger Erfolg. Weder im Falle Afghanistans noch inSachen Irak hatte der Westen einen realistischen Plan für die „Zeit danach“. Entsprechend düstersieht die Zukunft dieser Länder aus. Schließlich verlangen das Recht…
Auch die Leere des Universums hält manche Lehre bereit
(Henning Genz, Die Entdeckung des Nichts – Leere und Fülle im Universum, rororo, Hamburg 1999, 360 zu lesende Seiten plus 37 Seiten Anhang) Karl…
Die Heiligung am Sabbat
Helmut Aßmann Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen Der Sabbat ist der Sabbat des Herrn und Jesus ist der Herr über den Sabbat – Wie durch…
Diakonie und Staat – wechselseitige Wünsche und Forderungen
Einige thesenhafte Überlegungen aus Anlass eines Gesprächsabends der EvangelischenAkademikerschaft Pfalz am 5. November 2012 in Ludwigshafen Dr. Werner SchwartzHilgardstraße 9, 67346 Speyer Diakonie und Staat haben wechselseitige Erwartungen, Wünsche und Forderungen. Der Staat aufseinen unterschiedlichen Ebenen: von der Kommune bis zu Europa, erwartet etwas von der Diakonie,in unserem Land zumindest. Und die Diakonie erwartet etwas vom Staat. Reizvoll wäre es, dasThemenfeld um die Kirche zu erweitern, also zu fragen, wie die Diakonie in ihren eigenen Erwartungenund denen, die an sie gerichtet sind, zwischen Staat und Kirche steht. Aber dies ist nicht Gegenstanddieser Überlegungen. In ihnen geht es um die Wünsche und Forderungen, die Staat und Diakonieaneinander richten. Ich wähle den langen Anlaufweg zu diesem Thema, den über die Geschichte, weil auf diesemHintergrund deutlich werden kann, wie sich die spezifischen Erwartungen in Mitteleuropa und – genauer – in Deutschland aufgebaut haben. 1. Die Anfänge der Diakonie – 1. bis 16. Jahrhundert Diakonie begann in der frühen christlichen Gemeinde als Hilfe für bedürftige Gemeindeglieder. DieSorge für Witwen und Waisen und die Armen der Gemeinde war Christenaufgabe. Die Gemeindesetzte darin die jüdische Barmherzigkeitskultur fort. Die rasante Ausbreitung des christlichen Glaubensin den ersten drei Jahrhunderten hängt wohl mit der Attraktivität dieser gelebten Nächstenliebezusammen. Als im 4. Jahrhundert das Christentum zur Staatsreligion wurde, übertrug der byzantinische StaatAufgaben der Sozialfürsorge auf die Kirchen und die Bischöfe. Sie hatten etwa Notvorräte fürHungerszeiten und eine Versorgung der Kranken zu gewährleisten. Im Zug der Ausbildung desMönchswesens übernahmen zunehmend Klöster diese Aufgaben, später trat auch der Adel teilweise indiese Verpflichtung ein. Mit der Entstehung des Bürgertums im ausgehenden Mittelalter und der Entwicklung einesentsprechenden Selbstbewusstseins sahen die Magistrate der Städte die Armen- und Krankenfürsorgeals ihre Verpflichtung, die sie zumindest für die ortsansässige Bevölkerung regelten. Die Reformationunterstützte diese Rollenverteilung; Sozialfürsorge blieb staatliche Aufgabe, eine kirchliche Diakonieentstand allenfalls rudimentär in der reformierten Tradition, vornehmlich in den Niederlanden. 2. Der neue Aufbruch der Diakonie – 17. bis 19. Jahrhundert Im Pietismus des 17. und 18. Jahrhunderts und verstärkt in den Erweckungsbewegungen des 19.Jahrhunderts wurde die inzwischen weithin erfolgte Reduktion kirchlicher Tätigkeit auf die kulturelleSeite des Glaubens zunehmend in Frage gestellt. Die Kraft des Glaubens zur Tat wurde neu entdeckt.Erste Liebeswerke entstanden, etwa in Halle die Franckeschen Stiftungen seit 1695. Über einJahrhundert später führten die Wirren der napoleonischen Kriege und die tiefgreifenden Umwälzungender industriellen Revolution mit einer sozialen Verelendung breiter Bevölkerungskreise verstärkt zueiner Neubesinnung auf die Notwendigkeit tätiger Nächstenliebe. Einzelne Christen schlossen sichzusammen, auf der Basis bürgerschaftlichen Vereinswesen entstanden die konfessionellenSozialeinrichtungen. Das Rettungshaus von Christian Heinrich Zeller in Beuggen, der Lutherhof von Johannes Falk inWeimar, der Weibliche Verein für