Ein hohes Ideal zahlt einen hohen Preis

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Zur Großen und Heiligen Synode der Orthodoxen Kirche auf Kreta

Prof. Dr. Reinhard Thöle D.D.
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Frankeplatz 1, Haus 30, 06099 Halle

Noch im Januar 2016 waren sich alle 14 orthodoxen Kirchen einig, in der Pfingstwoche im Juni nach östlichem Kalender die „Große und Heilige Synode“ nach Kreta in die Orthodoxe Akademie einzuberufen. Man hatte sich im Wesentlichen auf eine Geschäftsordnung geeinigt, fünf Textvorlagen einstimmig und eine Textvorlage mit einer Gegenstimme als Arbeitsgrundlage für das Konzil angenommen. Als dann drei Wochen vor der Eröffnung der Synode die Kirchen von Bulgarien, Georgien und Antiochien aus verschiedenen Grünen ihre Nichtteilnahme verkündeten, und als Vermittler der serbischen und russischen Patriarchate eine Klärung der strittigen Punkte vor der Synode forderten oder auch die Verschiebung oder einen niedrigeren Status der Synode vorschlugen, wurde dieses vom Ökumenischen Patriarchat mit Hinweis auf die gemeinsamen Beschlüsse vom Januar zurückgewiesen. 

Turbulenzen

Die Gründe, die einige Patriarchate für ihre Absage vorbrachten, waren: Für das Patriarchat Antiochen ein nicht beigelegter Streit mit dem Patriarchat Jerusalem um die Errichtung eines Bistums in Qatar. Die georgische Kirche nannte eine allgemeine Unzufriedenheit. Für die bulgarische Kirche war das Hauptargument das Abweichen des Konzils von einem traditionellen Ökumeneverständnis, gemäß dem nur die orthodoxe Kirche die einzig wahre Kirche sei, zu der sich Häretiker und Schismatiker durch Umkehr und Buße zu bekehren hätten. Ein Dialogkonzept, gemäß dem die orthodoxe Kirche als eine unter mehreren auftrete, sei falsch. Diese Position der bulgarischen Kirche, die auch als Grund für ihren Austritt aus dem ÖRK im Jahre 1998 angegeben wurde, ist aber nicht vornehmlich nur nach außen gesprochen, sondern in die innerbulgarische Situation hinein. In Bulgarien gibt es nämlich seit der politischen Wende eine bis heute andauernde Kirchenspaltung zwischen der sog. blauen und der roten Synode, und das Stichwort „Ökumene“ gilt dabei für beide Seiten beinahe als Synonym für „Verstrickung in den Kommunismus“. Umgekehrt wird der Antiökumenismus als Chiffre für die Aufarbeitung der Vor-Wende-Vergangenheit verwendet.

Die Absage der vier Kirchen führte zu hoch emotionalen Kommentaren, bei denen man sich nicht scheute, auch tief in die untersten Schubladen der undifferenzierten Vorurteile, Verschwörungstheorien und plakativen Verdächtigungen zu greifen. Eine Auswahl von solchen Slogans lautet: „Tausend Jahre Eiszeit und ein russischer Boykott“; „Sie wollen das dritte Rom sein und sind dabei solche Nationalisten. Hören Sie auf, die Orthodoxie zu spalten!“; „Patriarchen mögen‘s nicht modern“; „das Assad-treue Patriarchat von Antiochien“; „50 Jahre in Rivalitäten verstrickt“; „Die orthodoxe Kirche will und kann nichts ändern“; „Die orthodoxe Kirche (Russlands) macht immer effizienter imperiale Politik“; „Ihre Ansichten (die der russischen Kirchenführer) sind eine Mischung von Neokonservatismus, Sozialismus und Militarismus, nah am klassischen italienischen Faschismus“. Man konnte anhand der Kommentare den Eindruck gewinnen, die Orthodoxie spalte sich in die „Guten“, die zum Konzil kommen, und in die „Bösen“, die durch ihre Nichtteilnahme das Konzil verhindern.

