Prof. Dr. Christian Möller
Praktisch-theologisches Seminar
Karlstraße 16, 69117 Heidelberg
Eine historische Erinnerung aus aktuellem Anlass einer anstehenden Regionalreform in der Pfälzischen Landeskirche
1. „Die Kirche lebt aus dem Geist Gottes“
Mit dieser These beginnt das pfälzische Strategiepapier von 2011. Es ist eine programmatische Ansage von hohem Gewicht, und sie wird dadurch noch gewichtiger, dass gleich im zweiten Satz das Vertrauen der Kirche zum Ausdruck gebracht wird, mit Pfingsten sei die Verheißung des Joelbuches in Erfüllung gegangen, dass Gott seinen Geist über alle ausschütten wird, die ihm dienen. Damit sei die Kirche in die Geschichte Gottes mit den Menschen hinein genommen worden. „In Zuspruch und Anspruch dieser Verheißung gründet die Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche)“. Im Licht dieser programmatischen Ansage erscheinen mir auch die drei thematischen Schritte des Strategiepapiers verheißungsvoll: In der Kraft des Geistes „mutig voranschreiten“, geleitet vom Geist „den Wandel gestalten“, erfüllt vom Heiligen Geist „Gott vertrauen“. So stelle ich mir eine Kirche vor, die aus dem Geist Gottes lebt, sei es in der Pfalz oder anderswo.
Ich begann jedoch zu stutzen, als ich das Strategiepapier mit der Frage durchging, wie sich die Kirche dem Wirken des Geistes nun im Detail zur Verfügung stellt. Von den Verheißungen des Geistes oder von der Unterscheidung der Geister ist aber in den drei Hauptteilen des Papiers keine Rede mehr. Stattdessen heißt es immer wieder: „Wir wollen…“: „Wir wollen Kirche für andere und für alle sein und bleiben“. Und weiter: „Wir wollen in diesem Sinne Volkskirche bleiben“. Und weiter: „Als Volkskirche im Wandel wollen wir öffentliche, erkennbare, offene, Kirche für Andere und missionarische Kirche sein und bleiben“. Die Gegenfrage muss natürlich im Sinn des Leitsatzes lauten, dass die Kirche aus dem Geist Gottes lebt: Will das denn auch der Heilige Geist, oder sind das nur gut gemeinte Vorsätze von Menschen?
Ich will dieser Frage an der aus dem II. Teil des Strategiepapiers hervorgegangenen Handreichung „Zusammenarbeit in der Region“ in diesem Beitrag für das Pfälzische Pfarrerblatt nachgehen, weil die Umsetzung dieser Handreichung gegenwärtig in der Pfälzischen Landeskirche ansteht.
2. Zusammenarbeit in der Region
Auch wenn die sog. „Portfolioanalyse“ der Landesynode ergeben hat, dass die Arbeitsfelder des Gemeindepfarramts mit Abstand am höchsten eingestuft werden, weil die Ortsgemeinde die „Kirche der kurzen Wege“ und eine menschennahe Kirche ist, muss doch zugleich davor gewarnt werden, nunmehr in eine „Parochitis“ zu verfallen. Eine von der Parochitis befallene Parochie sieht nur noch ihren eigenen Kirchturm, kreist förmlich um diesen Kirchturm und wird blind für das, was in der Nachbargemeinde passiert. Dabei könnten doch so viele Impulse von der einen zur anderen Gemeinde kommen. Es könnte doch gegenseitige Entlastung und gegenseitige Bereicherung zwischen Gemeinden und ihren Pfarrämtern geben.
Dieser Erwartung, die sich aus mancher guten Erfahrung speist, trägt das Strategiepapier mit seinen Vorschlägen für die Entwicklung der Organisationsstrukturen der Landeskirche Rechnung. Die Handreichung „Zusammenarbeit in der Region“ bringt die Vorschläge in eine Schrittfolge und kommt zu sog. „Kooperationszonen“, die in einer Kooperationsvereinbarung festgeschrieben werden soll. Welche Chancen in einer regionalen Kooperation stecken, wird an dem Beispiel der Verbandspfarrei Obermoschel durch Dekan Stefan Dominke und am Beispiel der Verbandspfarrei Schifferstadt durch Pfarrer Dr. Wolfram Kerner auf eine sehr sympathische und verlockende Weise beschrieben.
