Kein Bild von Gott – Das Zweite Gebot

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Erwägungen zu Frage 96 im Heidelberger Katechismus

Frank-Matthias Hofmann
Johanna-Wendel-Straße 15, 66119 Saarbrücken

Was will Gott im zweiten Gebot?

Gott will, dass wir ihn in keiner Weise abbilden, noch ihn auf  irgendeine andere Art verehren, als er es in seinem Wort befohlen hat.

Frage 97: Darf man denn gar kein Bild machen?

Gott kann und darf in keiner Weise abgebildet werden. Die Geschöpfe  dürfen abgebildet werden, aber Gott verbietet, Bilder von ihnen zu machen und zu haben, um sie zu verehren oder ihm damit zu dienen.

Frage 98: Dürfen denn nicht die Bilder als der „Laien Bücher“ in den Kirchen geduldetwerden?

Nein; denn wir sollen uns nicht für weiser halten als Gott, der seine  Christenheit nicht durch stumme Götzen, sondern durch die lebendige  Predigt seines Wortes unterwiesen haben will.

„Was will Gott im Zweiten Gebot?“ Das ist eine wirklich gute Frage. Zunächst scheint die Antwort auf die 96. Frage des Heidelberger Katechismus einfach zu sein: Die Zehn Gebote, das von Gott in unser menschliches Herz eingeschriebene „ABC des Menschenbenehmens“, lassen keinen Zweifel aufkommen: In 5. Mose 5,8 heißt es: „Du sollst Dir kein Gottesbild machen, keine Gestalt von dem, was am Himmel droben oder was auf der Erde unten oder was im Wasser unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten noch ihnen dienen.“ Was will Gott mit dem Gebot? Was hat er gegen Bilder?

Mit Bildern habe ich in Kirchenräumen unterschiedliche Erfahrungen gemacht: In meiner Heimatgemeinde Lambrecht, unweit von Neustadt an der Haardt, wo die erste reformierte Bibelausgabe entstanden ist, bin ich mit den Kirchenfenstern des Münchner Künstlers Helmut Ammann aufgewachsen. Die drei Chorfenster in der ehemaligen Klosterkirche, jeweils 12 Meter hoch und 1958 geschaffen, stellen äußerst eindrucksvoll das Leben Jesu dar: Links das Geburtsfenster, rechts das Auferstehungsfenster, in der Mitte das Kreuzigungsfenster. Während des Gottesdienstes werden, wenn die Sonne die Fenster flutet, deren satte Farben an die alten gotischen Kirchengemäuer mit ihren mittelalterlichen Fresken projiziert: Eine beeindruckende Symphonie aus Farben und Formen.

Ich habe mir aber Jesus nie so vorgestellt, wie ihn Ammann darstellt. Auch habe ich mir durch diese Bildende Kunst meine Gottesvorstellung nicht beeinflussen lassen – aber ohne die Kunst mag ich mir meine Heimatkirche (und nicht nur diese) nicht vorstellen.

In Nordhorn in der reformierten Grafschaft Bentheim, wo ich als Pfälzer mein Gast-Vikariat verbrachte, sind in der Alten Kirche an Markt alle Kirchenwände weiß gestrichen Die Fenster sind weiß und durchsichtig. Man kann durch sie wie Glasfenster hindurchschauen und sieht, wie sich die Äste der Bäume im Kirchenhof im Wind beugen lassen und sich dann in der Gegenbewegung wieder gen Himmel ausrichten. Die 1445 lange vor der Reformationszeit erbaute Kirche wurde 1544 lutherisch und 1588 reformiert.. Der Gottesdienstraum wurde bewusst so schlicht gestaltet und das Bilderverbot konsequent befolgt. Nichts soll vom Wort Gottes ablenken: Kanzel und Abendmahlstisch stehen in der Mitte des Chorraums. Auch in dieser Kirche fühle ich mich heimisch, nichts fehlt mir. Aber ich weiß, dass unter den weiß getünchten Chorraumwänden Reste von Abbildungen von Aposteln zu entdecken sind. Da die Reformierten das Bilderverbot besonders ernst nehmen, wurden sie 1618 übermalt Es war lange Zeit in der Gemeinde eine Selbstverständlichkeit, dass man die Bilder nicht wieder hervorholte und restaurieren ließ.

