Mit Walter Mannweiler musste der einzige „nicht-arische“ Pfarrer in der PfälzischenLandeskirche in der NS-Zeit 1934 emigrieren [1]
Frank-Matthias Hofmann
Johanna-Wendel-Straße 15, 66119 Saarbrücken
Walter G. Mannweiler wurde am 8.12.1901 in Pirmasens geboren. Seine Eltern waren der Lehrer Gustav A. Mannweiler und dessen Ehefrau Emma Dorothea König. Am 31.1.1902 wurde er protestantisch getauft. Gemäß der NS-Ideologie war er nicht „rein arischer Abstammung“, weil sein Großvater mütterlicherseits, der Kaufmann Christian König, mit Theresia Kahn eine Frau heiratete, die „israelitischer“ Konfession war. Theresia Kahn wurde am 5.6.1857 in Pirmasens geboren. Ihre Eltern waren der jüdische Handelsmann Reinhard Kahn und dessen Frau Rebekka, geb. Darnbacher.
Mannweiler studierte zunächst Jura in Heidelberg und München. Von 1922 bis 1925 arbeitete er bei der Deutschen Bank in Frankfurt. 1925 bis 1929 studierte er dann Evangelische Theologie in Halle und Marburg. Sein Studien-Abschlussjahr mit Erstem Theologischem Examen in Speyer ist 1929. Direkt danach fing er als Vikar in Dielkirchen an und war schließlich von 1929 bis 1932 Pfarrverweser in Hüffler-Wahnwegen, 1933/34 Pfarrverweser in Glanmünchweiler. Zum 16. April 1934 wurde er aus dem Dienst der Pfälzischen Landeskirche entlassen und war bis 1959 Pfarrer in Kappeln bei Aarberg in der Schweiz, 1959/60 Pfarrer in Solothurn.
Verheiratet war er mit Antje Mannweiler-Collin, mit der er fünf Kinder hatte. Am 16.9.1960 starb er in Solothurn.
Mannweiler galt als einer der „hoffnungsvollsten Nachwuchstheologen“ der Landeskirche. [2]Er schrieb zahlreiche Artikel im „Pfälzischen Pfarrerblatt“ und in der „Union“ und beteiligte sich dadurch rege an den theologischen Diskussionen in der Landeskirche.
In seinem Jahresbericht für die Pfarrei Glanmünchweiler 1933 [3] bestätigte Mannweiler einerseits, dass die kirchlichen Aktivitäten und Einstellungen durch „das große Erlebnis der Volkwerdung, die im Jahre 1933 mit dem Sieg Adolf Hitlers anhob“, einen Aufschwung in seiner Gemeinde genommen hätten: „Wenn ich auch der Meinung bin, dass meine Erneuerung des Glaubens (der ‚Religiosität’) nicht aus der Sphäre dieser Welt kommen kann, dass also das ‚große völkische Erlebnis’ nicht das wecken oder beleben kann, was wir Evangelische ‚Glauben’ nennen, so steht es doch außer allem Zweifel, daß die Belebung der Kirchlichkeit stärkste Impulse von der nationalen Revolution her erhielt“ (S. 11). Andererseits wären aber Religiosität und Sittlichkeit schwächer geworden, da die Menschen innerlich trotz der äußeren Zeitenwende dieselben geblieben seien (S. 10).
Die nationalsozialistischen Einflüsse auf seine Gemeindearbeit in Glanmünchweiler waren unterschiedlicher Art: Zum einen wurde das im Mai 1933 wieder gewählte Presbyterium, dessen Arbeit für Unmut bei der örtlichen NSDAP sorgte, schon im Juli 1933 wieder gestürzt. Mit dem neuen eher NS-affinen Presbyterium arbeitete er gut zusammen. Zum anderen schränkten die neuen politischen Verhältnisse seine Jugendarbeit ein. Die Mädchenarbeit seiner Pfarrei gestaltete er so, dass nicht der Verdacht einer Konkurrenz zum BDM entstand. Im Jahresbericht stellte er fest, dass aus diesem Grund die bündische Form der Jugendarbeit damals nicht in Frage kam. Er erwähnte, ohne den Arierparagraphen zu problematisieren, dass die Familienforschung, also die Prüfung der „arischen Abstammungsnachweise“, ihm viel Arbeit machte (S. 6). Der Frauenzweigverein des Roten Kreuzes sei trotz vier katholischer und dreier israelitischer (!) Mitglieder „dennoch als protestantischer Verein anzusprechen“ (S. 10).
