Staat und Kirche – zwei getrennte Sphären?

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Dr. Karl-Heinz Wiesemann
Domplatz 2, 67346 Speyer

Sehr geehrte Damen und Herren!

Das Thema der Beziehung zwischen Staat und Kirche, insbesondere auf dem Hintergrund des bei uns in Deutschland gewachsenen, gegenseitig kooperativen Verhältnisses, ist in letzter Zeit wieder verstärk in der (zum Teil auch sehr emotional geführten) öffentlichen Diskussion. Weniger Religion und mehr republikanische Tugenden forderte in einem Artikel in der FAZ etwa der Generalsekretär der FDP Christian Lindner und verweist die Welt des Glaubens in die Privatsphäre jedes Einzelnen (FAZ vom 18.10.10). In der SPD gründet sich ein Laizismus-Kreis; immer häufiger werden unterschiedliche Stimmen laut, die eine Kirche-Staat Trennung nach dem Vorbild der französischen Laicité anstreben. Andere summieren die in ihren Augen sich als Privilegien und einseitige Subventionen darstellenden öffentlichen Mittel auf, die in kirchliche Einrichtungen fließen, häufig allerdings ohne hinreichende Differenzierung der mit diesen Mitteln wahrgenommen Aufgaben. 

In dem Ende letzten Jahres von Carsten Frerk, der als Chefredakteur des Humanistischen Pressedienstes und auf Grund früherer kirchenfeindlicher Äußerungen einschlägig bekannt ist, veröffentlichten „Violettbuch Kirchenfinanzen“ wird folgende Grundthese vertreten: Jegliche Form von Finanzleistungen des Staates an die Kirchen, ob direkt oder indirekt, widerspricht dem grundgesetzlichen Bild des religionsneutralen Staates. Dies gilt für ihn unterschiedslos sowohl im Hinblick auf die Staatsleistungen und Dotationen wie auch z.B. im Hinblick auf die öffentliche Förderung kirchlicher Kindertagesstätten oder anderer Erziehungs- und Bildungseinrichtungen wie Schulen, Büchereien etc. Zuweilen verkehrt er in der Argumentation das Subsidiaritätsprinzip geradezu ins Gegenteil, etwa im gesamten Bereich von Kinder, Jugend, Familie, Gesundheit, indem er unangemessene öffentliche Förderung von kirchlichen Aktivitäten unterstellt. 

In Wahrheit nehmen hier die Kirchen in einer Vielzahl von Fällen staatliche Aufgaben war. Frerk wird offenkundig von der Grundthese geleitet: „Was kirchlich ist, nützt nicht dem Gemeinwesen.“ Für den Beleg dieser These verdreht er nicht selten die Tatsachen (etwa wenn er behauptet, dass staatlich geförderte, kirchliche Kindertagestätten nicht grundsätzlich allen Kindern offen stehen – im Bistum Speyer z.B. ist der Anteil katholischer Kinder in den Einrichtungen nicht viel höher als der grundsätzliche Anteil der Katholiken an der Bevölkerung).[1]

Hinter der in unterschiedlichen Variationen virulenten Grundthese von Carsten Frerk steht ein grundsätzliches Misstrauen den Kirchen gegenüber, das sich nicht auf die Angemessenheit der Vergabe bestimmter Zuwendungen, nicht auf Fragen von sinnvollem Einsatz einzelner Mittel oder von Misswirtschaft im konkreten bezieht – Fragen, auf die es sehr sensibel zu achten gilt –, sondern ein grundsätzlich ablehnendes Misstrauen, das jeden staatlichen Euro für kirchliche Einrichtungen als unzulässige missionarische Subvention ansieht und damit der Kirche das Recht abstreitet, sich im öffentlichen Raum im gleichberechtigten Konzert anderer freier Träger (etwa dem Paritätischen Wohlfahrtsverband oder der Arbeiterwohlfahrt) zu engagieren. Das aber greift nicht nur in die verfassungsmäßig garantieren Rechte der Kirche ein, sondern stellt das gewachsene Verhältnis von Kirche und Staat in unserem Land geradezu auf den Kopf – und eröffnet eine Misstrauensdebatte, die weit in unsere historischen, kulturellen und religiösen Wurzeln, letztlich in unsere Identität zerstörerisch hineinwirkt.

Es ist daher ein Zweifaches zu tun. Erstens muss solcher entwurzelnden Geschichtslosigkeit mit der Tendenz, Argumente willkürlich nach eigener ideologischer Tendenz zusammenzustellen, das Bemühen entgegengesetzt werden, die historischen Entwicklungen und die gegebenen Wirklichkeiten sachgemäß darzustellen. Zweitens, und das ist meine These heute Abend, kann man auf solchem Hintergrund das positive Kooperationsverhältnis auf der Basis der je gegebenen Eigenständigkeit von Staat und Kirche, wie es sich bei uns durch eine lange, nicht spannungsfreie Geschichte hindurch entwickelt hat, mit Fug und Recht als ein gesellschaftliches Erfolgsmodell bezeichnen, das weder die Neutralität des Staates beeinträchtigt noch die Kirche zwanghaft aus dem öffentlichen Raum in die reine Privatsphäre verdrängt, sondern zusammenwirkt zum Wohle der ganzen Gesellschaft. Das blendet konkrete Probleme, auch eklatantes Versagen, sowie mögliche Fehlentwicklungen etc. nicht aus. 

