Vom Umbau der Kirche

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Dr. Michael Gärtner
Emil-Nolde-Straße 10, 67061 Ludwigshafen

Kirche auf neuen Wegen 

1. Die gesellschaftliche Situation am Ende des 20. Jahrhunderts. Auf dem Weg in die Postmoderne
Bei diesem ersten Schritt auf der Suche nach neuen Wegen für die Kirche möchte ich mich an dem lesenswerten Buch von Albrecht Grözinger »Die Kirche – ist sie noch zu retten? Anstiftungen für das Christentum in postmoderner Gesellschaft« (Gütersloh 1998) orientieren. Er hält drei Entwicklungen fest, die seiner Meinung nach den Weg unserer Gesellschaft von der Moderne in die Postmoderne bestimmen: a) Die Individualisierung der Lebenswelten, b) der Verdacht gegen die großen Erzählungen, c) der Zwang zur Erfindung des eigenen Lebens. Diese drei Entwicklungen möchte ich kurz skizzieren:

1.1 »Die Individualisierung der Lebenswelten«

Hier schließt sich Grözinger weitgehend an die Beobachtungen des Soziologen Ulrich Beck an. Individualisierung, das meint, daß »immer mehr Aufgaben an das Individuum delegiert werden, die bisher noch von Traditionen und Institutionen übernommen wurden« (Grözinger, 19). Die »kollektiven oder gruppenspezifischen Sinnreservoire (z.B. Glauben, Klassenbewußtsein)« unseres Kulturkreises sind verbraucht, »alle Definitionsleistungen [werden] den Individuen zugemutet« (Grözinger, 19f). Wie zum Beispiel partnerschaftliche Beziehungen auszusehen haben, ist nicht mehr festgelegt und muß das Paar unter sich jeweils neu ausmachen. Traditionelle Rollenmuster tragen nicht mehr. Der Verlauf eines Berufslebens ist lange nicht mehr so vorhersehbar, wie es – unter stabilen gesellschaftlichen Verhältnissen – in der Vergangenheit war. Wie Sexualität zu leben ist, dafür gibt es keine verbindlichen gesellschaftlichen Konventionen mehr. Das Alter, die Zeit nach einem vielleicht frühen Ende der Erwerbstätigkeit, gestaltet sich anders und vielfältiger als noch vor Jahren. Diese Beispiele Grözingers können leicht ergänzt und variiert werden. Allen gemeinsam ist, daß die Freiheit und der Zwang, sein Leben und seine Beziehungen selbst zu gestalten und in einen für das Individuum akzeptablen Sinnzusammenhang zu stellen, zugenommen haben und voraussichtlich zunehmen werden. 

1.2 »Der Verdacht gegen die großen Erzählungen« 

Im Anschluß an Francois Lyotard vertritt Grözinger die These, daß die großen Erzählungen oder Meta-Erzählungen keine Akzeptanz mehr finden. Gemeint sind all diejenigen »Theorie-Gebäude, die den Anspruch erheben, uns die Welt von eben jenen Theoriegebäuden aus gültig und umfassend zu erklären und von einer solchen vereinheitlichenden Erklärung her das menschliche Handeln zu verpflichten« (Grözinger, 23). Solche Großerzählungen, an die keiner mehr glaubt, sind zum Beispiel der Sozialismus, das Patriarchat und das Königtum, die Technik, die Nation und das Christentum. Das Scheitern dieser Großerzählungen, ihre Tendenz zur Diktatur haben sie obsolet werden lassen. Sie sind aber durch nichts ersetzt und es zeichnen sich auch keine neuen ab, vielmehr ist es fraglich, ob sich solche Meta-Erzählungen überhaupt wieder mit einer breiten Akzeptanz herausbilden werden. 

1.3 »Die Erfindung des eigenen Lebens«
Dies hängt eng mit den beiden ersten Beobachtungen zusammen, kann meines Erachtens sogar als deren Resultat bezeichnet werden. »Wo sich das Leben nicht mehr selbstverständlich im Kontext einer vorgegebenen Groß-Erzählung reflektieren und entfalten läßt, wird die Erfindung des eigenen Lebens zu einer Aufgabe, die sich Tag für Tag aufs Neue stellt« (Grözinger, 20). Dies bedeutet Freiheit und Zwang zugleich. »Das Leben ist zum Projekt geworden« (a.a.O.). Oder mit den Worten des Soziologen Peter L. Berger: »Da es immer weniger Selbstverständlichkeiten gibt, kann der Einzelne nicht mehr auf fest etablierte Verhaltens- und Denkmuster zurückgreifen, sondern muß sich nolens volens für die eine und damit gegen die andere Möglichkeit entscheiden. Damit wird er zu einem freien Menschen, wie es ihn in früheren Geschichtsepochen allenfalls ansatzweise gab« (Peter L. Berger, Auf der Suche nach Sinn. Glauben in einer Zeit der Leichtgläubigkeit, Frankfurt 1994, 95).
Mich erinnert diese Zusammenfassung soziologischer Beobachtungen an die Formel Jean Paul Sartres, wonach der Mensch zu Freiheit verurteilt sei. Die existentialistische Philosophie war sicher eine der geistigen Bewegungen, die die Individualisierung vorangetrieben hat, ohne eine neue Meta-Erzählung aufzubauen.

