Wie der Funke überspringt

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Kreativität ist lernbar – Konzeption einer Homiletischen Didaktik

Julia Neuschwander
Luitpoldstraße 8, 76829 Landau

Wie haben Sie eigentlich predigen gelernt? Als Vorbild in Abgrenzung und Entsprechung war es bei mir mein Konfirmator, der hier eine wichtige Rolle spielte. Vorher erinnere ich mich noch an das Gefühl meiner ersten Lesung als Konfirmandin im Gottesdienst in großer Selbstverständlichkeit und großem Ernst. Wie ich in der Schule Deutsch, Latein, Griechisch und Geschichte gelernt habe, wirkte sich, im Rückblick besehen, ebenfalls auf meine spätere Art zu predigen aus und zwar in Inhalt und Form. Beim „Maria durch ein Dornwald ging“-Gesang fürs Krippenspiel versagte mir übrigens leider schon bei der ersten Probe in der Kirche vor lauter Rührung die Stimme. Kluge Seminare und Werkstattsituationen während des Studiums bei innovativ und experimentell wirkenden Praktischen Theologen wie Manfred Josuttis und Christoph Bizer prägen mich methodisch bis heute. Meine erste Beerdigung im Vikariat mit erster eigener Kasualpredigt erinnere ich als reine Katastrophe, von der ich mich erst mal 14 Tage emotional erholen musste.

Verblüffend, welche Literatur mich jeweils in meiner Praxis begleitet hat, und welche eigentlich überhaupt nicht. Irgendwann habe ich Kurse im journalistischen Schreiben besucht, Ausbildungsworkshops für die Verkündigung in den Medien in Rundfunk und Fernsehen und eine Theatergruppe. Nicht zu vergessen die viele Praxis. So habe ich predigen gelernt. Wie haben Sie predigen gelernt? Sicher ist, jeder und jede von uns hat das Predigen ein bisschen anders gelernt und so das eigene Profil, die eigene Prediger- oder Predigerinnenpersönlichkeit individuell entwickelt. Und vielleicht würden wir alle eins gleich beschreiben, wenn wir nachdenklich und amüsiert auf unsere jeweilige Lernbiographie zurückblicken: Dass wir unser Predigenlernen als lebenslangen Prozess empfinden, der sowohl in institutionalisierten als auch in informellen Zusammenhängen stattgefunden hat und stattfindet und im gleichen Maße von didaktisch initiiertem als auch von selbst gesteuertem Lernen bestimmt war und ist.

„Wie rekonstruieren Pfarrerinnen und Pfarrer die Genese ihrer individuellen homiletischen Kompetenz?“ Diese Frage stellt sich Annette Müller und beleuchtet zurzeit subjektive Theorien über den personenspezifischen Erwerb homiletischer Kompetenz in ihrem Promotionsvorhaben. Dazu hat sie in einer qualitativen Studie teilstandardisierte Interviews mit fünf evangelischen Pfarrerinnen und sechs Pfarrern geführt, alles routinierte Predigern und Predigerinnen, von denen viele von sich sagen würden, dass Predigen das ist, was sie am liebsten machen, vielleicht am besten können. Als intensivsten Lernkontext in ihrer homiletischen Lernbiographie wurde von ihnen das Wirken im professionellen Kontext selbst, der Pfarrberuf an sich benannt, gefolgt vom Vikariat (10 Nennungen, bzw. 9 Nennungen). 

