Strategie Pfarrhaus – unverbindliche Gedanken

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D. Dr. Friedhelm Borggrefe

Horst-Schork-Straße 66, 67069 Ludwigshafen

Mit der Entwicklung der pfälzischen Landeskirche kommt auch die Aufgabe von Pfarrhäusern in Sicht; Grund für einige Überlegungen.

Pfarrhaus, das heißt: Kirche ist präsent vor Ort, ganz zivil. Hier lebt ein Mensch, vielleicht auch eine Familie, ansprechbar für Menschen, die einen Menschen brauchen. Der Dichter Rainer Kunze spricht es 1968 so aus: „Wer da bedrängt ist findet/ Mauern, ein dach und/ Muss nicht beten.“ Das hat für meine Begriffe mit Seelsorge zu tun.

Pfarrhaus hat zu tun mit Bildung und Kultur, da ist eine Bibliothek, da ist ein belesener Mensch, ein politisch oder gar kommunalpolitisch denkender, ein Pädagoge, da ist oft auch noch ein Musikinstrument, da ist Sinn für Schönes.

Pfarrhaus erzählt eine Geschichte, die offene Geschichte einer Familie, viele Geschichten aus der reformatorischen Tradition, wichtige Menschen kommen aus dieser Geschichte, sind geprägt von ihr.

Pfarrhaus hat zu tun mit Diakonie. Da wurde schon oft und immer wieder geholfen, ganz praktisch, erste und letzte Hilfe. Und auch wenn es sicher übertrieben ist, von Pfarrhäusern als der „Seele der Kerngemeinde“ (Michael Hollenbach) zu sprechen: In den rund 360 pfälzischen Pfarrhäusern, die es noch gibt in der Pfalz, ist etwas zuhause, was wichtig ist für die Zukunft der Kirche.

Sie sind nicht nur ein wichtiger Teil der Besoldung, nicht nur ein Kostenfaktor, nicht nur zu groß für Singles und geflickte Patchwork- und Kleinfamilien. Sie liefern nicht nur Probleme, Heizungs-, Ökologie- und Bauunterhaltungsfragen, die man sich ersparen sollte. Sie stellen nicht nur die Frage nach der Besoldungsgerechtigkeit zwischen Gemeindepfarramt und Spezialpfarrertum. Nein, sie stehen mitten im Leben eines Dorfes, oft zum Leidwesen ihrer Bewohner mitten im Zentrum, im Lärm, am Schnittpunkt des Ortes und im Schatten unserer Kirchtürme und haben eine wichtige Funktion der Kirche vor Ort, die nicht ersetzbar ist durch moderne Kommunikationstechnologie und Mobilität. Seit Jahren lesen wir: „Wir müssen uns aus Kostengründen von Pfarrhäusern trennen, die überflüssig werden, weil Gemeinden zusammengelegt werden; die alten Pfarrhäuser, einst für große Familien gebaut, sind für die Kleinfamilie oder den Single-Pastor überdimensioniert; und immer weniger Pfarrer wollen Tag und Nacht im Dienst des Herrn stehen; sie wohnen lieber etwas privater – nicht direkt neben dem Gotteshaus“.

Wie könnte die Strategie dieses Trennungsprozesses aussehen?

Es ist zu einfach zu sagen: „Wo kein Pfarrer, keine Pfarrerin, mehr ist, da braucht man auch kein Pfarrhaus mehr.“ Als ich jung war, hieß es noch: Die Kirche verkauft nix. Heute ist sie schnell bereit, sich von unrentablen Immobilien zu trennen, ohne lange zu denken.

Gegenfrage: Wann haben sich die kirchlichen Immobilien in der Kirchengeschichte eigentlich  „gerechnet“? Wann rechnet sich ein Pfarrer oder eine Pfarrerin überhaupt? Da kann es doch nur „strukturelle Defizite“ geben. Schon seit 500 Jahren ist das so bei den Protestanten. Als ich unterwegs war in der Diaspora Ost-Mitteleuropas in den Jahren des Sozialismus, 1950- 1989, als die Kirchen in Polen, der damaligen Tschechoslowakei, Ungarns und Jugoslawiens unter dem Motto „Religion Opium für das Volk“ in 40 Jahren abgeschafft werden sollten, fand ich überall, wo eine kleine Gemeinde war, immer noch ein Pfarrhaus, auch dort, wo in der „Kirche die Tauben herrschten“, wie eine Presbyterin sich einmal ausdrückte.

