Altenheimseelsorge

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Erwartungen aus der Sicht einer Einrichtung [1]

Dr. Werner Schwartz
Bayernstraße 34, 67061 Ludwigshafen

Die Altenheimseelsorge hat eine lange Tradition. Seit es Altenheime gibt und deren Vorstufen, die Pfründnerhäuser seit dem Mittelalter, in denen Menschen gegen Zahlung einer Pfründe Versorgung bis zum Lebensende zugesagt war, und die Hospitäler, in denen kranke, hilfsbedürftige Menschen aufgenommen wurden, die zeitweise oder dauerhaft Unterstützung brauchten, gibt es das Angebot der seelsorglichen Begleitung. In den Pfründnerhäusern etwa und den Spitälern des Mittelalters kam wöchentlich der Priester zur Kommunion ins Haus, zunehmend wurden Kapellen eingerichtet, in denen Messen gelesen werden konnten. Dies setzte sich fort durch die Epochen bis in die Altenheime des 19. und 20. Jahrhunderts, die entweder von Kirche, Caritas, Diakonie betrieben wurden, was eine seelsorgliche Begleitung der Bewohnerinnen nahelegte, oder die in kommunaler Trägerschaft standen, und die Kirchen haben sich um die Seelsorge für die alten Menschen in den Heimen bemüht.

Freilich haben sich die Bedingungen für den Betrieb von Altenheimen und die Arbeit in Einrichtungen der Betreuung und Begleitung alter Menschen über die Jahrhunderte hin immer wieder gewandelt, und in den letzten Jahrzehnten scheint die Veränderung rasanter zu erfolgen als bisher. So ist es nicht verwunderlich, im Gegenteil: selbstverständlich, wenn immer wieder neu gefragt wird nach der Rolle und Funktion, den Bedingungen, Chancen und Hemmnissen der Altenheimseelsorge.

Für diesen Altenheimseelsorgekonvent haben Sie angefragt, aus der Sicht einer Einrichtung, also als Trägervertreter, Antworten zu geben auf die beiden Fragen, die in der Einladung genannt sind:

·         Wie kann Alten- und Pflegeheimseelsorge für die aktuellen und zukünftigen Erwartungen noch besser aufgestellt werden? Und:

·         Wie kann das Miteinander von Seelsorge, Einrichtungsleitung und Altenhilfeträger ausgebaut, wie können sie weiter vernetzt und aufeinander bezogen werden?

Vordergründig sind dies zwei recht einfache Fragen. Wenn nur das Feld nicht so kompliziert und differenziert wäre. 

1.

Zunächst geht es um einen Blick auf das Feld der Seelsorge im Altenheim aus der Sicht einer Einrichtung. Es geht m die Frage: Was sind die Erwartungen einer Einrichtung an die Altenheimseelsorge? Aufgrund der Trägervielfalt sollte man vielleicht weiter differenzieren: Was sind die Erwartungen einer gemeinnützigen Einrichtung, der Caritas also etwa oder der Diakonie, was sind die Erwartungen einer privaten Einrichtung? Möglicherweise unterscheiden sie sich. Oder ist diese Unterscheidung angesichts der Situation, dass die Altenpflege in den vergangenen zwei Jahrzehnten insgesamt sehr marktförmig geworden ist, obsolet? Haben caritative wie privatwirtschaftliche Altenpflegeheime im Prinzip nicht die gleichen Interessen, nämlich mit den zur Verfügung stehenden knappen Mitteln die Versorgung der alten Menschen so sicherzustellen, dass sie zufrieden sein können – die Bewohner wie die Mitarbeitenden und die Betreiber?

Von dieser Frage zu unterscheiden sind die anderen Fragen danach, welche Erwartungen die Menschen haben, die in den Häusern betreut werden, welche Erwartungen die Angehörigen haben, welche Erwartungen die Gesellschaft hat, welche Erwartungen möglicherweise die Kirche hat, insbesondere wenn es um Altenheimseelsorge geht. Das wären eigene Themen. Darüber spreche ich heute nicht. Ich bleibe bei der Perspektive der Einrichtung, der Einrichtungsleitung oder des Trägers, und immer wieder wird durchscheinen, dass ich die engere Perspektive eines diakonischen Trägers einnehme.