Das Lernen im Studium wurde dagegen seltener erwähnt (mit 4 Nennungen). Als wichtigster Lernfaktor wurde das Lernen durch Predigtpraxis benannt, dicht gefolgt vom Lernen durch Personen, bei dem das Lernen durch Imitation oder Abgrenzung ein besonders wirksames Moment darstellt. Achtmal wurde angegeben, dass die Auseinandersetzung mit homiletischen Entwürfen oder Veröffentlichungen ein prägendes Moment homiletischen Lernens sei – gleichrangig mit dem Lernen im Zuge von Auslandsaufenthalten. In fünf Fällen wurde angegeben, dass homiletisches Lernen durch Transfer aus anderen Lebensbereichen befördert wurde. Erstaunlich ist, dass zwei der von ihr befragten Predigerinnen die Wurzeln ihrer homiletischen Kompetenz bereits in der Kindheit bzw. frühen Jugend verorten. Eine homiletische Didaktik müsste also nach den von Annette Müller skizzierten Aussagen und bestätigt durch unsere eigene Lernbiographie folgendes berücksichtigen: dass homiletisches Lernen zutiefst subjektives und individualisiertes Lernen ist, selbstgesteuertes, selbstreflektiertes Lernen, das auf die individuelle Ausbildung homiletischer Kompetenz angelegt ist in der Perspektive lebenslangen homiletischen Lernens.

Nach Bernd Schmid[1] kommt im Ansatz der systemischen Transaktionsanalyse professionelle Kompetenz von Professionsberufen dadurch zustande, das der Ausbildungskandidat zahlreiche Lernschleifen zwischen den Dreieckspunkten „Professioneller Kontext“„Konzeptualisierung von Theorie“ und „Praxis“ durchläuft und in einer Ausbildungssituation bewusst reflektiert. Wie bei einer Toblerone-Schokolade, die aus vielen hintereinander gruppierten Schokoladendreiecken besteht, entwickelt sich professionelle homiletische Kompetenz durch viele in dieser Art hintereinander gelagerten Dreiecke zwischen Kontext, Konzeptualisierung und Praxis und macht sie letztendlich aus. 

Im Rückblick auf die eigene Lerngeschichte sind das die vielen Kapitel, die vom jeweiligen Kontext wie Schule, Gemeinde, Studium oder Vikariat erzählen, von der jeweiligen Theoriebildung und der jeweiligen Praxis als Person in der jeweils beruflichen Rolle. Wie bei einer Toblerone, dem Schokoladenriegel aus lauter hintereinander gelagerten dreieckigen Kuppen, wird also nach Schmidprofessionelle Kompetenz ausgebildet, wenn immer wieder neu die drei Eckpunkte durchlaufen werden bis zum Ende der pastoralen Ausbildungsphase, in der LektorInnen- und PrädikantInnenausbildung. Dann geht es weiter in immer weiteren „Schokoladedreiecken“ in lebenslangem, homiletischem Lernen. Dabei muss sich professionelle Kompetenz bei jedem und jeder im Professionsberuf unterschiedlich zusammen setzen, je nachdem, welche wissenschaftliche Theorie, welche theologischen Modelle und Modelle der Begleitwissenschaften von ihm oder ihr hinzugezogen wurden –  und je nachdem, welche Fälle oder Projekte die Praxis jeweils bietet. 

Um im Bild zu bleiben: Die Schokolade hat unterschiedlichen Geschmack, je nachdem, welche Zutaten hinzukommen, mehr Kakao oder Honig, Kakaobutter oder Nüsse, Rosinen oder Mandeln, Zucker oder Butter. Professionelle Kompetenz hat unterschiedlichen Geschmack. Jeder professionelle Prediger hat sein eigenes individuelles Profil, jede professionelle Predigerin ihre eigene pastorale Originalität. Da das auftragsgemäße Handeln in der Predigtaufgabe Kompetenzen verlangt, die nicht als reine Verhaltensregeln erlernbar sind in Situationen mit überkomplexem Anforderungsprofil, ist eine homiletische Aus-, Fort- und Weiterbildung hilfreich, die in subjektbezogenen, individuellen Lernen in verschiedenen Perspektiven Handlungsfähigkeit hervorbringt in Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit in jeweils pastoraler Originalität. 

