D. Dr. Friedhelm Borggrefe
Horst-Schork-Straße 66, 67069 Ludwigshafen
Heiderose Gärtner-Schultz’ Büchlein mit „Lebenstexten aus dem Sonntagsblatt für die Pfalz“, das 2015 im Verlagshaus Speyer gerade erschien, ist nicht, wie der Titel erwarten
lässt. eintypisches Buch über Alterskrankheiten wie Demenz, Schlaganfall,
Diabetes oder Krebserkrankungen, und auch nichts,
was man in einem Zug liest, sondern eher ein Meditationsbuch. Ich selbst als alter
Mensch schlage es auf, blättere, verweile zunächst beiden Bildern mit der
Alterstreppe, den ausgetretenen Schuhen und dem Geldberg desGeizigen, die die Malerin Marie Luise Sprenger zur Illustration beigesteuert hat.
Ich fange an nachzudenken und frage mich: Starke Farben, aber warum so viele Grautöne? Das macht mich betroffen. Das erinnert mich, wie betagt ich selbst bin.
Doch gleich auf den ersten Seiten der Schrift finden sich auch die acht Überschriften,
unter denen die 48 Texte derAutorin selbst schön gegliedert sind. Sie locken mich zum Meditieren und Stöbern. Von„neuem Altern“ ist da die Rede, von der
Einstellung zum Altwerden, von Vollendung undGeborgenheit. Das macht mich
neugierig. Und ich erfahre von Menschen, die ihr Alterbewusst zu gestalten vermögen.
Ich lese von einer Krankenschwester zum Beispiel, die in ihrem Leben auf Vieles
verzichtet hatte und jetzt als pensionierte Frau viel Zeit hat, die sie verschenkt an Menschen, die Zeit brauchen. Ich blättere und finde die Geschichte von einem
querschnittsgelähmten Mann, der zum Rollstuhltänzer wurde. Ich finde Großväter, die ihr Lebensziel erreichten,
weil sie das Alter als „Gesundheitsleistung“ verstanden;
und ich werde belehrt, dass dies einMissverständnis von Leben sei.
Da tauchen Fragen auf, die mich angehen: Was bleibt? Was ist nötig? Wie überwinde
ich Einsamkeitsgefühle?
Und es werden vorsichtige Antworten formuliert. Das macht mich froh, immer dann wenn fröhlich davon erzählt wird, wie es gehen kann im Alter.
Als Theologe ärgert es mich aber, wenn die Autorin mir dogmatisch daher kommt, wenn sie abstrakt formuliert und spricht von „Verwirklichung von Werten“, von„Vernetzungsmöglichkeiten und Infrastruktur der Kirchengemeinden“ im Blick auf alte Menschen und von „Verschiebung traditioneller Wertvorstellungen, wie
Pflichterfüllung und Ordnung zu einer modernen Lebensauffassung,
die sich durch Individualisierung und Selbstverwirklichung auszeichnet“. Doch
erfreut und gleich in einem Zuge lese ich das Kapitel vom „Altern in der Bibel“. Da begeistere ich mich und
entdecke: „Gott lässt mich gar nicht alt aussehen“. Da tauche ich ein in die poetische Sprache der Psalmen: „Wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch grünen und blühen“ (Ps 92,15). Da beginne ich zu
träumen mit dem Propheten Joel und bin glücklich mit dem alten
Simeon und der Prophetin Hannah aus dem Lukas evangelium und lasse mir gerne zusagen „In Christus sind alte und junge Menschen gleich“.
Aber das Büchlein zeigt sich auch durchaus kompetent im Blick auf die Fachliteratur:Heiderose Gärtner-Schultz ist belesen. Sie kennt nicht nur ihre Bibel und die theologischeLiteratur, sondern auch die Sprache der Psychologie und Soziologie, und sie weiß – das ist ihre Stärke – zu erzählen beispielsweise vom „weisen Kaiser Suleiman“, der das Wasser besitzt, mit dem man nicht alt werden kann (S. 48).
In der neueren Literatur hat sich etwas verändert. Sie spiegelt unsere vom Kampf gegen dasAlter geprägte Lebenswirklichkeit. Aber Heiderose Gärtner-Schultz’ Büchlein ist anders: es macht Mut zum Altwerden und will Freude schenken.