Armen- und Krankenpflege von Amalie Sieveking in Hamburg, dasRauhe Haus von Johann Hinrich Wichern dort, das Diakonissenmutterhaus von Theodor Fliedner inKaiserswerth gehören zu den ersten Einrichtungen. Die Stegreifrede Wicherns beim WittenbergerKirchentag („Die Liebe gehört mir wie der Glaube“) war ein landesweites Fanal, sie führte zur Gründungdes Central-Ausschusses für Innere Mission und zu einer großen Zahl weiterer Gründungen vonKrankenhäusern, Kinder-, Jugend- und Behinderteneinrichtungen, Herbergen für Nichtsesshafte usw.Neben diesen diakonischen Initiativen entstanden freilich bald auch rein humanitär motivierteEinrichtungen und solche aus der Arbeiterbewegung. 3. Konsolidierung und Infragestellung der Diakonie – 1. Hälfte 20. Jahrhundert Im Kaiserreich entwickelte sich bereits in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts der SozialstaatBismarckscher Prägung, wesentlich veranlasst durch die Angst vor der Bedrohung durch denSozialismus. In den Krisenzeiten im Ersten Weltkrieg wurden die in den Jahrzehnten zuvorentstandenen Einrichtungen in freier Trägerschaft in das Konzept der staatlichen Daseinsfürsorgeeinbezogen und mit erheblichen Mitteln bezuschusst. Anders als beim Reich war bei den freien Trägernwie allenfalls noch bei den Kommunen eine Infrastruktur vorhanden, die eine effiziente Sozialarbeitmöglich machte. Die Diakonie ordnete sich in das System ein und spielte dort ihre Rolle, Leistungender Sozialfürsorge anzubieten.[1] Dieser Prozess setzte sich in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg fort. Der Staat übernahm inkrisenhaften Zeiten zunehmend die Rolle der Daseinssicherung mithilfe des inzwischen aufgebautenRenten- und Krankenversicherungssystems und zusätzlich eingesetzter Steuermittel. Er bediente sichdabei neben den kommunalen Institutionen der etablierten Sozialverbände der Freien Wohlfahrtspflege,die er durch Mittelzuweisung in die Lage versetzte, ihre Aufgabe zu erfüllen. Es etablierte sich einSystem von Hilfe durch Diakonie, Caritas, Arbeiterwohlfahrt, Paritätischen Wohlfahrtsverband undRotes Kreuz neben einigen kleineren Anbietern. Auf der Basis voneinander partiell unterschiedenerweltanschaulicher und religiöser Motivationen und Zielvorstellungen sorgten diese Einrichtungenzusammen mit den Kommunen für eine flächendeckende Organisation staatlicher Hilfeleistungen. DerWohlfahrtsstaat deutscher Prägung mit dem Zusammenspiel staatlicher und freigemeinnützigerEinrichtungen entstand. Im nationalsozialistischen Staat allerdings übernahm zunehmend der Staat die Steuerung desSozialwesens durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, andere traditionelle Anbieter wurdengleichgeschaltet oder suchten sich in einer Nische zu behaupten. 4.…
Die These in den Reden Schleiermachers, dass „Philosophie und Ethik in der Religion ihre Einheit finden“…
Helmut Aßmann Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen … und ihr Verhältnis zum Artikel der Glaubenslehre „wie sich die Gemeinschaft mit derVollkommenheit und Seligkeit des Erlösers in der einzelnen Seele ausdrückt“. In der zweiten Rede – „ Über die Religion – Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“aus dem Jahr 1799 – bezeichnet Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher die Religion als dasHöhere gegenüber Philosophie und Ethik. Für Schleiermacher lagen Ethik und Philosophie,die er mit Kants kategorischem Imperativ einerseits und der platonischen Ideenlehreandererseits gleichsetzte, weit auseinander. Was er anstrebte, war keineswegs nur dieVermittlung zwischen der Kritik der Praktischen Vernunft, die die Religion ganz auf das Gebietder Ethik verwies und der Lehre Platos von den Ideen des Wahren, Schönen und Guten,mithin eine Vermittlung zwischen Philosophie und Ethik, sondern die Bestimmung dessen, wasReligion und Frömmigkeit ihrem Wesen nach und im Unterschied von den beiden ersterensind. Wenn nämlich in der Religion Ethik und Philosophie ihre