Wenn die Qualität einer Predigt mit den Kriterien Stimmigkeit, Relevanz und Spannung beschrieben werden kann, anders gesagt in Stimmigkeit, Relevanz und Inspiration, dann besteht die in Bildungsprozessen angestrebte homiletische Kompetenz einer homiletischen Persönlichkeit darin, im jeweiligen professionellen homiletischen Kontext die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sei es bei der Trauerfeier nach dem Tod eines Kindes, bei der Ansprache der Jubelkonfirmationsfeier, bei der Predigt in der Milieuvielfalt einer Sonntagsgemeinde oder im vorgegebenen Musik-Bett im Radio. Homiletische Kompetenz in Kompetenz und Kompermanz, im Wissen und im Können, besteht darin, die richtigen Entscheidungen zu treffen, aus vielen Handlungsoptionen die jeweils stimmigen Worte auszuwählen und relevante Themen – und das zu präsentieren in einer spannenden bzw. inspirierten Form in der Performanz. 

Es hieß „Bing“, das Spiel, das unsere Töchter mit meinem Mann besonders gern spielten in einem Alter zwischen ein bis drei Jahren. Mein Mann nähert sich dabei unserer Tochter, die sich auf meinem Arm befindet. Er lächelt entspannt und hält ihr locker seinen ausgestreckten Zeigefinger entgegen. Interessiert schaut das kleine Mädchen auf seinen ausgestreckten Finger, während er freundlich den Blickkontakt hält, bis das Kind, nun richtig neugierig geworden, ihm nun ebenfalls sein Fingerchen entgegenstreckt, während es sich mit dem anderen Ärmchen fest am Arm der Mutter hält. Eine erwartungsvolle Pause entsteht. Spannung liegt in der Luft. 

Nun nähert sich der Finger meines Mannes langsam und behutsam der kleinen Fingerkuppe des Kindes, und „Bing!“ berührt den Kinderzeigefinger mit seinem Finger. „Bing!“ sagt er dabei, sehr zur Freude seiner Tochter. Lachend und juchzend bejubelt sie diese Klangberührung und verlangt nach einer Wiederholung, wobei sie die spannungsvolle Pause vor dem nächsten, nun erwarteten „Bing“ besonders genießt. „Bing“ heißt dieses Spiel. Vermutlich hieß es auch „Bing!“, was Gottvater einst mit Adam gespielt hat. Nach dem Bild, das Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom zwischen 1508 und 1512 an die Decke gemalt hat, könnte es „Bing!“ gewesen sein. In jedem Fall sind auch hier zwei ausgestreckte Zeigefinger mit im Spiel. Zwei Zeigefinger, die kurz davor sind, sich zu berühren. 

Ein wenig Luft ist noch zwischen ihnen. Sie sind wirklich ganz kurz davor. Spannung liegt in der Luft. Links die entspannt gehaltene linke Hand des bequem zurück gelehnten jugendlichen Adams, der noch unbeseelt seinen Ellbogen lässig auf´s Knie gestützt hat. Rechts der mit Energie gefüllte rechte Zeigefinger Gottes, der als überaus dynamischer alter Mann mit wehenden Rockschößen aus der Luft heraus an den am Boden befindlichen Adam herangetragen wird. Yin und Yang. Die beiden Männer schauen sich in die Augen. Es ist ein Moment voller Spannung, den der Maler bis heute festgehalten hat für viele, viele Generationen. Ein Zwischenraum: Zwei Zeigefinger, heute überzogen mit den Rissen des Alters, die kurz davor sind, sich zu berühren. „Bing!“ Was dann wohl kommt. Rötlich-weißer Funkenschlag, wenn menschliche und göttliche Fingerkuppen sich berühren? Oder einfach nur ein warmes beseeltes Lächeln auf den Lippen Adams? 

