“Wandeln und Gestalten”

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Thomas Jakubowski
Sachsenstraße 2, 67105 Schifferstadt 

Anmerkungen und Hinweise zum EKD-Text 87 zur kirchlichen Situation in ländlichen Regionen

Diese Studie, die unter der Leitung von Bischof Hein entstanden ist, beschäftigt sich vor allem mit dem Leitbegriff Mission: „Wie kann Kirche den Menschen nahe sein und bleiben, ohne sich selbst und vor allem ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter … dauerhaft zu überfordern?“ (S. 7)

Der Text ist im Januar 2007 veröffentlicht worden und steht im Schatten der Diskussion um das Impulspapier und dem Kongress in Wittenberg. Dieser Zukunftskongress wollte das Reformvorhaben in der EKD voranbringen und liturgisch adeln, ohne auf die Stimme der Synoden und ohne auf die Mitwirkung von Pfarrerinnen und Pfarrer zu hören.

Es ist zu hoffen, dass die EKD – Synode im Herbst endlich ein Machtwort spricht und die Impulse als Vorschläge und nicht als Pläne bewertet. Gerade auch die Vorwürfe gegen Pfarrerinnen und Pfarrer und die in sich unstimmige Zahlenspiele vom Einsatz von Pfarrerinnen und Pfarrern in den Kirchengemeinden entwerten die gute Absicht des Impulspapiers, nämlich als Diskussionsgrundlage für eine zukünftige Gestaltung der kirchlichen Arbeit innerhalb der EKD. Es wurde gerade mit dem Kongress in Wittenberg versucht aus einem Gespräch über die Zukunft, ein Plan für die Gegenwart zu machen. Bevor dies gemacht werden kann, muss erst einmal genau hingeschaut werden.

Zu diesem genauen Hinschauen lädt die Studie „Wandeln und Gestalten“ ein. Mit dem Schema sehen – urteilen – entscheiden – handeln, werden keine festen Vorgaben gemacht, sondern Schemata angeboten, mit deren Hilfe in der je besonderen Situation, vor allem im ländlichen Raum missionarische Zukunftschancen und – aufgaben angegangen werden können. So sollen Hinweise gesammelt, die Wahrnehmung mit Hilfe von überprüfbaren Kriterien geschärft, die Einordnung der Entwicklungschancen in Vergleichsraster vorgenommen, theologische Zielsetzung und Strategie formuliert und schließlich einzelne kirchliche Handlungskonsequenzen benannt werden.

Dieses Vorgehen orientiert sich nicht so sehr wie das Impulspapier an Unternehmungsberatungsideologien im Sinne eines Lernens von wirtschaftlichem Denken, sondern bedient sich dem Instrumentarium der aktuellen Raumplanung. Ich vermute, dass die Mitarbeit von zwei Landräten hier deutliche Spuren hinterlassen hat. Ich erhoffe mir mit diesem Paradigmenwechsel eine bessere Zukunftsgestaltung als mit dem Gerede über Leistungssteigerung der kirchlichen Amtsträger und Zentralisierung kirchlicher Aufgaben in der EKD.

Gerade bei der Vorstellung der Typen kirchlicher Entwicklung zeigt sich doch, dass es hier nicht im ein Gegeneinader von parochialen und gesamtkirchlichen Kirchentheorien geht, sondern um den angemessenen Einsatz von Modellen in den jeweils genau analysierten Situation. Die Offenheit für verschiedene Lösungen und das Nebeneinander von unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen erhellt die eigentliche Krise der Kirchen in Deutschland, dass es nämlich nicht die eine Lösung geben kann, egal woher sie kommt. Jedes Reagieren auf gesellschaftliche Entwicklungen darf nicht einer Ideologie dienen, sondern muss wirklich dem dienen, dass wir nämlich alle wachsen, in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.

Die raumplanerische Analyse und die Einordnung in Typen macht es – wie ich finde – leicht, den Wandel zu gestalten.

So unterscheidet die Studie strukturschwache, periphere und ländliche Räume. Aus dieser Analyse ergeben sich verschiedene Wachstumsperspektiven. Dabei wird die Infrastruktur genau angeschaut und die Nähe bzw. Ferne von Städten berücksichtigt. Bildungseinrichtungen, Tourismus, Landwirtschaft, Wohngebiete, Arbeitsplätze, Nahverkehr und Natur werden wahrgenommen und in ihrer Bedeutung bewertet. An dieser Stelle finde ich die konkreten Beispiele weiterführend und sehr anschaulich.