Welche Erwartungen also hat die Einrichtung an die Altenheimseelsorge? Wie bei anderen Berufsgruppen, die im Altenheim tätig sind, geht es um die Erfüllung von Betreuungsaufgaben. Niemand ist im Altenheim beschäftigt, der nicht notwendigerweise eine Funktion im Blick auf eine optimale Betreuung der Bewohnerinnen hat. Die Seelsorge, so die Vermutung, kann dazu beitragen, dass sich die Betreuungsqualität besser darstellt, als wenn es die Seelsorge nicht gäbe. Dabei geht es um die Qualität, wie sie von Bewohnerinnen, Angehörigen und Mitarbeitenden wahrgenommen wird.

Wenn es der Seelsorge die Aufgabe annimmt und es ihr gelingt, einzelnen Menschen hilfreich zu begegnen, sie auf Zeit zu begleiten, ihnen Unterstützung in ihrer Befindlichkeit und in ihren Fragen zu geben, wenn sie dazu ein Netzwerk von Kontakten aufbauen, Spannungen reduzieren, Konflikte entschärfen kann, wenn sie Menschen in Krisen begleitet, Zufriedenheit vergrößert, wenn es ihr also gelingt, Störungen im Ablauf des Betriebs zu reduzieren und die Wohlfühlqualität zu steigern, dann wird sie positiv gesehen. Das ist es, was seitens der Einrichtung von der Seelsorge erwartet wird.

In diesen Jahrzehnten, wo die Generation von Bewohnerinnen in den Altenpflegeheimen in der Regel (noch) eine religiöse Prägung mitbringt, gehören dazu auch geistliche Angebote, Gottesdienste, Gesprächskreise und individuelle Gesprächsangebote. Das mag sich in den nächsten Jahrzehnten mit einer zunehmend weniger kirchlich geprägten Bewohnerschaft ändern. Aber noch ist es so.

In diakonischen, caritativen Häusern kommt eine weitere Ebene hinzu, auf der die Seelsorge eine Rolle spielen kann. Dabei wird die Seelsorge aber für die seitens der Einrichtung formulierten Ziele in Anspruch genommen. Darin deutet sich allerdings ein möglicher Konflikt an. Diese Häuser wollen eine Marke abbilden, in der sich eine spezifische Betreuungsqualität nach außen sichtbar darstellt. Sie wollen als christliche Häuser, als Häuser von Diakonie oder Caritas, am Markt sichtbar, erlebbar, erfahrbar sein. Die Präsenz von Seelsorge, Gottesdiensten, Gesprächskreisen und individuellen Gesprächsangeboten dient hier zusätzlich der Profilierung der Marke. So ist Seelsorge hoch willkommen, gelegentlich auch von den Trägern mitfinanziert. Sie kann helfen, das christliche Profil des Hauses nach innen und außen darzustellen. Dazu ist es allerdings erforderlich, dass sie sich in die Unternehmenslinie einordnet, sich als Teil des Unternehmens versteht und die Ziele des Unternehmens in der Seelsorge mitträgt und mit ausgestaltet. 

Im Blick auf die Tatsache, dass die derzeitige Generation von Bewohnerinnen in den Altenpflegeheimen in der Regel eine religiöse Prägung mitbringt, und im Blick auf den „Mehrwert“ christlicher Orientierung auf Menschlichkeit und ganzheitlicher Fürsorge sind freilich auch kommerzielle Altenheime immer wieder bemüht, sich als Häuser darzustellen, die dies verkörpern, und dazu auch eine Seelsorge in ihrem Haus zu etablieren. Ihre Benennungen als St. Sebastian, St. Lukas etc. deuten ja (vorübergehend) in diese Richtung.

Gelegentlich gelingt es, die Seelsorge – wie in manchen christlichen Krankenhäusern – so deutlich im Haus zu etablieren, dass sie als Teil des therapeutischen, betreuenden Teams angesehen wird. Dann arbeiten Seelsorgende in enger Abstimmung und Kooperation mit den Mitarbeitenden der Pflege, der Hauswirtschaft und der Verwaltung zusammen. Der Austausch untereinander orientiert sich am Wohl der Bewohnerinnen. Ob dies gelingt, hängt in der Regel von vielen Faktoren ab, über die Sie wenigstens ebenso gut Bescheid wissen wie ich: von der Einstellung der Heimleitung, des sozial-kulturellen Dienstes, der Mitarbeitenden im Haus und der Art und Weise, wie die Seelsorge sich im Haus darstellt, wie immer also von den Menschen. Gut gelingende Situationen sind Geschenk, weniger gelingende Aufforderung zur Reflexion und (vor allem) Selbstreflexion und zur beharrlichen Arbeit an kleinen Schritten der Verbesserung.