Diese sind anlassbezogen und sachgemäß, transparent und im klaren Einklang mit unserer rechtsstaatlichen Ordnung zu klären und konsequent und glaubwürdig anzugehen (das haben wir z.B. im letzten Jahr als Kirche sehr schmerzhaft und auch beschämend im Hinblick auf den Missbrauchsskandal erfahren und Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit als immer neu anzugehende Aufgabe in allen Bereichen wahrgenommen). In der anfangs aufgeführten Fragestellung geht es hingegen nicht um einzelne Problemkreise, sondern um die grundsätzliche Veränderung des Kirche-Staat-Verhältnis, das, auf der Grundlage unserer Verfassung, von einer positiven Offenheit füreinander geprägt ist, die das Allgemeinwohl fördernde Kooperation ermöglicht und fördert.

Also: Gerade unser deutsches Staats-Kirche-Verhältnis hat Wesentliches zum Gelingen des gesellschaftlichen Miteinanders beigetragen. Der Grund für das Misstrauen liegt auf einer anderen, ideologischen Ebene und lässt sich von den Tatsachen her nicht belegen. Im Gegenteil, die Kirchen haben sich immer wieder auch gegen anderweitige gesellschaftliche Trends für unsere Verfassung gegen eine Aufweichung wesentlicher Grundbestimmungen des Grundgesetzes stark gemacht: so etwa im Hinblick auf die Unantastbarkeit der Würde des Menschen von Beginn bis zum Ende des Lebens, den Schutz von Ehe und Familie als Keimzelle der Gesellschaft, die Freiheitsrechte, darunter die Religionsfreiheit. Und sie setzen sich deutlich für den sozialen Zusammenhang in unserer Gesellschaft ein. Ich erinnere nur an das gemeinsame Sozialwort. Die gegenseitige Verwiesenheit beider Größen gewährleistet eine fruchtbare Symbiose zum Wohle der gesamten Gesellschaft, was sich in augenfälliger Weise nicht zuletzt im Erziehungs- und Bildungswesen, im sozialen Bereich und im Gesundheitswesen zeigt. 

Dieses Modell einer kooperativen Zusammenarbeit, das auch grundgesetzlich im Artikel 140 GG abgesichert wurde, ist aber vor allem hinsichtlich seiner Genese bemerkenswert. Dabei ist Speyer mit seinem Kaiser- und Mariendom ein geradezu prädestinierter Ort für eine vertiefte Betrachtung dieser Fragestellungen. In einem Vortrag im Zusammenhang mit der 2000-Jahr-Feier der Stadt Speyer hat der damalige Kardinal Joseph Ratzinger, heute Papst Benedikt, Speyer als „Spiegel europäischer Geschichte“ bezeichnet. Er schreibt: 

„So konnte im 9. Jahrhundert aus dem alten Tempelberg der Domhügel einer erneuerten Stadt werden. Der Dom der salischen Kaiser, der ihm folgt, versucht die Einheit von Kirche und Reich, den neuen Gottesstaat baulich darzustellen, in dem Königtum und Priestertum einander geschwisterlich zugeordnet sind. Aber noch während der Bau im Gang ist, zieht der Investiturstreit die Grenzen neu, und der Dom in seiner Vollendungsgestalt ist so gerade auch Zeugnis dafür, dass es den Gottesstaat auf Erden nicht geben kann. Er versinnbildlicht Einheit und Spannung zugleich … So mag uns dieser Ort zum einem ein Lehrstück sein für die Unvollkommenheit aller menschlichen Geschichte, die auch wir nicht durchbrechen können. Zum anderen aber ist seine Geschichte gerade auch in ihren Untergängen ein Lehrstück der Hoffnung. Wie Europa im dritten Jahrtausend nach Christus aussehen wird, wissen wir nicht. Aber wir wissen, was in allen Jahrtausenden das Tragende und Beständige, weil zugleich das unendlich Offene ist… Möge der Speyrer Dom Symbol solcher Offenheit, solchen europäischen Geistes sein und damit Wegweiser in ein gesegnetes neues Jahrtausend.“[2]

Für den Papst steht das Symbol Kaiserdom als spannungsreiches, aber letztlich fruchtbares Miteinander von Imperium und Sacerdotium, von weltlichem und geistlichem Bereich nicht für das rückwärtsgewandte Sichern von hergekommenen Privilegien, sondern für den Zukunftsoptimismus, für das Offene der Geschichte, das heißt, für die stärkste Antriebskraft des europäischen Geistes. Das willkürliche öffentliche Verschließen der unendlichen Öffnung des Transzendenten würde nicht nur der gewachsenen historischen Identität nicht gerecht, sondern uns selbst einer starken Zukunftskraft berauben, nämlich der alle endlichen Horizonte überschreitenden Hoffnung. Darauf möchte ich im Laufe des Vortrags noch einmal vertieft eingehen.