2. Die kirchliche Situation am Ende des 20. Jahrhunderts.
Der Verlust der Selbstverständlichkeit Ein wenig möchte ich noch im Bereich der Soziologie bleiben, ohne ihr die Fähigkeit zuzusprechen, alles erklären zu können und damit vielleicht eine neue Meta-Erzählung zu etablieren. Jedoch hat die Soziologie uns – wenn sie auf die sie leitenden Paradigmen hin kritisch befragt wird – in den letzten Jahrzehnten durchaus geholfen, manches zu verstehen, gerade auch im Bereich der Kirche. 

2.1 Fremde Heimat Kirche

1993 wurden die dritte Umfrage der EKD durchgeführt und deren Ergebnisse unter dem Titel »Fremde Heimat Kirche« veröffentlicht. 1997 folgte dann die gründliche Auswertung dieser Umfrage unter dem gleichen Titel (hrsg. von Klaus Engelhardt, Gütersloh 1997). Ihre Ergebnisse sind weitgehend bekannt. Die Kirche ist stabiler als man denkt. Zwar nimmt die Zahl derer ab, die sich der Kirche sehr verbunden fühlen, aber immerhin 64% der Befragten fühlen sich der Kirche ziemlich oder etwas verbunden, mehr als noch zehn oder zwanzig Jahre zuvor. Die Möglichkeit zum Kirchenaustritt wird eher erwogen als früher, aber die Zahl der Entschlossenen ist zurückgegangen. Hauptgründe für die Zugehörigkeit zur Kirche sind die eigene kirchliche Sozialisation, der Wunsch nach den kirchlichen Kasualien und die Zustimmung zur christlichen Lehre. Die Bereitschaft, die eigenen Kinder taufen zu lassen, hat zugenommen; die lebensgeschichtliche Verankerung der Konfirmation wird als vorrangige Begründung für die Teilnahme angesehen. 83% der Befragten glauben an einen Gott, wenn auch bei 20% mit gelegentlichen Zweifeln. Ergänzt werden können diese Ergebnisse durch die Beobachtung, daß die Zahl der Kirchenaustritte in den letzten drei Jahren zurückgegangen ist, aber immer noch nahe an der 1% Grenze liegen.
Nun werden in der ausführlichen Auswertung der Umfrage auch mögliche Konsequenzen für das kirchliche Handeln vorgestellt, die ich Ihnen kurz referieren möchte.

2.2 »Die Bedeutung frühkindlicher religiöser Beheimatung«
Deren Bedeutung ist aus der Umfrage deutlich geworden. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Wenn Hänschen keine religiöse Heimat gefunden hat, wird die Suche für Hans recht schwer. Dabei fallen die Familien als erste und wichtigste religiöse Sozialisationsinstanz zunehmend aus, da die Kirchenbindung der Eltern nachläßt und diese (als Phänomen der Postmoderne) Traditionen gegenüber zunehmend distanziert sind. Hier muß die Kirche einspringen. Das bedeutet eine Intensivierung kirchlicher Arbeit mit Kindern in Kindergarten, Kindergottesdienst und Kindergruppen. 

2.3 »Was die Menschen von der Kirche erwarten«

Erwartet wird, daß die Kirche sich um ihre Mitglieder kümmert, sich ihnen zuwendet. Dies kann persönlich geschehen oder auf schriftlichem Weg. Auch die im Befragung im Rahmen der Untersuchung wurde als Zuwendung verstanden. Es muß Mitgliedschaftspflege über persönliche Kontakte und Öffentlichkeitsarbeit geschehen. Und vor allem muß die Kirche sich bemühen, ihre Mitglieder zu verstehen, denn nur dann kann sie sich ihnen verständlich machen. Vorgeschlagen werden neben der Öffentlichkeitsarbeit vor allem Besuchsdienst und Meinungsbefragungen. 

2.4 »Präsenz der Kirche in der Öffentlichkeit«
Die mediale Kommunikation hat eine Bedeutung erreicht, die oft über die der direkten, persönlichen Kommunikation hinausgeht. Kontakt über die Medien wird zudem auch als Zuwendung empfunden. Eine Kirche, die sich nicht in den Medien präsentiert, vergißt diejenigen Mitglieder, die einen wichtigen Teil ihrer Kommunikation über die Medien erhalten. Darüber hinaus gilt: »Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations) wirbt die Kirche um Akzeptanz, Vertrauen und Unterstützung, indem sie ihre Leistungen darstellt, und sich offen, einladend, gewinnend präsentiert. Das ist eine Aufgabe, die hohe Professionalität erfordert und auch erhebliche Kosten verursacht« (Fremde Heimat Kirche, 359f). 