Wie man optimale Bedingungen schafft, damit der Funke überspringt, so lautete die Fragestellung zweier homiletischer Didaktik-Entwürfe aus den 70er Jahren. Der eine Titel „Didaktik der Predigt. Materialien zur homiletischen Ausbildung und Fortbildung“ wurde im März 1975 herausgegeben im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft katholischer Homiletiker von P. Düsterfeld und H. B. Kaufmann und der andere Titel „Kreativität und Predigtarbeit. Vielseitiger denken. Einfallsreicher predigen“ von Heribert Arens, Franz Richardt und Josef Schulte in der Erstauflage von 1974. Ein rundes Bündel Streichhölzer ist auf dem tiefschwarzen Bucheinband des letzteren Buchtitels zu sehen. Ein rundes Bündel Streichhölzer, das mit seinen roten Zündköpfen auf die gelbe Flamme des entzündeten Streichholzes wartet. Es ist der wieder der berühmte Moment kurz davor. Yin und Yang. Die Flamme im Hintergrund, gelb und orange mit wolkigen Energieballungen zu sehen, nähert sich von der Seite, das Streichholzbündel wartet so konzentriert auf seine Initialzündung, um dann irgendwann „Bing!“ von der Flamme angesteckt, anfängt zu brennen. Ein Zündköpfchenfeuer, bestimmt schön explosiv und hochsprühendes knisterndes Feuer.

Grundthesen hinter beiden Entwürfen: Kreativität ist lernbar. Gute Predigt-Einfälle sind lenkbar. Schöpferisch und mit Freude Predigen ist in erster Linie eine Frage des Handwerks. Dies sind für eine homiletische Didaktik bis heute überzeugende Grundansätze auch nach fast 40 Jahren, wie sie in ihrer didaktischen Theorie die damals aktuellen kreativitätstheoretischen Erkenntnisse für die Predigtlehre nutzbar gemacht haben. So nutzten sie zum Beispiel wie ein Zündelspiel zur Initiation von Kreativität Vorgänge der Bisoziation, der bewussten Verbindung ursprünglich getrennter Bezugssysteme. Dabei wird in einer Methode der Synektik das zusammen gebracht, was zunächst außerhalb liegt, das Fremde vertraut gemacht und dann wieder das Vertraute fremd gemacht, d.h. aus einer völlig neuen Sicht betrachtet[2], um den daraus entstehenden Mehrwert der Kreativität zu nutzen, zum Beispiel bei den beiden Bereichen Text und Situation. 

Außerdem enthielt ihre homiletische Didaktik auch heute noch einleuchtende grundsätzliche pastoralpsychologische Überlegungen zum Berufsbild der Pfarrperson, die sie versuchten, miteinander in Einklang zu bringen mit dem Anspruch einer kreativen und neuschöpferischen Predigttätigkeit in der Predigtaufgabe. „You can´t start a fire without a spark“[3] singt Bruce Springsteen in seinem Lied „Dancing in the Dark“. Wie man optimale Bedingungen schaffen kann, damit der Funke überspringt. Wie viele Zeigefinger vor einem Jahr beteiligt waren, als der Funke zum Projekt einer Homiletischen Didaktik übergesprungen ist, lässt sich rekonstruieren. Mehrere Predigtlehrende sitzen um einen Tisch im Festgemurmel am Rande der Abschiedsfeierlichkeiten des Zentrumsleiter Alexander Deeg anlässlich des Homiletischen Fachgesprächs 2011.Sie unterhalten sich: Wie schafft man optimale Bedingungen, damit der Funke überspringt: der Funke in der Predigtarbeit und der Funke in der lehrenden Begleitung von Menschen in der Predigtaufgabe? Welches sind die aus eigener Erfahrung besten Lernarrangements, die das jeweils individuelle Predigenlernen von Studierenden, VikarInnen, LektorInnen, PrädikantInnen, Pfarrerinnen und Kirchenleitenden besonders gut unterstützen können? Bing! 

