Ich bin dann mal weg Anmerkungen zum Kontaktstudium im Sommersemester 2011 an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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Johannes Fischer
Weinstraße Nord 8, 67281 Kirchheim a.d. Weinstraße

„Ich bin dann mal weg!“ Was Hape Kerkeling mit dem Rucksack und den Wanderschuhen als freischaffender Entertainer auf dem Buchcover fröhlich lächelnd verkündet, gestaltet sich für mich als Pfälzischen Dorfgemeindepfarrer ungleich komplizierter.

Erste staunende Gedankengänge mit dem Kontaktstudium ergaben sich bei Begegnungen mit Kollegen in Innenstadtgemeinden: Donnerwetter, der kann mal zwischendurch drei Monate „was anderes“ machen außer Gemeinde! Geht das mal eben so? Vor allem: Geht das auch als Einzelkämpfer auf dem Dorf? Darf man sich einfach aus dem Staub machen als verantwortungsvoller Hirte?

Eine mahnende Weisheit einer Kollegin kam mir in den Sinn: „Der Friedhof ist voll von Leuten, die unentbehrlich sind…“. Auch im Sinne der mündigen Gemeinde und des Priestertum aller Gläubigen scheint es also geradezu geboten „mal weg zu sein“. Weitere Gespräche folgten mit anderen Kontaktstudierenden, die zurieten: „Mach das, es lohnt sich und es steht dir auch zu!“

Schließlich reifte der Entschluss, neben meinen Aufgaben als Kirchenführer, Hausmeister, Energiemanager, Verwaltungsamateur und anderes, mich auch wieder stärker als theologische Existenz wahrzunehmen und konzentriert wissenschaftlich theologisch zu arbeiten.

Nachdem nun unsere Landeskirche 12 Tage Fortbildung im Jahr für geboten hält und ich diesbezüglich in der letzten Dekade aus verschiedensten (überwiegend dienstlichen) Gründen nur sehr sporadisch zugange war (bzw. sein konnte), war der Kairos gekommen, nun die ausstehenden 90 Tage am Stück zu nehmen und das Kontaktsemester bei meinem Landeskirchenrat zu beantragen.

Die Reaktionen der Gemeinde auf eine entsprechende Ankündigung spiegelten den Bedeutungsverlust wider, den neben unserer Kirche und unseres Berufstandes auch die universitäre Theologie erreicht hat und zeugten von einer gewissen Ratlosigkeit: „Herr Pfarrer, müssen Sie nachschulen?…“ (wie nach einem einkassierten Führerschein), oder „Erholen Sie sich gut…!“, (wie bei einer Reha-Kur), waren aber durchaus wohlwollend (abgesehen von einer flapsigen Presbyteriumsmeinung: „Uns hat er gar nicht gefragt…“).

Es war schnell klar: Für mich als Dorfgemeindepfarrer bedeutet ein Studiensemester eine ordentliche Organisationsaufgabe. In meinem Fall verbunden mit einer dreifachen Erlaubnis: Die erste und wichtigste kam von meiner Ehefrau, die selbst im vergangenen Jahr eine aufbauende Kur erlebt hatte und sich in diesem Jahr zutraute, fast drei Monate mit einer pubertierenden Tochter und einem frisch Abiturienten vor Ort die Stellung zu halten und deutliche Einschnitte (trotz Lohnfortzahlung während des Kontaktsemesters schlagen zusätzliche Fahrt-, Verpflegungs- und Mietkosten zu Buche) in die knapp bemessene Familienkasse zu verkraften. Der übliche Herbsturlaub fiel heuer aus.

Die zweite Erlaubnis erteilte mir mein Dekan, nachdem er die von mir ausgetüftelte Vertretung für drei Monate (Gottesdienst, Schule, Konfirmandenarbeit, Kasualvertretung, Geschäftsführung) zu Kenntnis nahm und genehmigte. Nur durch die liebe Nachbarkollegin, die zu 100% auf einer Zweidrittelstelle sitzt und die dreimonatige Verdoppelung ihrer Aufgaben mit zusammengebissenen Zähnen meisterte, konnte das Vorhaben überhaupt gelingen.