Ein weiteres Feld der Betätigung der Seelsorge ist in der Regel die Begleitung der Mitarbeitenden. Seelsorge begegnet ihnen, nimmt Belastungen und Überforderungen, Spannungen und Konflikte wahr und reagiert darauf. Wenn dies gelingt, wenn Seelsorge Erfahrungen und Empfindungen von Mitarbeitenden aufnimmt, ins Bewusstsein hebt und damit bearbeitbar macht, dann trägt dies in vielen Fällen zur Entlastung der Mitarbeitenden bei und damit auch zur Entlastung des gesamten Systems. Wenn belastende Situationen aufgegriffen, Konflikte mit Bewohnerinnen oder Angehörigen, Kollegen und Vorgesetzten angesprochen, empfundene Überlastung thematisiert werden können, dann ist dies hilfreich.

Es hängt sicher auch von der Sensibilität der Seelsorgenden ab, wie gut dies gelingen kann. Dies gilt insbesondere im Blick darauf, die Bearbeitung von Konflikten auf der seelsorglichen Ebene abgegrenzt zu sehen von einer fürsorgenden oder arbeitsrechtlichen Konfliktregelung auf Trägerebene. Seelsorge für Mitarbeitende ist eine Sache der persönlichen Zuwendung, der Empathie in der Begleitung von Menschen, die den Seelsorgenden begegnen und für die sie in dieser Begegnung Verantwortung übernehmen. Die Organisation eines Betriebs ist in der Regel eine andere Aufgabe. Da geht es um die verlässliche, dauerhafte Gewährleistung von Leistungen und Abläufen, die Störungen größeren Ausmaßes vermeiden muss. Im Rahmen dieser Regelungen wird es nicht ausbleiben, in bestimmten Fällen auch arbeitsrechtliche Konsequenzen in den Blick zu nehmen, wobei bei Diakonie und Caritas aus ihrer Grundhaltung heraus auch fürsorgende Perspektiven in aller Regel im Blick sind. Es sollte allerdings bewusst bleiben, dass Differenzen und Rivalitäten zwischen Seelsorge und Unternehmensleitung in diesem Feld entstehen können und es sinnvoll ist, offen darüber zu kommunizieren.

In diakonischen und caritativen Häusern kommt häufig die Erwartung hinzu, neben anderen Aktivitäten des Trägers könnten oder sollten Seelsorgende sich beteiligen an der Bemühung des Trägers, Mitarbeitende den christlichen Glauben als eine ihr berufliches wie privates Leben stützende, motivierende und stärkende Kraft zu entdecken und zu erfahren. Je nach Prägung des Trägers wird er reklamieren, dies aus eigener Tradition heraus zu tun. Rivalitäten zwischen Seelsorgenden und Verantwortlichen des Trägers bedürfen eigener Aufmerksamkeit.

Es wird so sein, dass einzelne dieser Erwartungen in Spannung stehen zu Elementen des gängigen Selbstverständnisses von Seelsorge, etwa zu einer Seelsorge, die die beratende, therapeutische Begleitung des Klienten im Blick hat, oder zu einer Seelsorge, die ihr Zentrum in der Verkündigung einer Wahrheit hat, die einer anderen Welt entstammt und sperrig zu dieser Welt steht. Eine Spannung, die die Seelsorge im letzten Jahrhundert geprägt hat.

Insbesondere da, wo die Seelsorge von einem Altenpflegeheim mitfinanziert wird, wo sich ein Träger angesichts der angespannten finanziellen Verhältnisse in der Altenpflege zu einer derartigen Finanzierung entschließt, stellt sich freilich die Frage, wie die Erwartungen des Trägers an die seelsorgliche Arbeit in der Praxis umgesetzt werden können, wie konkret, wie bereitwillig, wie umfassend. Grob gesagt kann man sagen, eine halbe Seelsorgestelle kostet annähernd soviel wie eine ganze Stelle einer Pflegekraft. Angesichts der Notwendigkeit, in Pflegeheimen mit knappen finanziellen Mitteln und deshalb auch knappen Personalressourcen zu arbeiten, stellt dies eine große Herausforderung dar in der Überlegung, Seelsorgestellen seitens der Einrichtung zu finanzieren oder mitzufinanzieren.

