Die Stadt auf dem Berge

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Michael Behnke
Oklahomastraße 12. 66482 Zweibrücken

Und es begab sich zu der Zeit, als das Land der Protestanten an einer großen geistlichen Hungersnot litt. Die Gemeinden darbten und drohten langsam auszuzehren. Andere lagen im Sterben, wieder andere flüchteten in fruchtbarere geistliche Regionen, die mehr Nahrung versprachen. Da sagten die Oberen im Zentrum des Protestantismus zueinander: „Lasst uns einen hohen Turm bauen, einen Wolkenkratzer des Glaubens, die gelobte Stadt auf dem Berge, das himmlische Jerusalem des Protestantismus.“

Und sie sandten ihre Botschaft, eingebunden in blau/grüne Hefte, die daran erinnern sollten, dass eine neue Erde und ein neuer Himmel des Protestantismus entstehen sollten, und sie schickten sie in alle Provinzen des protestantischen Reiches und verkündeten die neue Frohe Botschaft mit kräftigen Worten: „Die notwendige Konzentration der Kräfte soll zu einigen zentralen Kompetenzzentren führen, die kompetent und dienstleistungsbereit im Blick auf zentrale kirchliche Handlungsfelder spezifische Inhalte des Evangelisch-Seins für alle Landeskirchen entwickeln und vermitteln. Solche Zentren bürgen für das wünschenswerte theologische Niveau und unterstützen damit die Qualitätssicherung der Angebote der EKD“ (Kirche der Freiheit, S. 99).

Und als die Oberen der Landeskirchen das lasen, riefen sie hoch erfreut: „Halleluja, Ja, das isses! Des mache mer!“

Und sie brachen auf und eilten nach Hannover und trugen mit sich viele Geschenke. Nur das Kirchenvolk brachten sie nicht mit (die wollten nicht!), auch die Pfarrer ließen sie zu Hause (dieses faule Pack hatte man erst gar nicht eingeladen!), dafür schleppten sie aber Säcke mit sich voller Gold und Geld und Reden voller Weihrauch und Konsenspapiere, so wertvoll wie Myrrhe. Und alle machten sich auf und fingen an zu bauen am hohen Turm des neuen Protestantismus. Zwölf alles überragende Leuchttürme wurden errichtet, acht davon strahlten in Berlin, Dresden, Nürnberg, Stuttgart, Wittenberg, Leipzig, Dortmund und Hamburg. Nur in der Pfalz, da leuchtete mal wieder nix!

Unter großen Anstrengungen, unterstützt von kostenintensiven Werbefeldzügen, richteten sie sich an ihr Glaubensvolk, ließen musizieren, sprachen und deklamierten in die Herzen der Kameras und in die Ohren der Mikrofone, die massenhaft zu ihnen ehrfürchtig aufschauten. Und in allen Medien in allen Provinzen des Landes erstrahlte der neue Protestantismus zu neuem Leben.

Doch in den Provinzen schliefen die letzten Evangelischen den Schlaf der Gerechten. Immer wenn eine Sendung kam, waren die einen auf dem Klo, andere aßen Kuchen und wieder andere zeigten Tante Erna die Bilder von der letzten Urlaubsreise. Auch Pfarrer gab es keine mehr, hatte doch diese faule Brut infolge der Neuordnung ihre Existenzberechtigung verloren. Wozu noch einen inkompetenten und stammelnden Geistlichen zuhören müssen, wenn dies exzellent, kompetent und überzeugend von einem Meister des Faches per TV, Internet, Ipads, Handies usw. in alle Häuser gebracht werden konnte?

Auch der Papst kam eines Tages in den Wolkenkratzer des evangelischen Glaubens und ließ sich von denen dort die Füße küssen. Wohlwollend sprach er sodann: „Das habt ihr toll gemacht! Aber wisst ihr, das mit der zentralen Stadt auf dem Berge, das machen wir schon seit 2000 Jahren so!“

Doch als der Turm nun immer höher wurde und schon an dem Himmel kratzte, erzürnte der Herr und sprach: „Seht nur diese Oberprotestanten! Ein Volk wollen sie sein und mit einer Sprache wollen sie für alle sprechen. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Auf, steigen wir herab und verwirren wir die Kabel ihrer Mikrofone, schalten wir ab die Provider ihrer Homepages, ziehen ihnen den Stecker raus aus ihren Sendern und elektrischen Leuchttürmen und verwirren wir die Stimmen ihrer Sprecher!“

Und der Herr zerstreute die letzten Protestanten über die Lande, wo sie vergebens nach gastlichen Gemeinden suchten. Die Kirchen lagen verwüstet da, die Pfarrhäuser waren verkauft oder verfielen langsam vor sich hin. Einige Uralte erinnerten sich vage an Glockengeläut und Hochzeiten mit glücklichen Brautpaaren, an Taufen mit freudig aufgeregten Eltern und Paten, an feierliche Konfirmationen, an herzzerreißende Beerdigungen, an den Lichterzauber der Adventszeit, an dufteten Lebkuchen und leckere Plätzchen, an rappelvolle Kirchen zu Weihnachten und an die leuchtenden Augen der  beschenkten Kinder und an einen freundlichen Mann oder eine herzliche Frau, die Zeit für sie hatten, die mit ihnen redeten, ihn zuhörten und ihre Sorgen mit ihnen teilten. Aber die Jungen wussten nichts mehr davon, und jene sahen diese vorbeiziehenden Menschen mit Unverständnis an. Was meinten die? Aber es war zwecklos, sie verstanden ihre Sprache nicht mehr.

Doch die einstige Stadt auf dem Berge lag von den Evangelischen verlassen da. Weil in ihr immer so viele Worte und unnütze Reden gehalten wurde, nannte man sie hinfort: „Babbel-City“ oder auch „Town of great Gebabbel“.

