Innovation – Aus einer Arbeitsgruppe

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Dr. Michael Gärtner
Emil-Nolde-Straße 10, 67061 Ludwigshafen

Im Jahr 2011 hatte sich unsere Landessynode vorgenommen, den Haushalt der Landeskirche zu durchleuchten und in einer Portfolioanalyse alle Handlungsfelder auf den Prüfstand zu stellen. Das Ergebnis zeichnet eine recht genaue Zusammenstellung dessen, was über den von der Landessynode zu beschließenden Haushalt künftig finanziert werden soll.

Im Rahmen der Vorbereitung Portfolioanalyse lagen der Synode im Herbst 2011 mehrere Anträge vor, zusätzliche, innovative Handlungsfelder mit in die Portfolioanalyse aufzunehmen. Darunter waren Themen wie „Gewinnung und Wiedergewinnung von Mitgliedern“, „Profilbildung“, „Öffentlichkeitsarbeit in der Fläche (als Querschnittsaufgabe)“, „Visionen“, „Citykirchenarbeit“ und „Jugendkirchen“. Diese Anträge wurden abgelehnt. Stattdessen wurde als Versuch einer Bündelung ein Handlungsfeld „Innovative Projekte“ beschlossen. Mit der Wichtigkeit 3.27 und dem Wert für Profilbildung von 3.07 versehen, lag es damit im oberen rechten Quadranten und wurde also als selbstverständlich beizubehalten bewertet.

Beschrieben wurde dieses „Handlungsfeld“ folgendermaßen: „Auftrag und Ziele: Das Handlungsfeld Innovative Projekte innerhalb der Landeskirche soll Projekte, Aktionen und Initiativen fördern und unterstützen, die nicht Bestandteil der aktuellen Arbeits- und Handlungsfelder der landeskirchlichen Tätigkeiten sind. Es soll ein Anreiz für Aktivitäten schaffen, die heute noch nicht im Blick der Landeskirche sind, aber vielleicht morgen in die Arbeitsfelder der Landeskirche aufgenommen werden müssen. Das Handlungsfeld schafft Freiraum für Experimente. … Angesprochen sind alle Bereiche der Landeskirche. Gemeinden, Kirchenbezirke und übergemeindliche Dienste.“

Man spürt diesen Zeilen an, dass „innovative Projekte“ sich schwer in das Portfolioschema von Arbeitsbereichen und Handlungsfeldern einpassen lassen. Was es noch nicht gibt, kann schlecht ein Handlungsfeld sein. Aber manchmal ist der Kompromiss – auch der sprachliche – der beste Weg, vorwärts zu kommen.

Der Antrag lief darauf hinaus, aus landeskirchlichen Mitteln einen Fonds einzurichten, aus dem innovative Projekte unterstützt werden können. Das hat die Landessynode im Mai 2014 im Rahmen der Finanzplanung bestätigt, und diesen Fonds wird es ab dem nächsten Jahr geben. Dazu an anderer Stelle mehr.

Um diesen „Fonds“ zu konkretisieren, wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich einige wenige Male getroffen hat, um den Begriff “Innovation” ein wenig griffiger zu machen – stets in der Gefahr schwebend, sich im Grundsätzlichen zu verlieren. Die Arbeitstreffen waren interessant und hilfreich in ihrem Versuch, sich dem Geheimnis der Innovation zu nähern. Bei einer Näherung blieb es, das Geheimnis wurde nicht gelüftet. Aber wie es bei Geheimnissen so ist: Die Ahnung davon, was dahinter stecken könnte, übt eine ganz eigene Faszination aus.

Es blieb jedoch – zu Recht – der Einwand nicht aus, es mache wenig Sinn, sich dem Thema Innovation so grundsätzlich zu nähern. Sinnvoller und effektiver sei es, jeweils am Konkreten zu arbeiten. Wenn das „Alte“ nicht mehr funktioniere, mache es Sinn, sich auf die Suche nach dem Neuen zu machen. Dann könne man auch analysieren, was genau am „Alten“ nicht mehr funktioniere und was es koste – an Zeit, Geld, Überzeugungsarbeit –, es durch etwas Neues zu ersetzen. Sinn mache es auch, sich dem Themas Innovation zu nähern, wenn ganz konkrete neue Herausforderungen benannt werden können. Aber allgemein über Innovation nachzudenken sei letztlich wenig effektiv. Nun, der von der Landessynode beschlossene „Fonds für innovative Projekte“ möchte genau solche konkreten Unternehmen fördern.