Seelsorgliche Tätigkeit und Begleitung wird zwar in den Hausprospekten herausgestellt, bei Präsentationen der Altenpflegeheime in der Öffentlichkeit unterstrichen und mittlerweile in den Begutachtungen durch den Grünen Haken oder den Medizinischen Dienst der Krankenkassen aufmerksam wahrgenommen, zählt aber nicht zu den Pflichtaufgaben wie etwa der sozial-kulturelle Dienst, für den eigens Stellenanteile nachzuweisen sind. Wenn ich die Logik der Stellenanforderungen recht verstehe, ist dort das, was Seelsorge tut, im Grundsatz dem sozial-kulturellen Dienst subsumiert.

Dies führt zu einer weiteren nicht unproblematischen Überlegung: Die Seelsorge übernimmt, wenn sie sich im Einzel- oder Gruppengespräch Bewohnerinnen zuwendet, wenn sie Menschen begleitet, gegebenenfalls auch zum Sterben begleitet, Aufgaben, die auch von anderen wahrgenommen werden könnten, können oder werden. Das kann entlastend wahrgenommen werden, weil Professionelle sich um Fragen kümmern, für die sie eine besondere Ausbildung haben. Es kann sich aber auch ein Konkurrenzverhältnis darstellen zu den Mitarbeitenden im sozial-kulturellen Dienst mit seinen Gruppenangeboten wie zu den Pflegekräften, die ihrerseits ja in der Altenpflege tätig sind, weil sie einen guten längerfristigen Kontakt und eine intensive menschliche Begleitung der Bewohnerinnen als Teil ihres Berufsziels haben. Krankenpflegekräfte, wenn sie in die Altenpflege wechseln, geben genau dies als Grund für den Wechsel an, anders als im Krankenhaus mit den kurzfristigen Kontakten zu Patientinnen hier einen kontinuierlichen Kontrakt zu den Bewohnerinnen zu haben. Eine Perspektive, die Seelsorgende im Blick behalten müssen, wenn sich im Altenpflegeheim zu verorten suchen.

2.

Im zweiten Schritt geht es um die künftigen Erwartungen. Was verändert sich in der Altenheimlandschaft? Und zu welchen neuen, möglicherweise auch zugespitzten Erwartungen an die Altenheimseelsorge führt dies seitens der Träger und Einrichtungen?

In den 1990er Jahren wurden die sozialen Sicherungssysteme in unserem Land mit der Entstehung der neuen Sozialgesetzbücher umgebaut. Aus dem wohlfahrtsstaatlichen System der Nachkriegszeit wurde der aktivierende Sozialstaat, der den einzelnen eine größere Verantwortung für ihre soziale Sicherung aufbürdet. Dieser Umbau war wesentlich einem realistischen Blick auf die demographische Entwicklung unseres Landes geschuldet. Die Veränderung der Alterspyramide ließ und lässt erwarten, dass die bisherigen sozialen Sicherungssysteme künftig nicht mehr im gleichen Umfang finanzierbar sind.

Dies hat Konsequenzen für alle Bereiche des Sozialwesens, auch für den Bereich der Altenheime. Noch wird mit der Fiktion gearbeitet, eine Ergänzung und teilweise Ersetzung stationärer Altenpflege durch ambulante Systeme könne einen Beitrag leisten, die Kosten der Versorgung alter Menschen künftig halbwegs im Griff zu behalten. Allmählich wird allerdings sichtbar, dass eine Ambulantisierung in den Fällen, in denen sie bereits vollzogen wurde, etwa im Bereich der Jugendhilfe oder ansatzweise auch in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Assistenzbedarf, keineswegs zur Kostenersparnis geführt hat und führt. So steht zu erwarten, dass sich ein Umbau der Betreuung alter und pflegebedürftiger Menschen in ambulante Strukturen eher nicht zu den erwünschten Kosteneffekten führt.

Das Kalkül war und ist derzeit noch, Quartiere könnten entwickelt werden, in denen nachbarschaftliche Strukturen die Versorgung hilfsbedürftiger Menschen nachhaltig unterstützen. Menschen würden einander begleiten und Betreuungsleistungen erbringen, die eine sonst erforderliche professionelle und bezahlte Hilfeleistung ersetzen können. Wenn sich allerdings der Traum eines sich deutlich steigernden bürgerschaftlichen Engagements zur Betreuung alter Menschen als verwegen erweist und sich nicht in vollem Umfang realisieren lässt, gehen wir auf eine Zukunft zu, in der die Mittel zur Versorgung alter Menschen knapp bleiben und deutlich knapper werden als bisher.