2.5 »Die persönliche Relevanz des christlichen Glaubens«
Die Kirche kann sich nicht länger der Frage ihrer Mitglieder und der Außenstehenden danach entziehen, welchen Nutzen man von der Kirche hat – als Mitglied und als Gesellschaft als Ganze. Darauf kann die Kirche durchaus eine Antwort geben: »Ein orientierendes Deutungssystem, das Rückhalt gewährt an den Knotenpunkten des Lebens, in Krisen und Kontingenzen, das zur Ausbildung eines wirklichkeitsgerechten Selbst- und Weltverständnisses hilft, welches Brüchen und Schuldverstrickungen standhält, das Gemeinschaft stiftet und Vereinzelung wehrt, das handlungsleitende Maßstäbe und Werte vermittelt, welche die Weltverantwortung stärken – das ist der »Nutzen«, den der christliche Glaube für das Leben bringen kann« (Fremde Heimat Kirche, 361). 

2.6 »Die Forderung, Profil zu zeigen«
Dies ist eine für die Kirche gefährliche Erwartung. Denn oft bezieht sie sich auf konkrete Alternativen im politischen Streit. Dann aber wir die Kirche zum »Druckverstärker« (a.a.O., 362) entwertet. Zu eindeutiger Stellungnahme ist sie verpflichtet, wenn es sich um theologische Urteile handelt. Über die Wege konkreter Umsetzung aber gibt es auch in der Kirche selbst recht unterschiedliche Meinungen. »Profil gewinnt die Kirche, wenn sie das tut, was sie und nur sie kann und deutlich macht, worin ihre Kompetenz liegt, nämlich durch ihre Verkündigung, ihre Diakonie, ihre Gemeinschaftsangebote lebensdienlichen religiösen Rückhalt zu geben« (a.a.O., 363). 

2.7 »Verantwortung für die Gesellschaft«
Die Kirche ist der Gesellschaft etwas schuldig, das ist in erster Linie das Evangelium. Darüber hinaus hat sie in die gesellschaftliche Diskussion zu Werten und Orientierungen einzugreifen. »Der deutsche Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat darauf aufmerksam gemacht, daß der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen und Übereinkünften lebt, die er nicht selbst hervorbringen und gewährleisten kann« (a.a.O., 363). 

3. Vom Umbau der Kirche. Kirche auf neuen Wegen 
3.1 Die Kirche auf dem Weg ins Abseits
3.1.1 Die Kirche und ihr Auftrag

Ich habe Ihnen zwei Sichtweisen der derzeitigen Lage der Kirche in der momentanen Situation unserer Gesellschaft vorgestellt. Weil unsere Gesellschaft sich gewandelt hat, muß sich auch die Kirche wandeln, damit sie weiterhin ihren Auftrag erfüllt. Der Auftrag der Kirche hat seinen Grund im Zeugnis der Bibel und ist in den Bekenntnisschriften immer wieder neu formuliert worden. Sie ist »die Versammlung der Gläubigen…, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden« (CA VII). Und diese Versammlung der Gläubigen hat den Auftrag: »… gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker. Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe« (Mt 28,19f). 
So hat Kirche also immer missionarische Kirche zu sein, fern jeder Selbstzufriedenheit, dankbar für das Geschenk des Evangeliums und deshalb wie unter dem Zwang (1Kor 9,16), es weiterzugeben.
Es stellt sich die Frage, ob die Kirche dieses ihren Auftrag noch erfüllt. Da ist zunächst einmal zu sagen, daß es noch nie so viele Arbeiter und Arbeiterinnen im Weinberg des Herrn gab, wie heute – vorausgesetzt man bezieht diese Formulierung auf die hauptamtlich beschäftigten Theologinnen und Theologen. Dem steht jedoch die immer mehr zunehmende Klage gegenüber, daß die Arbeit der Ehrenamtlichen zwar notwendig wie eh und je ist, die Bereitschaft zu dieser Form von Mitarbeit aber immer mehr nachläßt. Kirchliches (und anderes) Engagement als Freizeitbeschäftigung hat nicht mehr den Stellenwert wie noch vor zwanzig Jahren. Die Alternativen der Medien und der Freizeitindustrie vermitteln unkompliziertere und stets abrufbare Bedürfnisbefriedigung. 

3.1.2 Kirche auf dem Markt – Wo ist der Markt?
Deshalb erklingt immer wieder der Ruf, die Kirche müsse sich auf den Markt der Weltanschauungen und Religionen begeben, dorthin gehen, wo die Menschen und die Konkurrenz sind. Wo aber ist dieser Markt? Wo findet die Auseinandersetzung um Werte und Weltanschauungen, um religiöse Orientierung und Lebensgestaltung statt?
In den Familien – zu einem immer geringer werdenden Umfang.
In den Kirchen – aber nur für die, die dorthin kommen.
An den Stammtischen und im Freundeskreis – wie eh und je.
Auf der Bühne der Politik – aber immer weniger durch überzeugte Christen. In den Medien – immer mehr, aber die Ferne zum Christentum ist mit Händen zu greifen. Die Kirche, wir Christen und Christinnen sind nicht mehr dort, wo die Auseinandersetzung um das geschieht, wozu wir etwas zu sagen haben, wozu wir etwas sagen müssen. 
Um unserem Auftrag gerecht zu werden, müssen wir unsere nach wie vor immensen Kräfte an einigen Punkten deutlich umlenken. Wir müssen die Kirche umbauen.

