Dr. Karlheinz Lipp
Friedrich-Wilhelm-Straße 42, 12103 Berlin
Das Epochenjahr 1917 mit dem revolutionären Umbruch in Russland (Februar- und Oktoberrevolution) sowie dem Kriegseintritt der USA brachte auch eine Zunahme von Friedensaufrufen. So versuchte die parlamentarische Mehrheit des Deutschen Reichstags durch eine Friedensresolution die Friedensbemühungen zu aktivieren. Auch international wurden Fühler ausgestreckt, etwa durch den Friedensappell von Papst Benedikt XV. an die kriegführenden Staaten. Im Sommer 1917 konstituierte sich langsam eine evangelische Friedensvereinigung – und fand Unterstützung aus der Pfalz.
Ein Friedensimpuls aus Galizien
Der Marburger Theologe Martin Rade gehörte nicht zu den Unterzeichnern des berüchtigten Aufrufs von 93 deutschen Gelehrten, davon 13 Theologen, die am 4. Oktober 1914 den Imperialismus des Kaiserreichs rückhaltlos unterstützten. Rades Zeitschrift Die Christliche Welt bot auch jenen ein publizistisches Forum, die nicht unbedingt der vehementen deutschen Kriegspropaganda folgen wollten.
Als besonders interessant und folgenreich muss der Artikel mit dem bezeichnenden Titel „Kirchen und Pfarrer hinein in die Arbeit für den Frieden!“ des Pfarrers Fritz Seeberg aus Galizien angesehen werden, dessen Beitrag in der Nr. 30/1917 erschien. Der Name des Autors erschließt sich erst anhand des Inhaltsverzeichnisses. Seebergs Beitrag kann nicht hoch genug für die Entwicklung der evangelischen Friedensfreunde eingeschätzt werden.
Zur Förderung des von Seeberg vertretenen Wunsches nach einer Verbreitung des Friedensgedankens bildete sich in Berlin eine organisatorische Zentralstelle um Pfarrer Karl Aner (Pfarrer an der Trinitatiskirche in Berlin-Charlottenburg), der noch in den ersten Kriegsjahren einen weit verbreiteten theologischen Militarismus vertrat. Aner erlangte eine gewisse Popularität als er im September 1917 als evangelischer Pfarrer in einem Artikel die Friedensnote von Papst Benedikt XV. unterstützte und sie gegen Kritik von protestantischen Geistlichen ausdrücklich verteidigte.
Von der Zentralstelle zur „losen Vereinigung“ evangelischer Friedensfreunde
Aner und Rade wandten sich in einem Brief vom 27. August 1917 an pazifistisch eingestellte Personen mit dem Ziel, Gleichgesinnte in ganz Deutschland zu sammeln. Damit sollte neben den bereits bestehenden sozialistischen und katholischen Internationalen, so Aner und Rade, eine protestantische Gemeinschaft an die Seite gestellt werden, um eine Verständigung der kriegführenden Staaten zu erreichen. So entstand langsam die Zentralstelle evangelischer Friedensfreunde.
Ein zweites, vierseitiges Rundschreiben, das Aner allein unterzeichnete, erschien am 12. September 1917. Der Berliner Pfarrer schildert zunächst die positive Aufnahme der Friedensarbeit durch entsprechende Briefe an ihn und beschreibt als pazifistischen Grundkonsens die Idee der Verständigung. Karl Aner betont danach besonders, dass es vor allem Laien gewesen waren, die in ihren Schreiben eine größere Aktivität von den evangelischen Kirchen hinsichtlich des Friedensengagements forderten. Zwei Aufgaben sieht Aner als vordringlich an, nämlich die Pflege einer Solidarität mit den Christenmenschen in neutralen oder feindlichen Ländern sowie die Förderung der Idee eines Verständigungsfriedens angesichts des Ersten Weltkrieges. Eine wichtige Konsequenz, so Aner, sei in diesem Zusammenhang die deutliche Kritik an der Gewaltpolitik alldeutscher Kreise. Die evangelischen Friedenskräfte müssten sich besonders dafür einsetzen, dass dem Protestantismus der Vorwurf nationalistisch-militaristischer Gebundenheit erspart bleibe.