Der ökonomische Druck auf die Altenpflegeheime wird groß bleiben. Die Entlastung, die derzeit für die Betreuung dementiell erkrankter Menschen in den Altenheimen gewährt wird, eine Ausweitung der Mittel für Betreuungskräfte nach Paragraph 87b SGB XI, ist vorerst hilfreich. Auch wenn aufs Ganze gesehen nur eine sehr geringfügige Erweiterung des Stellenschlüssels erfolgt, ist dies doch wenigstens ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Es ist jedoch keineswegs sicher, dass dies ein erster Schritt ist, dem weitere folgen.

Zumal auch hier die gleiche Problematik entsteht, von der bereits im Blick auf die Seelsorge die Rede war: Betreuungskräfte übernehmen die normale, „menschliche“ Betreuung und Begleitung der Bewohnerinnen, sie entlasten darin die Fachkräfte, was von diesen wiederum als Verlust wichtiger Teile ihrer eigenen Arbeit angesehen wird. Zunehmend reduzieren sich die Fachkräfte auf die Durchführung der im engeren Sinn pflegerischen Arbeiten und geben den Bereich der Begleitung, in dem in der Regel hohe Resonanzen und positive Rückmeldungen der Bewohnerinnen zu finden sind, an die Betreuungskräfte (oder die Seelsorge) ab.

Der ökonomische Druck wird auch deshalb steigen, weil immer mehr Anbieter mit neuen Einrichtungen auf dem Markt der stationären Altenpflege auftreten. Private und institutionelle Kapitalanleger haben den Altenpflegemarkt und insbesondere den Bau von Altenpflegeeinrichtungen als einen der wenigen lukrativen Investitionsbereiche mit für sie akzeptabler Renditeerwartung entdeckt und erschlossen. Dies schafft bei den alteingesessenen Häusern, zu denen die von Caritas und Diakonie zusammen mit den kommunalen Einrichtungen gehören, einen deutlichen Investitionsdruck. Die bestehenden Einrichtungen müssen über die bisher übliche, oft zögerliche Instandhaltung hinaus modernisiert werden, damit sie am Markt attraktiv bleiben.

Neben dem ökonomischen Druck erwarten wir einen hohen Veränderungsdruck durch die Personalsituation. Wir gehen einem dramatischen Mangel an Fachkräften in der Kranken- und Altenpflege entgegen. Hochrechnungen sagen, uns fehlten bis 2025 mehr als 100.000 Pflegekräfte. Dies wird die Entwicklung verstärken, zunehmend Betreuungsaufgaben auf nicht pflegerisch qualifizierte Personen zu übertragen. Eine realistische Vision ist, dass in wenigen Jahren in den Pflegeheimen ein mobiler Pflegedienst im Haus die pflegerischen Tätigkeiten übernimmt, während die Bewohnerinnen auf Station von Betreuungskräften versorgt werden. Auch dies wird die Wahrnehmung der Berufsgruppen untereinander, die Altenheimseelsorge eingeschlossen, noch einmal verändern.

Im Blick auf die Arbeitssituation wird es also keine Entlastung geben. Die derzeit wahrnehmbaren Spannungen werden sich eher verschärft darstellen. Bewohnerinnen in den Altenpflegeheimen werden weiterhin eher später, in höherem Alter ins Heim kommen. Sie werden körperlich wie seelisch erhöhten Pflege-, Betreuungs- und Begleitungsbedarf haben. Angehörige werden eher fordernder werden. Je marktförmiger der Bereich der Altenpflege wird, desto stärker werden Kundenerwartungen die Abläufe bestimmen. Mit Situationen von Begleitung und Abschied umzugehen wird Angehörige weiterhin herausfordern und Dynamiken freisetzen, die aufzufangen und zu bearbeiten das Pflegepersonal zusätzliche Kraftanstrengung kostet. Mitarbeitende werden nach wie vor den hohen Druck spüren, zunehmend weniger Zeit haben, vielleicht auch zunehmend stärker irritiert sein, wenn sie auf die sehen, von denen sie vermuten, sie könnten sich Zeit für die Bewohnerinnen nehmen. Daneben werden die äußeren Rahmenbedingungen der Berufstätigkeit in der Pflege und Betreuung alter Menschen, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der einseitigen Belastung im Beruf, des Schichtbetriebs weiterbestehen.