Bewährte didaktische Methoden zu sammeln, zu sichten und zu ordnen, die bereits in der Praxis erprobt waren, war die Idee, und im Sinne eines Qualitätsmanagements jede neue Methode in der Gruppe selbst zu erproben und sie zu kategorisieren, bevor sie veröffentlicht wird, ist der Anspruch. Gemeinsam kann die Redaktionsgruppe[4] auf ein Jahrhundert homiletisch-didaktische Praxiserfahrung zurückblicken mit Lehraufträgen in universitärem und kirchlichem Kontext, mit theologischem, literaturwissenschaftlichen und supervisorischem Hintergrund und Praxiserfahrung im gemeindlichen Kontext und in der Verkündigung in den Medien. Homiletisches Fachgespräch, Invokavit 2012, nach einem Jahr schließt sich der Kreis, ich freue mich, Ihnen die vorläufige Gestalt und erste Konkretionen des Projekts vorstellen zu können, nachdem ich im prozessorientierten andragogischen Lernmodell der Toblerone und im kreativitätstheoretischen Ansatz der Bisoziation bereits zwei wesentliche Grundentscheidungen der geplanten Didaktik berührt habe.

Jede gute „Homiletik“ hat sich irgendwann einmal der Frage gestellt: „Was ist eine gute Predigt?“ und setzt so die Voraussetzungen eines produktbezogenen Qualitätsmanagements. Eine gute „Homiletische Didaktik“ fragt dagegen in der Zielrichtung personenbezogenem Qualitätsmanagements, welche Kompetenzen ein guter Prediger, eine gute Predigerin haben muss, um individuell homiletisch-professionelle Kompetenz auszubilden. Die Leitfrage einer homiletischen Didaktik ist: „Welches Lernarrangement, welche Lernmethode nutze ich als Predigtausbilderin, um welche homiletischen Kompetenzen meines Ausbildungskandidaten zu fördern?“ Eine verantwortliche homiletische Didaktik beschreibt homiletisch-professionelle Kompetenz in ihren fachlichen, methodischen, personalen und sozialen Kompetenzen, um unter Maßgabe dieser Bildungsstandards selbstreflektierte und selbstverwaltete Bildungsprozesse initiieren zu können. Ausbildungsziel der Ausbilderin, des Predigtcoach, ist dabei grundsätzlich, Entwicklung zu fördern, nämlich die autonome Entwicklung meiner Ausbildungskandidatin zu individueller pastoraler Identität in der homiletischen Grundaufgabe. Dies kann nicht anders geschehen als in einem Bildungsparadox zwischen den von mir vorgegebenen Strukturen als Ausbilderin und der zu fördernden Freiheit meines Ausbildungskandidaten. Das vertragsartig geschlossene Ausbildungsverhältnis von mir als homiletischer Ausbilderin beginnt auf den Stufen der Autonomie möglicherweise zunächst geprägt von Geborgenheit, ist dann bestimmt von Abgrenzungsprozessen bis hin zur Selbstständigkeit meines Ausbildungskandidaten in der Perspektive wechselseitiger Bereicherung[5].

Die Aus-, Fort- und Weiterbildung der jeweiligen professionellen homiletischen Kompetenz geschieht im benannten Toblerone-Dreieck sinnvollerweise nicht im freien Raum. Sie ist verankert im professionellen Predigt-Kontext, der Konzeptualisierung von Theorie und in der reflektierten Praxis als Person in der Rolle. In einem verantworteten Ausbildungsvertrag auch nur für eine Übung sind entsprechende Bildungsstandards benannt: Sowohl dem Weiterbilder als auch der Weiterbildungskandidatin ist bekannt, welche personalen und sozialen Kompetenzen, welche kreativen, rhetorischen und performativen Kompetenzen grundsätzlich jeweils in der konkreten Übung entwickelt werden können. Zielgruppe der Homiletischen Didaktik sind Lehrende, das heißt AusbilderInnen in homiletischen Aus-, Fort- und Weiterbildungskontexten stehen im Fokus in der PrädikantInnenfortbildung, Universität, Predigerseminar, MentorInnen in der VikarInnenausbildung und im Coaching Kirchenleitender.

