Dalle Valli all’Italia I Valdesi nel Risorgimento (1848 – 1998)

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B. Bellion, M. Cignoni, G.P.Romagnani, D. Tron

Max Krumbach
Sundahlstraße 1, 66482 Zweibrücken

Einleitung G. Tourn, CSSV 16, Turin 1998

Die vorliegende Aufsatzsammlung ist rechtzeitig im Jubiläumsjahr 150 Jahre nach der Emanzipation der Protestanten und Juden im Königreich Sardinien erschienen.
Die Beiträge beginnen mit den Auswirkungen der französischen Revolution auf das Königreich Sardinien und enden mit der Eroberung des Kirchenstaates, der Vollendung der nationalen Einheit Italiens und seiner religiösen Freiheiten. Dieser Zeitraum wird in den beiden vor Jahren erschienen Bände zur Waldensergeschichte von A. Armand Hugon, Storia dei Valdesi, II, Dall’adesione alla Riforma all’Emancipazione (1532 – 1848), Turin 1974, und V. Vinay, Storia dei Valdesi, III, dal movimento evangelico italiano al movimento ecumenico (1848 – 1978), Turin 1980, behandelt. Die Verfasser des Sammelbandes verbinden die Emanzipation stärker als die erwähnten Arbeiten mit den politischen und geistigen Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Dadurch gewinnen die Ereignisse gegenüber der materialreichen Darstellung Vinays eigenständigere Konturen.
Für Leser im Südwesten Deutschlands sind unter den Beigaben ein Edikt aus der napoleonischen Zeit 1801, die Titelseite des Buches von M. d’Azeglio über die Emanzipation der Israeliten, die erste Seite der gedruckten Liste der 600 Namen unter ihnen die ersten drei Roberto d’Azeglio, Camillo Cavour, Cesare Balbo sowie der französische und italienische Text der königlichen Patente von besonderem Interesse. Piemont – Savoyen – Sardinien und die Pfalz teilen die geschichtlichen Erfahrungen im Wechselspiel mit ihrem westlichen Nachbarn Frankreich.
Dass die Zeit zwischen dem Wiener Kongress und 1848 nicht stillstand, arbeitet Daniele Tron in seinem Beitrag »Zwischen Diskrimination und bürgerlicher Freiheit Die Waldenser im savoyischen Piemont vor 1848« heraus. Er setzt mit einem Widerspruch des britischen Botschafters aus dem Jahre 1837 gegen die geplante Einschränkung der Rechte der Waldenser im neuen bürgerlichen Gesetzbuch ein. Nach der Restauration 1815 werden die Waldenser im Königreich Sardinien lediglich als »geduldete Kulte« toleriert. Das Vorhaben, sie nach 1815 wieder in ihre alten Grenzen zurückzudrängen und schrittweise die Freiheiten der französischen Zeit abzubauen, kann wegen der außenpolitischen Rücksichtnahme, u.a. auf britische Interessen, nicht völlig umgesetzt werden. Waldenser dürfen weiterhin gewisse Berufe ausüben sowie Grundstücke und Kirchen außerhalb ihres ursprünglichen Siedlungsgebietes behalten. Ähnlich ergeht es den Juden (S.20/21).
Unter dem Einfluss ihrer ausländischen Schutzmächte entstehen in den Tälern Krankenhäuser, ein College, ein Gymnasium und eine Lateinschule. Bemerkenswert ist die Ausbildung von Lehrern und Lehrerinnen (seit 1837!) Die heroische Gestalt dieser Entwicklung ist der britische General Charles Beckwith (1789 – 1863), ein Anglikaner (!). Auch der Hauptgegner der Waldenser, der in den Kategorien der Gegenreformation denkende und handelnde Bischof von Pinerolo und Erzieher der savoyischen Prinzen, Andrea Charvaz, wird gewürdigt. Mit dem Gesandten Waldburg – Truchseß tritt Preußen als neue Schutzmacht auf den Plan. Noch 1835 muß Alexis Muston das Land verlassen, weil er seine Straßburger Doktorarbeit ohne königliche Erlaubnis außerhalb des Landes drucken ließ (40f). 1844 deutet sich eine allmähliche Öffnung des Königshauses gegenüber den Waldensern an. Der König besucht Torre Pellice aus Anlass der Einweihung der neuen römisch-katholischen Kirche. Entgegen dem Protokoll begibt er sich ohne Polizeischutz zu den Waldensern, die ihn offen empfangen. Somit verwandeln sie ein römisch – katholisches Fest in ein Waldenserfest (S. 43ff).