Für die Seelsorge wird dies bedeuten, dass der Druck des Systems verstärkt spürbar sein wird. Es wird wenig helfen, sich in die Rolle des prophetischen Zeugen zu begeben, wie die Klinikseelsorge sie in bestimmten Phasen ihrer Geschichte eingenommen hat, das System an seine ideelle Grundlage zu gemahnen, möglicherweise als überschritten angesehene Grenzen aufzuzeigen und im Namen der Menschlichkeit Verbesserungen einzufordern. Dies aus einer Position von außen, zumindest als nicht in den Schichtdienst eines Heimbetriebs voll integrierte Mitarbeitende, zu reklamieren, ist zwar möglicherweise nicht unberechtigt. Es muss aber mitbedacht werden, welchen Unterschied es macht, als öffentlich-rechtlich besoldete oder ehrenamtliche kirchliche Mitarbeitende außerhalb des Systems einer Altenpflegeeinrichtung diese Fragen an das System zu richten [2].

Um Menschlichkeit sind alle, die in der Altenpflege Verantwortung tragen, auch diejenigen in Leitungsfunktionen, nach Kräften bemüht. In diakonischen und karitativen Einrichtungen versuchen sie wie all ihre Vorfahren den Spagat zwischen Diakonie und Ökonomie, so gut es geht, zu praktizieren. Sich für eine Verbesserung der ökonomischen Rahmenbedingungen einzusetzen, die neue Spielräume der Gestaltung eröffnet, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die die Seelsorge gemeinsam mit den Mitarbeitenden und Trägern und wohlwollenden Politikern wird eintreten müssen.

3.

Worauf wird es also künftig ankommen im Blick auf die Erwartungen einer Einrichtung an die Seelsorge im Altenheim?

Es wird weiterhin gewünscht und geboten sein, dass Seelsorgende sensibel umgehen mit den Situationen, in denen sie sich wiederfinden. Die Einrichtungen haben das Ziel einer guten Versorgung der Bewohnerinnen und erhoffen und erwarten die Mitarbeit der Seelsorge an diesem Ziel, im Team der Mitarbeitenden des Hauses, mit den spezifischen Gaben der Seelsorge, in der Zuwendung zu den Bewohnerinnen, insbesondere: 

·         Menschen in ihren Krisen zu begleiten, 

·         sensibel zu sein für das persönliche Erleben,

·         für Erfahrungen von Schwäche, Müdigkeit, Depression, Verlust, Demenz, 

·         behutsam Angebote der Sinnfindung zu machen,

·         zum Lebensende und beim Abschied zu begleiten.

Dafür wird Seelsorgenden eine besondere Kompetenz zugeschrieben. Sie können und sollen diese Kompetenz einsetzen und nach Möglichkeit andere mitnehmen auf diesem Weg, nicht zwangsläufig durch formale Fortbildungen, eher durch selbstverständliche niedrigschwellige Einbeziehung und – etwas hochtrabend gesagt – durch Coaching, weniger hochtrabend: durch ganz alltägliche Begleitung, indem die Belastung und Ratlosigkeit aufgenommen und gesucht wird nach Wegen, die für den Augenblick gangbar sind, gern in kleinen Gesprächen zwischen Tür und Angel.

Es geht m.E. in der Seelsorge weniger um eine beratende Tätigkeit. In der Entwicklung der Seelsorge in den letzten hundert Jahren hat sich nach der Konzentration auf die Persönlichkeitsentwicklung in der liberalen Theologie und auf die unmittelbare Zurgeltungbringung des Wortes Gottes in der kerygmatischen Theologie die aus den USA übernommene klinische Seelsorgeausbildung der 1960er und 70er Jahre im Gefolge der humanistischen Psychologie, insbesondere orientiert an Carl Rogers, ganz auf die beratende, therapeutische Arbeit konzentriert. Es ging um die Annahme des Menschen ohne Vorbedingungen und um die behutsame Beratung, zu einem guten Leben zu finden. Das ist angesichts der Begrenzungen, unter denen viele im Pflegeheim leben, dort nur eingeschränkt und schwer möglich.