Walter Mannweiler und Emil Lind aus Speyer schlossen sich als einzige Pfälzer Pfarrer vor 1935 dem Pfarrernotbund an. Mannweiler war ein liberal eingestellter Geistlicher, der auch als Mitglied der DDP politisch liberal eingestellt war. Dennoch äußerte er sich zur politischen Einflussnahme der NSDAP auf kirchliche Angelegenheiten nicht direkt. Er durchschaute aber das Schlagwort vom „positiven Christentum“ und das Gerede vom „germanischen Christentum“: „Wenn ich das Schlagwort vom ‚positiven Christentum’ auf seinen Inhalt prüfe, stehe ich ihm mehr als skeptisch gegenüber.“ [4] Religion und Politik sollten zwar aufeinander bezogen bleiben und Christen gebe es in allen politischen Parteien. Er sah aber die Gefahr, dass eine Partei „die christliche Religion von der germanischen her verfälschen will.“ [5]
Dass eine seiner Großmütter jüdischer Herkunft war, spielte für ihn theologisch keine Rolle. In einem größeren Aufsatz in der „Union“ von 1932 setzte er sich mit dem „Tannenbergbund“ auseinander. [6] Mannweiler verteidigte sein Christentum und seine Kirche, indem er das Judentum abwertete. Die Frage „Ist Christentum Judentum?“ beantwortete er so: „Die Juden haben einst Jesus ans Kreuz gebracht. Jesusgeist und Judengeist reimt sich nicht zusammen. Heute noch ist das Judentum der erklärte Todfeind des Christentums […] Die Bibel ist für uns Deutsche durch Luther auch ein deutsches Buch geworden“ (S. 276). Mannweiler nutzte auch klassische Antijudaismen für seine Apologetik. Das real existierende Judentum spielte weder theologisch noch von seinem Selbstverständnis her biographisch eine Rolle. Die NS-Rassegesetzgebung hat Menschen wie Mannweiler zu „Nichtariern“ gemacht, die sich überhaupt nicht als zum Judentum gehörig verstanden, geschweige denn als Juden empfanden. [7]
Durch die Einführung des sog. Arierparagraphen in das kirchliche Recht (am 5.9.1933 durch die Preußische Generalsynode, „Braune Synode“, beschlossen), die von den Deutschen Christen forciert wurde, in der Pfalz aber nicht übernommen wurde, sah er seine Zukunft unter einer NS-Regierung nicht mehr sichergestellt. Auch wenn der Arierparagraph in der Pfälzischen Landeskirche nach längerer, heftiger Diskussion nicht übernommen wurde, mussten ihm doch durch einen längeren inneren Prozess die Konsequenzen der Rassegesetzgebung der Nationalsozialisten auch für ihn selber bewusst geworden sein und ihn immer stärker bedrängt haben: K. L. Groß schrieb dazu in seinen Lebenserinnerungen: „Für ihn und seine Familie bedeutete der Einbruch des 3. Reiches eine furchtbare Not […] Er wandte sich an den Protest. Landeskirchenrat in Speyer um Hilfe und Rat“(S. 22). In ihm reifte die Entscheidung, aus der Pfalz (als einziger Pfarrer) „aus rassischen Gründen“ zu emigrieren. [8]
In der Sitzung der Kirchenregierung vom 1.2.1934 stellte der spätere Landesbischof Ludwig Diehl den Antrag, Mannweiler zum Pfarrer zu ernennen. Kirchenpräsident Dr. Kessler brachte jedoch aufgrund der Ausführungen des Reichsbischofs Ludwig Müller zur Arierfrage, die dieser in einer Besprechung mit den Leitenden Geistlichen der Landeskirchen machte, Bedenken vor. Daraufhin zog Diehl, der zu diesem Zeitpunkt Landesleiter der Deutschen Christen und als Pfarrer von Mackenbach Mannweilers Nachbarkollege ist, „nach längerer Aussprache“ seinen Antrag zurück. [9]