Status der Synode

Die Große und Heilige Synode wurde nun in Kreta wie geplant unter Teilnahme von zehn der ursprünglich 14 unterzeichneten Kirchen abgehalten. Von den vermittelnden Kirchen war auch das Serbische Patriarchat dabei. In seiner Predigt im Eröffnungsgottesdienst sprach Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel alle, auch die abwesenden Patriarchen, mit Namen an, die Konferenzen wurden mit einem Podium gehalten, auf denen die Wappen aller 14 Kirche angebracht waren. In den Liturgien wurden die Ersthierarchen aller 14 Kirchen kommemoriert. Unmittelbar vor der Synode sandte der Moskauer Patriarch Kirill eine Grußbotschaft an das Konzil, in der er versicherte, die Russische Orthodoxe Kirche würde für das Konzil beten und Teilnehmende wie Nichtteilnehmende hätten ihre Entscheidung mit guter Absicht getroffen. Allerdings gibt es nun zwei Lesarten über die Wertigkeit der Synode. Die zehn teilnehmenden Kirchen betrachten das Konzil als gültig zustande gekommen und durchgeführt, da es ordnungsgemäß von allen einberufen worden sei. Es habe auch in der Geschichte Konzile gegeben, an denen nicht alle hätten teilnehmen können. Die vier nichtteilnehmenden betrachten es nicht als das Große und Heilige Konzil, sondern nur als eine Versammlung einiger Kirchen ohne Autorität aller Kirchen, die einmütig versammelt hätten sein müssen.

Trotz der Turbulenzen um die Große und Heilige Synode muss zuerst festgehalten werden, dass es zwischen den einzelnen orthodoxen Kirchen keine Kirchenspaltung gibt. Alle Kirchen halten an der bisher geübten vorschriftsmäßigen Gebetspraxis der gegenseitigen Erwähnungen fest und damit an der Einheit der Orthodoxen Kirche. Man kann darüber hinaus hervorheben, dass alle 14 Kirchen sogar an der gemeinsamen Einheitsvision der orthodoxen Kirche festhalten, gemäß der nur alle Kirchen einmütig und einstimmig für alle gültige Beschlüsse fassen können, selbst wenn diese Einheitsvision jetzt auf Kreta unglücklicherweise nicht zustande gekommen ist. Das ist nämlich das hohe Ideal der Orthodoxie, dass in Fragen des Glaubens, des Gottesdienstes und der Kirchenordnung die gemeinsam tradierte Wahrheit nicht etwa durch Mehrheitsentscheidungen zum Ausdruck gebracht werden kann, sondern nur in der Einheit und Einmütigkeit. Und jede selbständige Kirche ist dabei von gleichem Wert und Gewicht. Diese einmütige und gemeinschaftlich verstandene Synodalität der Orthodoxie findet ihr theologisches Urbild letztlich in der Gemeinschaft zwischen den drei göttlichen Personen der Trinität. Es geht also um die Identität der Orthodoxie im Glauben und in der Wahrheit und idealtypisch damit auch in der Liebe. Natürlich ist dieses hohe Ideal immer auch aufs äußerste gefährdet. Zumal wenn diese Einheit nicht zustande kommt, vielleicht aus Gründen, die unterschiedlich bewertet werden. Dann zahlt die Orthodoxie einen hohen Preis dafür, wie jetzt zur Großen und Heiligen Synode in Kreta und gibt ihren Kritikern genügend Ansatzpunkte zur Polemik. 

Die Orthodoxie hat für dieses hohe Ideal immer auch in ökumenischen Kontexten gekämpft. Der ÖRK setzte 1998 in Harare eine Sonderkommission ein, welche die auf einer orthodoxen Vorversammlung in Thessaloniki vorgebrachten Beschwerden klären sollte. In den Ergebnissen wurde ein differenziertes Konsensverfahren für den ÖRK entwickelt, bei dem nach orthodoxem Vorbild die Einheitlichkeit der traditionellen Kirchenfamilien gewahrt bleiben und zugleich Meinungen einzelner Gruppierungen nicht übersprungen werden dürfen. Einheit und Wahrheit zu bewahren und in zeitgenössischen Kontexten auszusprechen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Nebenbei angemerkt sei, dass Philipp Melanchthon seine reformatorische Begrifflichkeit vom „magnus consensus“ und „testimonium patrum“ in enger Anlehnung an die östliche Theologie entwickelt hat.