Das geplante Buch hat die Funktion „train the trainer“ und wie der bereits bestehende englische Titel „Teaching preaching“ zu verstehen gibt, in einer Sprache von Predigtcoachs für Predigtcoachs: Erfahrene Lernprozessbegleiter präsentieren wirksame Übungskonstellationen. Dieser Anspruch soll in Zukunft dadurch eingelöst werden, indem das Zentrum für Evangelische Predigtkultur Predigtlehrende unter uns um ihren Beitrag bitten und Sie herzlich dazu einlädt, bewährte Methoden aus ihrer Praxis in dieser Didaktik zugänglich zu machen. Als „train the trainer“-Buch enthält es Reflektionen über Rolle, innere und äußere Haltung des Ausbilders und dessen Kompetenz und wird ein konkretes andragogisches Lernmodell empfehlen wie zum Beispiel das nach Gertrud Wolf (2011), die das Lernen des Erwachsenen im Gegensatz zum Lernmodus der Anpassung beim Kind durch den Lernmodus der Differenzierung benennt unter Aspekten der Autonomie, Beziehungsfähigkeit und des Selbstvertrauens.[6]

Als äußere Form ist ein Methodenbuch angedacht mit einer kategorisierten Methodensammlung. Eine andere Gestalt wäre, in der Form eines Zettelkastens mit Karteikarten das Buch freier als Methodenkasten nutzen zu können, wie es auch in der Form eines e-books oder als Abo-Dienst online möglich wäre. Allen vier Möglichkeiten gäbe folgendes Raster zur Methodenbeschreibung Struktur, das unter Verwendung eines Methodenrasters von Annette Müller und des Methodenraster der von Armin Rohm 2004-2010 herausgegebenen Bände „Change Tools“ im Redaktionskreis entwickelt wurde: Kurzbeschreibung der Methode, Zielgruppe/Anwendungsbereiche, Ziele/Nutzen bzw. Kompetenzen (die gefördert werden sollen), theoretischer Hintergrund/weiterführende Literatur, Zeitbedarf/Dauer, Material (technische Hinweise, Medien),Gruppengröße, Beschreibung (= ausführlichster Teil), Schritt 1 ff., (Notwendige) Voraussetzungen und Kenntnisse der Lehrenden/Kompetenz des Coachs, Kommentar (aus der Erfahrung des Lehrenden, der die Methode entdeckt bzw. entwickelt und erprobt hat), Quelle der Methode (Literaturangabe oder Angabe des eigenen Namens).

Die Abfolge der einzelnen Kapitel einer Homiletischen Didaktik orientiert sich nur indirekt an den Entstehungsprozessen einer Predigt, vorrangig an den Entwicklungsprozessen einer homiletischen Persönlichkeit. Das Kapitel „Anwärmen/Das Feuer entfachen“ stellt Methoden vor, die prozessorientiert grundlegende homiletische Kompetenzen der Prediger und Predigerinnen fördern, auch wenn beim „Vorglühen“ nur manchmal ein verwendbares Predigtwerkstück oder ein „Move“ (Martin Nicol) entsteht. Hinter der Leichtigkeit eines Seiltänzers steht bekanntlich tägliches stundenlanges, hartes körperliches Training. So wie der Marathonläufer viele Tage kleinere Strecke läuft, um schließlich den ganzen 42 km langen Lauf im Wettkampf anzugehen, bereitet sich auch der künftige Prediger, die künftige Predigerin in kleinen Etappen auf´s Predigen vor. Wer seine Stimme vorab technisch schult und pflegt, hat das richtige Handwerkszeug für die Performanz. Zum „Vorglühen“ des homiletischen Feuers gehört eine Sammlung kreativitätsfördender Übungen und Methoden u.a. mit Schreibübungen wie beim Experimentieren mit Sprache im literaturwissenschaftlichen Kontext. Eine Erzählübung mit Kunstbildern in der Gruppe sensibilisiert u.a. die subjektive Wahrnehmung des Predigers, schult seine Fähigkeit, mit Bildern und Farben Emotionen beim Zuhörer zu wecken und zu lenken im Blick auf subjektive Prozesse der Rezeption. Die Beschäftigung mit Theoriemodellen und theologischer Literatur verbunden mit der Entwicklung des eigenen theologischen Ansatzes stärkt theologische Kompetenz und trägt zur Entwicklung der eigenen inneren homiletischen Haltung bei. Ein spirituelles Tagesbuchs fördert theologisch-personale Kompetenz und wirkt sich unmittelbar auf die pastorale Identität des Predigers, der Predigerin aus. Beides hat damit unmittelbare Auswirkungen auf die Präsenz des Predigenden in der Performanz. 