Eine ganz erstaunliche Erfahrung machte ich vor zwei Jahren, als ich entdeckte, dass in der Prot. Kirche der pfälzischen Kirchengemeinde Pleisweiler-Oberhofen 1992 drei Kirchenfensterbilder von der  Künstlerin Ada Isensee aus Anlass des 175-jährigen Bestehens der Pfälzischen Kirchenunion gestaltet worden sind, die den Heidelberger Katechismus zum Gegenstand haben. Der „Heidelberger“, der sich in den Fragen 96-98 ganz des Zweiten Gebot der Bilderlosigkeit verschrieben hat, als Gegenstand von Kirchenfenster? Wie soll das gehen, fragte ich mich? Als ich mir die Fensterbilder dann anschaute, war ich überrascht: Denn da ist keine  Gottesvorstellung zu sehen. Die drei Bilder thematisieren die drei Teile des Katechismus: Das Fenster „Von des Menschen Elend“ zeigt den Turmbau zu Babel und die Geschichte von Kain und Abel,. Das Fenster „Von des Menschen Erlösung“ zeigt Maria mit dem Kind und den gekreuzigten Christus. Das Fenster „Von der Dankbarkeit“ stellt die Jakobsleiter und Engel dar. Die Gestaltung der Fenster knüpft an die Geschichte und Tradition des Ortes an, sie schlagen einen Bogen bis 1565, als der Gebrauch des Heidelberger Katechismus urkundlich für Pleisweiler-Oberhofen erwähnt wurde. Ich finde die Bilder sehenswert: Denn sie sind künstlerisch hochwertig gestaltet und verstoßen auch nicht gegen das Bilderverbot des reformierten Bekenntnisbuches.

Es wäre ja auch einMissverständnis, anzunehmen, dass die reformierte Kirche mit der Entfernung von bildlichen Darstellungen aus dem Kirchenraum, wie sie in der Reformationszeit stattgefunden hat, sich gegen die Bildende Kunst als solche wandte. Im Gegenteil! Der reformierte Reformator Johannes Calvin nannte die Malerei eine Gabe Gottes. In den reformierten Niederlanden entwickelte sich eine blühende Kunstszene, viele bedeutende europäische Maler stammen von dort. Gerade die Verbannung der bildlichen Darstellung aus dem Kirchenraum öffnete ihr die Häuser der Privatpersonen und die öffentlichen Gebäude. Der Verzicht auf die bildliche Darstellung Gottes oder der Heiligengeschichten machte den Weg frei für das Porträt, die Darstellung des Menschen, das Stilleben, die Darstellung der Welt. So wird in Frage 97 die Bildende Kunst ausdrücklich bejaht: „Die Geschöpfe dürfen abgebildet werden, aber Gott verbietet, Bilder von ihnen zu machen und zu haben, um sie zu verehren oder ihm damit zu dienen.“ Die Antwort auf Frage 97 wiederholt das Verbot von Frage 96, Gott abzubilden, gibt zugleich aber alle anderen Bilder frei. Damit eröffnet sie dem Bild die Chance, nicht real zu sein und, aus der Umklammerung des Kultischen entlassen, als Kunstwerk bewertet zu werden. Es entsteht die Freiheit zu abstrakten Gottesbildern.

Vor diesem Hintergrund ist auch der Meinung zu widersprechen, ein Gottesdienstraum sei um so reformierter, je unfeierlicher und hässlicher er sei. Das ist ein Irrglaube: Auch Kirchen, die das reformierte Bekenntnis widerspiegeln und dem theologischen Programm Zwinglis oder Calvins verpflichtet sind, können und dürfen schön sein! Schön sind sie, wenn die äußere Gestaltung uns ermuntert, Gott im Gebet anzurufen, in der Gemeinschaft der Glaubenden Sein Wort zu hören und Taufe und Abendmahl zu feiern. Dafür ist die beste künstlerische Gestaltung gut genug.

Werfen wir nun auch einen Blick darauf, wie Martin Luther sich zum Thema gestellt hat, sei gesagt: Er hat sich seinerzeit gegen den „sog. „Bildersturm“ gewandt, den Andreas Bodenstein und Karlstadt in Wittenberg veranstaltet haben. Er argumentierte: Die evangelische Rechtfertigungslehre macht uns gewiss, dass wie von Gott im Jenseits aus Gnaden angenommen und gerecht gesprochen werden. Weder durch Almosen noch durch fromme Stiftungen, überhaupt nicht durch „gute Werke“ kann und braucht sich ein Mensch das Himmelreich zu verdienen. Denn unter „gute Werke“ fiel lange auch das Stiften frommer Vermächtnisse. Man nahm an, dass man durch Stiftungen von Heiligenfiguren oder ein Bildnis zu Ehren eines  Heiligen oder der Gottesmutter sein eigenes Seelenschicksal im Jenseits sichern könne und dass z.B. die Mönche oder Nonnen eines Klosters für den frommen Stifter beten, wenn er ihr Kloster mit einem Vermächtnis bedachte. Wer darum Geld oder Vermögen besaß, das er stiften konnte, war nicht nur in dieser Welt, sondern auch im Jenseits besser dran als seine armen Zeitgenossen.