Die Gesellschaft, in der wir leben, erinnert an den „Turm zu Babel“. In ihr entsteht eine gigantische, in sich hoch differenzierte technologische Struktur, die bis in den Himmel reicht, auf Mond und Mars und an die Ränder unserer Galaxie zu reisen imstande ist. Auf allen Ebenen der Gesellschaft aber werden die Anstrengungen des Einzelnen immer mehr entwertet. Nur in der permanenten Vernetzung aller mit allen und aller Dinge mit allem scheint ein Überleben möglich. Warum also nicht alle Kräfte vernetzend sammeln und zentral einen Leuchtturm des Glaubens bauen, der in alle Lande hineinleuchtet und alle medial erreichen kann? Die Idee ist bestechend! Und machen es Politik und Wirtschaft nicht auch so mit immer größerem Erfolg? Also auf! Lasst es uns nachmachen, und wir werden endlich den schwindenden Glauben retten!

Der Turm, der dann gebaut wird, ist beeindruckend. Aber musste man für ihn nicht alle möglichen Rivalen recht unchristlich aus dem Felde fegen? Renitente Pfarrer musste man gleich massenweise eliminieren, erst durch Rufmord und dann durch Streichen der Stellen.  Zeternde Gemeinden waren einfacher zu beruhigen. Man ließ sie einfach schreien, bis sie heiser waren, dann wurden sie von alleine still. Dann gab es noch einige Professoren, die vehement Sturm gegen die Reform liefen. Aber auch sie ließ man durch Ignoranz ins Leere laufen. Irgendwann liefen alle entnervt mit hängender Zunge und gebeugtem Kopf zurück an ihre Katheder und nahmen ihre reguläre Arbeit wieder auf oder gingen lieber gleich in Altersteilzeit.

Der Turm ist beeindruckend, aber er zeigt auch: Er ist kein Produkt des göttlichen Geistes, sondern der menschlichen Vorstellungskraft vor dem Hintergrund einer immer komplexer werdenden Welt, die Angst macht, die man aber mit eigener Kraft versuchen möchte zu bändigen. Nur er ist ein Gebilde reiner Worte, ein hoch getürmtes Gedankengebäude, das mit menschlicher Macht ins Werk gesetzt wurde. Doch es sind Worte, die zeigen, dass sie nur mit inhumanen Mitteln, mit Macht von oben durchgesetzt wurden. Jedoch alles, was nur aus menschlichen Worten und menschlicher Macht aufgebaut werden wird, ist letztendlich dem Verfall preisgegeben. Es fehlt ihm der göttliche Geist, der ja auch der humane ist, weil wir nun mal alle ein Ebenbild dieses Gottes sind. Nur der göttliche Geist kann unser Planen letztendlich mit Leben erfüllen, weil nur in ihm die Zuwendung Gottes zu uns Menschen Wirklichkeit wird. Das menschliche Wort allein mag beeindrucken, es mag sogar begeistern. allein es „inkarniert“ sich nicht, es wird nicht zur Leben schaffenden Wirklichkeit.

Wo ist der göttliche Geist in „Kirche der Freiheit“? Ich kann es nicht erkennen. Zu viele hochtrabende, uns PfarrerInnen beleidigende Worte, doch keine Einsicht und Bußfertigkeit auf der Seite der Autoren. Allein ich kann es nicht wissen, die Zeit wird es letztendlich erweisen müssen. Das war schon der Rat des weisen Gamaliels, der im Hohen Rat über das Schicksal der ersten missionierenden Jünger mitbefinden sollte: „Wenn dieses Vorhaben von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr es nicht vernichten“ (Apg 5,39). Gottes Geist in Hannover? Nun ja, man weiß ja nie! Aber will man wirklich die Probe aufs Exempel machen?

Was die Bibel mit dem „Turmbau zu Babel“ sagen will, nannten die Griechen Hybris. Wer dem Größenwahn verfällt, wer sich den Göttern nahe wähnt, weckt deren Zorn und Neid und er ist letztendlich dem Untergang geweiht. In Athen wurden diese Tragödien jedes Jahr als großes Fest aufgeführt, um dem Volk die fatalen Folgen der Hybris vor Augen zu halten. Doch während der Theateraufführungen entwickelten die Zuschauer ein immer größeres Mitgefühl mit dem tragischen Held, ihre Seele erlebte eine innere Erschütterung, was zu einer inneren „Katharsis“, einer Reinigung, einer Befreiung aus den eigenen Verstrickungen mit der Hybris führte. Die so im Herzen gereinigten Athener gründeten dadurch jeweils neu ihre staatliche Gemeinschaft durch das gemeinsam durchlittene Mitleiden. Die Tragödie erneuerte so jährlich im gemeinsamen Leiden und der befreienden Katharsis das innere Band ihrer Bürger.

Vielleicht sollten wir auch damit anfangen, jedes Jahr an einem Sonntag den „Turmbau zu Babel“ in unseren Kirchen in einer jeweils modernen Fassung zu inszenieren. Auch uns täte es gut, gelegentlich an den in uns schlummernden Größenwahn erinnert zu werden, um zu einer inneren Buße und Reinigung geführt zu werden, der uns von Stolz, Hochmut und Besserwisserei heilen möge. Denn die Lektion ist einfach und so alt wie die ältesten Teile des Alten Testaments: Wir kommen Gott und dem Himmel nicht näher, indem wir hohe Türme bauen, sondern allein dadurch, dass wir uns der Erde und den leibhaftigen Menschen vor Ort zuwenden. Und das geschieht noch am besten in den Gemeinden.

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