Dazu muss ich zunächst einen Schritt zurückgehen und auf die Entwicklung des säkularisierten westlichen Staates in seiner Beziehung zur Kirche schauen: Das Verhältnis von Staat und Kirche hat sich durch die Jahrhunderte der europäischen Geschichte nämlich keineswegs einfachhin zum Konzept des säkularisierten Staates entwickelt, so wie er sich uns heute zeigt, als wäre beispielsweise im Mittelalter keine Unterscheidung zwischen Staat und Kirche möglich.

Vielmehr gab es immer schon eine Dialektik beider Sphären, die beispielsweise im Dualismus von Papsttum und Kaiser im Hochmittelalter, man denke besonders an den erwähnten Investiturstreit, zu Tage trat. Schon in diesem exemplarischen Konflikt zwischen weltlicher und geistlicher Macht um die Einsetzung von hohen Geistlichen, der ab 1076 über mehrere Jahrzehnte die europäische Politik bestimmte, wird deutlich, dass immer schon eine Trennung vorhanden war. Freilich aber erhielt dieser immer schon bestehende Gegensatz in der heraufziehenden Neuzeit eine andere Qualität. War nämlich die geistliche Macht der Kirche im Mittelalter immer auf die Sphäre des Politischen bezogen, ebenso wie das Politische immer auch religiösen Bezug hatte, veränderte sich das Beziehungsgefüge zugunsten der Emanzipation des Staates.

Eine wirkliche Loslösung der Kirche vom Staat kann im 19. Jahrhundert verortet werden, wenn es verfassungsrechtlich auch erst die Weimarer Reichsverfassung von 1919 dokumentiert. Damit war einerseits eine lange Periode der engen Verflechtung beendet, was zu schmerzhaften Prozessen für die Kirche führte, aber rückblickend kann man sagen, dass nun die kirchliche Freiheit wieder erstarkte und sie nicht mehr als „halb politische Ordnungsmacht“ fungierte, was ihrem eigentlichen Auftrag nicht immer gerecht wurde.[3]

So gehört es mithin zum Wesensmerkmal des heutigen säkularisierten Staates, und ich zitiere hier den Staats- und Verwaltungsrechtler und Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde, „dass in ihm die Religion beziehungsweise eine bestimmte Religion nicht mehr verbindliche Grundlage und Ferment der staatlichen Ordnung ist. Staat und Religion sind vielmehr grundsätzlich voneinander getrennt, der Staat als solcher hat und vertritt keine Religion.“[4]

Soweit also der status quo. Doch mit einem weiteren Blick auf die Geschichte fällt auf, dass die grundsätzliche Frage des Verhältnisses von Staat und Religion keine rein neuzeitliche Auseinandersetzung ist, sondern schon im Neuen Testament anklingt, sich in der frühen Kirche der Märtyrer weiter entwickelt und in der Spätantike, besonders im 5. Jahrhundert durch Augustinus von Hippo, eingehend reflektiert wurde. Dessen Postulat der Entsakralisierung des Staates und damit der Trennung der beiden Sphären ist von bleibender Aktualität. Dieses Denken impliziert nicht die gegenseitige Sprachlosigkeit und einfache Trennung von Religion und Staat, sondern betont gerade die jeweiligen Verantwortungsbereiche, die sich aber in einem aufeinander bezogenen Austausch befinden.

Tatsächlich kann der hl. Augustinus, der 354 in Thagaste in Numidien geboren wurde und römischer Staatsbürger war, trotz der uns von ihm trennenden Jahrhunderte, einige hilfreiche Hinweise zu einem durchaus modernen Verständnis des Verhältnisses von Staat und Kirche geben. In seinem großen Werk „De civitate Dei“ entwirft Augustinus zwei Staaten, oder besser: zwei Bürgerschaften, die er kontrastierend gegenüberstellt: Auf der einen Seite die civitas Dei, auf der anderen Seite die civitas terrena. Beide Bürgerschaften werden mit unterschiedlichen Attributen versehen, die Augustinus im zweiten Teil seines Werkes in 12 Büchern näher beschreibt:

Der Weltstaat, die civitas terrena, hat das bloße Überleben zum Ziel, während der Bürger des Gottesstaats danach strebt, in der Bindung an Gott seine ihm eingestiftete Natur zur Entfaltung zu bringen. Die civitas terrena ist für Augustinus ein notwendiges Übel, das im Brudermord Kains an Abel seinen Ursprung findet.[5] Der Staat hat damit die Grundlage des friedlichen Zusammenlebens zu sichern, die durch den Sündenfall und die bleibende Begierde durch die menschliche Schwachheit (concupiscentia) in steter Gefahr ist. Dem gegenüber bezeichnet er die im Weltstaat befindliche Bürgerschaft Gottes als pilgerndes Gottesvolk. Augustinus stellt sich also die beiden Bürgerschaften als ineinander vermischt vor. In diesem Punkt denkt Augustinus mehr eschatologisch als politisch. 