Was jedoch bei den einen in langer Zeit gewachsen ist, soll nun bei den anderen zum Gesetz in Gestalt von verpflichtenden Kooperationsvereinbarungen werden. Hier scheinen mir die „Schritte auf dem Weg“, die in der Handreichung S. 7-10 vorgeschlagen werden, problematisch zu werden. Wohl gemerkt, ich meine nicht Verbandspfarreien wie in Bliesgau, Obermoschel, Schifferstadt und anderswo, obwohl ich mir vorstellen kann, dass auch dort das locker und kollegial Gewachsene allmählich zu Kampf und Kampf werden kann, wenn es in Kooperationsvereinbarungen festgeschrieben werden muss. Das Gesetz hat es eben an sich, dass es die Menschen in Korsetts presst und störrisch macht. Das gilt um so mehr für sog. Kooperationszonen, die auf Gedeih und Verderb gebildet werden müssen, ohne dass schon Nähe und gute Erfahrung gewachsen sind. Kurz, die gesetzliche Ausrichtung, die die gut gemeinte Regionalisierungsidee in der Handreichung bekommen hat, scheint mir alles zunichte zu machen. Ist sie nicht dazu angetan, aus Kooperationszonen unter der Hand Zwangszonen zu machen?
3. Eine historische Erinnerung
Manchmal kann eine historische Erinnerung entkrampfend und weiterführend sein. Deshalb gehe ich zurück in das Jahr 1526: Franz Lambert von Avignon entwarf auf Bitten des hessischen Landgrafen Philipp einen Reformplan, wie Gemeinden geordnet sein sollten, die dem Evangelium folgen. Auf der Homberger Synode von 1526 wurde dieser Plan zur Reform aller hessischen Gemeinden beschlossen. Demnach sollte jede Gemeinde in zwei Kreisen aufgebaut sein: Ein weiterer Kreis mit denjenigen, die den Gottesdienst besuchen und das gepredigte Wort hören; ein engerer Kreis mit denen, die sich der nach biblischem Gesetz durchgeführten Kirchenzucht unterwerfen und deshalb auch am Abendmahl teilnehmen dürfen. Nur dieser engere Kreis sollte als evangelische Gemeinde in Betracht kommen und Vertreter in die Synode aller hessischen Gemeinden entsenden dürfen.
War dieser Reformplan dem Landgrafen Philipp von Hessen nicht ganz geheuer oder wollte er nur sicher gehen, so schickte er ihn auf jeden Fall vor der endgültigen Einführung nach Wittenberg und erbat von Martin Luther eine Stellungnahme. Die Antwort, die Luther am 7. Januar 1527 nach Marburg schrieb, erscheint mir auch für gegenwärtige Reformpläne in der Kirche von einer so grundsätzlichen Bedeutung zu sein, dass ich den wesentlichen Teil seines Briefes hier wiedergeben möchte:
„Eure Fürstlichen Gnaden sollte nicht gestatten, schon jetzt diese Ordnung durch den Druck zu veröffentlichen. Denn ich bin bisher noch nicht so kühn gewesen und kann es auch noch nicht sein, eine solche Menge Gesetze mit so gewaltigen Worten bei uns einzuführen. Nach meiner Meinung wäre es richtig, so zu verfahren, wie es Mose mit seinen Gesetzen getan hat: Er hat sie zum größten Teil aus der Gewohnheit, die aus altem Herkommen im Volk lebendig war, entnommen, aufgeschrieben und geordnet. So sollte Eure Fürstlichen Gnaden zuerst die Pfarren und Schulen mit tüchtigen Personen versehen und zuvor erproben, mit mündlichen Befehlen und schriftlichen Mandaten – und das alles aufs Kürzeste und aufs Notwendigste beschränkt –, was sie tun sollen. Und noch viel besser wäre es, wenn die Pfarrer zuerst einer, drei, sechs, neun untereinander eine einheitliche Weise in einem oder drei, fünf, sechs Stücken anfingen, bis sie in Übung und Gebrauch kommen, und danach weiter und mehr, wie sich die Sache wohl selbst geben und alle überzeugen wird, so lange, bis alle Pfarrer nachfolgen. Dann erst könnte man es in einem Büchlein zusammenfassen.
Denn ich weiß es wohl und habe es auch wohl erfahren, dass die Gesetze, wenn sie zu früh und vor der Gewohnheit und der Übung festgesetzt werden, selten gut geraten. Die Leute sind nicht für das befähigt, was diejenigen für richtig halten, die am grünen Tisch sitzen und mit Worten und Gedanken sich ausmalen, wie es gehen sollte. Vorschreiben und Befolgen ist weit auseinander. Und die Erfahrung wird es lehren, dass viele Teile dieser Ordnung sich werden ändern müssen und einige für die Obrigkeit allein bleiben. Wenn aber einige Stücke in Übung kommen und zur Gewohnheit werden, ist es leicht, sie zusammenzufügen und zu ordnen. Es ist das Gesetzemachen eine große, gefährliche, weitläufige Sache, und ohne Gottes Geist wird nichts Gutes daraus. Darum ist hier mit Furcht und Demut vor Gott zu verfahren und dieses Maß zu halten: Kurz und gut, wenig und gut, nicht zu hastig und stetig fort. Danach, wenn die Gesetze eingewurzelt sind, wird das Hinzufügen von allein mehr folgen als es nötig ist, wie es Mose, Christus, den Römern, dem Papst und allen Gesetzgebern ergangen ist“ (WA Br.4,157f. Nr.1071).