Es geht m.E. auch weniger darum, sich einer spritual care besonders zu widmen. Eine Konzentration auf geistliche, spirituelle Bedürfnisse von Menschen hat sich als eines der Betätigungsfelder der christlichen Theologie entwickelt, als man die Individualisierung und Pluralisierung der Lebenswelt ernsthaft wahrgenommen hat und sich dann auf die Suche gemacht hat nach den hinter allen religiösen und areligiösen Festlegungen liegenden vermeintlichen oder realen Bedürfnissen von Menschen. Inzwischen umfasst dies ja auch die WHO-Definition von Palliative Care, wenn sie formuliert, dass „zu einer ganzheitlichen Betreuung schwerstkranker Patienten … die Linderung von … belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art“ gehört.

Ich argwöhne, dass spiritual care ein zu einfaches, am Ende doch nicht tragfähiges Mittel ist, die Bedeutung von Religion und Glaube in unserer Zeit zu stabilisieren. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Passepartout-Vorstellung, es gäbe so etwas wie eine allgemein-menschliche geistliche Bedürfnislage, hilfreich für die Begründung und Ausgestaltung von Seelsorge ist, und bin vor allem sehr skeptisch, ob sie der biblischen Überlieferung und ihrer Sicht der Welt entspricht.

Ich sehe als Aufgabe der Seelsorge im Altenpflegeheim eher die Begleitung der Menschen, einfach da zu sein, Nähe zu zeigen, mitzuleben. Eine große Herausforderung für die Seelsorge wie für alle Arbeit im Altenpflegeheim. Weil dies die professionelle Abgrenzung erschwert. Wenn ich da bin, mitlebe, dann kann dies sehr anstrengen. Ich lasse mich auf die Erinnerungen und Hoffnungen der alten Menschen ein, auf die Begrenztheit ihres Lebens, das sich als Reduktionsform des von unserer Gesellschaft (und von uns noch nicht ganz so Alten) definierten wahren, gesunden, fitten Lebens gesehen wird. Aber vielleicht ist dies, da sein, mitleben, eine der wesentlichen Beschreibungen der Rolle der Seelsorge (wie der Arbeit) im Altenpflegeheim. 

Wolfgang Drechsel hat in einem Vortrag vor einigen Jahren dem therapeutischen, eine Störung beseitigenden Seelsorgetypus den anderen des „und ihr habt mich besucht“ entgegengestellt. [3] Wir sind da in der Nähe zu dem Hausspruch unseres Speyerer Diakonissenmutterhauses, der das Haus seit 1859 begleitet und prägt: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan, und zu der Geschichte, aus der er kommt, dem Gleichnis vom großen Weltgericht: Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Das ist es wohl, was alte Menschen erwarten, worauf sie warten, und mehr braucht es vielleicht gar nicht. Auch wenn nicht einmal dies mehr gesellschaftlich besonders gewünscht oder geboten oder im Blick auf professionelle Begleitung finanziert ist. 

Es geht also um die Begleitung der Bewohnerinnen zuerst, dann um die der Angehörigen, dann um die der Mitarbeitenden. In dieser Reihenfolge, was die Gewichtung der Tätigkeiten angeht. Es geht um die Beteiligung daran, eine Kultur der Menschlichkeit im Haus weiterzuentwickeln, Hindernisse aufzuspüren und sie aufzuarbeiten oder sich an ihnen abzuarbeiten.

Es geht auch darum, dazu beizutragen, dass das System Altenpflegeheim gut weiterlaufen kann, zum Wohl derer, die dort leben und arbeiten. Das erfordert Behutsamkeit, auf die Bedingungen und Notwendigkeiten zu achten, Respekt vor allen Mitarbeitenden in ihrer Professionalität und Kooperationsbereitschaft im Haus.

So kann Alten und Pflegeheimseelsorge für die aktuellen und zukünftigen Erwartungen und aufgestellt werden. Und so funktioniert sie in aller Regel auch immer schon.

4.

Bleibt die Frage nach dem Miteinander von Seelsorge, Einrichtungsleitung und Altenhilfeträger und danach, wie sie weiter vernetzt und aufeinander bezogen werden können.

Es geht um die Gestaltung einer Kultur von Zusammenarbeit im Altenpflegeheim, die dem Wohl der Bewohnerinnen dient und die Mitarbeitenden eher entlastet, jedenfalls nicht mehr als nötig belastet. An dieser Kultur müssen alle gemeinsam arbeiten. Für diese Kultur zu arbeiten ist vornehmstes Ziel der Heimleitung und des Trägers, selbstverständlich neben der Sicherung des wirtschaftlichen Betriebs des Hauses.