Die Bürgerschaft Gottes ist eine Gemeinschaft der Lebenden und der Toten, verstanden als Zeit und Raum übergreifende diachrone Menschheitsfamilie. Die Frage, wer zu dem einen oder anderen Staat gehört, bleibt allerdings bis zum Tag des Jüngsten Gerichts verborgen. Hierzu passt das berühmte Wort des Augustinus: „Viele, die drinnen sind, sind draußen, und viele, die draußen sind, sind drinnen!“    

Auch wenn Augustinus das Werk unter dem Eindruck der Belagerung Roms und dessen absehbaren Sturz durch das Gotenheer unter Alarich im Jahre 410, und damit vor einem klar umrissenen historischen Hintergrund abfasste, müssen wir uns vor Augen führen, dass die Bürgerschaft Gottes nicht einfach identisch mit der sichtbaren geschichtlichen Kirche ist. Vielmehr findet sich die Zugehörigkeit zu einer der beiden Bürgerschaften im forum internum der unsterblichen Seele der jeweiligen Person, die zwischen den augustinischen Gegensatzpaaren uti, also dem Ich-bezogenen Nutzendenken, und dem frui, dem Geben und Empfangen selbstloser Liebe wählen kann. Aus diesem eschatologischen Denken, das auch das politische Denken der folgenden Jahrhunderte bis in die Neuzeit prägte, aber nicht selten in eine innerweltliche Erlösungsutopie führte, folgt ein lineares Geschichtsbild, das dem in vielen außereuropäischen Kulturen zyklischen Bild von Geschichte und Zeit widerspricht.

Der französische Philosoph Philippe Nemo sieht in diesem eschatologischen Denken, das bereits durch die biblische Botschaft selbst grundgelegt ist, den eigentlichen Beginn jeder ethischen Motivation: „Aus der biblischen Ethik leitet sich die biblische Lehre von den letzten Dingen ab, die Eschatologie. Von nun an heißt es die Welt denken wie die Geschichte, und es gilt zu erkennen, dass die spirituelle Substanz der Menschheit aus ihrer Geschichtlichkeit erwächst. Das menschliche Sein ist menschlich nur in seiner Geschichtlichkeit, und es kann heilig nur sein, wenn es in eine Zeit der Verwandlung eingebettet ist. Mit einem Mal verschwindet so auch nahezu jeglicher magische Gedanke: Das Heil lässt sich nicht durch die Flucht in irgendwelche Nebenwelten erlangen, sondern allein durch die tätige Nächstenliebe, die sich innerhalb der realen Welt einen Weg bahnen muss.“[6]  

Dieser biblisch gestützte Geschichtsgedanke ist, trotz all seiner missbräuchlichen Gefährdungen bis in die politischen Messianismen hinein, wesentliche Grundlage für die Ethik als konkrete Verantwortung in der Welt. Gerade durch die eschatologische, das heißt alle konkrete Geschichte und ihre Institutionen transzendierende Öffnung auf Gott, auf den wiederkehrenden Christus hin, wird Zweierlei ermöglicht, das für mich Grundlage der stärksten Antriebskräfte des christlichen Abendlandes wurde: die notwendige Relativierung aller irdischen Machtgefüge aus der immer neu aufbrechenden Dynamik des Glaubens heraus und gleichzeitig die konkrete Verantwortlichkeit für die reale Welt, was auch die grundsätzliche Loyalität zum irdischen Staatswesen beinhaltet.

Der große altkirchliche Theologe Origenes hat das schon im dritten Jahrhundert n. Chr. auf den Punkt gebracht: „Die Christen erweisen ihrem Vaterland mehr Wohltaten als die übrigen Menschen. Denn sie sind erzieherische Vorbilder für die anderen Staatsangehörigen, weil sie lehren, dem Gott treu zu sein, der über dem Staat steht. So reißen sie ihre Mitbürger mit sich empor zu jenem geheimnisvoll göttlichen Himmelsstaat, wenn sie in diesem irdischen, kleinen Staat ein sittlich-gutes Leben geführt haben. Diesen Christen könnte man sagen: ‚Wohlan, du bist in dem kleinen Staat treu gewesen, geh nun ein in den großen Staat’.“[7]

Stellen wir einmal dahin, ob die Christen diesem hohen moralischen Anspruch in der Breite Genüge leisten. Origenes selber weiß darum, dass es nicht nur weiße Schafe gibt, und differenziert seine Aussage, indem er konkret von „diesen Christen“ spricht. Entscheidender ist, dass Origenes hier auf die von Anfang an offen oder verdeckt gegen die Christen erhobenen Vorwürfe und Verdächtigungen reagiert, wegen ihres eschatologischen Glaubens an Christus als dem einzigen Herrn der Geschichte unzuverlässige irdische Staatsbürger zu sein, ein Misstrauen, das sich in der Zeit immer wieder in neuem Gewande gezeigt hat und zeigt. 