Es blieb also doch noch ein wenig beim Nachdenken über Innovation als solche, was sie fördert und was sie hemmt. Es fehlte auch nicht der theologische Einwand, dass Innovation der Kirche ein grundsätzlich falscher Ansatz sei. Es könne doch nicht darum gehen, die Kirche in irgendeiner Weise zu erneuern, neue Arbeitsformen in der alten Kirche zu etablieren, sozusagen neuen Wein in alte Schläuche zu gießen. Es müsse darum gehen, dass die Kirche sich auf ihre eigentliche Aufgabe und Verheißung besinne und sich beidem stelle. Ein wichtiger Einwand, der deutlich macht, wie notwendig es ist, spezifische Kriterien für das zu entwickeln, was in der Kirche als innovativ gelten kann. Nicht alles was innovativ ist, ist gut und passend. Es muss halt alles geprüft werden, um das Gute behalten zu können.

„Ist Innovation planbar?“ Auch diese Frage nahm einen gewissen Raum ein. Sie ist letztlich eine andere Variante der Frage: „Ist die Zukunft planbar?“ Auch die Antwort ist letztlich die gleiche: Diese Frage stellt sich nicht wirklich, denn Zukunft muss geplant werden und tagtäglich sind wir damit beschäftigt, unsere Zukunft zu planen – die persönliche, die unserer Kinder, die unserer Kirchengemeinde und die unserer Gesellschaft. Das alles geschieht unter dem Vorbehalt „so Gott will und wir leben“, aber als der Zeit bewusste Lebewesen kommen wir in der Regel nicht darum herum, uns mit der Zukunft zu beschäftigen.

Es ist zudem Ausdruck verantwortlichen Handelns, für die Zukunft zu planen. Dies ist eine wichtige Führungsaufgabe in Kirchengemeinde, Landeskirche und jedem anderem Ort kirchlichen Handelns. Wobei das Planen in unüberschaubaren komplexen Zusammenhängen schwierig ist. Kirche ist an sich schon ein äußerst komplexes Gebilde, und sie befindet sich zudem derzeit in einem äußerst komplexen gesellschaftlichen Umfeld und vor einer eigentlich unüberschaubaren Zukunft.

Deshalb wurde auch ein wenig Zeit darauf verwendet, den Führungsansatz „Effectuation“ kennen zu lernen [1]. In bestimmten Situationen kommt Führung einem „Steuern ohne Landkarte“ gleich. Das gilt dann, wenn man nicht einfach ein Ziel setzen und dieses möglichst konsequent ansteuern kann. „Effectuation“ kann zum Zuge kommen, wenn klare Zielvorstellungen nicht vorhanden oder nicht entwickelt werden können. Dabei wird von vier Prinzipien ausgegangen: 1. Prinzip der Mittelorientierung: Es wird darauf geschaut, welche Mittel zur Verfügung stehen (Mitarbeiter, Finanzen, mögliche Mitstreiter, Ideen …); 2. Prinzip des leistbaren Verlustes: Es wird unter dem Aspekt des möglichen Scheiterns festgelegt, wie viele finanzielle Mittel eingebracht (und ggf. verloren) werden können und sollen; 3. Prinzip der Umstände und Zufälle: Umstände, Zufälle und Ungeplantes werden als Chancen gesehen und genutzt, nicht als Durchkreuzung der eigenen Pläne betrachtet; 4. Prinzip der Vereinbarungen und Partnerschaften: Vereinbarungen mit denen eingehen, die bereit sind mitzumachen. Partnerschaften zielflexibel aushandeln. Näheres im Buch selbst.

