Ekklesia semper reformanda und das Priestertum aller Glaubenden

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Friedhelm Jakob
Hilgardstraße 1, 67346 Speyer

„Lieber Herr Dekan! Ich habe da so ein Problem in meiner Gemeinde. Aber ob ich Sie damit noch belasten soll, besser gesagt, ob sie sich damit belasten wollen – so kurz vor dem Ruhestand?“ So die knappe Einführung einer konkreten Problemanzeige, die sich dann tatsächlich als recht komplex und umfangreich darstellte, eines Gemeindegliedes aus dem Dekanat. Ich musste schmunzeln. Als ob es je meine Art gewesen wäre, Däumchen zu drehen und einfach auszusitzen. Diese besondere Form des Agierens wird mich wohl auch nicht mehr infizieren, wenn man auch mit zunehmendem Alter leider etwas infektionsanfälliger wird. Allerdings mag auch etwas richtig empfunden worden sein. Wer am heutigen 29. Februar nach Beschluss der Kirchenregierung (Abl. 1963) sein 40jähriges Dienstjubiläum begeht, sollte gelernt haben insgesamt ein wenig gelassener mit aufkommenden Problemen umzugehen. Gelassener heißt aber nicht träger oder gar mit dem Gedanken: „Es ist ja bald vorbei….“

Wer sich verantwortlich weiß in und für diese Gesellschaft wird sein Engagement weder von Dienstbezügen noch von Dienstjahren abhängig machen. Wer von Kindesbeinen an im Schoß der Kirche Heimat gehabt hat, dem wird es auch alles andere als egal sein, wohin diese Kirche sich entwickelt.

Was aber sind die wesentlichen Antriebskräfte, die das Ganze von Kirche in Bewegung halten? Ich bin dabei immer wieder auf zwei einfache Grundgedanken Martin Luthers gestoßen, die ich nach wie vor für maßgeblich und ekklesiologisch grundlegend halte: Sein Reden von der ekklesia semper reformanda und sein Insistieren in vielen Schriften auf dem Priestertum aller Glaubenden.

Ich beginne mit dem Letzteren. Konstitutiv für unsere Kirche ist die Tatsache, dass sie presbyterial-synodal aufgebaut ist. In ihr bestimmen eben nicht die von oben eingesetzten Päpste bis Priester, sondern die Gemeinschaft der Glaubenden. Dabei ist das demokratische Mehrheitsprinzip an einem ganz entscheidenden Punkt durchbrochen: an der Art und am Inhalt der Verkündigung. Auch wenn letztlich jede Gemeinde von den vielen Gnadengaben ihrer Glieder lebt, wissen sich diese Glieder doch alle gewiesen auf den, der Sonntag für Sonntag unzensiert zu predigen ist: der Herr Jesus Christus. Er ist – nach Barmen – die alleinige Richtschnur, der wir im Leben und im Sterben zu gehorchen haben.

Dies heißt in aller Kürze: Die gesamte Gemeinde ist auf den Herrn der Kirche verwiesen:

– sein Leben und Lieben der Menschen hat sie zu verkündigen in Wort und Tat

– sein Sterben hat sie anzunehmen als Auseinandersetzung mit allem Leiden und Sterben in dieser Welt. Ihr ist also weder der Hunger in Somalia noch die soziale Not im eigenen Land gleichgültig.

– Sein Auferstehen darf sie weitersagen und damit Mut machen, allen die im Ende des jeweiligen Seins nur Hoffnungslosigkeit sehen.

So die Mitte des Glaubens betonend muss uns aber bewusst sein, dass dieser Herr der Kirche nicht festgemauert hinter Kirchensteinen zu Hause ist – dort aber auch. Er wird sich aber dort nicht festhalten lassen, sondern drängt in die Welt. In eine Welt, die sich ständig verändert und daher immer neu interpretiert und verstanden werden muss.

