Gedanken zu Franz Rosenzweigs „Stern der Erlösung“ im Hinblick auf den Islam [1]

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Dr. Walter Schöpsdau
Chrodegangstraße 10, 64653 Lorsch

Man erinnert sich, dass Rosenzweig einmal in der Menschengeschichte nur drei religiös-philosophische Gestalten anerkennt: Judentum, Christentum und Heidentum, wobei Letzteres zu missionieren, die Hauptaufgabe der christlichen Kirche darstellt. Der Islam kommt zwar auch vor, schafft es aber nicht, das Heidentum zu überwinden, sondern bleibt ihm in dreifacher Weise verbunden, wie auch Nikolaus von Cues „mit Recht“ vom islamischen Bekenntnis „Gott ist Gott“ sagte, „dass so auch der Heide, auch der Atheist bekennen könne“; eigentlich sei es ein Unglaubensbekenntnis, weil es sich nicht zum offenbar gewordenen, sondern zu einem verborgenen Gott bekenne (202).

Da “Gott […] offenbar nur die Freien zu den Seinen (will)“ und infolge dessen „der Mensch […] bisweilen versucht wird um seiner Freiheit willen“ (296), vollzieht Rosenzweig am Islam fast „eine Probe auf das Exempel“ (129), wonach die Behandlung der drei Elemente Schöpfung – oder: „die Möglichkeit das Wunder zu erklären“, Offenbarung – oder: die „allzeit erneuerte Geburt der Seele“, Erlösung  oder: „die ewige Zukunft des Reiches“ korrekt nur im Glauben von Juden und Christen festgehalten wurden. 

Die vorweltlichen Begriffe, wie z. B. das Sein, werden vom Islam „ohne innere Umkehr in den Begriffkreis der Offenbarung hinein(geführt)“ (135; 191). Gottes Macht als Schöpfer äußert sich als reine Willkür, die bedingungslose Freiheit ist; es gibt keine Vorausgesagtheit für den Koran wie in der Bibel, sondern seine Unerklärlichkeit gilt als Beweis seiner Göttlichkeit (128f). Allah hat sozusagen kein Konzept, es findet sich „eigentlich eine von Gott dem Weltherrschaft gegen Gott den Schöpfer gerichtete Magie“; der Islam gleitet dadurch in ein monistisches Heidentum mit seinem polytheistischer Götterhimmel. 

Auch im Blick auf die anderen zwei Elemente ist Rosenzweig kritisch. Der „echte Schöpfungsbericht“ deutet auf seine Erfüllung im Offenbarungsbegriff hin (137). Dass der wahre Gott liebt, heißt nicht, dass Liebe eine Eigenschaft für ihn ist wie die Macht. „Gott liebt“ ist reine Gegenwart – was weiß Liebe selbst, ob sie lieben wird, ja selbst, ob sie geliebt hat. Allahs Wesen dagegen ist „All-liebe“, die Offenbarung wie ein gegenständliche Geschenk. Der Koran beginnt mit dem Erbarmen als Allahs Eigenschaft; Gott wählt sich nicht ein einzelnes Volk. Dass die Mängel des Menschen gewaltigere Erwecker der göttlichen Liebe sind als seine Vorzüge, ist für den Islam ein unvorstellbarer Gedanke (183-185). Der Islam praktiziert eine „ausgesprochene Ethik der Leistung“ und damit, ohne es zu wollen, „das Erbe der Ethik des ausgehende Heidentums“ (191f). 

Und zum dritten Weg, der Erlösung: Absichtslos gläubige Liebe des Nächsten ist für den Islam nicht eine Vorwegnahme der Erlösung. Für die Gläubigen in Juden- und Christentum ist die höchste „Welttat“ ganz freie, unberechenbare Liebe, im Islam hingegen Gehorsam gegen das einmal erlassene Gesetz (241). Der Gedanke der Zukunft, dass das Reich mitten unter uns ist und jeder Augenblick als der letzte erwartet werden kann, „erlischt in dem islamischen wie in dem modernen Begriff der Zeit“ (253). Eschatologisch gilt für Juden und Christen: „Was ist die Erlösung sonst als dies, dass das Ich zum Er Du sagen lernst?“ (305) Es gibt keinen an sich unrichtigen, sündigen Gebetsinhalt; selbst das Gebet, dass der Andere sterben muss, ist schon vor allem Beten durch den Schöpfer erfüllt und der Beter als Sterblicher schon „in seinem Eigenen“ (304f). Wenn der Sünder in uns betet, so „verzögert“ das Gebet „das Kommen des Reichs, indem es aus der Fülle der Liebe, die der Augenblick der angenehmen Zeit ⌠2. Kor. 6, 2⌡erwartet und braucht, sich selbst durch Bleiben im Eigenen ausschließt“ (305f).

Gegen den modernen Zeitbegriff sagt Rosenzweig: Zeit und Stunde sind vor Gott ohnmächtig. „Nicht er selbst für sich selbst, sondern er als Erlöser von Welt und Mensch braucht Zeit, und nicht weil er sie braucht, sondern weil Mensch und Welt sie brauchen. Denn für Gott ist die Zukunft keine Vorwegnahme; er ist ewig und der einzige Ewige, der Ewige schlechthin; ‚Ich bin’ ist in seinem Munde wie ‚Ich werde sein’ und findet erst darin seine Erklärung“ (303).

[1] Zitate mit Nennung der Seitenzahl in Klammern nach der Suhrkamp-Ausgabe 1988.

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