Die Kritikunfähigkeit der Evangelikalen

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Antwort auf den „Offenen Brief“ von Klaus Zech

Dr. Richard Ziegert
Nansteinstraße 12, 67065 Ludwigshafen

Lieber Herr Kollege Zech!

Immer wieder bin ich beeindruckt von der Chuzpe evangelikal engagierter Theologen, ihre subjektiven Erfahrungen und moralpolitischen Überzeugungen in den Rang theologischer Normativität zu erheben. Man mag ja für sich selbst ganz legitim dies und jenes für wahr halten, doch nur die eigene Subjektivität für „begründet“ zu halten, zeigt einen problematischen Abstand zum Standard einer protestantischen Geistigkeit: Die von Ihnen, lieber Herr Kollege Zech, vorgeführte Auslegung „nach dem Motto“ von 1. Thess. 5, 21 identifiziert die subjektive Prüfung schon mit dem Maßstab selbst. 

Dem Theologen ist im kirchlichen wie im gesellschaftlichen Diskurs aber die Aufgabe gestellt, in rationaler, verbindlicher Sprache – Luther nennt es „ratione evidente“ oder „cum causa“ – zu erklären, was hier Maßstab sein soll. Eine Prüfung des Guten kann nicht solistisch stattfinden – auf keiner Ebene. Sie verdient ihren Namen nur, wenn verschiedene, auch völlig konträre Meinungen sich in eine restlos ernste Dialogsituation bringen lassen, in der die eigenen „Erfahrungen“ bzw. Interessen nicht schon vorher als wahr und einzig richtig feststehen müssen, sondern ein wirklich öffentliches Gespräch stattfindet, dem sich der Allianz-Evangelikalismus bisher jedenfalls strikt verweigert hat.

Bedauerlicherweise muss ich auch Ihnen gegenüber feststellen: Klaus Zech folgt in seiner mit verbaler Aggressivität und religiös-moralischem Pathos vorgetragenen Kritik mustergültig der sattsam bekannten und schon „antiken“ rhetorisch-taktischen Vorwurfs-Trias: „billigste Polemik“, „Diffamierung von Personen (und Organisationen)“ und „unbegründete, unbelegte Behauptungen“. Auch hier in meinem Aufsatz „Kulissen einer glücklichen Kirche“ trifft nichts davon zu. Die arrogant-pauschale Abwehr der Kritik funktioniert zwar immer wieder, ist aber kein Erweis des Geistes und der Kraft. Ebenso ist die Nennung von Personen im Zusammenhang mit Organisationen und deren Methoden und Zielsetzungen, für die diese Personen vielfältig eintreten (wie hier am Beispiel von Michael Herbst und dessen höchst problematischem Engagement für „Willow Creek“[i] vorgeführt), kein „Delikt“, sondern für jeden ernsthaften Dialog einfach eine selbstverständliche informationell-sachliche Grundlage: Kritisiert wird nicht die Person, sondern kritisiert wird das Programm (einer Organisation), für das bestimmte Personen eintreten, weil sie sich damit auch nachweislich vielfältig öffentlich identifiziert haben. 

Wer hier von „Diffamierung“ spricht ohne diesen Vorwurf als Schmähkritik genau zu belegen, schirmt nur die Interessen (hier evangelikaler) Organisationen ab, die er nicht diskutieren lassen will. Ähnlich verhält es sich auch mit der unvermeidlicherweise meist schmerzlich schlimmen Beweis- und Beleglage, mit der sich Evangelikale am liebsten gar nicht beschäftigen möchten. Sie reiten dann, wie hier von Ihnen vorgeführt, auf akademisch selbstverständlichen Unbequemlichkeiten der Quellenarbeit herum, die sie breittreten, nur um sich nicht rechtfertigen zu müssen. Natürlich ist es im deutschen Kirchenkontext immer noch ziemlich peinlich, wenn die evangelikale Attitude den ihr konzeptionell inhaerenten schlichtesten Amerikanismus offenbart, wie dies der Willow-Creek-Zirkus oder das Buch bzw. das Programm von Swen Schönheit zusammen mit der schon mehr als erstaunlichen kirchenamtlichen Autorisierung des Greifswalder Bischofs Abromeit vorführt.