Der Überzeugung, dass Inspiration in erster Linie Technik ist, folgt das Kapitel „Funkenflug“/ „Entzünden“.  Ein Coach bildet homiletische Kompetenz aus, indem er durch spezielle Lernarrangements Predigtentstehungsprozesse in Vorgängen der Bisoziation und Synektik initiiert. Hier entsteht eine Sammlung von Methoden, die dabei helfen, sich überraschend berühren zu lassen an Leib und Seele in anderen Kontexten, in künstlerisch-verfremdenden Arrangements, „im Ausland“ dem noch so altbekannten Bibeltext als „fremden Gast“ (Karl Heinrich Bieritz)neu zu begegnen. Als Prediger an den Grenzen lernen, als Predigerin im Zwischenraum ausharren, in der gruselig-spannenden Vorfreude, gleich berührt zu werden: An dieser Stelle sind besonders die homiletisch-liturgischen Exkursionen von Dietrich Sagert vom Zentrum Evangelischer Predigtkultur zu nennen. Sehen, Singen, Denken, Hören und Fühlen. Mit Installationen aus historischen und aktuellen, auch politischen Film-, Bild-, Ton- und Textdokumenten, biblischen Sprachen und in eigener liturgischer Beteiligung erfahren die routiniertesten Prediger und Predigerinnen bewusst initiierte Bisoziations- und Verfremdungseffekte und werden von einem selbst altbekannten Bibeltext neu und existentiell berührt.

Sich entzünden lassen, Funkenflug in der Predigtarbeit: Robert Ranke-Graves beschreibt in seinem Buch „Die weiße Göttin“ Poesie so: Man erkennt sie, wenn man sich beim Rasieren ein Gedicht aufsagt und sich dann „ein seltsames Gefühl zwischen Wonne und Schrecken (einstellt), dessen rein physische Wirkung buchstäblich `haarsträubend` ist“.[7]Sich entzünden lassen zu wollen heißt manchmal auch erstmal, mit Meike Schult zu fragen: „Welcher Stromschlag am Zaun holt mich wie ein Pferd auf der Weide wieder zurück, so dass meine kreativen Prozesse nicht weiter gehen können?“ Also auch, welche Lern-, Denk- und Arbeitsblockaden halten mich davon ab, schöpferisch in meiner Predigtarbeit zu wirken? Methoden, die geeignet sind, die eigene innere Zensur zu überlisten, Blockaden aufzulösen und sich selbst als Person der Predigerin, Text, Situation und die Welt neu wahrzunehmen, finden hier ihren Platz wie z.B. beim Clustern zu einem Begriff oder einem Satz, Schreiben in einem durchgehenden Fluss oder die bewährte Zettel-Methode der Sprech-Denkversuche von Rolf Zerfaß.