Wir haben bei den fünf Treffen des Arbeitskreises in den 18 Monaten manches gelernt: Zum Beispiel, dass man Innovation nicht verordnen kann, so gerne manche es manchmal möchten. Sie ist ein Ergebnis von Kreativität. Kreativität wiederum ist ein Ergebnis der Freiheit, quer denken und auch darüber reden zu dürfen.

Wir haben gelernt, dass keineswegs alle in unserer Kirche ein Bedürfnis danach haben, dass sich etwas ändert und Innovation am Horizont auftaucht. Manche denken, Kirche ist vor allem dann auf dem richtigen Weg, wenn sie so bleibt, wie sie ist. Andere sind dagegen von der tiefen Überzeugung und der ebenso tiefen Sehnsucht erfüllt, dass Kirche sich ändern muss.

Wir haben gelernt, was Innovation bremst und was sie fördert. Das Papier zu diesem Thema von Stefan Fröhlich und Gunther Schmitt findet sich unten. Daraus nur einige wenige Gedanken:

– Was wichtig ist, muss Vorrang haben vor dem, was dringend ist.

– Druck kann Innovation fördern, die Begeisterung von&xnbsp;einer Idee aber noch mehr.

– Angst hemmt. Die Sorge um den Selbsterhalt verkrampft und verhindert positive Veränderungen.

Vor allem eines haben wir gelernt: Dass man sich dem Fremden aussetzen muss, wenn man seinen Gedanken neue Wege ermöglichen will. Kirche muss sich der Sichtweise der anderen aussetzen, die nicht zum inneren Kreis der Evangelischen Kirche der Pfalz gehören. Es gilt wahrzunehmen, was 23-jährige Informatikstudierende, 42-jährige Hartz IV-Empfänger, die 56-jährige Reinigungskraft und 75-jährige Qi-Gong-Übende von Kirche denken und erwarten. Diese Reihe ließe sich fortsetzen und beliebig differenzieren. Nur mit dem Blick auf das Fremde und unter dem Blick des Fremden kann man sich selbst neu definieren.

Was bremst oder was fördert Innovation?

A: Was Innovation fördert:

1. Wichtiges vor Dringendem. Innovation wird ermöglicht, wenn Verantwortliche sich nicht nur vom Dringlichen drängen lassen, sondern dem Wichtigen Raum schaffen (Eisenhower – Prinzip).

2. Orientierung an Begabungen und Fähigkeiten statt durch Zufall geleitete Mitarbeit: Einsatzgespräche/ Jahresgespräche mit ehrenamtlichen Mitarbeitenden (Priestertum aller Gläubigen)

3. Beteiligung statt Betreuung. Strukturierte und zielorientierte Befragung von Mitarbeitenden: Was brauchst Du, was braucht unsere Gemeinde? Auch in der Leitung, Feedback-Kultur, &xnbsp;Visionsentwicklung/Zielorientierung

4. Flache Hierarchien in der Kirchengemeinde, z.B. Zukunftswerkstätten, die vom Presbyterium mit Kompetenzen ausgestattet werden (Cluster-Modell, bzw. Führen durch Leitlinien); Prozesse mit Organisationsberatung wie die IPOS-Prozesse; Kirchenrecht hat v.a. dienende, ermöglichende Funktion.

5. Pfarrerinnen und Pfarrer als Ermöglicher.
Türöffner statt Türwächter; Hauptamtlichkeit verhindert in der kirchlichen Realität oft Innovation; „Wo zwei oder drei in seinem Namen begeistert sind, kann der Pfarrer/ die Pfarrerin nicht anders, als Türen zu öffnen.“

6. Verliebtsein statt Routine. Innovativ sind Menschen, die in eine Aufgabe verliebt sind und Menschen, die unter Druck stehen. Im Idealfall kommt beides zusammen.

7. Offenheit für neue Mitarbeitende, Seiteneinsteigerinnen und Einsteiger, Expertinnen und Experten, die nicht churchy sind; neue Ideen kommen durch neue Leute

8. Mut zum Vorstoßen ins Vakuum.
Kai Scheunemanns Vakuumprinzip: Jede Innovation in der Kirche beruht auf der gezielten und zeitlich begrenzten Überforderung weniger Engagierter. Innovation auch ohne Geld und ohne die nötige Zahl von Mitarbeitenden, im Vertrauen darauf, dass zum Beispiel nach einem Vierteljahr finanzielle Mittel und Mitarbeitende kommen; wenn nicht, wird das Projekt wieder eingestellt.