Der DC-Pfarrer Hans Schmidt aus Kaiserslautern, dem sich Mannweiler bei einer gemeinsamen Bahnfahrt meinte kollegial anzuvertrauen zu können, verhandelte den Fall lautstark und unsensibel vor Mitreisenden im Abteil und riet ihm, in die „Judenmission“ zu gehen. [10] 1947 schrieb Mannweiler, dass ihm „Böses von einigen Seiten, auch von Kollegen“, angetan worden sei, was er aber mit Gottes Hilfe habe „abschreiben“ dürfen. [11]Diehl hingegen sagte Mannweiler seine kollegiale Hilfe zu und sprach mit Reichsbischof Müller in Berlin über den „Fall Mannweiler“. Er versicherte Mannweiler, dass ihm nichts passieren werde: Mannweiler berichtete 1947 von einer persönlichen Begegnung mit Diehl: „Er [Diehl] glaubte, nach einer eigens meinetwegen in Berlin mit ‚Reichsbischof’ Ludwig Müller gepflogenen Aussprache, mir alle Zusicherungen geben zu können, dass mir nichts geschehe, da ich ohnehin der einzige „nichtarische“ Pfarrer in der Pfalz sei. Erst später habe ich erfahren, dass sich Herr Pfarrer Diehl für mich auch noch beim bayrischen Kultusminister in München eingesetzt hat. Ich hatte trotz dieser Zusicherungen jedoch allen Grund, zwar nicht dem Worte meines Kollegen Diehl, aber dem Wort der Nazihäuptlinge in Berlin oder München zu misstrauen, da ich sie von Anfang an als vollendete Lügner, Wort- und Vertragsbrecher durchschaut habe.“ [12]Mannweiler sah trotzdem aufgrund der „Entwicklung in der Deutschen Evangelischen Kirche mit der immer stärkeren Betonung des Rassegedanken“ keine Zukunft für sich und seine Familie im nationalsozialistischen Deutschland und in der pfälzischen Landeskirche. Er nutzte seine Beziehungen in die Schweiz und wechselte auf die Pfarrstelle Kappeln bei Aarberg, Kanton Bern.
Am 11.3.1934 bat Mannweiler um seine Entlassung aus dem Dienst der pfälzischen Landeskirche, bis zum 15.4.1934, die er so begründete: „Die Entwicklung in der Deutschen Evangelischen Kirche mit der immer stärkeren Betonung des Rassegedankens macht es mir innerlich unmöglich, ihr mit ehrlicher Überzeugung […] weiterhin dienen zu können.“ Unter solchen Verhältnissen mochte er keinen Pfarrdienst tun. „So dankbar ich auch den verschiedenen maßgeblichen Herren […] bin, dass sie mir ihre Hilfe zusagten, so unerträglich war mir doch der Gedanke, dass ich, der ich genauso gearbeitet habe wie jeder andere, nur auf besondere Fürsprache hin hätte im Amte bleiben dürfen.“ [13]Er verließ mit seiner Familie am 9.4.1934 die Pfalz. Die „Union“, für die er Aufsätze schrieb, schrieb am 22.4.1934: „Wir, die wir den tüchtigen Theologen schätzten und von dem seelischen Leiden wussten […], wünschen von ganzem Herzen, dass er seine pfälz. Heimat lieb behält und auch an seiner neuen Wirkungsstätte im Segen tätig sein wird.“ [14]
Beide Wünsche der „Union“ bewahrheiteten sich: In der Schweiz wurde Mannweiler ein namhafter Pfarrer, der ein grundlegendes Buch über die kirchliche Jugendarbeit und ein Andachtsbuch mit Auslegung der Fragen des Heidelberger Katechismus schrieb, und dadurch hohe Anerkennung erfuhr. Familiär blieb er nicht von Schicksalsschlägen verschont: Tochter Dorothee starb mit fast einem Jahr 1950, Sohn Reinhard fand mit 18 Jahren 1951 durch „sinnlose Autoraserei“, wie Mannweiler formulierte, den Tod. Mehrere Angebote der Kirchenleitung in Speyer, nach dem Krieg als Pfarrer in die Pfalz zurückzukehren, hat Mannweiler abgelehnt, da er in der Schweiz heimisch geworden war. [15] Er hat im März 1951 den Landeskirchenrat in Speyer besucht. Bereits in einem Brief vom 30.7.1947 (in der Personalakte) hatte Stempel den geplanten Besuch Mannweilers in der Pfalz „als einen Akt der Wiedergutmachung an Ihnen […] für das, was Einzelne Ihnen zugefügt haben und was der Nationalsozialismus an Ihnen […] in nicht zu rechtfertigender Weise gefehlt hat“, bezeichnet.