Auf den Seiten 40 ff wird der Begriff Wachstum theologisch hinterfragt und gegen Fehldeutungen abgegrenzt. Besonders die Öffnung für die Menschen, die eben nicht die „Kerngemeinde“ darstellt, finde ich bemerkenswert. So wird hier deutlich, dass Wachstum auch ein Mentalitätswandel bedeutet, als eine Veränderung des Bewusstseins, ohne nur die Institution losgelöst als Selbstzweck zu erhalten. Argumentiert wird hier mit der These 6 der Barmer theologischen Erklärung: Die Botschaft … an alles Volk auszurichten. Dabei sollte allerdings auch die 3. These nicht vergessen werden, in der die Entwicklung der Welt auch deutlich relativiert wird: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.“

Der Abschnitt über den Pfarrberuf (S. 55) schließt mit einer Forderung nach deutlicher Entlastung für den Pfarrdienst z.B. im Verwaltungsbereich, nachdem die Bedeutung und die Schwierigkeiten des Pfarrers und des Pfarrerinnen Seins im ländlichen Raum entfaltet wurde.

Im Gegensatz zum Impulspapier werden hier keine Vorurteile gegen PfarrerInnen gepflegt oder Kürzungsszenarien und Einsparungspotenziale vorgetragen, sondern die Schwierigkeiten dargestellt. Der Ball wird eben nicht auf die Pfarrerinnen und Pfarrer geschmettert, sondern zum Dialog angeregt. Die Kirchenleitung wird in die Pflicht genommen, die die Aufgabe zugewiesen bekommt, geeigneten theologischen Nachwuchs zu finden.

Die Strategien ab Seite 56 zeigen nochmals die Offenheit für verschiedene Gemeindemodelle, ohne dass es ein Denkverbot gibt. Die Gewährleistung von Grundvollzügen kirchlichen Lebens, spezielle Arbeitsschwerpunkte, lebensraumbezogene Netzwerkgemeinden, geistliche Zentren, besondere Wachstumsgemeinden, vernetze Kirchengemeinden bedeuten sowohl eine Verdichtung von Angeboten, als auch eine Rückzugsbewegung aus der Fläche. Dieser scheinbare Widerspruch ergibt sich nur aus dem bisherigen Denken in parochialen Monokulturen. Die Strategie ergibt sich ja nicht aus der Kirchentheorie, sondern aus der je besonderen Gegebenheit des kirchlichen Raums und kirchlichen Ortes. Die Wirkung von Frau Dr. Uta Pohl – Patalong, die der Arbeitsgruppe bis Januar 2006 angehört hat, ist hier deutlich zu spüren.

Der Mut zum Handeln wird spürbar in wenigen aber klaren Hausaufgaben, die zu machen sind. Manche dieser Aufgaben sind in einigen Landeskirchen bereits erledigt. Andere Aufgaben, dies macht die Studie sehr schön deutlich, sind eben nicht oder nur schwer lösbar. Auch diese Erkenntnisse sind wesentlich für eine zukünftige Entwicklung in die richtige Richtung, bei der die Kirche im Dorf bleiben wird. Bei den personalpolitische Maßnahmen wird zwar eine Pfarrstellenkürzung erwähnt, aber gleichzeitig auf die Angemessenheit dieser Kürzungen verwiesen. Die Entlastungsmaßnahmen im und die Werbung für den Pfarrdienst weist den Pfarrerinnen und Pfarrer keine Schuld zu, sondern stellt sie dorthin, wohin alle Bereiche der Kirche gehören, nämlich als Teil des Ganzen. Dazu gehört auch die geforderte rechtliche Klärung der Rechte der Ehrenamtlichen gegenüber den Hauptamtlichen. Diese Schnittstelle endlich und vor allen sauber zu definieren ist eine der wichtigsten Aufgaben im Protestantismus in der nahen Zukunft.

Das Schlusswort der Studie versprüht nicht nur Mut, sondern dazu noch eine ordentliche Portion visionärer Optimismus. Hier wird nicht die demographische Situation bejammert, sondern über die Familienfreundlichkeit als Schlüsselbegriff regionaler Entwicklung eine Chance formuliert: Kirche als Trägerin und Förderin regionaler Entwicklung bedeutet kein resignierter Rückzug, sondern eine mutiges Schreiten in die Zukunft. Vielleicht wäre es auch gut Menschen in der Kirche mit den Erkenntnissen von Raumplanung, Demographie und Geographie auszustatten, und nicht nur Fundraisingfortbildungen anzubieten?

So kann ich die Lektüre dieser Studie nur empfehlen. Ich habe mich dabei nicht geärgert, wie beim Impulspapier, das auch gute Anregungen bereit hält, zugegeben. Die Studie Wandeln und Gestalten zeigt einen Weg aus dem Dilemma sich für oder gegen die Parochie oder die Themenkirche bzw. Eventkirche zu entscheiden. So hoffe ich, dass diese Studie gelesen und diskutiert wird, auch hier bei uns in der Pfalz.

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