„Berufen – wozu?“ Zwei Rezensionen

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Thomas Jakubowski
Sachsenstraße 2, 67105 Schifferstadt

Zur gegenwärtigen Diskussion um das Pfarrerbild in der Evangelischen Kirche

Besprechung des Buches „Berufen – wozu?“, von Präses Nikolaus Schneider und Kirchenrat Dr. Volker A. Lehnert

Nach der intensiven Lektüre des Buches kann ich nicht nur eine klare Leseempfehlung aussprechen, sondern auch das Buch als ein „Muss“ einstufen – insbesondere für alle, die sich mit dem Entwurf zum EKD-Pfarrerdienstgesetz beschäftigen. In elf Kapiteln wird die aktuelle Diskussion um das Pfarrbild aus verschiedenen Blickwinkeln kurz und übersichtlich dargestellt. Hilfreich ist vor allem die ökumenische Weite der Übersicht. Deutlich wird in der Darstellung, dass es sehr verschiedene Pfarrbilder gibt, die dann auch unterschiedliche Konsequenzen für die Stellung des Pfarramtes in der Kirchengemeinde haben.

Ist das Pfarramt unterhalb, innerhalb oder über der Kirchengemeinde anzusiedeln? Sind Pfarrerinnen und Pfarrer Teil der Kirchengemeinde oder nicht? Diese Fragen werden nicht beantwortet, sondern als Leitfragen dargestellt. Die Antwort muss in der jeweiligen Landeskirche erfolgen und in den Kirchenordnungen abgebildet werden. Dies gilt selbstverständlich auch für das EKD-Pfarrerdienstgesetz, welches zur Zeit diskutiert wird. Leider wird auch hier zuerst das Gesetz gemacht und dann über das Pfarrerbild nachgedacht. Das neue Gesetz sollte umgekehrt einer Konzeption folgen und nicht nur neue Fragen und Konfrontationen hervorrufen.

In Kapitel 3 zum Allgemeinen Priestertum wird das Verhältnis zwischen dem Verkündigungsamt und der Gemeinde besprochen. An dieser Stelle sollte eigentlich geklärt werden, was implizit immer wieder bewegt wird: Wie ist nun das Verhältnis zwischen dem bezahlten, öffentlichen Verkündigungsamt und dem unentgeltlichen, kirchenleitendenPresbyteramt? Ein Gegenüber lässt sich vermuten, aber eine Kirchenordnung muss klareWege,

Kompetenzen und vor allem Grenzen setzen. Dies ist die eigentliche Aufgabe von Kirche, nämlich Ordnung zu schaffen, und nicht die Unordnung zu vergrößern. Die Trennung zwischen dem Dienst der Gemeinde und den institutionalisierten beruflichen Ämtern wird zwar in der Evangelischen Kirche im Rheinland grundsätzlich festgestellt, so auf der Seite 52 im Unterabschnitt „Ordination“. Allerdings wird das Amt der öffentlichen Verkündigung aus dem Prinzip des allgemeinen Priestertums abgeleitet und diesem unterstellt. Dabei wird ausgeblendet, dass das allgemeine Priestertum vor allem die Unmittelbarkeit zu Gott anspricht und nicht die Heilsvermittlung durch andere Menschen. Dies wäre ein klares und bewusstes Missverstehen der Abgrenzung zwischen katholischem und den verschiedenen evangelischen Amtsverständnissen. Das Gegenüber von Amt und Gemeinde wird nicht aus einer Unter- oder Überordnung definiert, sondern aus einer in sich geschlossenen Aufgabenbeschreibung in der jeweiligen Kirchenordnung. Weiterführend ist der Verweis auf Seite 55, wo auf den Zweck der Ordination hingewiesen wird, nämlich was dem allgemeinen Priestertum der Glaubenden dient –  so wird Eberhard Jüngel zitiert –, also der Heranführung zur jeweiligen persönlichen Unmittelbarkeit zu Gott.