Wenn etwa Christian Lindner in dem eingangs erwähnten Artikel in der FAZ vom 18.10.2010 die von ihm geforderte Privatisierung des religiösen Glaubens verbunden mit der Rückkehr zu republikanischen Tugenden mit dem Satz erläutert: „Zur republikanischen Tugend gehört die unbedingte Akzeptanz des Staates, seiner Gesetze und Repräsentanten“, dann kann ein solches sprachliches Einspielen des „Unbedingten“ unbedacht in die Argumentation geflossen sein. Christen jedoch horchen hier sehr genau auf. Für Christen ist die Loyalität zum Staat, in dem sie leben, auch dann eindeutig eingefordert, wenn dieser kein christlicher Staat ist. Diese Loyalität ist, wie in Röm 13 beschrieben, sehr weitgehend, hat aber eine entscheidende Grenze, weil man „Gott mehr gehorchen muss als den Menschen“ (Apg 5, 29). Der Hebräerbrief weist aus der Situation der frühen Christenheit eindringlich darauf hin: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die künftige suchen wir“(Hebr 13,14) und Paulus schreibt in der Gefangenschaft mit gefesselten Händen: „Unser Staatswesen ist im Himmel“ (Phil 3,20).

Papst Benedikt führt diesbezüglich aus: „Für die neutestamentlichen Schriftsteller ist die Stadt im Himmel nicht bloß eine ideale, sondern durchaus eine reale Größe – die neue Heimat, auf die wir zugehen. Sie ist das innere Maß, unter dem wir leben, die Hoffnung, die uns in der Gegenwart trägt… In Wahrheit ist es gerade diese ‚eschatologische’ Haltung, die dem (irdischen, der Verf.) Staat sein eigenes Recht garantiert und zugleich dem Absolutismus wehrt, indem sie die Grenzen sowohl des Staates wie der Kirche in der Welt aufzeigt.  Denn wo diese Grundhaltung eingenommen wird, da weiß die Kirche, dass sie hier nicht selbst Staat sein kann. 

Da weiß sie, dass das endgültige Staatswesen anderswo ist und dass sie nicht auf Erden den Gottesstaat aufrichten kann. Sie respektiert den irdischen Staat als eigene Ordnung der geschichtlichen Zeit, mit ihren Rechten und Gesetzen, die sie anerkennt. Sie fordert daher das loyale Mitleben und Mitwirken mit dem irdischen Staat auch da, wo er kein christlicher Staat ist (Röm 13,1; 1 Petr 2,13-17; 1 Tim 2,2). Indem sie so einerseits loyale Mitwirkung im Staatswesen und die Respektierung seiner Eigenart wie seiner Grenzen fordert, erzieht sie auch zu jenen Tugenden, die einen Staat gut werden lassen. Zugleich aber setzt sie der Allmacht des Staates eine Barriere: Weil man ‚Gott mehr gehorchen muss als den Menschen’ (Apg 5,29) und weil sie aus Gottes Wort weiß, was das Gute und das Böse ist, ruft sie zum Widerstand auf, wo das eigentlich Böse, das Gottwidrige befohlen würde. Das Zugehen auf die andere Stadt entfremdet nicht, sondern es ist in Wirklichkeit die Voraussetzung dafür, dass wir gesunden und dass unsere Staaten gesunden. Denn wenn die Menschen nichts zu erwarten haben, als was ihnen diese Welt bietet, und wenn sie dies alles vom Staat verlangen dürfen und müssen, zerstören sie sich selbst und jedwedes Gemeinwesen. Wenn wir nicht erneut in die Fänge des Totalitarismus geraten wollen, müssen wir über den Staat hinausschauen, der ein Teil und nicht das Ganze ist. Hoffnung auf den Himmel steht nicht gegen die Treue zur Erde. Auf das Größere und Endgültige hoffend, dürfen und müssen wir Christen auch in Vorläufige, in unsere Staatenwelt hinein Hoffnung tragen.“[8]

Das spannungsreiche, nicht von Versagen, Anmaßungen und Übergriffen freie Verhältnis zwischen der geistlichen und weltlichen Sphäre, zwischen Kirche und Staat, hat, gerade weil es immer neu auszubalancieren war und ist, der abendländischen Welt und Kultur eine grundlegende Dynamik verliehen, die vom „Prinzip Hoffnung“ geleitet immer wieder ins Offene der Zukunft vorstoßen konnte. Das haben besonders die Väter und Mütter des Grundgesetzes empfunden und nicht von ungefähr die transzendente Verantwortlichkeitsperspektive ins Grundgesetz mit aufgenommen: die Verantwortung vor Gott. Ich glaube, dass mit dem Grundgesetz und der damit gegebenen positiven, beide Seiten in die Pflicht nehmende Kooperation von Staat und Kirche bei eindeutiger Trennung der Bereiche uns nicht nur eine gut gereifte Frucht dieses langen Prozesses, dessen Wunden nicht ausgeblendet werden sollen, geschenkt hat, sondern ein wichtiges Erbe für die Zukunft, für die Abwehr von Totalitarismen, in welchem Gewande sie auch auftreten mögen, darstellt.

Was aber, so könnte man fragen, ist denn das eigentlich, was die Kirche konkret für den Staat leisten kann? Auch der Staat betreibt doch Schulen, Krankenhäuser und Altenheime. Dazu braucht er doch die Kirche nicht. Ich möchte zunächst versuchen, ganz grundsätzlich auf diese Frage zu antworten. 