Erhalten wurden diese Häuser für die Gemeinde überraschenderweise ökonomisch durch die Frauen, genauer: die Pfarrfrauen, die neben dem sehr bescheidenen Gehalt des Mannes ein zweites Einkommen erarbeiteten und dafür sorgten, „dass es reichte“. Und erhalten wurden diese Häuser durch den Familiensinn und die Phantasie der Presbyterien und handwerklich begabter ehrenamtlicher Gemeindeglieder. Auch dann, wenn der Pfarrer, was in Tschechien bei 25% der Pfarrer so war, mit Berufsverbot belegt war: Das Pfarrhaus wurde ihm meist als Wohnung erhalten. Pfarrhäuser wurden vor allem in der alten Tschechoslowakei oft zu Keimzellen der „samtenen Revolution“. Hier war die „neue Orientierung“ und hier waren die Bands mit der Popmusik der „Plastic People“ und ihren Freiheitsgesängen zuhause. Immer ging es dabei nicht nur um das Überleben der Kirche, sondern um eine neue Gesellschaft. In den Kirchenleitungen saßen die ängstlichen Kompromiss- und Kollaborationstheologen in gut geheizten Etagenwohnungen.

Solche Erinnerungen sind gerade einmal 20 Jahre alt. Und wir sollten uns mit Respekt erinnern und nachdenken, bevor wir verkaufen und uns trennen von unrentablen Immobilien, die uns unsere Vorfahren hinterlassen haben. Vor Schnellschüssen sollten wir uns mit Bedacht hüten.

Es wäre auf diesem Hintergrund zunächst einmal zu fragen

Verwaltungstechnisch: Pfarrhäuser sind ein Teil der Besoldung unserer Pfarrerschaft. Diese 360 Immobilien mit ihren  50.000 Quadratmetern Wohn- und 15.000 Quadratmetern Bürofläche sowie 360 Garagen haben einen von mir völlig unverbindlich festgestellten Schätzwert von über 60 Millionen Euro. Was passiert, wenn per Synodalbeschluss, z.B. durch Aufhebung der „Residenzpflicht“, dieser Wert zur Disposition gestellt wird? Wo bleiben da die Ortsgemeinden, deren Rechtsstrukturen nicht so ohne weiteres aufzulösen sind?

Und kulturhistorisch wäre zu fragen: Wo bleiben 500 Jahre Geschichte, in denen das evangelische Pfarrhaus, wie wir wissen, in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, vor allem in Deutschland, ein unschätzbar wichtiger Faktor war – und ist?

Mehr als Verwaltungstechnisches sollte uns jedoch die Frage nach der bildungspolitischen und der seelsorgerlichen Kompetenz unserer ehemals königlich-bayerischen Pfarrämter bewegen. Die Zeiten, in welchen die Pfarrämter als Standesamt fungierten, Sitz der geistlichen Schulaufsicht und der Sittenpolizei waren, sind zwar gerade erst 100 Jahre, aber Gott sei Dank gründlich vorbei. Aber das Pfarrhaus war immer auch mehr und etwas ganz anderes.

Das Pfarrhaus als Ort der Seelsorge: Wie könnte es erhalten bleiben? Vielleicht als Beratungsstelle? Beratung wird heute in den Häusern der Diakonie angeboten. Bei einer Scheidungsquote unserer Ehen, bei Drogen- und Alkoholfragen, bei  Schuldnerproblemen, Burnout-Syndrom, Depressionen und Altersfragen ist Seelsorge gefragt. Warum sollte Kirche ihre Ansprechbarkeit und Kompetenz in diesen Fragen nicht neu organisieren und regional dafür in Bürgernähe Häuser mit ausreichenden Parkplätzen und zeitgemäßem Kommunikationssystem vorhalten?