In der Reformationszeit mussten die Prozessionen mit Figuren von Heiligen oder die Pflege von Marienbildnissen auf die Reformatoren wie Götzendienst wirken. Es wurde das Urteil bestärkt, hier werde nicht allein auf die Gnade Gottes vertraut, sondern alle Hoffnung auf die Kraft der eigenen menschlichen Werke gesetzt.

Wer aber die reformatorischen Rechtfertigungsbotschaft versteht, dass ein Christ nur aufgrund der göttlichen Gnade und Barmherzigkeit, wie sie sich in der biblischen Botschaft (sola scriptura!) bereits beim Glaubensvater Abraham finden lässt, alleine um Jesu Christi willen (solus christus!), allein aus Glauben (sola fide!) gerecht gesprochen wird, für den werden die Bilder in der Kirche zur bloßen Dekoration. Sie haben nichts mehr mit dem jenseitigen Heil zu tun. Darum braucht man sie nicht zu entfernen. Die evangelische Rechtfertigungspredigt entzieht ihnen gleichsam ihre religiöse Wirkmächtigkeit. Sie greift damit das Leitmotiv auf, das das alte Israel mit der Formulierung des Zweiten Gebotes und die Juden bis zum heutigen Tage zum Befolgen des Bilderverbotes treibt. Es deshalb wichtig, dass wir einen Blick auf den Sitz im Leben und den Kontext werfen, in dem das Bilderverbot in einer Zeit voller Götterbilder seine Kraft entfalten konnte.

Denn im Israel der biblischen Zeit haben sich die Juden von den heidnischen Praktiken durch die Zehn Gebote, vor allem durch das erste und zweite, die in sehr engem Zusammenhang stehen, abgegrenzt: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Du sollst dir kein Bildnis machen und es nicht anbeten oder ihm dienen.“ Mose steht mit beiden Beinen im Alten Orient: Götterbilder bedürfen der göttlichen Genehmigung. Ohne entsprechende Offenbarung gibt es im gesamten Alten Orient kein Götterbild. Der Gott Israels verweigert diese Genehmigung. Denn Bilder stehen für eine Welt voller Götter, wie es sie im Umfeld Israels gegeben hat: Durch die Götterbilder wurden Beziehungen zwischen den Menschen und ihren Göttern möglich. Der Beter wendet sich durch das Bild an seine Gottheit und diese spricht in dem Bild zu ihren Verehrern. Bilder ermöglichen es, den Göttern zu dienen, ihnen Speis und Trank zu bringen, ihr Haus zu schmücken. Da kann es nicht ausbleiben, dass Bilder mit den Göttern selbst verwechselt werden. Der Mensch verstrickt sich in seine eigenen Einbildungen und projiziert seine Vorstellungen vom Göttlichen auf Gott über das bildlich Dargestellte. Dann aber liegt selbst dort, wo es nur einen Gott, aber viele Bilder gibt, der Verdacht nahe, dass diese Bilder angebetet werden und sich die Menschen in den Schutz ihrer selbst gemachten Werke flüchten.

Israel grenzt sich deshalb mit seinem Zehnwort scharf ab von seiner heidnischen Umwelt: Der Gott Israels gibt das Recht an seinem Bild nicht aus der Hand. Selbst im intimsten Moment seiner Geschichte mit seinem Volk lässt er keine Gestalt sehen. Nur ein leiser Windhauch rührt Mose im Vorübergehen an. Die göttliche Wirklichkeit des Gottes Israels teilt sich in Seinem Wort mit, von dem wir Christen glauben, dass es in Jesus Christus sichtbare Gestalt angenommen hat

Aus der Wahrnehmungspsychologie wissen wir, dass wir Menschen die Welt begreifen, indem wir sie uns vorstellen. Die Außenwelt wird uns zugänglich, indem wir unserem Innern, unserer Psyche, Bilder entstehen. Ob sie der Außenwelt wirklich entsprechen, wissen wir nicht. Das Zweite Gebot weist uns darauf hin: Du bist gar nicht in der Lage, dir Gott vorzustellen, weil du in deiner Vorstellungskraft an die Auswahl der Bilder gebunden bist, die deine Psyche erzeugen kann. Jedes Bild von Gott wäre ein von deiner Psyche erzeugtes Bild und damit eine Verzeichnung Gottes.