Zupass kam, dass durch einen späten Oster- und frühen Sommerferientermin lediglich sieben Wochen Schule und Konfirmandenarbeit (durch eine weitere Kollegin) zu überbrücken waren. Ansonsten galt es wie weiland Mose, die Arbeit (Einladungen, Protokolle, Sitzungen, Besuchsdienstorganisation) aufzuhäufen zu zwei gewaltigen Bergen vor und nach dem Semester. Dies gelang dann  bis auf einen lange geplanten unverschiebbaren ökumenischen Gottesdienst auch erstaunlich gut.

Im Rückblick kann gesagt werden: Auch in der Landgemeinde kann es (mit Mühe) gelingen „dann mal weg zu sein“. Eventuell machen es städtische Strukturen eines Teampfarramtes leichter. Aber vermutlich wird es künftig bei diversen Strukturveränderungen, Arbeitsmehrbelastungen und Fusionitis zu Bindestrich-Gemeinden, die uns blühen und in den Gemeinden durch uns vermittelt werden müssen, ungleich schwerer.[1]

Am einfachsten war schließlich die dritte Erlaubnis der Landeskirche (Abteilung: Fortbildung & Personal), die ich vermutlich auch bekommen hätte, wenn ich mich als Gasthörer für Schifffahrtstechnik in Bremen eingeschrieben hätte.

So dreifach genehmigt, begann zunächst die Suche nach einem Studienort. Meine Wahl traf ich gegen eine Pendlerexistenz (z.B. nach Darmstadt, Ludwigshafen, Heidelberg) und für die 230 km entfernte Kirchliche Hochschule Neuendettelsau in Mittelfranken bei Nürnberg, an der ich bereits vor 24 Jahren zwei Semester des Hauptstudiums verbracht hatte; eine Entscheidung, die, das wurde mir bald klar, goldrichtig war und ich zu keiner Zeit bereute.

Nach kurzen unkomplizierten Telefonaten mit der Studierendenpfarrerin und der dortigen Verwaltung entschied ich mich gegen eine Unterbringung im Diakonissenaltenwohnheim am Waldrand und für ein Zimmer direkt im Hauptgebäude auf dem Campusgelände neben den Examenskandidat/innen mitten im prallen Studierendenleben, unter mir die Hochschul-Bibliothek, die rund um die Uhr zugänglich ist, ausgestattet mit einem beneidenswert flotten W-Lan-Internetzugang, der mich vor Neid erblassen lies. So sieht also Zukunft mit Konzept nach der Bayerischen Landeskirche aus, was die Theolog/innenausbildung betrifft. Die ca. 180 Studierenden der Augustana-Hochschule gehören zu einem großen Teil (ca. zur Hälfte) der Bayerischen Landeskirche an. Daneben finden sich viele Württemberger/innen und einige Exoten (darunter eine Pfälzerin aus Eisenberg, die mich als ihren Landsmann begeistert begrüßte).

Durch traditionelle Verbindungen zur Mission sind immer auch Studierende aus dem Ausland (z.B. Brasilien und Ungarn) vor Ort. Gerade Studienanfänger/innen werden hier behutsam in einer Lern, Wohn und Lebensgemeinschaft begleitet. Es finden neben festen Essenzeiten in der Mensa, vielfältigen Freizeit- und Engagementmöglichkeiten, auch tägliche und wöchentliche Andachten statt, die von Studierenden und Lehrenden durchgeführt werden. Jede Professur ist einfach besetzt, hat aber natürlich auch eine Assistentenstelle. Die Veranstaltungen wie Vorlesungen, Übungen, Seminare bieten bei überschaubarer Gruppengröße einen intensiven Austausch. Studierende im Hauptstudium zieht es dann eher fort in die Weite der Universitätsstädte. Examenskandidat/innen wiederum haben hier optimale Prüfungsvorbereitungsbedingungen.[2] Kein Wunder, dass die Bayerische Landeskirche bei dieser intensiven und wertschätzenden Studiumbegleitung derzeit noch keine großen Nachwuchsprobleme hat.

