Das Motiv der Gottesfurcht und die Vertauschung der Ahnfrau

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Helmut Aßmann

Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen

„Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis“, heißt es am Anfang der Sprüche Salomos (1,7). „Die Furcht des Herrn hasst das Arge“ (8,13). „Die Furcht des Herrn ist eine Quelle des Lebens, dass man meide die Stricke des Todes“ (14,27). „Die Furcht des Herrn führt zum Leben“ (19,23). „Der Lohn der Demut und der Furcht des Herrn ist Reichtum, Ehre und Leben“ (22,4). „Ein Weib, das den Herrn fürchtet, soll man loben“ (31,30).

So beginnen und enden die Sprüche Salomos mit dem Motiv der Furcht Gottes. Sie ist das Siegel, das Israel der Weisheit des Orients aufgeprägt hat und die einzige Glaubensaussage unter allen Weisheitssprüchen. 

Ich will mich auf die Suche machen, wo die Furcht Gottes auch in den andern Schriften des Alten Testamentes auftaucht und werde fündig in der Paradiesgeschichte. Dort, wo Adam sich vor Gott versteckt, weil er ihn im Garten hört, an einer Stelle, an der jeder vermuten würde, dass Adam zu Gott sagen würde: „Ich hörte dich im Garten und schämte mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich“, dort heißt es bezeichnenderweise: „Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.“ Wir haben es also bereits im Paradies mit der Furcht Gottes zu tun, die an die Stelle der Scham vor Gott tritt. Die Scham ist ein erotisches Gefühl, wohingegen die Furcht ein religiöses Gefühl ist, mit dem  hier offenbar jeder Gedanke an eine erotische Beziehung zwischen Gott und Mensch im Keim erstickt werden soll.

Lesen wir weiter in den Abrahamsgeschichten, so finden wir die Furcht Gottes an einer prägnanten Stelle wieder, nämlich in der Begegnung Abrahams mit Abimelech. Abraham hatte von seiner Frau Sara gesagt, sie sei seine Schwester. Warum er das tat, erfahren wir erst später. Der König Abimelech ließ daraufhin Sara holen, aber Gott entdeckte ihm im Traum, dass sie Abrahams Frau ist und dass er ihretwegen sterben müsse. Aber Abimelech, der ein reines Gewissen hatte, weil er die Sara noch nicht berührt hatte, rechtfertigte sich vor Gott, da ja Abraham zu ihm gesagt hatte, sie ist meine Schwester, und weil auch Sara zu ihm gesagt hatte, er sei ihr Bruder.

Da erschien ihm Gott abermals im Traum und sagte zu ihm: „Ich weiß, dass du aus reinem Gewissen gehandelt hast, darum habe ich dich auch behütet, dass du nicht wider mich sündigest und habe es nicht zugelassen, dass du sie berührtest.“ Abimelech rief Abraham am nächsten Morgen zu sich und fragte ihn: „Wie bist du dazu gekommen, dass du solches getan hast? Und Abraham antwortete ihm: Ich dachte, gewiss ist keine Gottesfurcht an diesem Orte, und sie werden mich um meiner Frau willen umbringen.“ Abraham meinte also, wo keine Gottesfurcht ist, werden die beiden Gebote: „Du sollst nicht töten!“ und „Du sollst nicht ehebrechen!“ auch nicht gehalten. Folglich glaubte er, seine Frau als seine Schwester ausgeben zu müssen, damit sie ihn ihretwegen nicht umbrächten.