Im Mittelpunkt einer alle diese Punkte betreffenden Antwort steht keine eigentliche äußere Leistung, sondern vielmehr ein inneres Wesensmerkmal des christlichen Propriums: das christliche Menschenbild.

Nach christlichem Menschenbild entsteht jeder Mensch aus dem Schöpfungswillen Gottes, ist unverwechselbar, von Gott geliebt und nach seinem Ebenbild geschaffen (Gen 1-3). Gott als Inbegriff des Guten, Wahren ist zugleich Ursprung und Ziel des Menschen, der zur Heiligkeit, zur vollen Verwirklichung seiner Person berufen ist. Das höchste Ideal, das Beste also, ist die Liebe, wie Papst Benedikt XVI. dies in seiner ersten Enzyklika „Deus caritas est“ aus dem Jahre 2005 verdeutlichte.  Dem Menschen entspricht am meisten die unbedingte Liebe, die nicht vom Nutzen, sondern vom Selbstwert ausgeht. Hier finden wir das Gegensatzpaar des hl. Augustinus „frui – uti“ wieder. Der Mensch wird nicht dem Nutzen unterstellt, seine Wahrheit leuchtet nur in der Liebe, in der grundsätzlichen Bejahung auf.

Davon abgeleitet geht die Kirche, wie auch der Staat in Deutschland, von einer unantastbaren Menschenwürde aus, die daher auch den ersten Artikel des Grundgesetzes einnimmt und zum unhintergehbaren Bestand der von Staat und Kirche gemeinsam vertretenen Werte gehört. Menschenwürde, dies muss noch einmal deutlich hervorgehoben werden, ist aber mehr als die Versorgung mit Gütern, die ein quantitatives Überleben gewährleisten, so wichtig und grundlegend diese ist. Entscheidender noch ist aber für das volle Personsein die Qualität des Lebens. 

Noch einmal anders formuliert: Nicht die Anzahl der Jahre entscheidet über ein gelungenes Leben, sondern die in diesen Jahren erfahrene und weitergegebene Liebe und Annahme. Ohne sie kann kein Mensch, so gut er auch materiell versorgt sein mag, erfüllt leben! Nicht der Nutzen ist im Hinblick auf den Menschen entscheidend, sondern der Selbstwert, der sich in der unbedingten Bejahung zeigt, unabhängig von seinem konkreten Status, seiner Gesundheit oder Behinderung usw. Alle politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systeme sind letztlich für den Menschen da und haben keinen Selbstzweck. Dieses personale Prinzip ist Grundlage aller Individual- wie auch Sozialethik.

Seit dem Sündenfall weiß der Mensch um die Unsicherheit dieser für ihn notwendigen unbedingten Bejahung und Liebe, aber auch der steten Gefahr eines Mangels an Gerechtigkeit. Von daher kann man den Ursprung und die Notwendigkeit aller staatlichen Sicherungssysteme ableiten. Diese Systeme sollen ein Mindestmaß an Sittlichkeit garantieren und sozusagen den Grundwasserspiegel des moralischen Handelns bilden: den status iustitiae. Dieses Bedürfnis des Menschen wird vor allem staatlichen Einfluss in der Familie erfahren. Dies ist der Ort, an dem der Mensch sich wesentlich als animal sociale, als zoon politikon begreifen lernt, der sich nicht selber schafft und sich nicht selbst am Leben halten kann. Dieses Angewiesensein widerspricht nicht der jeweiligen Persönlichkeit oder gar einer Individualnatur, sondern wird vielmehr zur Bildung eines Ichs vorausgesetzt.

So gibt es eine grundlegende Unterscheidung zwischen prinzipieller Gerechtigkeit für jedes Individuum, also politischer Gerechtigkeit auf der einen, und personaler Liebe auf der anderen Seite, die im Wesen des Christentums angelegt ist und damit gleichzeitig eine solide Basis des Dialogs von Religion und Staat ermöglicht. Denn beides ist für den Menschen notwendig, um die Erfüllung seines Personseins zu erreichen! 

Dabei zeigt die Unterscheidung von Liebe und Gerechtigkeit ein Weiteres: Während die politische Gerechtigkeit eine negative Freiheit von etwas garantiert, die den Bereich der privaten Entfaltung schützt und so nicht-öffentliche Freiheitsräume herstellt, ermöglicht die personale Liebe, die der Staat nicht einfordern oder herstellen kann, einen Blick auf die Freiheit, die als positive Freiheit verstanden werden kann – also eine Freiheit zu etwas – um zu lieben und geliebt zu werden. Eine Freiheit, die im Christlichen bis zur Selbsthingabe für den anderen, insbesondere den Schwachen, Rechtlosen, Armen geht. Die Gesellschaft lebt von diesem nicht einforderbaren Engagement. Auch wenn die kirchliche Wirklichkeit das nicht immer vorbildlich widerspiegelt, bleibt dieses doch der Kern ihrer ethischen Botschaft: die unzertrennbare Zusammengehörigkeit von Gottes- und Nächstenliebe. Damit stützt sie mit der Gemeinschaft stiftenden Kraft des Glaubens die positive Freiheit im Staat, bei aller unbenommenen Freiheit der Bürger, wie sie die Ausübung ihrer Freiheit motivieren wollen.

