Paradiesische Zustände – Über die Zukunft der Landeskirche

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Michael Behnke
Oklahomastraße 12, 66482 Zweibrücke
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1971: Die Evangelische Kirche der Pfalz hat gut 780.000 Mitglieder, 404 Gemeindepfarrstellen, sechs Oberkirchenräte und einen Kirchenpräsidenten. Die Landeskirche hat in ihrem Mitgliederbestand einen Überhang an jungen Menschen. Eine geringe Arbeitslosigkeit und eine hohe Zahl an Kirchensteuerzahlern geben der Landeskirche eine sehr gute finanzielle Basis.

2011: Die Evangelische Landeskirche hat 580.000 Mitglieder, 429 Kirchengemeinden, sechs Oberkirchenräte und einen Kirchenpräsidenten. Die Kirche verliert pro Jahr 7000 Mitglieder durch Austritt oder Tod. Der demographische Aufbau zeigt einen Überhang an alten Menschen. Eine weiterhin relativ hohe Arbeitslosenquote, lange Ausbildungszeiten und konstante, relativ hohe Austrittszahlen bewirken, dass die Anzahl der Kirchensteuerzahler dramatisch schwindet. Dennoch hält die Landeskirche an ihrem Anspruch fest, Volkskirche zu sein.

2051: Die Evangelische Landeskirche hat ca. 300.000 Mitglieder, 214 Gemeindepfarrstellen, sechs Oberkirchenräte und einen Kirchenpräsidenten. Der Landeskirchenrat ist guter Dinge und hofft den Abwärtstrend stoppen zu können. Der Landessynode liegt ein radikales Sparprogramm vor, das die Sanierung des landeskirchlichen Haushalts langfristig garantieren soll. Der Anspruch, Volkskirche zu sein, wird weiterhin aufrechterhalten. Die Pfarrbesoldung soll in Zukunft nach A11/12 erfolgen.

2091: Die Evangelische Landeskirche hat ca. 20.000 Mitglieder, 14 Gemeindepfarrstellen, sechs Oberkirchenräte und einen Kirchenpräsidenten. Wer hier meint, das Verhältnis der Pfarrer zu dem Leitungsgremium sei unverhältnismäßig, dem rufen wir entschieden das Motto des Hosenbandordens entgegen: „Honni soit qui mal y pense!“ Wer, wenn nicht ein starkes Leitungsgremium, soll denn eine Kirche kompetent verwalten, ihre Zukunft sichern und endlich ein Wachstum gegen den Trend organisieren? Über die Frage, ob die Pfälzische Landeskirche sich weiterhin als Volkskirche verstehe, wird innerhalb der Pfarrerschaftverbissen gerungen. Finanzielle Einschnitte kommen wieder auf die Pfarrer zu. Nach Beschluss der neuen Besoldungsnovelle werden die Geistlichen der Landeskirche künftig in A9/10 eingruppiert werden. Auf der Synode wird von allen überschwänglich die Nachricht gefeiert, dass nach drei Jahren endlich wieder ein Kind durch die heilige Taufe in die Kirche aufgenommen wurde. Alle sind sich sicher: Es geht aufwärts!

2131…. Aber stopp! Hier hätten wir uns fast verrechnet, denn im Jahre des Herrn, 2097 – man feierte gerade den 600. Geburtstag Philipp Melanchthons – machte der letzte Pfälzer Protestant – ein Kirchenpräsident! (Was nur logisch ist, denn schließlich war der letzte Pfälzer Protestant auch sein eigener Kirchenpräsident und letztendlich waren die Pfälzer Protestanten immer ein sehr selbstbewusstes Völkchen!) Aber wo waren wir stehen geblieben? Ach ja! Also im Jahre 2097 machte der letzte Pfälzer Protestant in seiner Funktion als oberster Kirchenleiter das Licht in der Speyerer Gedächtniskirche aus, schloss symbolisch mit kreisender Handbewegung das große Tor ab und übergab den Schlüssel an den Vertreter eines weltweit operierenden schwedischen Möbelimperiums, das in dem nun säkularisierten Kirchengebäude in Bälde ein riesiges Einrichtungsparadies eröffnen möchte.

Der schwedische Generalmanager – mit seinem strohblondem Haarschopf, den wasserblauen Augen und dem frisch gebräuntem Gesicht sah er aus, als wäre er gerade vom Segeln gekommen – schaute mit sichtbarer Rührung auf den großen Kirchenschlüssel und gelobte feierlich über das traditionsreiche Vermächtnis des ehemaligen protestantischen Doms zu Speyer zu wachen „wie ein Cherub mit seinem flammenden Schwert“; so drückte er sich aus. Im Chor verteilt, brannten 279 Kerzen und erinnerten an die Lebensjahre der ehemaligen „Protestantisch-Evangelisch-Christlichen Kirche“ der Pfalz. Dahinter im Halbkreis aufgereiht prangten auf pompösen Staffeleien die Ölbilder der verstorbenen Kirchenpräsidenten und im flackerten Kirchenlicht, das auf den Bildern schillernd reflektierte, hatte es tatsächlich den Anschein, als liefen große Tränen ihre Wangen herunter.

Der Kirchenpräsident erinnerte in seiner letzten Predigt an das große Vermächtnis unseres Heilands, der zugesagt hat, dass „die Pforten der Hölle die Kirche nie überwältigen werden“ (Mt 16,18). Und so habe zwar die Evangelische Landeskirche aufgehört zu existieren, doch man müsse doch sehen, dass sich weltweit das Christentum munter verbreite und es weiterhin die am stärksten wachsende Weltreligion sei. Warum das Christentum aus den deutschen Regionen und auch aus dem lieblichen Land der „Reben und Rüben“ zwischen Rhein und Saar und Wasgau und Donnersberg verschwinde und was man als Kirche falsch gemacht habe, darüber nachzudenken sei es nun zu spät und es bliebe nur, eine große Vergangenheit noch einmal ins Licht der Gegenwart zu stellen, bis endgültig die Pfälzische Landeskirche aus dem Gedächtnis der Menschen verschwände und im Staub der Museen ihr Schattendasein friste.

 

Sichtlich bewegt und mit Tränen in den Augen, stieg der Kirchenpräsident von der Kanzel, zog sein schweres Amtskreuz von den Schultern und übergab es zur letzten Verwahrung dem Direktor des pfälzischen Heimatmuseums.

Der Domchor, den das bischöfliche Ordinariat freundlicher Weise zur Verfügung gestellt hatte, sang zum Abschluss in getragenem Lento: „Sag’ zum Abschied leise Servus!“ Nach diesem würdevollen Festakt eröffnete der schwedische Blondschopf das Büffet, das in Anlehnung an die Speisung der Fünftausend mit Fischspezialitäten und Smörebröd aufwartete. Drei Monate später öffnete wie angekündigt das Einrichtungsparadies seine Pforten.

Damit hatte sich der Kreis geschlossen und die Pfälzische Landeskirche endete just an dem Ort, an dem einmal alles angefangen hat: In einem Paradies! Das ist doch im Grunde genommen gar kein so schlechtes Ergebnis, oder?

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