So ist Luthers Auftrag an die Kirche klar umrissen: Nicht die Mitte der Kirche verändert sich, sondern das, was eben Kirche ist: eine von Menschen entschiedene jeweilige Form des Miteinanders, die sich stets neu und dynamisch – sprich in Korrespondenz mit den jeweiligen Verhältnissen – zu entwickeln hat.

Die sich so immer neu gestaltende Kirche hat aber neben ihrer Mitte Jesus Christus noch eine andere wichtige Messlatte, die aber in Jesus Christus schon immanent angelegt ist. Dietrich Bonhoeffer hat es zu seiner Zeit uns allen nachklingend ins Stammbuch geschrieben: Kirche ist nur dann Kirche (küriakä), wenn sie Kirche für andere ist. Nichts anderes sagt der Monatsspruch des ausgehenden Februar: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles nützt. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. Denkt dabei nicht an euch selbst, sondern an die anderen“ (1.Korinther 10,23-24).

So halte ich zunächst einmal fest:

– Die Kirche ist konservativ-bewahrend, weil sie eine unumstößliche Mitte hat.

– Die Kirche wirkt progressiv-verändernd, weil sie sich mit den jeweils neuen gesellschaftlichen Strukturen auseinander setzt und diese im Sine ihrer Mitte gestaltend verändern will.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle einenaktuellen Vergleich. Wir alle wissen, dass es recht einfach ist, ein voll energetisch durchgestyltes Haus neu zu bauen. Ich konnte dann in letzter Zeit nur über Entwicklungen staunen. Ein solches Haus ist durchaus auch schön, kann man doch alles von Grund auf neu planen. Viel schöner aber sind die alten, immer wieder auch veränderten Häuser. Sie machen in der Umgestaltung sehr viel mehr Mühe – eine Mühe aber, die sich ganz sicher in den meisten Fällen lohnt. Und die Nachfahren werden uns – da bin ich sicher – dankbar sein für den Erhalt.

Ist es nicht ganz ähnlich mit der Kirche? Ihr Veränderungsprozess vollzieht sich häufig sehr langsam, weil Menschen in ihrem Grundwesen Bewahrende sind. Sofern sie sich Räume des zu Bewahrenden in durchaus guter Weise geschaffen haben. In diesem Sinne begegnen wir bei unseren Visitationen einem großen Spektrum von Formen der Gemeindearbeit, die uns manchmal richtig staunen lassen. Ich will auch nicht verhehlen, dass wir da und dort, die eine oder andere knackige Neuheit durchaus empfehlen würden und das auch tun. Interessant ist in jedem Fall, dass wir dadurch in der einen Kirche (geistlich und auch räumlich) viele Ausdrucksformen des Glaubens nebeneinander finden. Das ist erfreulich und zeugt davon, dass der Geist Gottes lebendig weht.

Aber nun kommt ein anderer Veränderungsprozess hinzu, der im Strategiepapier der Landessynode angemessen kurz beschrieben wird. Stichworte wie „kleiner werdende Zahlen in allen Bereichen“ mögen hier als Andeutung reichen. Ich denke, der Oberkirchenrat wird dazu einiges noch erhellen. In jedem Fall hat dieser Prozess Auswirkungen auf alle Bereiche der Kirchengestaltung. Er ist keineswegs erfreulich, da er sich nicht ohne weiteres von innen allein steuern lässt. Er fordert, Gremien sozusagen gegen den protestantischen Strom zu dirigieren und von oben nach unten Vorgaben zu machen. Wie schwierig dieser Prozess ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass die Beschlüsse des Kirchenbezirks Speyer zum Stellenbudget noch keine Rechtskraft gewonnen haben. Dabei ist das protestantische Prinzip, nämlich dass nicht von oben nach unten einfach entschieden wird, auch hier sorgsam eingehalten worden.

