Johannes Oeldemann et al. (Hgg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung,

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Prof. Dr. habil. Reinhard Thöle D.D.
Theologische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 06099 Halle (Saale)

Johannes Oeldemann, Friederike Nüssel, Uwe Swarat, Athansios Vletsis (Hgg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung, Band 4, 1357 Seiten mit einer zusätzlichen Text-CD der Dokumente, Paderborn/Leipzig 2012, 85 EUR

Die in warmem Gelb gehaltenen Bände der „DwÜ“ sind mittlerweile zu einem Standardwerk der Ökumenischen Theologie geworden. Sie enthalten „Sämtliche Berichte und Konsenstexte Interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene“ in guten Übersetzungen und zitierfähiger Form. Den Bänden könnte man dabei auch im Rückblick Epochen ökumenischer Ansätze zuordnen. Die Dokumente von Band 1 (1931 bis1982) repräsentieren die Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung, durch Konsensdokumente der Einheit der Kirchen wirklich näher zu kommen. Band 2 (1982 bis 1990) können Übereinstimmungen oft in einer gemeinsam gefundenen Sprache vertiefen. Band 3 (1990 bis 2001) enthält manche Dokumente, die in dieser Dekade zu Tage tretende, tiefer sitzende Konflikte zwischen den Konfessionen kirchenpolitisch zu regeln versuchen. Der nun unter einer neuen Generation von Herausgebern erschienene Band 4 enthält die Konsensdokumente von 2001 bis 2010.

Hier kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die „Produktion“ von Konsensdokumenten fortgesetzt wird, diese aber oft den „Sitz im Leben“ einer „wachsenden Übereinstimmung“ verloren haben. Das soll den Wert und die Leistung der ökumenischen Arbeit, die zu den vorliegenden Erklärungen geführt haben, nicht schmälern. Der Band enthält die neusten Dokumente aus 19 Dialogzweigen und zusätzlich ökumenisch relevante, gemeinsame Erklärungen auf kirchenleitender Ebene, dazu zentrale Dokumente aus dem ÖRK und ferner die Amman-Erklärung, die eine Kirchengemeinschaft zwischen lutherischen und reformierten Kirchen im Nahen Osten und in Nordafrika feststellt. Die beigefügte Text-CD erleichtert das Verwenden von Zitaten außerordentlich. Theologisch ist weiterhin sicherlich einiges zwischen den Kirchen gründlich aufzuarbeiten, aber die Flussläufe der ökumenischen Hoffnungen scheinen auf dem Weg zum Mündungsdelta der Einheit zu versickern.

Dieses liegt nicht nur an der Frage nach der mangelnden Rezeption der Dokumente, wie sie das Vorwort zu Band 4 selbstkritisch anmerkt (S. 15), oder am Festhalten an einem sehr hohen Anspruch, unter dem die Konsensökumene angetreten ist, und der folgendermaßen beschrieben wird: „Nur wenn die ‚wachsende Übereinstimmung’ zwischen den Kirchen, die in den vorliegenden Texten ihren Niederschlag gefunden hat, auf diese Weise allmählich Eingang in die alltägliche Glaubenspraxis findet, werden sich die Christen nicht nur oberflächlich, sondern aus Überzeugung unter der Leitung des Heiligen Geistes dem annähern, was die Mitte des christlichen Glaubens ist: die uns von Gott geschenkte Verheißung des Heils, die uns befähigt und aufruft zur Gemeinschaft mit Gott und mit allen, die auf der ganzen bewohnten Erde –der Oikoumene – an Jesus Christus glauben“ (S. 15).

Das eingangs beschriebene Problem liegt auch daran, dass die theologischen und kirchenpolitisch geleiteten ökumenischen Bemühungen neu auf den Prüfstand der Glaubwürdigkeit und Verwendbarkeit gestellt werden. Und dieses geschieht in Kirchen, die mit sich selbst beschäftigt sind und um das institutionelle Überleben oder um gesellschaftliche Positionen kämpfen. Dabei scheinen von kirchlichen Profildesignern entworfene ideologisch-theologische Konzepte miteinander in einen neuen unversöhnlichen Wettstreit geraten zu sein. Man bietet  traditionalistische, neokonfessionalistische oder modernistische Therapien für die getrennten Kirchen an, bei denen es offensichtlich auch um Kundenbindung von Milieus an Institutionen zu gehen scheint. Für solche exklusiven „Besserkirchen“ ist eine selbstkritisch wirkende ökumenische Vision oder gar Verheißung natürlich nicht mehr passend.

Beim Lesen der „DwÜ“ kann auch leicht übersehen werden, dass in den letzten beiden Jahrzehnten im ökumenischen Bereich eine Reihe von Texten publiziert wurden, die man in einem in roter Farbe gehaltenen Ergänzungsband „Dokumente wachsender Entfremdung“ zusammenfassen könnte. Dazu gehören auch die Dokumente „Dominus Jesus“ (2000), „Grundlegende Prinzipien der Beziehung der Russischen Orthodoxen Kirche zu den Nicht-Orthodoxen“ (2000) sowie „Kirchengemeinschaft nach evangelischen Verständnis“ (2001). Diese Dokumente und weitere Stellungnahmen sind ein Indiz dafür, dass das theologische Ringen um den Glauben in den Kirchen sich verlagert hat. Ökumenische Fragestellungen werden nicht mehr bei der Aufarbeitung traditioneller Kontroversthemen interessant, sondern beim Suchen nach neuen ökumenischen Allianzen. In vielen Kirchen tobt ein erbitterter Streit um konservative oder progressive Hermeneutik von Schrift, Tradition und Gottesdienst sowie die damit verbundenen Wertvorstellungen. Dieser Streit führt zu neuen Spaltungen und ungewöhnlichen zwischenkirchlichen Allianzen von Kirchen und Gemeinschaften, die die konfessionellen Grenzen der Vergangenheit und die bisherige kirchenamtlich geleitete Ökumene als missglückt und falsch ansehen.

Die „wachsende Übereinstimmung“ hat sich auf andere Ebenen verlagert, die ein post-ökumenisches Suchen nach neuen Kirchenallianzen und -gemeinschaften sichtbar werden lassen. Dabei sind dann auch solche kirchlichen Anschlussmodelle nicht mehr Tabu, die den Charakter von korporativen Konversionen oder transjurisdiktionellen Gemeinschaften tragen. Eine zur Zeit signifikant hohe Zahl von Konvertiten unter den Kandidaten und Kandidatinnen für das geistliche Amt in evangelischen oder katholischen Kirchen in Deutschland, oder eine Reihe von Konversionen bekannter Persönlichkeiten nicht nur in Nordamerika, sind ein Indiz dafür, dass die Kirchen mit innerkirchlichen progressiven oder konservativen Dissidenten nicht gut umzugehen wissen, aber noch viel mehr dafür, dass man letztlich von der bisherigen Ökumene nichts mehr erwartet. Die Konsensökumene und Ihre Dokumente der letzten Jahrzehnte haben wenigstens in Deutschland für ein geregeltes, gut nachbarschaftliches Miteinander in den Gemeinden gesorgte, bei denen das Mögliche gutwillig versucht, das Unmögliche dabei diskret übersprungen wird.

Der Autor lehrt am Seminar für Ostkirchenkunde an der Universität Halle-Wittenberg.

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