Das Konzil vor dem Konzil

Wenn man einen Blick in die Geschichte wagt, wäre das letzte Konzil, an dem die Orthodoxie damals mit vier Patriarchaten und der Zustimmung Roms teilgenommen hat, das siebte Ökumenische Konzil im Jahr 787 gewesen. Auf dem Weg bis zur Gegenwart hat die Orthodoxie viele kirchenpolitische und theologiegeschichtliche Entwicklungen erlebt. Heute sind es ohne Rom 14 Kirchen und ihre Tochterkirchen in der ganzen Welt. Die Sehnsucht nach einem Konzil erwuchs Anfang des letzten Jahrhunderts und wurde an einem Brief des Patriarchen Konstantinopels Joachim in einer Enzyklika von 1912 deutlich. Panorthodoxe Kongresse gab es seit 1923, panorthodoxe Konferenzen seit 1951, „vorkonziliare panorthodoxe Konferenzen“ wurden seit 1971 abgehalten. Es ist bis zu der diesjährigen Großen und Heiligen Synode ein differenzierter und sehr seriöser konziliarer Prozess zu verzeichnen, bei dem die Erstellung von gemeinsamen Texten ein Arbeitsinstrument der Auseinandersetzung der Orthodoxie mit sich selbst und der Gegenwart war. Das Konzil fand also schon in gewisser Weise in der Phase seiner Vorbereitung statt. Der Verzicht auf die Bezeichnung „ökumenisch“ im Zusammenhang mit der diesjährigen Synode ist klug, nicht nur wegen der Diskreditierung dieses Begriffes im ehemaligen Osteuropa, sondern weil sie ein verantwortliches Bewusstsein dafür signalisiert, dass andere christliche Kirchen nicht ausgeblendet werden können. Es war darum auch konsequent, ökumenische Gäste und Beobachter einzuladen, die an Gottesdiensten und teilweise auch an der Eröffnungs- und Schlussversammlung teilnehmen konnten.

Die Mitteilungen der Synode

Das Große und Heilige Konzil wandte sich im abschließenden Gottesdienst mit einer „Botschaft“ an alle Orthodoxen und alle Menschen guten Willens, die die Ergebnisse des Konzils zusammenfasste und die Identität des orthodoxen Glaubens in die gegenwärtigen Zusammenhänge der Welt stellt. Das ausführlichere und eigentlich prägende Dokument ist die „Enzyklika“, die ihrerseits die Ergebnisse der leicht überarbeiteten und verabschiedeten sechs Vorlagen zu verschiedenen Themenbereichen mit enthält. Alle diese Dokumente, die in griechischer, russischer, englischer und französischer Übersetzung verfasst worden sind, wurden übrigens nicht nur von den Ersthierarchen, sondern von allen anwesenden Bischöfen aus den Delegationen der einzelnen Kirchen unterzeichnet. Will man eine grundsätzliche Bewertung dieser Ergebnisse vornehmen, kann man vielleicht ein wenig zu plakativ sagen, dass die auf Kreta versammelte Orthodoxie mit ihrer Tradition in der Moderne und in der Gegenwart angekommen ist. Sie erweist sich als traditionstreu, sprachfähig, kritikfähig und dialogfähig.

Ökumenische Resultate

Für den zwischenkirchlichen Bereich hat es weiterführende Klärungen gegeben. Konfessionsverschiedene Ehen werden zwar nach dem strikten Grundsatz der Akribie eigentlich als nicht möglich angesehen, und interreligiöse Ehen werden abgelehnt. Doch ist es zugleich einzelnen Kirchen gestattet, für ihren eigenen Zuständigkeitsbereich besondere Regelungen zum Vorteil konfessionsverschiedener Ehen nach dem Prinzip der Ökonomie zu beschließen. Die Beteiligung an der ökumenischen Bewegung wird für die Orthodoxie nicht nur als historische Selbstverständlichkeit angesehen, sondern als zur Identität und zum Wesen der Orthodoxe gehörend. Dialoge sollen in einem gemeinsamen Verantwortungsprozess geführt werden, der darauf achtet, dass Gespräche nicht einseitig abgebrochen werden können. Natürlich identifiziert sich die Orthodoxie mit der von Christus gegründeten einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche, und sie soll im ökumenischen Gespräch davon Zeugnis ablegen. Bemerkenswert ist aber, dass Gruppen und Gemeinschaften, die im Namen einer „wahren Orthodoxie“ den ökumenischen Charakter der Gesamtorthodoxie ablehnen, von der Synode als verdammungswürdig angesehen werden.