In einer Parallelerzählung Gen 12,10-20 hören wir, dass Abraham bereits in Ägypten seine Frau dem Pharao gegenüber als seine Schwester ausgegeben hatte. Und hier erfahren wir auch, warum er das tat, nämlich weil sie eine schöne Frau war, was in der Erzählung mit Abimelech (Gen 20,1-18) nicht mehr gesagt werden musste, weil es beim Hörer bereits vorausgesetzt werden konnte. Dort sagt Abraham zu seiner Frau: „So sage doch, du seist meine Schwester, auf dass mir´s wohlergehe um deinetwillen und ich am Leben bleibe um deinetwillen“ (Gen 12,13). Dann heißt es: „Der Pharao tat Abraham viel Gutes um ihretwillen“ (Gen 12,14), und weiter: „Aber der Herr plagte den Pharao und sein Haus mit großen Plagen um Sarais, Abrahams Frau willen“ (Gen 12,17). Als der Pharao Abraham zur Rede stellte mit den Worten: „Warum hast du mir das angetan? Warum sagtest du mir nicht, dass sie deine Frau ist? Warum sprachst du denn: Sie ist meine Schwester, sodass ich sie mir zur Frau nahm?“ und er fortfuhr: „Und nun siehe, da hast du deine Frau, nimm sie und ziehe hin“ (Gen 12,19), da blieb Abraham keine Zeit zur Antwort, sodass wir gezwungen sind, die Antwort aus dem Kapitel mit Abimelech ergänzend hinzuzuziehen.

Abrahams Begründung für sein Handeln war hier wie dort die Schönheit Saras und die Befürchtung, man werde sie ihm um ihrer Schönheit willen nehmen und ihn töten. Nur dass von diesen Begründungen in den beiden Begegnungen nur jeweils eine vorgetragen wird. Und während die Strafe Gottes über das Haus des Pharao bereits verhängt war, wird diese dem Abimelech nur angedroht. Wir erfahren aber, dass der Ehebruch Abimelechs mit dem Tode bestraft worden wäre.

Beim Pharao dagegen hören wir von Plagen, die in Parallele zu den ägyptischen Plagen stehen, die in der Exodusüberlieferung den Pharao dazu bewegen sollten, dem Auszug Israels zuzustimmen. Es waren zehn Plagen, die mit der Tötung der Erstgeburt Ägyptens enden. Im Gegensatz hierzu wird die Erstgeburt in Israel ausgelöst. Nimmt man die ausführliche Beschreibung der zehn Plagen aus dem Buch Exodus als Kommentar zur Stelle hinzu, so muss die Strafe des Pharao auch hier die Tötung der Erstgeburt Ägyptens sein. Mit dieser Strafe wird die Todesstrafe des Pharao, die eigentlich auf den Raub der Ahnfrau steht, ausgelöst. Nicht die Tötung des Pharao, sondern möglicherweise die seines erstgeborenen Sohnes und der Erstgeburt Ägyptens  war die Strafe für den Ehebruch mit der Ahnfrau gewesen. Eine weitere Parallele ist es, dass in Gen 12 ja der Pharao ebenso dem Auszug Abrahams zustimmt, nachdem er die Plagen Gottes als Strafe für den Raub der Ahnfrau erfahren hatte. Auch dies ist eine deutliche Parallele zur Exoduserzählung, in der der Pharao (Ex 12,31) Israel ziehen lässt, nachdem Gott die Erstgeburt Ägyptens geschlagen hatte.

Wird hier eine Abrahamserzählung auf das Exodusgeschehen übertragen, so dass beide Erzählungen ineinander und in Ergänzung zueinander gelesen werden müssen? Es ist in der Exoduserzählung von keiner Schuld des Pharaos die Rede,  um derentwegen er sich die Plagen zugezogen haben könnte. Es heißt  nur: „Und der Herr verstockte das Herz des Pharao, des Königs von Ägypten, dass er den Kindern Israel nachjagte “(Ex 14,8).

Folgen wir weiter der Logik der Erzählung, so können wir feststellen: Erst nachdem Gott den Pharao durch Plagen bestraft hatte, fürchtete dieser ihn. Also fürchtete er Gott nur wegen der Plagen, die er über sein Land gebracht hatte, obwohl er doch im Glauben war, mit dem Raub der Ahnfrau nichts Unrechtes getan zu haben, obwohl er dadurch möglicherweise Vater eines Nachkommens Abrahams geworden war. Die Ahndung des Ehebruchs war deshalb so unverhältnismäßig hoch, weil durch ihn die gesetzliche Erbfolge vom leiblichen Vater auf den Sohn unterbrochen wurde.