Mit mir war noch ein kurz vor der Pensionierung stehender Württembergischer Kollege als Gasthörer immatrikuliert. Seine Landeskirche erlaubt ein Kontaktstudium einmalig während der Berufszeit. Um die Möglichkeit eines Gastsemesters der Pfälzischen Landeskirche wurde ich dort von Studierenden und Dozierenden vielfach beneidet.

Die Reise in die (eigene) Vergangenheit begann dann wie in früheren Tagen mit dem angeregten Durchstöbern des Vorlesungsverzeichnisses und dem lustvollen Erstellen eines Stundenplanes, den ich frei von Prüfungs- oder Seminararbeitszwängen und Modularisierung (Bologna macht auch vor der Theologischen Fakultät nicht halt) nach Neugierde und Interessenlage erstellte und der nach der ersten Semester-Woche schließlich feststand.

Zum Zuge kamen überwiegend praktisch-theologische Arbeitsfelder (bei Prof. Raschzok: Geschichte des ev. Pfarrberufes (Übung), christliche Aszetik (Übung und Blockseminar), Seelsorge (Vorlesung), und Konfirmandenarbeit (Übung bei Dr. Eyselein) sowie missionstheologische Veranstaltungen (Vorlesung und Übung zur interkulturellen Theologie bei Prof. Becker) und gesangs- und sprechtechnische Übungen (Chorbesuch und Einzelunterricht mit Gesangsbildung sowie Sprecherziehung). Ein konfessionskundliches Blockseminar (mit Besuch des gleichnamigen Instituts in Bensheim) lockte mich ebenso wie der Kursbesuch einer Nürnberger Moschee, sowie des Priesterseminars und Collegium Orientale in Eichstätt. Ich beteiligte mich auch an den täglichen Morgenandachten in der Hochschulkapelle als Teilnehmer und Mitgestalter und schreckte selbst vor der Gruppenfahrt zum Kirchentag samt klassischen Hardcore-Übernachtungen (1 cm grüne Schaumstoffmatte) auf dem Klassenzimmerboden einer christlichen Schule in Dresden nicht zurück.

Neben diesen unterschiedlichen wissenschaftlich-theologischen Themen und Lektüren sowie vielfältigen geistlichen Erfahrungen, war es vor allem der Austausch mit den Mitstudierenden in diesen drei Monaten, der eine große Rolle spielte.

Es tat gut, zu erleben, mit welchen Elan und welcher Motivation die meisten Studierenden sich auf ihr Studium stürzen. Viele kommen aus der christlichen Jugendarbeit (z.B. CVJM) und möchten gezielt den Pfarrberuf ergreifen. Sie engagieren sich auch an der Hochschule hochmotiviert in politischen Themen (z.B. Mahnwachen für Fukushima, Eine-Welt-Laden), in der Diakonie (Begegnungen in der JVA und in der Asylbetreuung), in der Kirchenmusik und in Gottesdiensten. Ihre Perspektive ist aufgrund der kirchlichen Sparmaßnahmen und Umstrukturierungsprozesse (Studienreformen) nicht einfach, aber der Wunsch etwas zu bewegen ist immens, ebenso der Wunsch nach Austausch mit mir und die Neugierde an meinen Pfarrererfahrungen.

Da ich vor einem Vierteljahrhundert selbst ein Jahr als Student an der Augustana zugebracht hatte, fühlte ich mich schnell 25 Jahre jünger und sofort gleichsam als Mitstudent in höherem Semester. Ich erlebte wohltuend eine offene und aufgeschlossene Atmosphäre ohne Berührungsängste und konnte sogar im Trikot der Pfälzer Pfarrer bei abendlichen Fußballspielen mitkicken (solange es meine alten Knochen hergaben).