Seelsorge in der Nähe großer Kliniken: Warum müssen Krankenhauspfarrämter alle als Vollzeitstellen vorgehalten werden? Klinikseelsorge und Gemeindepfarramt sind kompatibel. Kooperationsmöglichkeiten in einem kleinen Gemeindepfarramt mit einer bezahlbaren Wohnmöglichkeit in einem Pfarrhaus bei einer offenen Zusammenarbeit mit Nachbarpfarreien sind nicht nur denkbar, sondern auch möglich.

Das Pfarrhaus, wie könnte es seine Kompetenz in Bildungsfragen weiter erhalten? Vielleicht wenn wir einen Teil der 120 hauptamtlichen Religionslehrerstellen splitten würden? Warum soll es nicht Fifty-fifty-Stellen für Religionsunterricht und Gemeindeseelsorge mit einem Wohnangebot in einem Pfarrhaus geben? Drei Tage Schule, drei Tage Gemeinde? Warum könnte es nicht zum Wohnhaus für haupt- oder nebenamtliche Kirchenmusiker genutzt werden? Wären auch Wohngemeinschaften von jungen Musikern hier denkbar? Pfarrhäuser als Musikschulen in Zusammenarbeit von Kirche, Kommune und Universität?

Das Pfarrhaus als Diakoniezentrum: Den Diakonikern der Kirche fallen hier ganz bestimmt Nutzungsmöglichkeiten genug ein. Schon jetzt gibt es Pfarrhäuser, die von der Sozialstation oder, wie gesagt, als Beratungsstelle genutzt werden. Aber darüber hinaus lassen sich auch andere Modelle betreuten Wohnens, der Drogentherapie und der Behindertenarbeit denken. Sogar eine kleine Tagesklinik für Demente oder einfach einen Seniorentreff könnte man sich vorstellen.

Natürlich sind solche Gedanken, wenn sie der Realität näher kommen, mit vielen organisatorischen, rechtlichen, finanziellen und überhaupt grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt. Aber wir sollten die erste Phase des Stellenabbaus, in welcher wir schon 2012 auf immerhin 50 Gemeindepfarrstellen in der Pfalz verzichten wollen, dazu nutzen, uns zunächst ein Moratorium beim Verkauf von Pfarrhäusern zuzumuten. Diese Phase könnten wir nutzen, zum Nachdenken und zum Gespräch. Da könnten sich interessante Perspektiven auftun, wenn wir zum Beispiel mit Menschen sprechen, die in der Verwaltung von größeren Wohnungsbeständen schon lange Erfahrungen haben. Wir könnten prüfen, ob wir möglicherweise die Betreuung der Pfarrhäuser aus der Verantwortung der Ortsgemeinden oder Kirchenbezirken herausnehmen könnten und ob eine gemeinnützige GmbH für die Verwaltung von Pfarrhäusern oder eine andere Verwaltungsstrukturen sinnvoll wäre. Pfarrhäuser sind nicht nur ein Ballast, sondern ganz bestimmt eine Denkaufgabe für alle, die Verantwortung in der Kirche haben.

Im Schimmelreiter lässt Theodor Storm vor 125 Jahren den Vater von Hauke Haien entdecken: „Er sah wohl, dass auch die Deicharbeit bei dem Jungen die Denkarbeit nicht hatte vertreiben können.“ – Denkarbeit ist angesagt, wenn wir mit neuen Ideen die alten Strukturen der Kirche weiter entwickeln wollen. Im Moment sehe ich viel „Deicharbeit“, wir arbeiten uns mühsam ab mit den gewachsenen Strukturen: Wir beschäftigen uns unter dem Stichwort „Rückbau“ zu stark mit den Finanzen der Kirche, mit den Immobilienbeständen und Personalschlüsseln, flicken die alten Deiche mit Angst vor neuen Sturmfluten. Aber Gott will mit uns arbeiten und schon der Apostel Paulus hat in der Nachfolge Jesu neue Methoden erkannt: Für 2012 ist uns das als Denkaufgabe gestellt: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

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