Das scheint mir die Grundlage der Motivation der Kirchen und jedes einzelnen Christen zu sein, sich im Staat und auch für den Staat einzusetzen und in und durch sein Christ-Sein Verantwortung für die gesamte Gesellschaft zu übernehmen. Dies kann umso besser geschehen, wenn Staat und Kirche sich gegenseitig respektieren und Möglichkeiten der Kooperation vereinbaren. In Deutschland, am Anfang erwähnte ich es bereits, sind wir diesbezüglich auf einem guten Weg, den wir weiter im gegenseitigen offenen Dialog miteinander festigen sollten. 

Ganz grundsätzlich muss man auch von Seiten der Kirche betonen, dass die Religionsfreiheit, die eine der wichtigsten Grundbestimmungen des deutschen Staatskirchenrechts darstellt, ein hohes und unveräußerliches Gut ist, eine Errungenschaft, die mit dem Dekret des II. Vatikanischen Konzils „Dignitatis humanae“ in der Lehre festgeschrieben ist und nicht in Frage gestellt werden darf. Sie schützt die freie, personale Gewissensentscheidung. Allerdings wird der Begriff aus meiner Sicht zu selten im Sinne einer positiven Religionsfreiheit, also einer Freiheit zum Glauben verstanden. Schon eher wird er als Freiheit vom Glauben und von der Religion aufgefasst, was sicher einer starken Verkürzung entspricht. Mit Blick auf Artikel 4 GG wird aber klar, dass der Staat eine positive Freiheit zur Religionsausübung in den Vordergrund stellt. 

In Beziehung dazu stellt der aus der Weimarer Reichsverfassung entnommene Artikel 140 GG aber auch fest: „Es besteht keine Staatskirche.“ Dies verdeutlicht die Spannung, die das Verhältnis von Kirche und Staat umgibt. Es gibt eine prinzipielle Scheidung der beiden Sphären durchaus im Sinne des so von Augustinus angedachten Verhältnisses. Es besteht in diesem Sinne also keineswegs eine Konkurrenzsituation zwischen Staat und Kirche. Vielmehr beschränken sich die jeweiligen Aufgaben auf unterschiedliche Tätigkeitsfelder: Während der Staat in erster Linie die Verantwortung für das politische und gesamtgesellschaftliche Gemeinwohl trägt und demokratisch legitimierte Beschlüsse nötigenfalls auch mit Gewalt durchsetzt, verfügt die Kirche lediglich über geistliche Mittel für ihre geistlichen Aufgaben.

So sind Staat und Kirche, bei aller Ähnlichkeit beispielsweise des Behördenapparates, miteinander nicht vergleichbar, sondern erkennen ihre je eigenen Handlungsfelder an. Der Staatsrechtler Axel Freiherr von Campenhausen fasst es so zusammen: „Die Spiritualisierung der Kirche und die Säkularisierung des Staates, die sich seit der Französischen Revolution durchgesetzt haben, machen es unmöglich, beide weiterhin wie zwei kommensurable, weithin konkurrierende Institutionen zu betrachten.“[9]      

Doch es gibt durchaus gesellschaftliche Bereiche, die von beiden Institutionen besetzt werden und dies besonders im caritativen Bereich, denken wir hier nur an die Gesundheitsversorgung. Aber auch der Bildungsbereich, den ich hier an der Hochschule als geeignetes Beispiel erachte, ist in Deutschland keine rein staatliche Domäne. Besteht also nicht doch zumindest in diesen Beispielen eine Teilkonkurrenz zwischen Staat und Kirche?

Tatsächlich ist es so, dass das deutsche Bildungswesen eine große Pluralität aufweist. So bestehen aktuell ca. 1100 katholische Bildungseinrichtungen in der Bundesrepublik, die über 367.000 Schülerinnen und Schüler umfassen. Dazu beschäftigt die Kirche fast 30.000 Lehrerinnen und Lehrer, vornehmlich in allgemeinbildenden Schulen aller Klassenstufen. Im Bistum Speyer findet sich daher folgerichtig ebenfalls ein breites Bildungsangebot von katholischen Schulen in freier Trägerschaft, die staatlich anerkannt sind und von der Hauptschule bis zur Fachschule ein breites Spektrum abbilden.

Die Kirche ist seit jeher einer der Bildungsträger in Europa – dies dürfen wir ohne falsche Bescheidenheit sagen. Das Schul- und Universitätswesen, die Tradierung von antikem Wissen und der Fortschritt aller Wissenschaft und Kultur, sind ohne den Beitrag der Kirchen und Klöster kaum denkbar. Wir können also von einer Tradition der Bildung sprechen, die sich bis heute zeigt und die auch bleibender Auftrag und stetes Interesse der Kirche bleiben wird.

Doch ist auf diese Weise eine Trennung von Staat und Kirche überhaupt wirklich vorhanden? Ist es nicht eine überkommene Idee, ein Anachronismus, dass die Kirchen hier eine in erster Linie staatliche Aufgabe übernehmen? Ist es nicht ein unverdientes Privileg der Kirchen, könnten Kritiker einwerfen? – Ich möchte da widersprechen.