3.2 Der zweifache Weg der Ortsgemeinden. Präsens vor Ort und Spezialisierung
Die Kirche vor Ort lebt. Die Ortsgemeinden haben eine unübersehbare Stabilität. Seit dem deutlichen Einbruch der Anzahl der Gottesdienstbesucher Ende der sechziger Jahre ist deren Zahl stabil geblieben. Es zeigt sich jedoch eine Verschiebung, weg von einer regelmäßigen Teilnahme am allwöchentlichen Sonntagsgottesdienst hin zu mehr Zuspruch zu Gottesdiensten an Festtagen und besonderen Anlässen. Viele Gemeindekreise sind überaltert, aber die Krabbelgruppen sprießen aus dem Boden. Die Arbeit in den Ortsgemeinden hat sich verändert – aber nach wie vor verorten sich viele Gemeindeglieder in und um Kirche und Gemeindehaus. Diese Gebäude sind die Orte, an denen sich die lebensgeschichtliche Begleitung durch die Kirche festmacht. Die Kirche ist nach wie vor ein besonderer Ort, auch wenn die zunehmende Mobilität die meisten Menschen von der Kirche ihrer Taufe und Konfirmation wegführt. 
Die zentralen Aufgaben der Ortsgemeinde werden in Zukunft sein: 
1. Die Verkündigung des Evangeliums und die Verwaltung der Sakramente in Gottesdiensten;
2. Die religiöse Erziehung der Kinder und Jugendlichen;
3. Die persönliche Kontaktpflege zu den Mitgliedern.
Damit treten die Arbeit mit den Kindern im Kindergarten, in der Schule und den Kindergruppen, die Arbeit im Konfirmandenunterricht und der Jugendarbeit, die Hausbesuche und gemeindeinterne Öffentlichkeitsarbeit stärker in den Vordergrund als bisher. Sie werden unerläßliche Aufgaben jeder Gemeinde sein.
Alle anderen vorhandenen Formen gemeindlicher Arbeit haben zugunsten dieser drei Kernaufgaben zurückzutreten, wenn sie nicht im erforderlichen Umfang geleistet werden können.
Deshalb aber haben Erwachsenenbildung, Gemeindefahrten, Kirchenmusik, Freizeiten, kulturelle Veranstaltung und was es sonst noch alles geben mag noch lange nicht ihre Existenzberechtigung verloren. Sie bleiben lokale oder regionale Aufgabe, aber nicht jede Kirchengemeinde muß alles leisten. Deshalb erscheint es sinnvoll, daß diese Formen kirchlicher Arbeit, die sich im Laufe dieses Jahrhunderts herausgebildet haben, von einzelnen Gemeinden für andere mit übernommen werden. Es muß also eine Spezialisierung bzw. Schwerpunktbildung erfolgen. Nicht alle Talente müssen in jeder Gemeinde zum Tragen kommen und sie können auch nicht in jeder Gemeinde zum Tragen kommen. Dies gilt für Haupt- wie für Ehrenamtliche. Das erfordert die Bereitschaft zur Kooperation – von Haupt- und Ehrenamtlichen. Dies erfordert die Fähigkeit, zwischen Pflicht und Kür zu unterscheiden. Dies kann Kräfte freisetzen für die Arbeit mit den Menschen in der Ortsgemeinde und zugleich das Profil einer Gemeinde schärfen. Dies erfordert allerdings auch die Bereitschaft, von manchen liebgewordenen Arbeitsfeldern Abschied zu nehmen.
Mit diesen Ausführungen ist – in gewisser Hinsicht – vorgegeben, was die jeweilige Gemeinde, aber auch größere Einheiten wie Kirchenbezirke oder ganze Landeskirchen letztlich im Rahmen eines Leitbildprozesses zu leisten haben. Es bedarf der Besinnung in den Gremien und in der Mitarbeiterschaft auf den Auftrag der Kirche und das, was jeweils gewollt und möglich ist. 