9. Innovation geschieht aus einer dienenden Grundhaltung heraus, in allem „geschickt“ zu sein (missionale Kirche). „Nur wer sich ändert bleibt sich treu“ bewirkt, dass Kirche nicht verkrustet, sondern sich stets weiterentwickelt.

10. Innovationen sind nachhaltig, wenn sie von der Basis der Kirche breit getragen werden. Kirchenleitungen müssen sehen, dass ihre Innovations-Kompetenz in der Ermöglichung von Prozessen liegt, die sie selbst nicht regulieren können.

11. Innovationen sind nachhaltig, wenn sie transparent gestaltet sind. Das handelnde Umsetzen muss einfach ableitbar sein. Die Relevanz muss unmittelbar einleuchten.

12. Innovationen sind nachhaltig, wenn sie das Alleinstellungsmerkmal der Kirche und das öffentliche Empfinden ihrer Relevanz stärken.

B: Was Innovation verhindert:

1. Kirchenverständnisse, die praktisch gelebt werden, obwohl ganz andere Kirchenverständnisse bereits theoretisch-ekklesiologisch rezipiert wurden.

a. Kirche als Angebotskirche.
Kirche ist nicht schon und nicht immer nur dort, wo Kirche ein Angebot macht, sondern dort, wo Kirche sich ereignet (was auch außerhalb kirchlicher Strukturen stattfinden kann).
b. Kirche als Betreuungskirche.
Kirche lebt von Beteiligung, nicht von der Betreuung durch dazu bestallte Beamtinnen und Beamte.
c. Kirche als Bewahrerin von Traditionen und Sicherheit, als letzter Rückzugsort der bürgerlichen Mitte, die ihre Felle wegschwimmen sieht – Kirche ist in Bewegung, auf das Reich Gottes zu, auf die Mitte hin, auf den hin, der die Mitte ist, Christus.
d. Kirche im Selbsterhalt, als Bewahrerin vom kirchlichen Strukturen und kirchlichem Wohlstand.
„Solange gut verdienende Pfarrerinnen und Pfarrer schlecht finanzierte Gemeinden leiten, wird der Innovationsdruck in unserer Kirche nicht stark genug sein.“ (Fröhlich/Schmitt).
„Es läuft doch!“, sagen die Ex-Nordelbier &xnbsp;zu den Ex-Pommern in der neuen Nordkirche angesichts relativ stabiler Kirchensteuereinnahmen.

2. Selbstverständnisse von kirchlichem Personal (vor allem von Hauptamtlichen, aber auch von Neben- und Ehrenamtlichen), die praktisch gelebt werden, obwohl bereits theoretisch-pastoraltheologisch ganz andere Amtsverständnisse rezipiert wurden.

– Die Pfarrer/innen sind das Schlüsselproblem: Sie müssen sich neu verlieben.
– Pfarrer/innen fragen sich neu: Wofür schlägt mein Herz?

3. Angst
Alle Argumente sind schon gehört worden und haben die Ängstlichen nicht verändert; deshalb: Was öffnet Menschen?

– das Erlebnis miteinander teilen, nicht nur die Theorie mitteilen
– das Neue schmecken, sehen, riechen, fühlen (Dr. Steffen Bauer)
– 12 motivierte Menschen stecken an und können Berge versetzen (Prof. Klaus Berger)
– sich verlieben (siehe oben)

Stefan Fröhlich / Gunter Schmitt

[1]Michael Faschingbauer, Effectuation. Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln, Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart 2010 – Ich bin mir wohl bewusst, dass die Begriffe „Unternehmen“ und „Unternehmer“ nicht auf die Kirche anwendbar sind. Das soll auch nicht geschehen. Aber auch hier gilt: „Prüfet alles und das Gute behaltet!“ Ich fand nicht alles gut in diesem Buch, aber vieles sehr interessant.

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