Indem der Staat das Recht der Religionsfreiheit richtig interpretiert und von einer positiven Beziehung zu den Religionsgemeinschaften ausgeht, weiß er um die Notwendigkeit und Richtigkeit die Religion eben nicht ins rein Private zu verbannen. Religion ist ein Recht und ein Bedürfnis des Menschen und dem trägt auch das Grundgesetz Rechnung. So wurde der Religion auch ein Platz in der Erziehung zugestanden, wenn es von den Eltern des Kindes gewünscht wird – so Artikel 7,2 GG. 

Der Staat hat darüber hinaus ein genuines Interesse an der geistlichen und ethischen Erziehung der Kinder und Jugendlichen. Dies betonten vor allem auch nicht wenige der Väter und Mütter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat, die vor dem Hintergrund des gottes- und menschenverachtenden Terrorregimes des sogenannten Dritten Reiches die sittliche Grundlage gemeinsam mit den Kirchen bildeten. 

Die Kirchen helfen also dem Staat, in diesem Sinne den Regelungen des Grundgesetzes nachkommen zu können. Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, wie Artikel 7 GG verstanden werden kann. Dort wird zunächst das gesamte Bildungswesen unter die Aufsicht des Staates gestellt. Aber in Art. 7,3 GG wird dann ausgeführt, dass der Religionsunterricht auch in öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach ist. Der Unterrichtsinhalt wird dabei durch die Religionsgemeinschaften bestimmt, womit jeweils die unterschiedlichen Kompetenzen klar umrissen sind. Die Kirche ist daher ein wichtiger Partner des Staates, nicht dessen Konkurrent, was selbstverständlich auch umgekehrt gilt.  Ohne diese fruchtbare Zusammenarbeit wäre ein pluralistisches und umfassendes Bildungssystem kaum zu realisieren. Und ich meine, dass dieses System sich hervorragend bewährt hat.

Das Beispiel der Kooperation auf dem Feld des Bildungswesens soll uns zurückführen zur anfänglichen Fragestellung nach dem Verhältnis von Staat und Kirche, weil es exemplarisch für dieses steht. 

Beide, Kirche und Staat, haben durch ein schmerzhaftes, aber letztlich erfolgreiches Ringen ihre je eigenen Kompetenzbereiche umrissen. Sie sind nun, um die Überschrift des Vortrags wieder aufzunehmen, getrennt und doch vereint!

Getrennt, weil man erkannt hat, wie wichtig die Trennung des geistlichen und politischen Spektrums ist, und geeint, weil eine einfache Sprachlosigkeit füreinander zum Schaden der gesamten Gesellschaft wäre. Dieser Lernprozess ist weit fortgeschritten, aber keineswegs am Ende. Im Gegenteil: Gerade heute stehen wir in dieser Verhältnisbestimmung vor neuen Herausforderungen! 

Nicht selten wird heute von verschiedenen Seiten gefordert, dass die Kirche und ihre Symbole sich aus dem öffentlichen Raum zurückziehen sollten. Selten haben diese Kritiker wohl aber die fruchtbare Kooperation im Blick, die beide – Staat und Kirche – für das Gemeinwesen leisten!

An uns ist es, sich dieser Kritik entgegenzustellen und uns beherzt für das gute und gewinnbringende Zusammenwirken beider einzusetzen. 

Der Autor ist Bischof der Diözese Speyer. Der Vortrag wurde am 18. Januar 2011 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer gehalten und von Frank-Matthias Hofmann, Johanna-Wendel-Straße 15, 66119 Saarbrücken, zur Veröffentlichung vorgeschlagen.

[1] Siehe hierzu die Stellungnahme der Arbeitsgruppe der Finanzkommission des VDD vom 23.11.2010.

[2] Joseph Cardinal Ratzinger, Wendezeit für Europa? Diagnosen und Prognosen zur Lage von Kirche und Welt, Einsiedeln 1991, 103f.

[3] Vgl. Freiherr von Campenhausen, Axel: Staatskirchenrecht. Ein Leitfaden durch die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und den Religionsgemeinschaften. München 1973, S. 22.

[4] Böckenförde, Ernst- Wolfgang: Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert, herausgegeben von der Carl Friedrich von Siemens Stiftung (Band 86.), München 2006, S. 12. Ebenfalls erhellend in diesem Zusammenhang: Taylor, Charles: Ein säkularisiertes Zeitalter, Frankfurt 2009.

[5] Vgl. Augustinus: De civitate Dei, XV (1-8)

[6] Nemo, Philippe: Was ist der Westen? Die Genese der abendländischen Zivilisation. Tübingen 2005, S. 41.

[7] Contra Celsum VIII, 74. Siehe hierzu Hugo Rahner, Abendländische Kirchenfreiheit. Kirche und Staat im frühen Christentum, Chur 1943, 42f.

[8] Joseph Kardinal Ratzinger, Wahrheit, Werte. Macht, Frankfurt 1999,90-92.

[9] Von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 74.

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