[1] Es handelt sich bei diesem Aufsatz um die Langfassung des Kurz-Biogramms über Pfarrer Walter Mannweiler, das im geplanten Handbuch „Die Pfälzische Landeskirche in der NS-Zeit“, auf das wir empfehlend hinweisen, 2015 erscheinen wird.
[2] Brief Stempel an den Kirchenrat der Kirchen des Kantons Bern vom 12.6.1950, Personalakte W. Mannweiler,ZASP Abt. 2, Nr.558: „Pfarrer Mannweiler war einer unserer tüchtigsten jungen Geistlichen und wir haben esaufrichtig bedauert, daß er infolge einer törichten Rassegesetzgebung sich gedrängt sah, seine Heimat und seineHeimatkirche zu verlassen.“ Und in einem Brief an die Witwe M.s am 27.9.1960: „Uns hier in der Pfalz hat Ihrlieber Mann in diesen Jahren des Aufbaus in der Nachkriegszeiten gefehlt.“ Auch K. L .Groß weiß von dentheologischen Begabungen M.s zu berichten, in: Karl Groß, Aufzeichnungen über die Jahre 1922-1945,Bibliothek des ZASP, K 14234 (2012/0372), S. 22). Siehe auch: Biundo, Geistliche, 1968, S.286. Nr. 3290 (ebd.unter Nr. 2484: der zweite Ehemann seiner Mutter war ebenfalls Pfarrer).
Thomas Fandel weist zu Recht auf folgenden Zusammenhang: Die von Mannweiler betreute KirchengemeindeHüffler-Wahnwegen ist wegen des kommunistischen Einflusses als „Klein-Moskau“ verschrien. Mannweiler zogaus seinen Gemeinde-Erfahrungen in seiner „politisch extrem polarisierten Gemeinde“ im Dekanat Kusel denSchluss, dass die Kirche zu allen sprechen solle und sich nicht vor einen politischen Karren spannen lassen dürfe(T. Fandel, Konfession und Nationalsozialismus. Evangelische und katholische Pfarrer in der Pfalz 1930-1939,Paderborn u.a., 1997, S. 146ff., ders., Zur Verfolgung katholischer und evangelischer Pfarrer in der Pfalz in derNS-Zeit, in: PfPfrBl 101/2011, Nr. 4, S.145). – Beiträge Mannweilers u.a. Walter Mannweiler, Ecclesia militans,in: PfrPfrBl. 31/1931, Nr.3, S.34-36; ders., Das apologetische Pfarramt, in: PfPfrBl 32/1932; Nr. 4, S.30f.; ders.,Soll man den Sozialpfarrer kommen lassen? in: PfPfrBl 33/1933, Nr.1, S.5f; ders., Der pfeifenrauchende Pfarrer,in: PfPfrBl 33/1933, Nr.2, S.134.
[3] ZASP Abt. 8, Nr. 272.
[4] Das apologetische Pfarramt, in: PfPfrBl 32/1932; Nr.4, S. 30f.
[5] Religion und Politik, in: Union, 1930, S. 291f.
[6] Union 1932, Nr. 34, S.275-277. Der Tannenbergbund war 1935 von General Ludendorff als Kampfbund gegendie „überstaatlichen Mächte Juda, Rom und Freimaurerei“ und für einen „deutschen Gottesglauben“ gegen diechristlichen Kirchen gegründet worden: „Erlösung von Jesu Christo“ hieß 1931 die Parole von dessen EhefrauMathilde Ludendorff.