Dagegen wird in der Geschichte mit Abimelech, die in diesem Licht als eine Gegengeschichte erscheint, dieser im Traum von Gott davor gewarnt, eine Sünde zu begehen  und geht straffrei aus. Dabei  ist Gott derjenige, der die Tat verhindert hat, obwohl Abimelech auf Grund der Aussage Abrahams über seine Frau entlastet war. Dieser Umstand spielte aber für das alttestamentliche Denken keine Rolle, da in einem Tatstrafrecht die Tat bestraft wird, nicht die Gründe, die zur Tat geführt haben. Aus der Erzählung über die Vertauschung der Ahnfrau wird eine Erzählung über Recht und Gesetz und darüber, ob es möglich ist, Recht und Gesetz auch ohne die Furcht Gottes zu befolgen und die Aussage des Textes ist es, dass auch ohne die Furcht Gottes das Gesetz zu befolgen ist. Denn wie hätte Gott sonst den Pharao bestrafen können?

 

Der Dreh- und Angelpunkt der zweiten Erzählung von der Vertauschung der Ahnfrau ist die Gottesfurcht. Da sie nicht überall vorausgesetzt werden kann, gibt sie Anlass zu dem Missverständnis Abrahams, ohne Gottesfurcht könne es auch keine Achtung von Recht und Gesetz geben, durch welche Annahme er gegenüber Abimelech schuldig wird. Die Schuld Abrahams gegenüber Abimelech wird jedoch nicht geahndet, da Abimelech nicht schuldig wird, was Gott zu verhindern wusste. Die Schuld des Pharao wird geahndet. Es handelt sich in Gen 12 um eine weniger subtile Darstellung als in Gen 20.

Wir wissen heute, dass der Erzähler, der Gott durch Träume sprechen lässt, ein anderer ist, als der, der Gott durch sein unmittelbares Auftreten, durch sein unmittelbares Wort und durch seine Taten sprechen lässt. Dem ersteren verdanken wir die Deutung der Handlung Abrahams durch das Motiv der Gottesfurcht. Dem letzteren verdanken wir die Deutung der Handlung Abrahams durch das Motiv der Schönheit Saras. Wieder steht, wie in der Paradiesgeschichte, das Motiv der Scham gegen das der Gottesfurcht, ein erotisches Motiv gegen ein religiöses Motiv. Der perspektivische Horizont hat sich vom ersten zum zweiten Erzähler geweitet. Die positive Rolle, die Abimelech spielt, tritt in Kontrast zu der negativen Rolle des Pharao. Der Erzähler öffnet sich für die Umwelt der Völker und preist die Gerechtigkeit eines Königs aus einem andern Volk.

Auch in der Erzählung von Jakob offenbart sich Gott durch Träume. Er zeigt Jakob im Traum eine Leiter, die zum Himmel reicht und auf der die Engel auf und nieder steigen. Gott spricht zu ihm als der Gott seiner Väter Abraham und Isaak und verheißt ihm das Land, auf dem er liegt, und reichliche Nachkommenschaft. Und als Jakob erwachte, fürchtete er sich und sprach: „Wie furchtbar ist diese Stätte“ (Gen 28,17). Die Gründungslegende des Tempels in Bethel beginnt damit, dass Jakob, der später den Tempel in Bethel erbauen wird, sich fürchtete, weil er an dieser Stätte Gott begegnet war.

Gottesfurcht ist der Anfang der Einsicht, so heißt es in den Sprüchen Salomos. Sie kehrt wieder in den Erzählungen von Abraham und in der Jakobserzählung von der Gründung des Tempels zu Bethel. Die Gottesfurcht hat entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch eine positive Bedeutung. Die Erzväter begegneten ihrem Gott mit Furcht und Zittern. Auch Luther wusste um die Bedeutung der Gottesfurcht, wenn er im kleinen Katechismus die Auslegungen der zehn Gebote einleitet mit den Worten: „Wir sollen Gott fürchten und lieben.“ Danach erst folgt die Auslegung des Gebotes. Er wusste darum, dass die Furcht des Herrn eine Quelle des Lebens ist, dass sie zum Leben führt und dass ihr Lohn Reichtum, Ehre und Leben ist.

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