„Jesus begegnen“

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Dr. Paul Metzger
Weinstraße 35, 67278 Bockenheim

Zum Ziel des Jesus-Buches von Papst Benedikt XVI.

Warum soll man sich mit der Bibel beschäftigen? Darauf gibt es viele richtige Antworten. Für Papst Benedikt XVI. ist die wichtigste Antwort, weil die Bibel, speziell das Neue Testament, Antworten auf die zentralen Fragen des Lebens gibt. Deshalb beschäftigt er sich intensiv mit Jesus von Nazareth, der zentralen Gestalt der Bibel für das Christentum. Er bemüht sich seine Leser auf eine Reise mitzunehmen, auf der sie Jesus begegnen können. Das ist das Ziel seiner Exegese und das Ziel seiner beiden Jesus-Bücher.

Hält man sich dieses Ziel vor Augen, dann klären sich viele Anfragen, die man an seine beiden Jesus-Bücher stellen muss. Aus der Sicht exegetischer Fachwissenschaft muss man natürlich darauf hinweisen, dass er die Grenze zwischen der historischen und der theologischen Frage nach Jesus verwischt. Der historische Jesus fällt bei ihm mit dem Christus des Glaubens als dem wirklichen Jesus zusammen. Vor allem wird aber deutlich, dass Benedikt XVI. keine Bibelauslegung treiben will, wie sie eben jene Fachwissenschaft vor Augen hat, also eine klassisch historische Exegese. Er will nicht dabei stehen bleiben, den Sinn des Textes in seiner damaligen Situation zu rekonstruieren, sondern er will zur Frage vorstoßen, was die Texte uns heute zu sagen haben.

Dies ist aufgrund der hermeneutischen Einsicht, dass jede Begegnung mit einem Text einen Effekt auf den Leser hat, auch im Rahmen der heutigen Bibelauslegung allgemein akzeptiert und erwünscht. Es war eher ein Trugschluss der alten historischen Exegese zu glauben, sie könne quasi vorurteilslos den Text verstehen und noch von ihm betroffen werden. Die moderne Exegese fragt deshalb nicht nur nach einem historischen Sinn der Texte, den sie dann der dogmatischen Disziplin übermittelt, damit diese dann wiederum daraus das macht, was uns heute noch angeht. Vielmehr sieht die moderne Exegese es auch als ihre Aufgabe an, die Frage, nach dem, was uns angeht, an den Text zu stellen.

Damit sind die ersten beiden Fragen der sog. „lectio divina“ (Was sagt der biblische Text in sich? Und: Was sagt uns der biblische Text?) tatsächlich im Rahmen der Exegese zu verhandeln. Jede gelingende Exegese sollte den Leser letztlich mit dem Wahrheitsanspruch des Textes konfrontieren und insofern in eine geistliche Beschäftigung mit dem Text münden.

Allerdings überschreitet Benedikt XVI. den exegetischen Rahmen, wenn er sich eher meditierend als exegetisierend auf die Darstellung der Evangelien – vor allem des Johannesevangeliums – vertrauensvoll einlässt. Unter der Hand scheint damit der Glaubenshorizont der römisch-katholischen Lehre in seine Darstellung Jesu einbezogen zu werden. Jesus von Nazareth hat damit allerdings keine Kraft, die der römisch-katholischen Lehre gegenübertreten kann, sondern geht in deren Lehre auf. Da aber Glaubensüberzeugungen im Rahmen der Bibelauslegung allenfalls ein motivierendes Vorverständnis sein dürfen, aber nicht Leitlinien der Exegese, überschreitet Benedikt XVI. an diesem Punkt die wissenschaftliche Exegese. Weil er aber das Ziel, Jesus zu begegnen, nicht aus den Augen verliert, sondern davon überzeugt ist, dass er die Grenzen überschreiten muss, um es zu erreichen, erscheint sein Anliegen legitim.

Man muss sich nur bewusst machen, was das leitende Interesse des Buches ist. Dass er dabei – wie in Vorabdrucken des 2.Bandes zu lesen ist – zuweilen eine historische Rekonstruktion vornimmt, die die historische Exegese auch überzeugt (z.B. die Datierung des Todestages Jesu nach dem Johannesevangelium) und diese dann theologisch deutet, lässt das Buch sehr lesenswert erscheinen. Es ist dem Papst zu wünschen, dass es seinem Buch gelingt, viele Leser zu einer Begegnung mit Jesus zu verhelfen. Aus evangelischer Sicht bleibt dabei allerdings zu hoffen, dass dieser (dem Leser begegnende) Jesus (dann) konfessionslos (geworden) ist.

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