Vermutlich habe ich in diesen drei Monaten in landeskirchen- und generationenübergreifenden Gesprächen und alltäglichen Begegnungen mehr Positives für das Bild der Pfälzischen Landeskirche erreicht als sämtliche Hochglanzprospekte mit Werbung zum Theologiestudium an den Gymnasien. 
Auch von den Dozenten wurde diese Anwesenheit und Mitarbeit eines „Oldies“ geschätzt und ausdrücklich begrüßt. [3]

Zusammenfassend: Was bleibt mir nach diesen drei Monaten, in denen ich „eben mal weg war“?

Zunächst die wohltuende Erinnerung an eine Zeit frei von organisatorischen, verwaltungs- und bautechnischen Problemen, Kleinkram, Fragen und Unterbrechungen, die das Gemeindepfarramt mit sich bringt. – Während ich diesen Bericht am Rande des Herbsturlaubes schreibe, klingt dreimal das Telefon (Patenbescheinigung, Konzertterminabsprache, Wann ist die Bethelsammlung?) und zweimal die Haustür (Schlüssel für Gemeindesaal, Schornsteinfeger will in die Kirche…).

Gewonnen habe ich zudem an geistlicher Tiefe, an Zeit für zusammenhängende theologische und reflektierte Betrachtungen.

Geschätzt habe ich auch den Wissenszugewinn mit einem groben Update auf den Stand der aktuellen wissenschaftlichen Theologie, für den der Gemeindealltag kaum und künftig noch weniger Zeit lässt.

Beschenkt wurde ich mit einem generationen- und landeskirchenübergreifenden Erfahrungsaustausch mit wertvollen Impulsen von Glaubensgeschwistern und (künftigen) Amtskolleginnen.

Entdeckt habe ich neu die Bedeutsamkeit der theologischen Reflektion, aber auch die Erfahrung der Kluft zwischen universitärer Theologie und Pfarralltag, die durchaus auch in der Hochschultheologie diskutiert wird.[4]
Bewusst wurden mir auch die Bedeutsamkeit, mit Freude und Lust Pfarrer zu sein, und die Notwenigkeit der nachfolgenden Pfarrer/innengeneration offen und aufgeschlossen zu begegnen, damit wir nicht die letzten unserer Zunft sind.

Zuletzt: „Ich bin dann mal weg“ ist ja nicht nur ein Gedanke von Hape Kerkeling, sondern hat zutiefst biblische Tradition. Dass Jesus und Paulus vor ihrer Wirksamkeit „erst mal weg“ in der Wüste, in der Einsamkeit sind, hat eine besondere geistlich-spirituelle Qualität, die auch im geistlichen Pfarrberuf lebensnotwendig zu bewahren ist. Ich möchte Mut machen zu großen und kleinen Auszeiten der geistlichen und theologischen Erneuerung, zum Kontaktstudium ebenso wie zu regelmäßigen Stille- und Gebetszeiten. Sie sind für das eigene Ich und für das Gemeindeleben existenziell wichtig. Das ist mein wichtigster Ertrag und Gewinn des Kontaktstudiums, damit sich nicht das deftige (von mir etwas abgeschwächte) Wort von Martin Luther bewahrheitet: „Aus einem traurigen Hintern fährt nie ein fröhlicher Furz!“

[1] In dem Zusammenhang beschäftigt mich die Frage: Ist die Untersuchung zur Life-Work-Balance vom Frühjahr so erdrückend und niederschmetternd ausgefallen, oder weshalb hört man bisher kein längst überfälliges offizielles Ergebnis?

[2] Näheres lässt sich unter www.augustana.de erfahren.

[3]  Von dieser Seite kam dann auch der Impuls, die Erfahrungen des Kontaktstudiums für das Pfälzische Pfarrerblattweiterzugeben. Das Interesse der Augustanahochschule an Gaststudierenden ist groß.

[4] Exemplarisch zur Betrachtung der gegenwärtigen Situation von Kirche, Pfarrberuf und Hochschultheologie sei das Büchlein von Prof. Christian Grethlein genannt: „Pfarrer ein theologischer Beruf!“ (edition chrismon, 2009), das die vielfältigen Entwicklungen der jüngeren Zeit benennt und den Weg von einem Fragezeichen hinter der Titelaussage hin zu einem Ausrufezeichen beschreitet.

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