[7] Für eine intensivere Auseinandersetzung mit dieser Frage sei verwiesen auf die Lektüre von Hans L. Reichrath,Walter G. Mannweiler (1901-1960). Versuch des Gedenkens an einen ehemaligen Pfarrer der PfälzischenLandeskirche, der als „Nichtarier“ seine Heimat verlassen mußte, in: Alfred Hans Kuby (Hrsg.), Juden in derProvinz. Beiträge zur Geschichte der Juden in der Pfalz zwischen Emanzipation und Vernichtung, Neustadt 1988,S. 127ff. Dazu auch Otmar Weber, Staat und Kirche haben nichts Jüdisches in ihren Reihen geduldet. PfarrerWalter G. Mannweiler: Wegen der nichtarischen Großmutter seine Kirche und Heimat verlassen, in:http://www.christen-und-juden.de/html/mannweiler.htm, Stand: 27.12.2012; vgl. auch gleichnamigenAufsatz vom Autor in PfPfrBl 93/2003, Nr.11, S. 321ff
Nicht teilen kann ich die Formulierung Reichraths „Das real existierende Judentum war nicht (mehr) seinJudentum“ (S. 130), denn hier wird indirekt unterstellt, als habe es eine Phase in Mannweilers Leben gegeben, inder er sich selbst als Jude verstanden habe oder jüdische Theologie rezipiert habe. Davon kann nach Lektüreseiner Schriften aber keine Rede sein.
[8] Einen Einblick gibt die Verabschiedung in der Zeitschrift „Union“ am 22.4.1934 (S. 126), für die er regeschriftstellerisch tätig war, die davon spricht, dass man Mannweiler als tüchtigen Theologen schätzt und das„seelische Leiden“ erwähnt, das er „mit vielen anderen in den letzten Monaten zu ertragen hatte“. Dass zu seinenVorfahren eine jüdische Großmutter gehört, war also durchaus einem breiteren Kreis bekannt. Wie Reichrath,Mannweiler, schon 1988 feststellte, ist bis heute nicht festzustellen, ob die Einführung des Arierparagraphen inder Pfalz deshalb unterblieb, weil es nach der (mehr oder weniger erzwungenen, nicht freiwilligen!) EmigrationMannweilers keinen „nichtarischen Pfälzer Pfarrer“ mehr gab (S. 134).
[9] ZASP Abt.1.3 Kirchenregierungsprotokoll Nr. 15 vom 1.2.1934, vorm. halb 11 Uhr, Ziffer 4.
[10] Die näheren Umstände erläuterte Groß, Lebenserinnerungen, ZASP Abt. 150.84, Nr.1, S.22, „FallMannweiler-Hüffler“.