Eine außergewöhnliche Wertschätzung erfuhr der zur Schlusssitzung angereiste Vorsitzende des Rates der EKD, Landesbischof Bedford-Strohm. Er wurde nicht nur privat vom Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios sehr herzlich begrüßt, sondern vor allen Konzilsteilnehmern offiziell ehrend begrüßt, wobei der Patriarch den Wert der ökumenischen Begegnungen für das theologische Lernen sowohl persönlich wie auch offiziell unterstrich. Bedford-Strohm war der einzige kirchenleitende Repräsentant aus Deutschland, der persönlich eingeladen war.

Gesprächspartner für die Gegenwart

Zu den Problembereichen und Herausforderungen der Gegenwart gibt nun die Synode gemeinsam verantwortete theologische und sozialpolitische Leitlinien an. Das ist neu und hilft, bestimmte Gedanken nicht nur als Privatmeinungen einzelner Theologen oder Bischöfe anzusehen. Im Gegenüber zur säkularen Gesellschaft, die sich in politischen, kulturellen und sozialen Entwicklungen ausdrückt und oft von einem falschen Freiheitsbegriff geprägt sei, betont die Orthodoxie das Opfer Christi, das nötig sei, da sich der Mensch nicht selbst erlösen könne. Sie warnt vor Manipulationen durch Wissenschaft und Technologie, auf Kosten der humanen Freiheit. Um moralisch handeln zu können, benötige man einen geistlichen Impuls. Eine christlich asketische Lebensweise habe nichts mit Weltverneinung zu tun, sondern würde den Menschen zum Mitarbeiter Gottes erheben. Die Wurzeln der ökologischen Krise hätten ihren Ursprung in den menschlichen Leidenschaften wie Gier, Geiz, Egoismus und Begierde nach mehr. Die Erde sei jedoch ein gemeinsames Haus, in dem der authentische Umgang mit der Schöpfung nicht pervertiert werden dürfe. Die Globalisierung habe neue Formen von Ausbeutung und Ungerechtigkeiten hervorgerufen. Auch die Wirtschaft müsse von der Erkenntnis geleitet werden, dass der Mensch nicht von Brot allein lebe. Der Kampf um die Menschenrechte stünde in der Gefahr, sich isoliert zu einer Kultur der Rechte negativ zu entwickeln und dabei die universalen Werte der Gesellschaft zu untergraben wie Familie, Religion und Nation. Andererseits müsse ohne Eingriffe durch den Staat die Freiheit des Gewissens und der religiösen Praxis geschützt werden. Der Eindruck, dass Fundamentalismus zum Wesen von Religion gehöre und Gewalt im Namen Gottes ausgeübt würde, könne für ein Christentum, das dem gekreuzigten Herren folge, nach himmlischen Frieden suche und die Wunden anderer heilen möchte, nicht gelten. Im Zusammenhang mit der schwierigen Situation der Christen im Vorderen Orient müssten die Regierungen aufgefordert werden, dafür zu sorgen, dass die Christen mit gleichen Rechten in ihren Ländern bleiben könnten. In der gegenwärtigen Flüchtlingskrise sollen die Christen hilfsbereit sein, gleichzeitig auch versuchen, den wirtschaftlichen und ökologischen Problemen, die die Krise verursachen, entgegenzutreten.

Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die Teilnehmer ein gemeinsames neues konziliares Selbstbewusstsein entdeckt haben, gefördert durch die internationale Begegnung einer großen Zahl von Bischöfen. Das Konzil wurde als ein angemessenes und aktiv zu handhabendes kirchliches Instrument zum Wohle aller empfunden. Offiziell ist klugerweise nicht über eine nächste panorthodox zu konzipierende Synode gesprochen worden. Es lag aber die Meinung in der Luft, dass die Orthodoxie nicht wieder über 1200 Jahre warten dürfe, um sich zu einer neuen Großen und Heiligen Synode zu treffen. 

Originalfassung eines Beitrags, der für die Zeitschrift „zeitzeichen“ geschrieben wurde und dort stark gekürzt in der Ausgabe 8/2016 unter dem Titel „Familie, Religion, Nation“ erschienen ist. Der Autor ist Professor für Ostkirchenkunde an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg.

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