Kein Altenpflegeheim kann überleben, das nicht dauerhaft ein positives wirtschaftliches Betriebsergebnis hat, das die laufenden und künftigen Investitionen zu tragen vermag. Im Blick auf den jeweils anstehenden Ersatzbedarf und die Notwendigkeit, das Haus attraktiv und zukunftsgerichtet zu positionieren, ist es nicht möglich, ein Jahresergebnis mit einer Null für akzeptabel zu halten. An dieser Stelle dürfte es keine ernst gemeinte Rückfrage an die Heimleitung geben, auch nicht von der Seelsorge. Wer im Pflegeheim arbeitet, hat sich in einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb begeben, zu dessen Zielvorstellungen neben der guten Pflege und Betreuung der Bewohnerinnen auch die wirtschaftliche Sicherstellung des Betriebs und damit die möglichst dauerhafte Sicherung der Arbeitsplätze gehört.

Dies bedeutet nicht, dass nicht die anderen Erfahrungen, die Seelsorgende machen, in das Gespräch und die Kultur des Hauses mit eingebracht werden können und müssen. Etwa die Frage des Umgangs mit Schwäche, mit Begrenztheit, mit der Endlichkeit des Lebens, mit der Erfahrung des Todes, mit Druck, Stress, Krisen, mit Spannungen und Defiziten, mit dem ganz normalen menschlichen Leben also. In aller Bescheidenheit und Offenheit sollten diese Erfahrungen in das System eingespielt und den dort Handelnden zugemutet werden. In aller Bescheidenheit, weil sich die Seelsorge wie wohl auch der sozial-kulturelle Dienst in der privilegierten Situation befindet, sich mit einer größeren Freiheit mit den unterschiedlichen Lebensperspektiven der Menschen auseinanderzusetzen, sie an sich heranzulassen und sich mit ihnen darüber auszutauschen. Andere Berufsgruppen haben gelegentlich bei allerbester Absicht einfach nicht die zeitlichen Ressourcen, die ihnen eine derartige Sensibilität erlauben würde.

So sollten Seelsorgende sensibel bleiben, die Perspektive derjenigen einzunehmen, die neben ihnen arbeiten, der Heimleitung, der Pflegedienstleitung, der Wohnbereichsleitungen, der Mitarbeitenden auf Station, der hauswirtschaftlichen und Reinigungskräfte, des sozial-kulturellen Dienstes. Sie sollten ergänzend zu diesen Diensten arbeiten und ggf. immer wieder auch einmal bereit sein zur freiwilligen Selbstzurücknahme zugunsten anderer, Michael Welkers Übersetzung des Begriffs Nächstenliebe der biblischen Tradition. Das täte dem System gut und könnte – bestenfalls – sogar abfärben auf das System.

Und darum sollte uns zu tun sein: dass Nächstenliebe in unserem System, in unseren Häusern, unter Bewohnerinnen und Mitarbeitenden erhalten bleibt und dauerhaft erfahrbar ist, weil dies Gottes Weg ist, diese Welt zu erlösen, und Gott uns dazu zur Mitarbeit einlädt. 

[1] Vortrag beim Alten- und Pflegeheimseelsorgekonvent der Evangelischen Kirche der Pfalz im Mutterhaus der Diakonissen Speyer-Mannheim in Speyer, 18. März 2015. Die Vortragsform wurde weitgehend beibehalten.

[2] An dieser Stelle habe ich in der Präsentation des Vortrags den Vergleich mit dem Hofnarren am mittelalterlichen Fürstenhof herangezogen. Der Hofnarr durfte, auch kritisch, sagen, was er wollte, durfte auf Missstände hinweisen und sie anprangern. Aber er hatte seine Rolle darin, dass eben durch die Äußerung seiner Kritik das System entlastet und Veränderungen eher verhindert wurden. Der Mahner an eine Veränderung des Systems diente so der Stabilisierung des Systems, indem ihm seine begrenzte Rolle zugeschrieben wurde. 

[3] Wolfgang Drechsel, Was ist das Spezifische der Seelsorge bei alten Menschen?, in: Wege zum Menschen, Jg. 62, 2010, H. 5, S. 469-487.

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