Die Gründung des Alldeutschen Verbandes erfolgte in Berlin am 9. April 1891. Zu den Gründern gehörten u.a. Reichstagsabgeordnete, Professoren, Kolonialpolitiker, Diplomaten, Künstler, Großgrundbesitzer und Industrielle. Zum Vorsitzenden wurde der Bankier und Kolonialpolitiker Karl von der Heydt gewählt, Ehrenmitglieder wurden der berüchtigte Kolonialist Afrikas, Carl Peters, sowie der ehemalige Reichskanzler Otto von Bismarck.
Zum Selbstverständnis dieser Organisation gehörten ein radikaler Kolonialismus, ein völkischer Nationalismus und ein rassistischer Antisemitismus. Daraus ergaben sich konkrete politische Folgerungen: eine expansive Kolonial-, Flotten- und Wehrpolitik, innenpolitisch der Kampf gegen die SPD und den Parlamentarismus, der Umbau der Verfassung und geplante Staatsstreiche sowie eine antipolnische Germanisierungspolitik. Während der Zeit des Ersten Weltkrieges forderten die Alldeutschen deutliche Gebietsgewinne in ganz Europa, auch aus wirtschaftlichen Gründen.
Besonders das protestantische Besitz- und Bildungsbürgertum stellte die wichtigste Trägergruppe des Alldeutschen Verbandes dar. Die nationalistischen und aggressiven Presseagitationen der Alldeutschen wurden vom Auswärtigen Amt mitfinanziert.
Aners Kritik an den Alldeutschen
Es war dann Karl Aner selbst, der daran ging, die Lügen der alldeutschen Kriegshetzer publizistisch zu entlarven. Im Herbst 1917 erschien seine wegweisende, politisch treffend analytische Schrift Hammer oder Kreuz?, in der sich der Friedenspfarrer deutlich gegen die Alldeutschen aussprach.
Konkret kritisiert Aner an den Alldeutschen folgende Punkte:
– Die Forderung nach Abschaffung der Bibel aus dem Schulunterricht und die Ersetzung durch germanische Sagen sowie einen germanischen, nicht christlichen, Kult.
– Die Verächtlichmachung der Schwachen durch eine Auslese im sozialdarwinistischen Sinne.
– Die Gewaltanbetung, den Völkerhass und die Befürwortung von Kriegen.
Aner vertritt einen christlichen Pazifismus, der sich gegen Hass und Rachegelüste im privaten Bereich sowie im Völkerleben richtet. Damit bezieht der Friedenspfarrer das Christentum keineswegs nur auf die private Sphäre. Um aus der Gewaltspirale auszubrechen, müsse angefangen werden, so Aner, anderen Völkern die Hand zur Verständigung und zum Frieden ausgestreckt werden – ganz im Sinne des Völkerrechts.
Ferner richtete sich Aner mit seiner Broschüre gegen die am 2. September (Sedanstag) 1917 gegründete Deutsche Vaterlandspartei, ein Sammelbecken nationalistisch-konservativer Kreise mit dem klaren Ziel eines angeblich bevorstehenden Siegfriedens.
Der Friedenspfarrer machte innerhalb der evangelischen Friedenskreise erfolgreich Werbung für seine Schrift, die ein Jahr später prompt eine zweite Auflage erfuhr.
Auf der 224 Namen umfassenden Mitgliedsliste der evangelischen Friedensfreunde der Jahre 1917/18 befinden sich auch zwei Personen aus der Pfalz, nämlich Kurt Adolf Foell (1890-1950) und Jakob Ott (1889-1919). Beide arbeiteten zu diesem Zeitpunkt als Stadtvikare, Foell in Zweibrücken und Ott in Frankenthal.
Über weitere pazifistische Aktivitäten dieser beiden Stadtvikare konnte nichts ermittelt werden.
Quellen und Literatur
Evangelisches Zentralarchiv Berlin, Bestand 51/F II a 7
Die Christliche Welt 1917
Aner, Karl: Hammer oder Kreuz? Eine Abwehr alldeutscher Denkart im Namen des Christentums. Berlin ²1918
Lipp, Karlheinz: Berliner Friedenspfarrer und der Erste Weltkrieg. Ein Lesebuch. Freiburg i. Br. 2013