Die wütend bis annähernd hasserfüllten Reaktionen und ihre daraufhin eingeleiteten Kampagnen evangelikaler Bibelschulen und Organisationen gegen kritische Fernsehreportagen haben gezeigt, dass sie leider immer noch nicht gewohnt sind, dass ihnen Kritik entgegenkommt und sie unter Rechtfertigungszwang geraten können. Dies wird sich in der Zukunft ändern, wenn noch mehr kritische Blicke sich auf das Ensemble der Korona evangelikaler Mitgründer vielfältiger Aktionen und Organisationen, (wie z.B. auch des Greifswalder Herbst-Instituts) richten und hier den Interessenlagen und ihren Verflechtungen genau nachgehen.

Wer den ideellen Horizont des organisationspolitischen Konsenses der Evangelikalen erfassen will, dem hilft z.B. ein Blick in die drei evangelikalen Programmschriften aus dem Jahre 2005: Ulrich Eggers‘ „Was Deutschland jetzt braucht“, Ulrich Eggers und Markus Spiekers „Der E-Faktor. Evangelikale und die Kirche der Zukunft“ und die von der „Allianz“ auch ganz offiziell veröffentlichte Programmschrift von Thomas Schirrmacher u.a.: „Christ und Politik“. Der darin enthaltene religiöse wie politische Anspruch zeigt „biblisch“ begründete intellektuelle Abgründe, etwa wenn gesagt wird: „Rechtsetzen und Rechtsprechen sind religiöse Tätigkeiten. Dadurch soll die menschliche Gemeinschaft an Gottes Gerechtigkeit Anteil haben“ (23). 

Es sind in der Tat viele Akteure mit durchaus unterschiedlichen Motivlagen an der evangelikalen Kulturrevision in Deutschland beteiligt. Doch sie haben einen gemeinsamen Nenner: Sie erheben auf der kirchlich-religiösen Ebene ein fundamentalistisches Bibelverständnis zur Norm und verbinden auf der gesellschaftlichen Ebene ein moralisierendes Politikverständnis mit einer Abwehr pluralistischer Unterscheidungen. Ihr Ziel oder Zweck ist gesellschaftlicher Machtgewinn bzw. die Etablierung einer neuen gesellschaftlichen Machtstruktur für die globalisierte Wirtschaftsreligion made in USA, die eben auch die „Oberreligion“ des Evangelikalismus darstellt.

Religiösen Wert hat dieser Wandel des religiösen Grundlagensystems in keiner Weise. Denn die von ihm initiierten Veränderungen im religiösen Feld präsentieren nur ein Nullsummenspiel. In IDEA oft kolportierte Behauptungen missionarischer Erfolge sind nicht ernst zu nehmen. Sie beruhen auf einem religiösen Verschiebebahnhof, dessen Wirkungsmöglichkeiten mit den kulturellen Veränderungen vor allem in der Jugendkultur zusammenhängen. Selbstkritisch bekennt Rudi Pinke, Leiter des Christlichen Zentrums in Frankfurt am Main und Mitglied im Kreis charismatischer Leiter in Deutschland: „Wir konnten den Prozentsatz an Menschen, die im neutestamentlichen Sinn Christen sind, nicht wesentlich steigern.“ Das Wachstum gehe zu einem großen Teil auf Menschen zurück, die schon vorher Christen waren und dann zu der nach ihrer Ansicht attraktiveren Gemeinde gewechselt hätten, bedauert Pinke[ii]. Ich wünschte, er hätte Unrecht.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

Richard Ziegert

[i] Vgl. nur die Propaganda von Michael Herbst für die Religionsfirma „Willow Creek“, der diesem Unternehmen sogar den Kirchencharakter bescheinigt: Michael Herbst, Gottesdienste für „unkirchliche Zeitgenossen“, in: Musik und Kirche 75, 2005, 22-26.

[ii] IDEA Spektrum 45, 2001, 17.

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