In jedem Fall fordern diese Veränderungen von außen ein beschleunigtes Neubesinnen im Innern. Die Kollegin Dagmar Wagner-Peterson hat dazu einen Vortrag gehalten, der im Pfälzischen Pfarrerblatt 11/2011 abgedruckt ist und den ich zur Lektüre sehr empfehle. Die vom Kirchenbezirk geforderten Veränderungen verändern – systemisch gesehen – durch die Eingriffe in lokale Bereiche auch das Gesamtgefüge und es sind insofern ganz neue Formen des Gemeindelebens zu entwickeln.

Dies halte ich für einen ganz, ganz wichtigen Erkenntnis-Satz, weswegen der Bezirkskirchenrat mit seinen Richtlinien deutlich gemacht hat: Es werden zwar einzelne Stellen eingespart. Wichtig und entscheidend ist aber, dass sich das gesamte Gefüge in Bewegung bringt. Die von uns geforderte Effizienz der Kooperationsregionen ist nicht ein harter Befehl von oben, sondern ein konstruktiver Ansatz, sich auf Neues einzulassen. Und hier gilt der Monatsspruch ganz aktuell.

Alles darf gedacht werden und dann gilt der alte Befehl der Fee: Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.

Dass dieser Prozess – schön in Worte gefasst – aber gar nicht so einfach ist, kann ich sehr wohl nachvollziehen, stecke ich doch selbst in diesem schwierigen Prozess hier in Speyer. So einfach ist es eben nicht, Gutes und weniger Gutes voneinander zu unterscheiden. Die Landessynode wird in einer Woche einen solchen Weg auf ihrer Ebene gehen. Wir sind gespannt.

Auch wir gehen in den Kooperationsregionen solche Wege mit unterschiedlichem Tempo, das ist zu akzeptieren. Wichtig ist aber, dass wir dazu ein paar Grundregeln akzeptieren:

– Jeder hat ein Stück der Wahrheit von Kirchengemeinde; niemand hat sie allein.

– Im Hören auf die Wahrheit des anderen kann ich in meiner eigenen Welt neue Entdeckungen machen.

– Kein Handlungsfeld ist sacrosankt, aber niemand muss befürchten, dass er nicht vorkommt.

– Es gibt keine guten und schlechten Gemeinden; es gibt nur sich bemühende Menschen – die einen haben es mit Veränderungen leichter, die anderen schwerer.

– Lösungen gibt es nicht von vornherein; sie ergeben sich im Diskurs und darauf aufbauend im Vollzug.

Wir halten diese Bezirkssynode in der Passionszeit, in der Fastenzeit ab. Vielleicht liegt in dieser Tatsache auch ein Stück mitzunehmende Kraft. Gerade die Wüstenzeit des Volkes Israel hat das Volk zum einen aufbegehren lassen, im letzten aber demütig gemacht. Diese Demut im Umgang miteinander wünsche ich uns allen. Wüstenzeiten, Fastenzeiten haben – richtig angewendet – die Aufgabe dem Wesentlichen des Lebens ein Stück näher zu kommen. Es geht also weniger um moralinsaures Verzichten, sondern um neue tragende Entdeckungen. Dies übertragen auf unseren Veränderungsprozess wird uns im Miteinander über Gemeindegrenzen nicht ärmer, sondern reicher machen.

Ich schließe mit dem Blick auf den Anfang: „Herr Dekan, werden Sie sich das noch antun?“ Ich werde es mir antun, weil ich diesen Prozess für wesentlich halte und mir ganz wichtig ist: Dies ist eine Aufgabe für Hauptamtliche und Laien. Und niemand darf in diesem Prozess der Verlierer sein. Denn: „…dann sollen mal die Hauptamtlichen….“, geht dann nicht. Wir alles sind aufgerufen, diesen Prozess zu gestalten zum Wohle aller Menschen vor Ort und in der Region.

Gedanken auf der Bezirkssynode des Kirchenbezirks Speyer am 29. Februar 2012.

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