Bruno Bellion zeichnet in »Die Waldenserkirchen zwischen Rationalismus und Erweckung« sorgfältig die Veränderungen in Theologie, Frömmigkeit und Lebensstil der Waldenser zwischen 1791 und 1848 nach. Erhellend sind seine Ausführungen über die internationalen Verbindungen der protestantischen Minderheit und deren Auswirkungen. Die Erweckungsbewegung mit ihrer Trennung in erweckte und nicht-erweckte Christen droht die enge Verbindung zwischen Kirche und Kultur zu zerreißen und gefährdet damit das Überleben der Waldenserkirche. Sie signalisiert, dass das Ende des traditionellen Volkskirchentums kommt. Zugleich ist diese Zeit reich an Neuerungen auf den Feldern Liturgie, Kirchenmusik, Kirchenzucht und Bildung. Nach englischem Vorbild wird das Collegio errichtet.
Gian Paolo Romagnani fasst im Titel seines Beitrags programmatisch das Jahr 1848 und seine Folgen für die Protestanten im Königreich Sardinien zusammen: »Die Waldenser im Jahr 1848: Von der Emanzipation zur Entscheidung für Italien.« Darin arbeitet er u.a. den Beitrag des römisch-katholischen, liberalen Politikers Roberto d’Azeglio und des preussischen Gesandten Friedrich von Waldburg – Truchseß heraus. Zum Jahr 1848 gehört Papst Pius IX., der die von ihm geweckten Hoffnungen bitter enttäuscht und als Reaktionär in die Geschichte eingeht. Ausführlich stellt der Verfasser die Vorgeschichte der Emanzipation der Nichtkatholiken und die Beteiligung des Turiner Botschaftspfarrers, des Waldensers Amedeo Bert, dar. Die vor Weihnachten 1847 dem König Karl Albert übergebene Petition trägt neben der Unterschrift d’Azeglios und Camillo Cavours, des späteren Ministerpräsidenten Italiens, die Unterschriften von 65 römisch-katholischen Geistlichen. Der französische und italienische Text der am 17. Februar 1848 unterzeichneten, aber erst am 24. Februar veröffentlichen königlichen Patentbriefe sind in Kopie abgedruckt. Leider streift der Verfasser die entsprechenden Quellen zur Judenemanzipation nur am Rande. Denn die gemeinsame geschichtliche Erfahrung von Juden und Protestanten ist der Schlüssel, um das Eintreten der italienischen Protestanten für die Juden während des Faschismus zu verstehen (vgl. S. 71, 76f, 79f, 87f, 94). Ähnliches gilt für den französischen Protestantismus während der deutschen Besetzung. Die Verfassung vom 4. März 1848 bestimmt die »römisch-katholische Religion« immer noch als »Staatsreligion«. Protestanten und Juden wird das uneingeschränkte Bürgerrecht verliehen. Ihre Gemeinden und Gottesdienste werden als »zugelassene Kulte« offiziell erlaubt (S.87). Faktisch bedeutet dies das Ende der Gegenreformation. Es zieht einen erbitterten Kampf zwischen römisch-klerikaler und antiklerikal-liberaler, laizistischer Staatsauffassung nach sich, der bis heute die italienische Innenpolitik bestimmt.