Es wird auf die Gefahr hingewiesen, dass ein gestiftetes Amt den einzelnen von der Pflicht zum Dienen entlasten könnte. Diese katholisierende Gefahr besteht zu Recht, aber gerade dazu sind die Ämter ja geordnet und eingesetzt! Eine pfarrerzentrierte Kirche ist nicht durch die Pfarrerinnen und Pfarrer entstanden, sondern durch eine Abkehr vom allgemeinen Priestertums der Getauften und durch fehlende Leitungshandlung der Gremien in Kirchengemeinden und Synoden. Der Fehldeutung, dass Pfarrerinnen und Pfarrer die Pfarrerzentriertheit verursacht haben, muss entschieden widersprochen werden, und Petry auf der Seite 58 hat Recht: Das Amt dient, es bedient nicht.

Dabei ist zu unterscheiden zwischen einer Konzentration auf die Gewinnung und Schulung von Ehrenamtlichen gegenüber der Stärkung der christlichen Lebenspraxis. Mit meinen Worten sind die Anleitung zum Dienst und die Anleitung zur christlichen Praxis komplementär und dürfen auf keinen Fall gegeneinander ausgespielt werden. Dies wird in der Forderung nach einem Konsens im Pfarrerbild auf Seite 63 zugespitzt, nachdem zum wiederholten Mal die Bestimmung des Allgemeinen Priestertums mit den Ämtern in Beziehung gesetzt wurden: Da irren die Autoren, weil der Begriff des „Priestertums“ die Brückenfunktion zwischen Gott und den Menschen beschreibt.

Es ist eine reformatorische Einsicht, dass es zwar Ämter in der Kirche bedarf, aber diese keine priesterliche Löse- und Bindekraft haben. Wenn alle Priester sind, dann braucht es keinen Priester und keine Priesterinnen mehr. Wenn uns Gott mit Gaben beschenkt hat, dann müssen die Gaben geordnet eingesetzt werden. Die Autoren stellen trotz dieser wiederholten Fehldeutung auf Seite 64 einen guten Lösungsvorschlag vor, indem das Pfarramt in der Gemeinde nach innen Jesus als Haupt darstellt und nach außen das Pfarramt die Kirche repräsentiert. Die verschiedenen Deutungen und Ansätze werden in einem Zwischenfazit auf Seite 65 zusammengefasst, allerdings ohne das Pfarramt außerhalb einer Kirchengemeinde anzusprechen.

In den aufgeführten empirischen Untersuchung (Dahm und die 4. Mitgliedschaftsuntersuchung der EKD) wird das Pfarrerbild der Befragten als Projektion bewertet (Seiten 66-70). Die Erwartungen sollen in die Diskussion miteinbezogen werden, aber nicht als Maßstab. Auch hier wird wieder die Spannung zwischen Beteiligungskirchen und Betreuungskirche deutlich.

Auf Seite 72 wird festgestellt: Die zunehmende quantitative Belastung durch den sogenannten „package deal“ (Es wird immer mehr in den Pfarrdienst hineingepackt und gleichzeitig die Alimentierung abgebaut) korrespondiert mit einer qualitativen Unterforderung. Die Kirchenleitung reagiert auf die Finanzlage mit Regionalisierung und verschlimmert dadurch die Situation, ohne auf die psychomentale Belastung einzugehen, die durch die Strukturveränderung verstärkt wird. Insbesondere der ständige Machtkampf im Presbyterium zwischen den Kirchenältesten als „Arbeitgebern“ und den theologischen Expertinnen und Experten als quasi Angestellten führt zur Abkehr von der Dienstgemeinschaft, so das Autorenteam.

Zugespitzt wird dies auf Seite 75 unter dem Hinweis auf das Beziehungsfeld zur Landeskirche und auf die Gemeinschaft der Landeskirchen in der EKD: Die einzelne Gemeinde ist immer bezogen auf das Ganze; wenn nicht, dann wird die Volkskirche zur Freikirche und dies würde auch das Ende der öffentlich-rechtlichen Pfarrstellen auf Lebenszeit bedeuten: „So befinden sich Pfarrerinnen und Pfarrer als Verwalter unsichtbarer Güter in einer ambivalenten Dynamik. … sie arbeiten … in einem schrumpfenden Betrieb in partiell fachfremder Verwendung. Das demotiviert, zumal die fachfremde Verwendung den Schrumpfungsprozess langfristig befördern wird.“

Die Autoren sehen in der Krise von Traditionsabbruch und Säkularisierung eine Chance, indem folgende Kompetenzen entwickelt und gefördert werden sollen:

·         Theologische Kompetenz: also von Gott reden, die Schrift auslegen, die Einheit von Theologie und Spiritualität wiedergewinnen (oratio, meditatio, tentatio), auf Christus verweisen und Christus repräsentieren.