[11] Zitiert nach Erklärung für Herrn Pfarrer Diehl vom 25.2.1947, LAS Best. R 18,Nr. A 10104/50. Fandel(Konfession, 148) problematisiert zu Recht das Verhalten Diehls, der die antisemitische Politik der NSDAPgrundsätzlich befürwortete, aber Juden oder „Nichtariern“ im Einzelfall menschlich anständig behandelte. Auchin anderen Fällen spielte das in Entnazifizierungsverfahren eine Rolle, da zahlreiche Pfarrer zu ihrer Verteidigungihren Einsatz für einzelne Juden anführten (vgl. generell LAS R 18/A10104). Diehl wurde aufgrund einiger dieser„Persilscheine“ (auch von anderen Mitgliedern der Kirchenleitung) nach 1945 nur als NS-„Mitläufer“ eingestuft,was im Nachhinein unverständlich erscheint. Noch 1973 kann Diehl im Interview mit dem Saarbrücker HistorikerKarl-Georg Faber beim Thema „Umgang der Pfälz. Kirche mit den Juden in der NS-Zeit“ unter Verwendung derdiskriminierenden NS-Diktion sagen: „Ich habe ja selbst einen Mischling gehabt“ (Pfälzische Landeskirche imDritten Reich. Zwei Gespräche mit Pfarrer D. Ludwig Diehl am 7. und 16.März 1973, ZASP Abt. 160, Nr.520,S.51). In einer Mail vom 17.1.2013 schrieb mir dazu Dr. Hanns-Christoph Picker: „Mit dem ‚Mischling’ aus demFaber-Interview ist sicher nicht Mannweiler gemeint, sondern die Schreibkraft Ellen Guth, die imLandeskirchenrat in Speyer beschäftigt war. Relevant waren in diesem Fall die Nürnberger Rassegesetze (die derBeschäftigung einer „Halbjüdin“ nicht entgegenstanden – insofern musste Diehl hier keine Heldentatenvollbringen). Bei der Emigration Mannweilers ging es um die (stillschweigende) Anwendung des Gesetzes zurWiederherstellung des deutschen Berufsbeamtentums („Arierparagraph“) in der Landeskirche. Antijüdische undrassistische Stereotypen tauchen bei Diehl beiläufig immer wieder auf. Ich halte ihn aber nicht für einenaggressiven Antisemiten. – Der Quellenwert der Faber-Interviews für die NS-Zeit (Selbstzeugnis 25 Jahre nachEnde des NS-Regimes) ist natürlich problematisch. Sie sind aber tatsächlich ein erstaunliches Dokument für dieselektive Selbstwahrnehmung und Resilienz nationalsozialistisch belasteter Verantwortungsträger auch in derKirche.“
[12] Ebd.
[13] ZASP Abt.2, Nr.558, Personalakte M., Brief an die Kirchenleitung am 11.3.1934. Später schrieb er: ..Als wiram 9.April 1934 über den Rhein bei Basel fuhren war mir klar, dass es für uns kein Zurück mehr geben könne.“ (Brief W. Mannweiler an H. Stempel vom 24.9.1946, ZASP Abn.160, Nr.599). Mannweilers eigene Angabenstimmen mit dem offiziellen Datum der Emigration in der Literatur (3.4.1934) nicht überein.
[14] Zitiert auch in Bergmann, Documenta I (alte Ausgabe), S. 267, vgl. auch den Nachruf Bergmanns auf M.Documenta III, S. 486ff.
[15] Direkt nach dem Krieg klang noch Verbitterung durch in einem seiner ersten Briefe: „Dass […] in dendeutschen Landeskirchen der Hitlergeist noch ziemlich beheimatet ist, dafür habe ich nun im Laufe dieses Jahresleider genügend Beweise bekommen […] Es hat mich schon manchesmal gejuckt, […] über einige Zustände, auchund besonders in der pfälzischen Landeskirche, zu sprechen. Aber ich will für mein Teil die unter Hitlerbegonnene Kette der Denunziationen nicht fortsetzen. Und ausserdem gedenke ich ohnehin nicht mehr, in diePfalz zurückzukehren, sodass ich mich auch in keiner Weise dort einmischen will“ (Brief an das Prot. DekanatLandau vom 28.8.1946, ZASP Abt. 160 Nr. 599). Erst als Stempel zum Kirchenpräsidenten ernannt wurde,begannen freundschaftliche Korrespondenzen mit der pfälzischen Landeskirche, die bis zu seinem Todandauerten. Auch Theodor Schaller äußerte sich in einem Interview mit Karl-Georg Faber zum „Fall Mannweiler“ (ZASP Abt. Nr.). Akademischer Rat Jörg Rauber vom Fachbereich Evangelische Theologie an der Universität desSaarlandes schrieb dazu in einer Mail an Vf. am 5.1.2013: „Unter dem Strich ist für mich signifikant, wieversöhnlich gegenüber den Amtsbrüdern der Rückblick ausfällt. Die Gegnerschaft in der NS-Zeit wird auf wenigeentfernte Akteure projiziert, also auf Männer wie Müller, Krause oder Laien wie Jäger. Die Amtsbrüder aus dempersönliche erlebten Bereich sind eher in die Irre geleitete Schafe ohne eigene Verantwortung und gerne wird ihrepersönliche Integrität betont.“