„Das Feuer nähren“ ist Methoden gewidmet, die der Entwicklung theologisch-rhetorischer Kompetenzen im umfassenden Sinne dienen. Ein guter Coach erstellt Lernarrangements, die die Förderung sprachlicher und analytisch-kognitiver Kompetenzen zum Ziel haben, sowie die Vermittlung von Expertenwissen in Bezug auf Sammeln, Ordnen und Strukturieren von Predigtgedanken. Eine gute Weiterbilderin informiert bezüglich der Gattung und ihrer sprachlichen Ausgestaltung und übt sie mit ihren Fortbildungskandidaten am konkreten Fall in der konkreten Praxis ein.

„Leuchten“ bezeichnet das Kapitel, in dem Methoden zur Entwicklung theologisch-performativer Kompetenz gesammelt sind. Die Nähe zur Performanz, zur konkreten Predigt, ist hier am größten. Welche Rahmenbedingungen sind dafür entscheidend, dass der Funke in einer Gemeinde überspringt? Wie kommt es, dass dieselbe Predigt in einem anderen liturgischen Rahmen eine völlig andere Wirkung bekommt? Ein guter Weiterbilder hat einen ganzheitlichen Blick auf Stimme, Spreche, Atem, Körper, Interaktion und Raum und den Stand der Lernentwicklung seiner Weiterbildungskandidatin. Hilfreiche Übungen könnten Stimmübungen oder Übungen aus dem Theater sein, die der Ausbildungskandidatin helfen, bei der Performanz ihres selbstgeschriebenen Textmanuskripts zu dem ihr gemäßen Ausdruck zurück zu finden in Natürlichkeit und homiletischer Präsenz. Übungen wie dazu anzuleiten, mit vorgegebenem emotionalen Ausdruck den eigenen Text verfremdend zu sprechen, um durch das Fremde das Eigene wiederzufinden.

„Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“, sagte Fritz Walter. Das letzte Kapitel „Das Feuer hüten“  oder „Nachglühen“ berücksichtigt diese tiefschürfende fußballerische Erkenntnis. Durch die Vermittlung von Feedbackmethoden in Selbst- und Fremdevaluation und möglicherweise die Erfassung des Auredits der Hörerinnen und Hörer (Wilfried Engemann) stärkt ein guter Coach die professionell-homiletische Kompetenz seiner Predigerinnen und Prediger und trägt so nachhaltig zur Qualitätsentwicklung von Predigten und Gottesdienst bei. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Bing. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. 

Vortrag von Julia Neuschwander (Dozentin für Homiletik, Leiterin des Prot. Predigerseminars Landau und Mitglied des Redaktionskreises „Didaktische Homiletik“) am 24.02.2012 beim Homiletischen Fachgespräch des Zentrums für Evangelische Predigtkultur in Wittenberg. 

[1] Bernd Schmid, Systemische Professionalität und Transaktionsanalyse, Berlin 32008, 83-108.

[2] AaO, Seite 19. 

[3] Vgl. Dejan Vilov (Hrsg.), Angedacht. Am Anfang war das Wort, Speyer 2012, Seite 1.

[4] Mitglieder der Projektgruppe: Dr. Meike Schult, Tobias Schüfer, Olaf Trenn, Susanne Platzhoff, Julia Neuschwander, Leitung: Dietrich Sagert (Zentrum für Evangelische Predigtkultur ‚Wittenberg), Projektbegleitung: Prof. Dr. Alexander Deeg (Leipzig).

[5] Johann Schneider, Supervision. Supervidieren und beraten lernen. Praxiserfahrene Modelle zur Gestaltung von Beratungs- und Supervisionsprozessen, Paderborn 2000, 177.

[6] Gertrud Wolf, Zur Konstruktion des Erwachsenen. Grundlagen einer erwachsenen-pädagogischen Lerntheorie, Wiesbaden 2011.

[7] Robert Ranke-Graves, Die weiße Göttin, Sprache des Mythos, Berlin 1985, Seite 22.

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