Herfried Münkler, Der Große Krieg

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Ulrich Kronenberg
Am Anger 5, 67346 Speyer

Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt 1914 – 1918, Berlin (Rowohlt) 2013, 924 Seiten, ISBN: 978 3 871347207.

In der großen Fülle der wissenschaftlichen Arbeiten zum Ersten Weltkrieg nimmt das umfangreiche Werk des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler eine besondere Stellung ein. Das Werk steht in einer Reihe bedeutender Veröffentlichungen Münklers, die man als Standartwerke bezeichnen darf: Die neuen Kriege (2002), Imperien (2005), Die Deutschen und ihre Mythen (2008), Macht in der Mitte. Die neuen Aufgaben Deutschlands in Europa (2015). Gerade seine vielen Werke zum Thema Krieg zeugen nicht nur von großer Sachkenntnis und sensibler Wahrnehmung, sondern haben sich als wegweisend erwiesen.

Sein Buch zum Ersten Weltkrieg ist in neun Kapitel untergliedert und darf als Befreiungsschlag gegen manche Dogmen der Geschichtsschreibung angesehen werden. Im ersten Kapitel beschreibt er „Lange und kurze Wege in den Krieg“ (S.25-106). Das zweite Kapitel befasst sich mit „der Suche nach der schnellen Entscheidung“ des Krieges (S. 107-213). Im dritten Kapitel behandelt Münkler „Sinne und Ziele des Krieges“ (S. 215-288) bevor er im vierten Abschnitt den „festgefahrenen Krieg“ (S. 289-402) untersucht. Das fünfte Kapitel ist den „Entscheidungsschlachten ohne Entscheidung“ (S. 403-478) gewidmet, bevor die „Ausweitung des Kampfes“ beschrieben wird (S. 479-562). Im siebten Kapitel beschreibt Münkler den „erschöpften Krieg“ (S. 563-652). Das achte Kapitel handelt von „Ludendorffs Vabanque und dem Zusammenbruch der Mittelmächte“ (S. 653-752) bevor Münkler abschließend den Ersten Weltkrieg als „politische Herausforderung“ (S. 753- 797) darstellt und beurteilt.

Münkler zeigt auf, dass die Frage nach der Kriegsschuld wissenschaftlich neu bewertet werden muss und hat – ähnlich wie Christopher Clark (Die Schlafwandler) – dargelegt, dass Deutschland die Verantwortung für den Ausbruch des Krieges nicht allein getragen hat. Die Frage nach dem Schuldigen wird ersetzt durch die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass dieser Krieg sich so ausweitete. Münkler wagt den Schritt, den Ersten Weltkrieg als ein „für sich allein stehendes, komplexes Ereignis“ zu werten, das nicht nur aus der Perspektive des Zweiten Weltkrieges gesehen werden darf. Dieser historische Neuansatz führt dazu, dass Münkler darlegt, dass der Weltkrieg nicht nur als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George Kennan) gesehen werden darf, sondern auch als „Modernisierungsschub“, der das alte Europa von Grund auf veränderte. Münkler zeigt, dass es neben dem „kurzen Weg“ in den Krieg, hervorgerufen durch das Attentat vom 28. Juni 1914, auch einen „langen Weg“ in den Krieg gab, dessen Beginn weit zurück im 19. Jahrhundert liegt. Münkler weist darauf hin, dass man vor dem Kriegsbeginn einen derartig heftigen Verlauf des Krieges in Europa nicht für möglich gehalten hätte und zeigt die ungeheure Eigendynamik der Ereignisse auf, die dann ins „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawn) mündete. Es ist kein Zufall, dass heute viele wache Geister – 100 Jahre später – Parallelen in unserer Zeit zu den Ereignissen von 1914 entdecken und vor der Eigendynamik mancher Prozesse der damaligen Zeit erschrecken.

Kirchlich-theologisch ist es sehr interessant, wie Münkler die Geisteshaltung der evangelischen Theologen Paul Wurster (S. 242), Ernst von Dryander (S. 231), Adolf von Harnack (S. 241; 277; 512) und Reinhold Seeberg (S. 236; 271f; 279f; 408) herausarbeitet und kritisch beleuchtet: Die Gefahr der zu großen Nähe von Staat und Kirche hat heute mahnende und warnende Funktion für uns Menschen des 21. Jahrhunderts. Eine „Seeberg-Adresse“ sollte sich aus – christlich gesehen – falsch verstandener Solidarität unter anderen Vorzeichen nicht wiederholen. Das Buch ist mit Gewinn zu lesen.

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