·         Missionarische Kompetenz: Predigtamt, begeistertes Weitererzählen, kreativ und visionär etwas anbieten ohne fundamentalistisch zu sein und ohne alles total zu relativieren (der Schriftbezug reicht nicht aus!).

·         Seelsorgliche und diakonische Kompetenz: Kasualien zugleich als Lebens- und Glaubenshilfe verstehen, christusbezogene Seelsorge, Gemeindediakonie, Wahrnehmung der Sorge der Menschen.

·         Apologetische Kompetenz: popularwissenschaftliche theologische Erwachsenenbildung, theologische Elementarisierung, theologischer Bildungsauftrag.

·         Interdisziplinäre Kompetenz: Kooperationen, Kontakt aufnehmen, auch mit politischen und gesellschaftlichen Gruppen ins Gespräch kommen.

Diese Kompetenzen werden interessant dargestellt, obwohl auch an diesen Stellen das Priestertum aller Glaubenden angeführt wird. Diese Kompetenzen bestechen in ihrer Auswahl und den Erläuterungen. Trotzdem vermisse ich zum einen eine Abgrenzung zu Bereichen, die nicht in diesen Kanon gehören. Zum anderen fehlen mir der kybernetische und der kirchenaufsichtliche Bereich. Diese beiden Kompetenzen sind m.E. wesentlich für die Wahrnehmung des Dienstes im Pfarramt und sind grundlegende Herausforderung, nicht nur auf dem Hintergrund der Postmoderne.

In einem Kapitel über den pfarramtlichen Dienst auf dem Hintergrund der Postmoderne werden die Stichworte Subjektivierung, Individualisierung, Differenzierung und Pluralisierung behandelt und das Ende der großen Erzählungen und die Forderung nach Mobilität thematisiert. Die Anleitung des Ehrenamtes, die eher zusätzlich Pfarrstellen erfordert (siehe Seite 100), und die geforderten Leitungskompetenzen sind ebenfalls grundlegend und bieten nichts Neues. Erstaunlich ist die Kritik an Pfarrerinnen und Pfarrern, die sich nicht mit der Gesamtkirche identifizieren (Seite 104), da die Erklärung an vielen Stellen durch Überforderung und mangelnde Fürsorge durch die Kirchenleitung in den Ausführungen selbst gegeben wurde. Trotz dieser Kritik ist dieses Kapitel sehr weiterführend.

Die drei Tabuthemen Eignung, Erfolg und Konkurrenz werden ebenfalls kurzweilig behandelt. Auch hier wird die Kirchenleitungssicht spürbar. Fachliche Eignung und persönliche Eignung sollen mit Hilfe der Wunderwaffe Personalentwicklung passgenau auf die richtige Stelle führen. Besser wäre es, dass im Rahmen der Zurüstung und der Fortbildung Rahmenbedingungen geschaffen werden, die gegenseitige Erwartungen von Pfarrerinnen und Pfarrer an die Kirchengemeinde und umgekehrt abbauen und nicht erst recht befördern. Trotzdem ist den Autoren zuzustimmen, dass Instrumente nötig sind, um ein Scheitern zu verhindern. So sollten m.E. Pfarrwahlausschüsse daraufhin ausgebildet werden, keine politische Wahl durchzuführen, sondern mit ihrem Votum die Charismata der Bewerberinnen und Bewerber anzuerkennen. Dies wäre die logische Konsequenz der Autoren.

Die Alternative wäre allerdings auch interessant: Personalentwicklung und Besetzung durch die Kirchenleitung im Rahmen einer ermessensfehlerfreien Entscheidung mit der Möglichkeit einer Konkurrentenklage wäre als Alternative nur folgerichtige Weiterentwicklung einer konsequenten Personalentwicklung. Auch das wäre eine Anforderung an die Kirchenleitung und an den kirchlichen Gesetzgeber; die Autoren deuten das allerdings nur bescheiden an, denn schließlich handelt es sich dabei um eines der Tabuthemen.