3.3 Der zweifache Weg der Theologinnen und Theologen. Abgabe von Zuständigkeiten und Zunahme an Kompetenz

Wenn die Analysen der Umfragen und soziologischen Untersuchungen stimmen, dann brauchen die Kirchenmitglieder und die anderen Menschen darüber hinaus von der Kirche vor allem genau das, wozu die Theologinnen und Theologen sowie die Religionspädagoginnen und Religionspädagogen ausgebildet worden sind: die Vermittlung der in der Bibel niedergelegten Glaubenserfahrungen, das Fruchtbarmachen der christlichen Tradition, die Auseinandersetzung mit gängigen Weltanschauungen und Religionen, Seelsorge, Begleitung bei den Fragen nach Sinn und Schuld. Dies sind die Kernkompetenzen der Kirche und ihres theologisch ausgebildeten Personals.
Es stellt sich nun die Frage, warum dieses Personal nicht so eingesetzt wird? Zunächst einmal erscheint diese Frage unberechtigt. Denn Theologinnen und Theologen, Gemeindediakoninnen und Gemeindediakone machen genau das eben Genannte. Aber sie verbringen damit nur ungefähr 50% ihrer Arbeitszeit. Die restliche Zeit und Kraft wird – je unterschiedlich – verwandt für Verwaltungstätigkeiten, Personalführung, Hausmeistertätigkeiten, Gremienarbeit, Organisation von Gemeindefesten, Leitung von Gemeindekreisen, Anfertigung von Handzetteln und Plakaten, Lebensmitteleinkäufen u.v.a.m. Wenn die Kirche sich wirklich den Herausforderungen unserer Zeit stellen will, dann muß sie ihr Personal effektiver einsetzen – und es selbstverständlich ständig weiterqualifizieren.
Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Kirchengemeinden betrachten Pfarrerinnen und Pfarrer nach wie vor als Jungen und Mädchen für alles. Sie klagen über nur mäßige Predigten und Gottesdienste, wollen aber, daß der Pfarrer beim Gemeindefest hilft, die Sitzgarnituren aufzustellen. Sie wünschen, daß mehr Besuche gemacht werden und stellen die Pfarrerin an die Druckmaschine, um den Gemeindebrief fertigzustellen. Diese Dilemmata lassen sich noch lange fortsetzen. Nicht alles gilt für alle Gemeinden, aber vieles findet sich allzu oft.
Solche unangemessenen Rollenzuweisungen werden von den Pfarrerinnen und Pfarrern nicht selten gefördert oder provoziert. Für manche ist es angenehmer, am Computer einen Gemeindebrief fertigzustellen, als religionspädagogische Arbeit im Kindergarten zu machen. Manche geht lieber in den Kirchenchor als Konfimandeneltern zu besuchen. Das Pfarramt bietet die Möglichkeit und birgt damit zugleich die Gefahr, das Hobby zum Beruf zu machen. Das kann an gemeindlicher und kirchlicher Wirklichkeit vorbeigehen. Dringend notwendig ist eine Arbeitsfeldbeschreibung für jedes Pfarramt, auf das man sich zwischen Gemeindevorstand, Pfarrerin bzw. Pfarrer und Landeskirche einigt. Was bei Gemeindediakoninnen und -diakonen sinnvoll ist, kann für Pfarrerinnen und Pfarrer nicht falsch sein. Die Festlegung auf solch eine Arbeitsfeldbeschreibung klärt Erwartungen und Ansprüche ab, schützt vor Überforderungsgefühlen und macht Zuständigkeiten deutlich.
Funktionieren kann so etwas aber nur, wenn eine Gemeinde weiß, wo sie hin will. Diffuse Vorstellungen über die eigene Identität und die eigenen Ziele führen zu diffusen Erwartungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ebenso notwendig ist es dann, daß über die Einhaltung solcher Arbeitsfeldbeschreibungen oder Vereinbarungen regelmäßig gesprochen wird.
Dies bedeutet einen deutlichen Umbau des Pfarramtes, die Abgabe von Zuständigkeiten und Zugewinn an fachlicher Kompetenz. Pfarrerinnen und Pfarrer werden loslassen müssen: Das (theologisch unbegründbare) Gefühl, der Mittelpunkt der Gemeinde zu sein; ein Stück Freiheit, seinen Neigungen nach zu arbeiten; die Möglichkeit, von der zentralen Arbeit, deren Ergebnisse man fast nie vorzeigen kann, in periphere Arbeiten auszuweichen, die man schwarz auf weiß nach Hause tragen oder als vollendete Bauvorhaben sichtbar vor Augen führen kann. Dies bedeutet auch Abgabe von einem Stück Macht.
Gewonnen werden könnte dadurch die Zunahme an theologischer Kompetenz, weil mehr Zeit bleibt, sie zu praktizieren und zu schulen. Gewonnen werden könnte – auf lange Sicht – die Befreiung von unerfüllbaren Ansprüchen. Gewonnen werden könnte damit mehr Zufriedenheit mit dem Beruf.
Ein solcher Umbau des Pfarramtes wird nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch in den Gemeinden sich widersprechende Reaktionen auslösen. Sind die einen froh, daß nicht alle Arbeiten und gemeindlichen Talente durch das Sieb des Pfarramtes und des jeweiligen Stelleninhabers oder -inhaberin filtern müssen, so wird den anderen der Mensch in der Gemeinde fehlen, der immer für alles Zeit hat und all das erledigt, was sonst kein anderer macht.

