Prof. Reinhard Thöle D.D.
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Theologische Fakultät Konfessionskunde der Orthodoxen Kirchen, 06099 Halle (Saale)
Karl Christian Felmy, Einführung in die orthodoxe Theologie der Gegenwart, 2. Auflage 2011, Berlin, 311 S., 8 farbige Abbildungen, 39,90 Euro
Diese „Einführung in die orthodoxe Theologie der Gegenwart“ ist nicht nur die beste zeitgenössische Darstellung dieses Themas, sondern zugleich ein Lehrstück interkonfessioneller Hermeneutik und konfessionspsychologischer Verstehensmuster, die in der Begegnung zwischen westlicher und östlicher Theologie und Kirchlichkeit sichtbar werden.
Die erste Auflage erschien 1990 zur Zeit der politischen Wende, geschrieben von einem im evangelisch-orthodoxen Dialog seriös und fern von jedem ökumenepolitischem Opportunismus engagierten lutherischen Ostkirchenkundler und Geistlichen, der in seiner wissenschaftlichen und persönlichen Begegnung mit der Orthodoxie die ganze Bandbreite zeitgenössischer orthodoxer Theologie in eine Art fundamentalökumenischen Dialog mit evangelischen und katholischen Positionen zu setzen wusste und dabei mit allen Konfessionen „ad bonam partem“ umgehen konnte. Sein Verdienst war es zudem, die orthodoxen Theologien nach der „neopatristischen Wende“ unabhängig von ihren unterschiedlichen nationalen Beheimatungen sozusagen „panorthodox“ dazustellen. Dieses konnte zu jenen Zeiten orthodoxe Theologie im kommunistischen Gefängnis oft selbst überhaupt noch nicht leisten. So gelang es einem lutherischen Autor, die orthodoxe Theologie der Gegenwart mit dem ihr eigenen Beitrag und Glanz, nicht nur im Gegenüber zu den evangelischen und katholischen Ansätzen, sondern auch gegenüber der Orthodoxie selbst deutlich zu machen.
Felmy traf darum mit seinem Konzept, die orthodoxe Theologie der Gegenwart als „Theologie Erfahrung“ vom geistlich liturgischen Ansatz her darzustellen und nicht nach traditioneller dogmatischer und kontroverstheologischer Art, den Nerv der orthodoxen Theologie unmittelbar. Sein Buch wurde ins Italienische, Rumänische, Spanische, Polnische und Bulgarische übersetzt. Nicht nur Vertreter der westlichen Theologie, sondern Lehrer und Studierende der orthodoxen Theologie empfanden und begrüßten seine Darstellung als authentische Darstellung des orthodoxen Glaubens. Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass der Autor nicht nur die Nichtorthodoxen sondern auch die Orthodoxen gesprächsweise in einen Lernprozess mit hinein nehmen wollte. Bei diesem Werk handelte es sich also um einen ökumene-hermeneutischen Glücksfall, bei dem die Darstellung einer Kirchenfamilie von außen mit dem Selbstverständnis dieser kirchlichen Tradition übereinzustimmen scheint.
Nachdem das Buch seit mehreren Jahren vergriffen war, aber immer wieder nachgefragt wurde, kam es 2011 zu einer Neuauflage. Der Autor hat sich inzwischen 2007 der Russischen Orthodoxen Kirche angeschlossen und dient in ihr auch als Geistlicher. Er bleibt aber seinem ursprünglichen dialogischen Ansatz treu und hat nichts an seiner ursprünglichen Absicht geändert, „westlichen und östlichen Lesern den Reichtum der orthodoxen Theologie vorzustellen“. Das Buch wurde im Vergleich zu der ersten Auflage um aktuelle Literatur ergänzt. Die Darstellung wird nur unwesentlich mit kurzen, für den Zusammenhang nötigen Zusätzen ergänzt. So mit dem Ansatz des russischen Metropoliten Hilarion Alfeev, den orthodoxen Gottesdienst als Quelle der dogmatischen Überlieferung anzusehen. Als besonders vorteilhaft erweist sich aber die weitere Neuerung, dass der Autor die Diskussionen der einzelnen Kapitel jeweils mit einer Thesenreihe abschließt. Dieses hilft, die notwendigen aber vielleicht manchmal unübersichtlichen fachtheologischen Diskussionen übersichtlich abzurunden und macht das Buch insgesamt noch mehr zu einem Lehrbuch.
Wer sich über den Stand der orthodoxen Theologie der Gegenwart informieren möchte und diese zugleich eingebettet sehen will in einen zwischenkirchlichen Diskussionsprozess, der findet hier alles Nötige exzellent aufbereitet vor. Hier geht es um einen vertiefend wirkenden und theologisch seriös diskutierten Weg zur Einheit der Kirchen. Wer sich dann auf dieses Buch und seine Ansätze einlässt, der müsste vermutlich aber nachdenklich werden über den real existierenden Ökumenismus und die Dokumenten- und Kommissionsökumene, über Marketing-Profil-Konfessionen und die alten kirchenpolitischen Urteile und Vorurteile. Neben aller theologischen Sachinformation stellt diese „Einführung in die orthodoxe Theologie der Gegenwart“ die grundsätzliche Frage, wo und wie begegnen die Kirchen eigentlich dem sich selbst offenbarenden Gott.