Dieser Brief bekam für die Entstehung der Universität Marburg im Jahr 1527 entscheidende Bedeutung, denn der Landgraf ließ die schon beschlossene Reform nicht mehr durchführen, sondern gründete stattdessen in Marburg eine Universität, um tüchtige Personen heranzubilden, von denen sinnvolle Reformen in den Gemeinden kommen. Luthers Brief lässt Kriterien für sinnvolle Reformen erkennen, die auch heute nachdenkenswert sind:
1. Reformen, die am „grünen Tisch“, also von oben her, ausgedacht und geplant werden, mögen gut gemeint sein, missraten aber dennoch, weil „Vorschreiben und Befolgen“ weit auseinander liegen, und weil die Leute nicht für das befähigt sind, was die am „grünen Tisch“ Sitzenden, also die Reform- und Strukturkommissionen sich ausgedacht haben, wie es gehen solle.
2. Reformen wachsen vielmehr durch gemeinsame Übung und Gewohnheit von unten her, indem einige sich in 1-3-6-9 Stücken allmählich einig werden, sie gemeinsam weiter erproben und darauf setzen, dass die anderen irgendwann von selbst folgen werden.
3. Nicht in ausgedachten Strukturen liegt der verheißungsvolle Anfang von Reformen, sondern bei tüchtigen Personen, die durch Übung und Brauch allmählich Strukturen erproben und wachsen lassen, um sie dann so kurz und schlank wie möglich aufzuschreiben und festzulegen.
4. Reformen im Geist der Freiheit
Für die in der Pfälzischen Kirche anstehende Regionalreform liegen die Konsequenzen aus dieser historischen Erinnerung auf der Hand: Was die Landesynode in bester Absicht mit ihrem Strategiepapier angeregt hat, und was das Personalreferat mitsamt seinen Organisationsberatern für die „Zusammenarbeit in der Region“ am grünen Tisch ausgearbeitet hat, das hat ja durchaus Rückhalt an den Erfahrungen solcher Verbandspfarreien wie der in Obermoschel oder in Schifferstadt. Diese Erfahrungen aber nun zum Gesetz für alle Gemeinden mitsamt ihren Pfarrern und Pfarrerinnen der Pfalz zu machen und in „Kooperationsvereinbarungen“ festzuschreiben, kann nur in Kampf und Krampf enden, weil viele noch lange nicht so weit sind wie die Vorbilder in Obermoschel und Schifferstadt.
Wie wäre es, wenn stattdessen in reformatorischer Freiheit darauf gewartet würde, bis einige sich in „1-3-6-9 Stücken allmählich einig werden“, manche vielleicht erst in einigen Jahren, einige aber schon bald, manche gar nicht. Je weniger Zwängerei und Drängerei von oben ausgeübt wird, desto größere Chancen hat diese Reform in den Regionen.
Doch es gibt leider in den oberen Kirchenetagen gegenwärtig eine regelrechte Organisationswut, die sich so gar nicht mit dem plakativen Motto „Kirche der Freiheit“ verträgt. Der Geist Gottes lässt sich nicht in Zwangskooperationen festschreiben. Gibt es gar in einer Nachbarschaft Pfarrer und Kirchenvorstände, die ein anderes Konzept von Gemeindeaufbau haben oder bei bestimmten theologischen Fragen aus Gewissensgründen die Einstellung des anderen nicht mittragen können, so kann es mit einer „Zusammenarbeit in der Region“ unnötig schwierig werden, wenn Pfarrer und Kirchenvorstände mit Hilfe von Kooperationsvereinbarungen in einer Kooperationszone zusammengesperrt werden.
Noch problematischer wird es für eine Landeskirche, die sich der These verpflichtet weiß: „Die Kirche lebt aus dem Geist Gottes“. Sie wird sich von Paulus daran erinnern lassen: „Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2.Kor. 3,17). Wie frei die „Kirche der Freiheit“ wirklich ist, und wie liberal die evangelische Kirche der Pfalz tatsächlich ist, das steht im Jahr 2013 auf dem Prüfstand.