Quod facit theologum et theologam?
Damit ist noch nichts ausgesagt darüber, wie die zentralen Aufgaben von Pfarrerinnen und Pfarrern zu erledigen sind. Wie die unserer Zeit angemessene Weitergabe des Evangeliums und der Seelsorge auszusehen hat, ist ein großes Kapitel für sich.
Einen mir wichtigen Aspekt möchte ich aber hier ansprechen. Es herrscht eine große Verunsicherung im PfarrerInnenstand. Nicht nur das Selbstwertgefühl ist gesunken – der Beruf des Pfarrers, der Pfarrerin hat an Ansehen verloren. Das spiegeln nicht nur Umfragen, sondern auch der Alltag. Verunsicherung ist auch bezüglich der Aufgaben vorhanden. Was macht den Pfarrer zum Pfarrer und die Pfarrerin zur Pfarrerin? Welchen der vielen und sich zum Teil widersprechenden Erwartungen ist nachzugeben, welchen nicht? Das PfarrerInnenbild ist ein viel diskutiertes Thema – zu Recht. Wir benötigen eine Übereinkunft darüber, was Gemeinde und Kirche, was aber auch die Gesellschaft von einem Pfarrer, einer Pfarrerin erwarten kann. Auch innerhalb der Pfarrerschaft herrscht diesbezüglich kein Konsens.
Das Minimalprogramm pfarramtlichen Handelns stellt aber bereits Maximalforderungen – wenn man seine Sache gut machen will. Die Seelsorge erfordert viel Zeit und Menschenkenntnis, die Verwaltung der Sakramente ist keine Routinesache, sondern wesentliches Element des Gemeindeaufbaus, die Verkündigung des Evangeliums in Lehre, Predigt und vielen andern unserer Zeit angemessenen Formen kann einen Menschen mehr als ausfüllen.
Nach meinen Vorstellungen, sollte die Arbeitszeit eines Pfarrers, einer Pfarrerin zu 80% von diesen Kernaufgaben bestimmt sein. Dazu bedarf es einer qualifizierten wissenschaftlich-theologischen Ausbildung. Manchmal ist die Tendenz zu spüren, hier auf ein Fachhochschulniveau abzusacken. Eine Pfarrerin sollte eine Akademikerin im besten Sinne sein. Seelsorge braucht gute psychologische Kenntnisse und kritische Selbsterfahrung. Die Persönlichkeitsbildung wird derzeit vernachlässigt. Wer predigen will, sollte eine gute Rednerin sein. Langweilige oder hochgestochene Predigten schaden dem Evangelium. Wer für diese Gesellschaft predigen will, der sollte sie auch mit gesellschaftswissenschaftlichem Instrumentarium hinterfragen können. Zu alledem braucht es nicht nur Zeit im Studium, sondern vor allem auch im Beruf. Wenn wir gute Pfarrer und Pfarrerinnen wollen, sollten wir ihnen diese Zeit geben und sie zum Fleiß anhalten.
20% der Arbeitszeit sollte für ein Spezialgebiet zur Verfügung stehen. Dies fördert die Vielfalt kirchlichen Handelns und ermöglicht die Umsetzung von Talenten. Diese Talente könnten auf dem Gebiet der Verwaltung, der Musik, der Arbeit mit bestimmten Zielgruppen, neue Formen kirchlicher Arbeit, Öffentlichkeitsarbeit und anderes umgesetzt werden.
Ich wünsche mir gute, selbstkritische Pfarrerinnen und Pfarrer, die ihre Kirche und ihre Sache im öffentlichen Diskurs vertreten können, die um die Bedeutung ihrer Arbeit für Kirche und Gesellschaft wissen, die ein anspruchsvolles Berufsethos leben, die um evangelische Freiheit und Verpflichtung zugleich wissen. 

3.4 Der zweifache Weg der Landeskirchen und der EKD. Dezentralisierung der Zuständigkeiten und Zentralisierung der Öffentlichkeitsarbeit 
Hier geht es um Überlegungen, die schon so weit angedacht sind, daß ich mich kurz fassen kann. Wenn in einer Umbruchssituation wie der jetzigen wichtige Entscheidungen in Fragen der Struktur, des Einsatzes finanzieller und personeller Ressourcen gefällt werden müssen, erscheint es sinnvoll, diese – innerhalb eines vorgegeben Rahmens – näher am Ort des Geschehens zu fällen. So werden in der badischen Landeskirche die dort notwendigen Entscheidungen zur Bildung von Regionen und der Reduzierung von Pfarrstellen auf Kirchenbezirksebene gefällt. Ähnliches ist für die Verteilung von Baumitteln und die Genehmigung von Haushaltsplänen angedacht. Dies würde für die Kirchenbezirke schwierige Lernprozesse und für die entscheidenden Gremien und Personen die Notwendigkeit zum Erwerb entsprechender Kompetenzen bedeuten. Ein Mitglied des Landeskirchenrates hat es einmal auf die Formel gebracht, daß der Landeskirchenrat an die Kirchenbezirke letztlich nur »Arbeit und Ärger« abzugeben hätte. Der damit vielleicht mögliche Gewinn an Flexibilität mag das rechtfertigen.
Ein für die Zukunft immer wichtiger werdender Arbeitsbereich der Kirche wird aber auf den landeskirchlichen Ebenen bleiben und ausgebaut sowie EKD-weit koordiniert werden müssen. Dies ist die Öffentlichkeitsarbeit, vor allem die in den elektronischen Medien. Hier ist ein solches Maß an spezialisierter Kompetenz und finanziellen Mitteln notwendig, daß dies weder Kirchengemeinden noch Kirchenbezirke leisten können. Wir benötigen eine Image-Kampagne für die Kirche, wenn wir weiter glaubwürdig sein wollen. Wir können nicht die Augen davor verschließen, daß immer mehr Menschen sich anhand von Fernsehen und Radio ihre Meinung darüber bilden, welche Institution für was steht und welche Meinungen diskussionswürdig sind. Das dabei in der Regel Berichterstattung und Meinungsbildung an einzelnen Ereignissen aufgehängt werden, lenkt den Blick zurück auf Gemeinde und Diakonie vor Ort. 

