Franz Maciejewski, Psychoanalytisches Archiv und jüdisches Gedächtnis. Freud, Beschneidung und Monotheismus

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 Wien (Passagen Verlag) 2002, 395 Seiten, 45,00 Euro, ISBN 3851655559

Helmut Aßmann

Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen

Der Verfasser setzt sich in seiner Dissertation mit der Entstehung des Monotheismus auseinander. Er benutzt dabei teilweise das Instrumentarium der Psychoanalyse Freuds, nicht aber die Schlüsse, die Freud aus diesem für die Geschichte Israels gezogen hat. So kritisiert er Freuds Theorie über die Entstehung des Monotheismus aus der Wiederkehr des Verdrängten, worunter Freud die Wiederkehr des verdrängten Mordes des Urvaters im Mord an Moses versteht. F.M. fragt, wieso der Monotheismus nach einer 800-jährigen Latenz, dem Zeitraum zwischen Echnaton und Esra, wieder auftauchen konnte. Er entdeckt unter der Chiffre des goldenen Kalbs den Mord an Moses und damit am Vatergott, der aber unter der Maske des Vatergottes zugleich der gegen den Vatergott aufbegehrende Sohn war. In dieser Funktion, die Freud nicht berücksichtigt hat, nimmt Moses eine Stellvertreterrolle für Israel wahr, das sich gegen den Vatergott auflehnt. Moses ist zugleich der Sohn, der sich gegen die Autorität des Vaters auflehnt als auch der Repräsentant des Vatergottes, den er in seiner sichtbaren Gestalt, den beiden Tafeln, zerstört und ihn dann wieder erneut schafft.

Der Mord an Moses hat nicht verhindern können, dass die Juden unter das Joch Jahwes geraten sind. Der Mord an Moses hat nicht zur Beseitigung des Vatergottes geführt, sondern führte zu einem hohen Maß an Schuldbewußtsein seitens der Juden. So hebt Reik in seiner frühen Mosesarbeit von 1919 hervor, dass „keinem der modernen Kulturvölker ein so hohes Maß an Schuldbewußtsein [eignet] wie den Juden, die im Laufe der Jahrtausende immer wieder die Befriedigung ihrer masochistischen Selbstbestrafungstendenzen suchten und fanden“ (Th. Reik, Das Ritual. Psychoanalytische Studien, Wien 1928, 322, zitiert bei F. M., 278).

Auch Freud kannte diesen Zusammenhang. Er schreibt in: Der Mann Moses und die monotheistische Religion, 1939,579: Diese Ethik kann aber ihren Ursprung aus dem Schuldbewußtsein wegen der unterdrückten Gottesfeindschaft nicht verleugnen. Sie hat den unabgeschlossenen und unabschließbaren Charakter zwangsneurotischer Reaktionsbildungen; man errät auch, dass sie den geheimen Absichten der Bestrafung dient (zitiert bei F. M., 278). Daraus folgert F. M.: Hier wird die „masochistische Triebbefriedigung, die in der Schuldübernahme verborgen ist“ (Reik), als „integrierender Inhalt des religiösen Systems“ (Freud), das hierdurch in den Rang einer kollektiven Neurose erhoben wird, bestätigt.

In der Libidofixierung an den einen Gott, so unsere These, kehrt ein kulturtypisches (zunächst ontognetisch wirksames) Verdrängungsziel in der Form eines dominanten Kulturziels wieder. Vor allem auf zwei Wegen haben die Verdrängungsmächte, die das Drama eines traumatischen Ödipuskomlexes beherrschen, auf die Ausbildung eines monotheistischen Geistes und die Erzeugung der patri-ödipalen Grundstrukturen des Judentums Einfluss genommen. Die fundamentale Änderung der Einstellung zur Frau, wie sie am deutlichsten in der entwertenden Phantasie vom „kastrierten Geschlecht“ zum Ausdruck kommt, hat religionsgeschichtlich den Prozess einer schleichenden Herabstufung der weiblichen Gottheiten(insbesondere der Liebes- und Muttergöttin) in Gang gesetzt, der mit der Ausschaltung von „Jahwes Aschera“ aus dem Pantheon endete. Die Verdrängung der rebellischen Impulse im Akt der Unterwerfung unter den väterlichen Willen (repräsentiert in einem tyrannischen Über-Ich resp. dem mosaischen Gesetz) musste andererseits die Sohnesgottheiten als Träger dieser Regungen diskreditieren und auch ihre Ausschließung aus der Tradition des Judentums befördern. „Die im Vexierbild des goldenen Kalbes versteckte Ermordung Moses ist die Chiffre für die Exklusion eines vormals verehrten Sohnesgottes“ (279).

Die Wiedereinsetzung des Sohnesgottes im Christentum

F.M.sieht in der Einsetzung des Sohnes Gottes einerseits die Eröffnung eines neuen Weges zum Polytheismus und anderseits die Aufsprengung des Konnexes zwischen Monotheismus und Beschneidung. Paulus hat demzufolge die „Mosaische Unterscheidung“ im Raum des Judentums eingeführt. Das Archiv der Beschneidung war aber für F.M. entscheidend für die Ethnogenese Israels.

Nicht der Monotheismus, sondern das Ritual der Säuglingsbeschneidung stellt die Kontinuität in Israel dar. F.M. verfolgt diese in drei Etappen durch das AT.

1. Gen 4,24-26 Die Beschneidung Gershoms durch Zippora (J)

2. Jos 5,2-9 Die Beschneidung der Israeliten durch Josua nach der Überquerung des Jordan (E)

3. Gen 17 Die Beschneidung Isaaks durch Abraham als Bundeszeichen (P)

Diese stufenweise Aufwertung der Beschneidung von einem archaischen Ritus (J) über die Beseitigung eines Mangels in den Augen der Ägypter (E) bis hin zum Bundeszeichen, das von Abraham zur Konstituierung des israelitischen Volkes eingesetzt wurde, zeugt von einem kollektiven Trauma, einer kollektiven Neurose, wie Freud diese analog zur individuellen Neurosenbildung auf frühkindliche sexuelle Attentate zurückgeführt hat. Als ein solches muß die Säuglingsbeschneidung angesehen werden. „Weil beide unter der Krypta einer besonderen Bewußtseinslagevon dem nämlichen Unterbewußtsein zehren, ist es möglich, den jüdischen Monotheismus und das Jüdische an der Psychoanalyse als geschichtliche, um den Fetisch Phallus kreisende Reaktionsweisen so miteinander in Beziehung zu setzen, wie es in dieser Arbeit geschieht“ (244).

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