Wir unterwerfen damit die Außenwelt unserer eigenen Wahrnehmung und formen somit auch unsere Gottesvorstellungen nach unseren eigenen Wahrnehmungsfiltern im Gehirn. Wir kolonisieren und verfälschen das uns Umgebende nach dem Bild, das in uns lebt. Deshalb gebietet uns das Zweite Gebot, darauf zu verzichten, Gott mit unserem Denken erfassen und begreifen zu wollen. Wir verfehlen damit Gott und produzieren einen Götzen, den wir in den Grenzen unserer Vorstellungskraft einsperren und der Produktionskraft unserer Psyche unterwerfen. Der Heidelberger Katechismus spiegelt diesen Gedanken in der 98. Frage wider, in der er die Duldung von Bildern als „der Laien Bücher“ in den Kirchen untersagt. Alle Bilder sind korrumpierbar. So kann ich auch in meinem Herzen von dem Menschen, den ich liebe, ein Bild formen, das ihn erdrückt, weil es ihm keine Freiheit lässt.

Auch aus unserer heutigen Gesellschaft wissen wir, dassBilder ihre eigene Wirklichkeit heraufbeschwören und als Spiegelbild der Wirklichkeit manipuliertwerden und verlogen sind. 

Ein schlimmes Beispiel der medialen Manipulation: Während des Golfkriegs 1992 wurde allmorgendlich eine ölverschmierte, versterbende Ente im sog. Frühstücksfernsehen präsentiert, die als „Ikone“ auf nachrichtliche Neuigkeiten aus dem Ölkrieg hinweisen sollte. Später wurde bekannt, dass die Ente aus einem ganz anderen Kontext in die Nachrichtensendungen über den Golfkrieg „hineinmontiert“ worden sind, um die Fernsehzuschauer emotional eher kriegsbejahend zu stimmen. Auch wurden im Kriegskontext in Filmen manipulierte Geschwindigkeiten von Raketen bekannt, die den Zuschauern „humanes  Töten“ schmackhaft machen sollten. – Harmloses Beispiel: Bei der Fußball-EM 2012 hat die Bildregie des Fernsehsenders Bundestrainer Jogi Löw gezeigt, der während des Spiels gegen die Niederlande trotz immenser Anspannung mit einem Balljungen scherzt. Später wurde bekannt, dass diese Szene aus einem vorherigen Kontext stammte und in die Live-Übertragung hineingeschnitten worden ist.

Wenn das schon bei unseren Bildern von Mitmenschen und der Wahrnehmung des „schönen Scheins“  gesellschaftlicher Wirklichkeit gilt – um wieviel mehr dann bei unserem Gottesbild?

In der Bibel wird die Verzeichnung der Menschlichkeit des Mitmenschen Sünde, die Verzerrung gesellschaftlicher Realität Lüge und das Anbeten von Götterbildern Götzendienst genannt.

Die Zehn Gebote, das „ABC des Menschenbenehmens“, helfen uns bis heute,

– Gott Gott sein zu lassen und alleine ihm die Ehre zu geben;

– den Menschen im Lichte der Gebote Gottes auf sein Menschsein in seiner Geschöpflichkeit selbst zu begrenzen und ihn gerade dadurch wahrhaft menschlich werden zu lassen;

– den schönen Schein in unserer Gesellschaft durch Aufrichtigkeit zu durchdringen, die falschen Bilder von Gott, unseren Mitmenschen abzutun und dadurch ein immer mehr an Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung anzustreben.

Bedenken wir das, was Martin  Luther 1524 in den letzten beiden Versen seines Liedes zu den Zehn Geboten formuliert hat: „All die Gebot uns geben sind, dass du dein Sünd, o Menschenkind, erkennen sollst und lernen wohl, wie man vor Gott leben soll. Das helfe uns der Herr Jesus  Christ, der unser Mittler worden ist, es ist mit unserm Tun verlorn, verdiene doch eitel Zorn. Kyrieleis!“

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