Aufschlussreich sind die Abschnitte, in denen das allmähliche Einsickern der Protestanten in die Hauptstadt Turin, die Karriere des waldensischen Unternehmers und Politikers Joseph Malan, die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Politik und die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung untersucht werden. Als Ergebnis bleibt: die Waldenser »italienisieren« sich, sie nehmen am Leben der Nation teil, sie bewegen sich auf einem Gelände, das der Liberalismus und die von ihm geschaffenen Institutionen für sie eröffnet haben. Deshalb befürworten sie bis heute die strenge Trennung von Staat und Kirche.
Die Emanzipation von 1848 zeitigt mit der Einheit Italiens weitere Folgen. Die Evangelisation Italiens wird pluralistisch, obwohl die Waldenser die Hauptlast tragen. Dafür stehen »vier Symbolfiguren«: »der Kolporteur, der Evangelist, der Pfarrer und die Lehrerin«(! S. 96/97) » Zuerst und in größerem Maße als der Ort, an dem Gottesdienst gefeiert wurde, erkannte das Volk in den Volksschulen die wahre Neuheit, die der neue Glaube gebracht hat« (S.97). In diesen Jahrzehnten bilden sich die »freien Kirchen«, protestantische Gemeinden, die sich vor allem der als fremd empfundenen reformierten Kirchenordnung entziehen. Daneben entstehen unter ausländischem Einfluss methodistische, baptistische u.a. Gemeinden.
Mario Cignoni widmet den vierten Beitrag dieses Sammelbandes den Folgen der Emanzipation: »Die Waldenser in Italien (1848 – 1870)«. Er setzt sich dabei mit den Arbeiten Spinis und Vinays auseinander. Bei Spini kri-tisiert er die Überbetonung des politischen, bei Vinay die des ökumenischen Aspektes (S. 104), die beide dem 19. Jahrhundert nicht gerecht werden. Er warnt davor, den Beitrag einzelner herausragender protestantischer Persönlichkeiten zu überschätzen. Er hebt hervor, dass »es die Geschichte einer ganzen Kirche, eines Volkes ist, das aufwacht und wächst« (S. 105). Der Hauptunterschied zwischen römischen Katholiken und Protestanten besteht in der Rolle und dem Gebrauch der Bibel (S.107). Klar arbeitet der Verfasser die Herausforderungen und Veränderungen für eine Kirche heraus, die ihr Alpenghetto verlassen darf: »Von 1848 an mussten die Waldenser, zum erstenmal seit Jahrhunderten, lernen, das Evangelium Nichtwaldensern zu verkündigen …. Und man konnte und kann Christus nicht einer Masse von Analphabeten und religiös Ungebildeten predigen, ohne stark missionarisch motiviert zu sein« (S. 109).
In weiteren Abschnitten widmet er sich dem Verhältnis zwischen Waldensern und den anderen protestantischen Gruppen. Er unterstreicht die Bedeutung der italienischen Bibel Diodatis für die Entstehung neuer Waldensergemeinden und schließlich der Übernahme waldensischer Gemeindestrukturen mit Presbyterien, Pfarrern, Lehrerinnen und Lehrern, Kirchengebäuden, Schulen und Friedhöfen im vereinigten Italien (S. 111ff). Es folgt die Darstellung bekannter Schritte auf diesem Weg zwischen 1848 und 1859 wie die Gründung der theologischen Fakultät, des Verlagshauses Claudiana, die Entstehung der waldensischen Teilkirche, die sich am Rio de la Plata aus Auswanderern gebildet hat, und Gemeindegründungen in einzelnen Territorien, die Teil des neuen Einheitsstaates werden. Er schließt mit dem »italienischen evangelischen Kongress«, der 1872 in Florenz stattfindet. Bei ihm treffen sich alte und neue Waldenser, Freunde und als Gäste ausländische Protestanten.
Den Sammelband beschließen 24 knappe Lebensläufe, die am Beispiel einzelner Personen den Weg der Evangelisation in Italien nach der Emanzipation 1848 veranschaulichen. 

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