Einheit finden, wie er in derzweiten Rede schreibt, muss diese eine eigene Wahrheit besitzen, die von der Wahrheit derEthik und der Philosophie zu unterscheiden ist. In der Dialektik hatte Schleiermacher seine Lehre vom Menschen entfaltet. Dort bestimmte erden Menschen als ein Wesen aus Vernunft, Wille und Gefühl. Daraus folgt für ihn, dass derWille der Gegenstand der Ethik ist, die Vernunft der Gegenstand der Philosophie und dasGefühl der Gegenstand der Religion. In § 3 der Glaubenslehre von 1830/1831 definiert Schleiermacher sein Verständnis vonFrömmigkeit. Er sagt: „Die Frömmigkeit, welche die Basis aller kirchlichen Gemeinschaftenausmacht, ist rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Thun, sondern eineBestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewusstseins.“ Das unmittelbare Selbstbewusstsein als der Ort der Frömmigkeit ist vom gegenständlichenSelbstbewusstsein zu unterscheiden, das im Unterschied zu diesem vermitteltesSelbstbewusstsein ist. In § 4 unterscheidet Schleiermacher „das sich selbst gleiche Wesen derFrömmigkeit“ als Gefühl von allen andern Gefühlen dadurch, „daß wir uns unserer selbst alsschlechthin abhängig, oder, was dasselbe sagen will, als in Beziehung zu Gott bewusst sind.“ Religion ist also Gefühl, Gefühl ist Frömmigkeit, Frömmigkeit ist unmittelbaresSelbstbewusstsein, unmittelbares Selbstbewusstsein ist schlechthinnigesAbhängigkeitsbewusstsein, schlechthinniges Abhängigkeitsbewusstsein ist das Bewusstsein,in Beziehung zu Gott zu sein, das heißt, es ist Gottesbewusstsein, wie Schleiermacher es imersten Teil der Glaubenslehre in den §§ 50-56 ausführt, wo er die Eigenschaften Gottes ausdem frommen Selbstbewusstsein des Menschen ableitet und nicht aus dem Begriff Gottes,wie es die Scholastik getan hat, indem sie die Gotteslehre zum Gegenstand der reinenVernunft gemacht hat, eine Vorgehensweise, die nach Kants „Kritik der reinen Vernunft“ – unddarin folgt Schleiermacher Kant – keine Möglichkeit der Theologie mehr sein kann. Eine Lehre von Gott lässt sich also nur aus dem frommen Selbstbewusstsein entfalten, nichtaus der Vernunft, sie ist Gegenstand der Religion, nicht der Philosophie. Diese PositionSchleiermachers widerspricht auf eminente Weise der Vernunftreligion der Aufklärung z.B. dereines Herbert von Cherbury, sowie Spinozas Pantheismus „sive deus – sive natura“, aber vorallem auch der Scholastik. Wenn nun der Wahrheitsanspruch der Religion in der empirischen Frömmigkeit liegt, aus derallein die Lehren der Religion deduziert werden können, wie verträgt sich das dann mit derAussage Schleiermachers in der zweiten Rede, dass Philosophie und Ethik in der Religionihre Einheit finden und die Religion dann im Vergleich zu jenen beiden das Höhere ist, daimmer, wenn zwei in einem Dritten ihre Einheit finden, das Dritte im Verhältnis zu jenen beidendas Höhere ist, wodurch die Religion zur höchsten Geistestätigkeit wird? Dieser Gedankeenthält im Ansatz eine Phänomenologie des Geistes. In seinem gleichnamigen Werk hat Hegel 1807 den Gedanken ausgesprochen, dass Theseund Antithese in der Synthese aufgehoben sind und das heißt, dass sie in ihr ihre Einheitfinden. Wie bei Schleiermacher die Religion das Höhere im Verhältnis zu Philosophie undEthik ist, ist auch bei Hegel die Synthese das Höhere im Verhältnis zu These und Antithese,die beide in ihr ihre Einheit finden. Während aber Hegels „Phänomenologie des Geistes“ zurGeschichtsphilosophie wird, in der er Gott die Rolle des Weltgeists zuweist, wirdSchleiermachers Phänomenologie des Geistes in seinen „Reden über die Religion“, die erbereits 1799, also acht Jahre vor Hegels „Phänomenologie des Geistes“, veröffentlich hatte,zur „Christlichen Glaubenslehre“. Indem er von der Idee der Religion ausgeht, nicht von derIdee Gottes, führt er seine Lehre von der Einheit von Philosophie und Ethik in der Religion inden Lehnsätzen aus der Religionsphilosophie in den §§ 7-10 der Einleitung zur Glaubenslehreaus.…