Beim zweiten Tabuthema, dem Erfolg und dessen Messbarkeit, liegen die Autoren völlig daneben. Die Beispiele für qualitative und quantitative Bereiche, zum Beispiel über Kennzahlen, die messbar sind, gehen an der pfarramtlichen Wirklichkeit völlig vorbei. Qualitätskriterien sollten keine Zahlen und Zufriedenheitsindizes sein, sondern das überprüfbare Maß der Erfüllung der eigentlichen Aufgaben im Zusammenhang der Kompetenzen, s.o.. Alles andere sollten wir doch bitte dem heiligen Geist überlassen, sonst wird das Priestertum aller Gläubigen zu einem Revier für Seelensucher. Dieses Denken ist mir als Christ völlig fremd. Erfolg kann festgehalten werden, indem geeignete, berufene oder beauftragte Personen ab und zu einmal eine klare Rückmeldung über das professionelles Handeln geben. Das gehört sich so, nicht nur den Ehrenamtlichen gegenüber. Ja, Erfolg im Pfarrdienst ist ein Tabuthema, genauso wie Neid und Konkurrenz. Es gibt sehr viele Auseinandersetzungen, die letztendlich aus Neid und Konkurrenz entstanden sind. Daher kann ich der Analyse der Autoren nur zustimmen; allerdings ist auch hier wieder fehlendes Leitungshandeln festzustellen. Neid und Konkurrenz sind bearbeitbar. Teamfähigkeit ist lernbar, manchmal allerdings nur durch Zwang. Neid und Konkurrenz: Ja, auch ein Tabu, dabei könnte man sich doch aneinander und übereinander freuen – so sehe ich es zumindest.

Eine gute Lösung stellt der Vorschlag zur Dienstwohnungspflicht auf Seite 127 dar: Günstigeres Wohnen und Arbeit im Pfarrhaus oder aufwändigeres privates Wohnen mit Präsenzpflicht in einem vorzuhaltenden Gemeindebüro als gleichberechtigte Alternativen. In dem Abschnitt über Dienstzeiten (Seite 127 ff.) werden interessante und bedenkenswerte Hinweise gegeben.

Im Abschnitt „Supervision, Geistliche Begleitung, Coaching“ wird das Coaching zwar kritisiert als Handwerkszeug zur Steigerung der Effizienz und geeignet für Gewinnertypen. Diese Einschätzung entbehrt leider jeglicher Grundlage. Trotzdem kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die drei Aspekte komplementär zusammenspielen sollen. Im Abschlusskapitel werden vier Forderungen formuliert und sechs Fragen gestellt.

1.      Das berufene Amt zur Koordination des allgemeinen Priestertums. Dazu braucht es eine Personalentwicklung.

2.      Die Fortbildung soll den Zielen der Kirche entsprechend ausgerichtet sein: Defizite ausgleichen und Stärken fördern bzw. bis zur Meisterschaft veredeln. Dazu wird eine Lernbereitschaft von Pfarrerinnen und Pfarrer gefordert.

3.      Die Organisationsentwicklung soll als strukturelle Personalentwicklung weiterentwickelt werden, damit Pfarrstelle und Pfarrperson zusammenpassen.

4.      Der Stellenmarkt soll unter den Kirchen geöffnet werden, damit die Einheit der Kirchen deutlich wird.

5.       

Diese vier Forderungen zeigen das eigentliche Dilemma, denn die Frage nach dem Pfarrbild in der Evangelischen Kirche wird zu einer Frage nach dem kirchenleitenden Handeln innerhalb einer Kirche.

Die sechs Fragen nehmen die offenen Fragen aus der Darstellung auf. Zusammenfassend wird das Pfarramt aus diesen Fragestellungen heraus als das „Amt der Erinnerung“ (Seite 141) zugespitzt.

Insgesamt ist das Buch sehr lesenswert, allerdings mit einigen Interpretationen, die zumindest strittig sind, insbesondere die Auffassung und Verwendung des Priestertums aller Gläubigen. Dem Buch und dem Projekt wünsche ich trotzdem und auch gerade deswegen eine lebendige Diskussion, wie sie unter www.Pfarrberuf.de angeboten wird.

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