4. Drei Beispiele
4.1 Kommunikationsprogramme:
Neu anfangen – Brücken bauen

»Neu anfangen«, unter anderem 1989/90 in Ludwigshafen durchgeführt, und »Brücken bauen«, unter anderem seit nunmehr drei Jahren in Kaiserslautern umgesetzt, sind jeweils Programme, deren vorrangiges Ziel ist, die Kommunikation zwischen der Kirche in Gestalt der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Kerngemeinden mit den distanzierten Kirchentreuen und anderen ansprechbaren Mitbürgern zu stärken. Dies kann über Telefonaktionen und Schriftenverteilung zusammen mit Pressearbeit geschehen wie bei »Neu anfangen« oder aber durch eine konzertierte Öffentlichkeitsarbeit wie bei »Brücken bauen«. Ziel ist es jeweils, eine breite Öffentlichkeit durch eigene oder bereits vorhandene Medien und infolge davon einzelne Personen anzusprechen. Angesetzt wird bei dem Defizit der Präsenz der Kirche in der Öffentlichkeit. Erreicht wird, daß Kirche ins Gespräch kommt, daß sie sich darstellen kann, daß sie ihr Image beeinflussen kann. Es hat also eine stabilisierende Wirkung bezüglich der Stellung der Kirche in der jeweiligen Stadt, stabilisiert aber auch die Kirche von innen, weil derartige Aktionen die Motivation haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitender z.T. auf Jahre hinaus stärken.

4.2 Leitbildorientiertes Arbeiten:
Das Evangelische München-Programm

Ein derartiges leitbildorientiertes Vorgehen hat den Anspruch, ein umfassendes, wenn auch stets neu zu überarbeitendes Konzept zu entwerfen, das dann systematisch Teilbereich für Teilbereich umgesetzt werden soll. In München wurde dieser Weg nach einer kostenlosen Beratung durch die Firma McKinsey von einem Teil der dortigen Gemeinden beschritten. Auf einer Analyse des Ist-Zustandes mit Stärken und Defiziten folgt die Entwicklung einer Vision (Die Kirche im Jahre 2010). Es wird überprüft, welche Elemente der Vision mit den vorhandenen menschlichen und materiellen Ressourcen verwirklicht werden können. Dann folgt die Untergliederung in Zwischenschritte, die angegangen und deren Erreichen stets überprüft wird. Der Perspektivplan unserer Landeskirche könnte ein Schritt in solch einem Prozeß werden. Die Diskussion in den Gemeinden steht aber noch aus.
Ein derartiges Vorgehen setzt auch bei Strukturen an. Flexibilität ist ein wichtiger Begriff. Verbesserungen kann man nur erreichen, wenn man bereit ist, auch die unangenehmen Folgen von Veränderungen mitzutragen. Viele von mir oben vorgetragene Gedanken werden Sie im Evangelischen München-Programm und vergleichbaren Projekten wiederfinden.

