Die Erkenntnis Gottes nach Hosea 4, 1-3

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Helmut Aßmann

Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen

„Höret, ihr Kinder Israel, des Herrn Wort! Denn der Herr hat Ursache zu schelten, die im Lande wohnen; denn es ist keine Treue, keine Liebe und keine Erkenntnis Gottes im Lande, sondern Verfluchen, Lügen, Morden, Stehlen und Ehebrechen haben überhandgenommen, und eine Blutschuld kommt nach der andern. Darum wird das Land dürre stehen, und alle seine Bewohner werden dahinwelken; auch die Tiere auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer werden hinweggerafft.“

 

Eine Dürrekatastrophe größten Ausmaßes sagt der Prophet Hosea am Anfang seines prophetischen Wirkens voraus. Eine Klimaerwärmung mit den Folgen für Menschen, Tiere, Vögel und Fische. Die ganze Schöpfung wird davon betroffen sein. Aber Hosea macht nicht den CO2- Ausstoß durch die Industrieschornsteine und die Autoabgase dafür verantwortlich. Das alles gab es damals noch nicht. Aber er macht die Menschen dafür verantwortlich und ihr Verhalten.

„Es ist keine Treue im Lande, keine Liebe und keine Erkenntnis Gottes“, sagt Hosea. Und darum nimmt überhand, was Hosea nun mit fünf Infinitiven aneinanderreiht. „Verfluchen, Lügen, Morden, Stehlen und Ehebrechen“. Es sind todeswürdige Verbrechen, keine Kavaliersdelikte, die hier genannt werden, sondern Kapitalverbrechen. Durch diese reiht sich Blutschuld an Blutschuld und man kann sich vorstellen, dass sie nicht geahndet werden. Deshalb klagt Hosea an, tritt auf als der öffentliche Ankläger, nennt die Vergehen und nennt auch die Folgen, die diese Vergehen nach sich ziehen.

Menschliches Verhalten und Naturgeschehen stehen in einem Zusammenhang, einem Kausalnexus, den wir in unserer Zeit erst wieder zu entdecken im Begriff sind, den aber Hosea bereits vor zweieinhalb Jahrtausenden vorweggenommen hat. Tun-Ergehens-Zusammenhang nennen wir das heute. Und der Garant dafür, dass es diesen universalen Zusammenhang gibt, ist Gott.

Die aneinandergereihten Verbrechen der Menschen führt Hosea auf die mangelnde Erkenntnis Gottes zurück. Dieser Mangel ist der Grund dafür, dass es das alles gibt: Verfluchen seines Mitmenschen, Lügen vor Gericht, Morden im Verborgenen, heimliches Stehlen, was einem nicht gehört, und Übergriffe auf die Ehe seines Nächsten. In den zehn Geboten werden alle diese Vergehen auch genannt, wenn auch nicht in derselben Reihenfolge. Sie werden dort in die positive Form des Verbots gesetzt, während sie bei Hosea in die negative Form der Anklage gesetzt sind. So werden aus dem „Verfluchen, Lügen, Morden, Stehlen und Ehebrechen“ die Gebote: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen, du sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht ehebrechen.“ Sie sind das dritte, sechste, siebente, achte und neunte Gebot des Dekalogs, wenn man die reformierte Zählung der Gebote zugrunde legt. Es fehlen die Gebote: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus“ und: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Magd, Knecht, Ochs, Esel, noch alles, was dein Nächster hat“, die in den reformierten Katechismen als das zehnte Gebot zusammengefasst werden, im lutherischen das neunte und zehnte Gebot sind.

 

Es fehlt weiterhin das Elterngebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr dein Gott gegeben hat“, je nach Zählung das fünfte oder das vierte Gebot. Es fehlt das Gebot, das die alleinige Verehrung Gottes beinhaltet: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägypten, aus der Knechtschaft herausgeführt habe. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ – das erste Gebot. Und es fehlt das Verbot der Bilderverehrung: „Du sollst dir kein Bildnis machen weder von dem, was oben im Himmel ist, noch von dem was unten auf Erden ist, noch von dem was unter der Erde im Wasser ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht“ – das zweite Gebot, das im lutherischen Katechismus weggelassen wurde. Und schließlich fehlt das Sabbatgebot: „Du sollst den Feiertag heiligen“, wie es im lutherischen Katechismus heißt, oder: „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst“, wie es in den reformierten Katechismen heißt – das vierte oder fünfte Gebot. Dieses Gebot konnte Hosea noch nicht kennen; denn der Sabbat ist eine Errungenschaft Israels aus dem babylonischen Exil wie auch die Formulierung des Schöpfungsberichts, in dem der Sabbat seine Begründung gefunden hat.

Mit dem fehlenden Wissen um Gott, dem Mangel an Gotteserkenntnis, hatte Hosea sein prophetisches Drohwort begonnen. Das Wissen um Gott, die Erkenntnis Gottes, schließen alle Vergehen des Menschen aus, die hier angeprangert werden. Alles Fehlverhalten des Menschen ist das Ergebnis dieses Mangels an Gotteserkenntnis.

Wie kann man dem abhelfen? Die positive Formulierung der Gotteserkenntnis im ersten Gebot ist ein Versuch, dem abzuhelfen und die positive Formulierung der zehn Gebote ist ebenfalls ein Versuch, dem abzuhelfen und dem Menschen etwas an die Hand zu geben, an das er sich halten kann, damit er weiß, was gut und was schlecht ist. Der Prophet Micha, ein Zeitgenosse des Hosea, formuliert das so: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“ (Mi 6,8).

 

Auch Micha hatte noch nicht den Dekalog vor sich, um sich auf ihn zu berufen. Er war in der gleichen Lage wie Hosea. Aber er findet eine positive Formulierung für den Willen Gottes. Er schlüsselt den Willen Gottes durch drei Imperative auf: „Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“. Was Hosea in seinen drei negativen Wendungen, dem Mangel an Gotteserkenntnis, an Treue und Liebe in Form einer Scheltrede Gottes vorgetragen hatte, das setzt Micha in drei Forderungen  um. Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist. Du weißt es. Höre in dich hinein. Das Wort Gottes ist in dir, es ist deine innere Stimme.

Der Prophet Micha geht von der Scheltrede über zum Appell an die menschliche Vernunft. Denselben Schritt hat auch jener Gesetzgeber getan, den die biblische Überlieferung Moses nennt,  als er die zehn Gebote, den Dekalog, formulierte. Statt zu schelten, legt Gott Israel hier seinen Willen vor. Der Gott der zehn Gebote ist derselbe Gott, der durch Hosea und Micha sein Gericht verkündigen ließ, und doch ist er ein anderer. Er ist nicht der Gott, der Gericht hält über die Vergehen der Menschen, wie sehr sie auch damit Blutschuld um Blutschuld anhäufen und den Tod verdient haben. Er ist vielmehr der Gott, der den Menschen den Weg zum Leben zeigt.Sie müssen ihn nur noch gehen.

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