4.3 Zielgruppenorientierte Cityarbeit: Turm 33
Cityarbeit ist ein Oberbegriff für neue Formen kirchlicher Arbeit in den Innenstädten von Großstädten, wie sie seit einer Reihe von Jahren praktiziert werden. Allen gemeinsam ist die Zielgruppenorientierung und die Niederschwelligkeit. Man möchte ein bestimmtes Segment unserer Bevölkerung, speziell der nicht in der Parochien fest eingebundenen Menschen, ansprechen. Dies kann auf dem Weg der Kunst (Musik, Malerei, Bildhauerei usw.), der Beratungsarbeit, der Kneipen- und Caféarbeit, der Ladenarbeit geschehen. Über die jeweiligen Medien sollen Begegnungen der Menschen untereinander und mit der Kirche in Gestalt der dort arbeitenden Christinnen und Christen geschehen. Der individualistischen Erlebnis- und Konsumgesellschaft wird mit diesen Arbeitsformen entgegengekommen. Man versucht damit genau die zu erreichen, die wir aufgrund der oben beschrieben gesellschaftlichen Veränderungen mit unserem traditionellen Programm nicht mehr ansprechen.
In Landau ist das »Café Kreuz und Quer« im Aufbau, in Ludwigshafen wird im nächsten Jahr der »Turm 33« seinen Betrieb aufnehmen. Im alten Turm der Lutherkirche wird auf zwei Ebenen eine Begegnungstätte in der Form eines Café-Bistros eingerichtet. Der Name wurde aufgrund der Hausnummer Maxstraße 33 gewählt. Der Wirtschaftsbetrieb wird dem eines normalen Bistros sehr ähnlich sein, er soll auch eine gewisse Rendite zur Deckung der hohen Investitionskosten abwerfen. Das Projekt wird als ausgesprochen kirchliches Projekt benannt, es wird also Farbe bekannt. Durch das Café als Arbeitsform ist jedoch die Niederschwelligkeit gegeben. »Mission« erfolgt in Form von Ansprechbarkeit auf Glaubensfragen und im Rahmen der inhaltlichen Gestaltung des Begleitprogramms. Hier soll sich Kirche als einladend, diskussionsbereit, tolerant mit eigenem Standpunkt, präsent im Alltag und vielleicht auch unkonventionell darstellen. Im möglichen Rahmen sollen (mit der Begrifflichkeit von »Fremde Heimat Kirche ausgedrückt) Präsenz der Kirche in der Öffentlichkeit und Profil gezeigt, öffentliche Verantwortung wahrgenommen und ein Stück persönliche Relevanz des christlichen Glaubens sichtbar gemacht werden. Wichtig ist bei diesem Projekt auch die voranlaufende Öffentlichkeitsarbeit. Der Bekanntheitsgrad dieses Projektes in Ludwigshafen ist jetzt schon sehr groß. 

5. Ausblick und Fragen
Eine Reihe von sich stellenden Problemen sind nur am Rande oder gar nicht angesprochen. Einige Fragen möchte ich stellen, ihre Antwort kann aber lediglich angerissen werden. 

Was ist mit der Diakonie?
Sie ist gelebter Glaube und damit unverzichtbares Kennzeichen der Kirche und als praktizierte Nächstenliebe Teil des Glaubenslebens jedes Christen und jeder Christin. Die institutionalisierte Diakonie steht nur dann auf dem Prüfstand, wenn ihr ein speziell christliches Gepräge fehlt oder die Abhängigkeit von externen Geldgebern oder der öffentlichen Hand zu groß wird. Die Diakonie ist aber in der Außenwahrnehmung der Kirche eines der wesentlichen Elemente, wenn nach ihrem Nutzen gefragt wird. Es ist zu überlegen, ob die Kirche die finanziellen Mittel, die sie für die Diakonie einsetzt, nicht sinnvoller in innovative Projekte steckt als in das flächendeckende Netz des Sozialstaates.
An einem Punkt jedoch sollte die Kirche sich weiterhin an diesem flächendeckenden Netz beteiligen, und das ist im Bereich der Kindergärten. Kindergärten können ein wichtiges Instrument zum Gemeindeaufbau und zur Vermittlung religiöser Beheimatung sein. 

Was ist mit der Kirchenmusik?
Sie ist eine Form christlicher Verkündigung und Bestandteil jeder gottesdienstlichen Feier. Im Sinne von Schwerpunktbildung im Rahmen der Zusammenarbeit von Gemeinde erscheint es sinnvoll, daß die Aufgabe des Ausrichtens von Konzerten zum Beispiel nicht von allen Gemeinden übernommen wird.

Was ist mit der Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung?
Dies müßte zunächst vor allem auch dadurch geschehen, daß mehr kirchlich geprägte Menschen den Weg in die Politik gehen. Dazu ist es notwendig, daß politisches Engagement höher geachtet und nicht als Betätigungsfeld für Ehrgeizler und Profilneurotiker abgetan wird. Darüber hinaus obliegt diese Aufgabe weiterhin allen Gremien, übergemeindlichen Diensten und kirchenleitenden Ämtern. Eine Konzentration der Arbeit in den Gemeinden auf die Kernkompetenzen bedeutet nicht einen Abbau übergemeindlicher Aufgaben. 

Wie kann der Umbau der Kirche angegangen werden? 
Da muß zunächst einmal der wirkliche Wunsch sein, etwas zu verändern, und die Bereitschaft, etwas aufzugeben um neues zu gewinnen. Dies bedarf dann einer Verständigung über das gewünschte Erscheinungsbild von Kirche und die Ziele, die erreicht werden sollen. Das erfordert Leitbildprozesse oder vergleichbare Vorgehensweisen auf allen Ebenen der Kirche. Wir werden offen und sicher kontrovers über alles reden müssen, ohne uns gegenseitig zu verurteilen, in einem wechselseitigen Lernprozeß. An dessen Ende darf es keine Gewinner oder Verlierer geben, sondern nur Menschen, die alle ein Stück weiter gekommen sind.
(Vortrag vor dem Hauskreis der Evangelischen Akademikerschaft im Dekanat Ludwigshafen am 3. Juni 1998) 
Dr. Michael Gärtner
Erzbergerstraße 16,
67063 Ludwigshafen

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