Dr. Dirk Kutting
Hermann-Ehlers-Straße 10a, 55112 Mainz
Eilert Herms stellt Schleiermachers Eschatologie im Gesamtzusammenhang seiner Glaubenslehre (GL) dar, daher werde ich zuerst mit Herms den Ansatz der Glaubenslehre nachzeichnen (1.) und dann den Ort der Eschatologie innerhalb der GL bestimmen (2.). Schließlich betrachten wir Grundfragen (3.) und folgen der Durchführung der Eschatologie Schleiermachers (4.).
In meinem Vortrag folge ich in allen Punkten der Darstellung von Eilert Herms, wenn dadurch manches für einige der Anwesenden all zu selbstverständlich scheint, freue ich mich. Schließlich macht Herms immer Mut dazu, keinen Kreativitäts- und Originalitätsansprüchen genügen zu müssen. Mir hat das immer geholfen, gute Inhalte auch ohne allzu viel eigenen Senf rekapitulieren zu dürfen.
1. Der christliche Glaube
Zunächst eine Selbsterfahrung. Haben Sie schon mal gebetet? Haben Sie wirklich schon mal ein Vater-Unser gebetet? Letzten Sonntag in der Kirche beim Gottesdienstbesuch merkte ich es wieder. Beim Vater-Unser, bei den Fürbitten, mischten sich trotz meines redlichen Bemühens ganz bei der Sache, d.h. beim Gebet zu sein, immer wieder kurze Gedanken ein, z.B. an das Mittagessen. Ich versuchte sie zu verbannen, dennoch tauchten sie einfach auf.
Luther ist es wohl nicht anders gegangen. Warum hat ihn die Messfeier so sehr in Verzweiflung getrieben? Er merkte, dass die Zeit zwischen Beichte und Empfang der Eucharistie gar nicht kurz genug sein kann, um nicht zwischendrin wieder als Sünder, der in Taten, Worten und vor allem in Gedanken Schuld auf sich lädt, dazustehen.
Die Beispiele zeigen, auch in unserem bewussten Vollzug, uns direkt im Verhältnis zum schöpferischen Unendlichen zu erfahren, sind wir eingetaucht in unser Selbst- und Weltverhältnis. Das ist, sozusagen, die negative Seite der Medaille, unsere Erlösungsbedürftigkeit zeigt sich in der durchlaufenden Erfahrung der Unstetigkeit unseres Gottesbewusstseins. Wir sind Sünder und auf Gnade angewiesen. Luthers „simul“ weist deutlich in Richtung dieser Duplexität unseres Erlebens.
Aber haben wir deshalb quasi buddhistisch unser Selbst- und Weltverhältnis abzustreifen?
Als kritische Antwort darauf sei eine andere Erfahrung aus den Tagen der Vorbereitung dieses Referats angeführt. Eines Morgens wachte ich mit einem starken Vergänglichkeitsgefühl auf, man kann sagen, mit Todesangst. Beim Gang aus dem Schlafzimmer und dem Betreten unserer Treppe verging dieses Gefühl jedoch und Sicherheit breitete sich in mir aus. Auslöser dafür war genau das Betreten der Treppenstufen, sie trugen mich und unmittelbar präsent trat vor mein inneres Auge die Erinnerung an die Beauftragung eines Schreiners, die Stufen passgenau anzufertigen. Was hat das Gefühl der Sicherheit ausgelöst? Meine Geschichte mit dieser Treppe erinnerte mich an das Wozu unseres Hausbaus, an den familiären Zusammenhalt, den das Haus stiftet und die Widerstände, die beim Hausbau überwunden wurden sowie das sichere Gefühl, etwas Gutes geschaffen zu haben und damit auch einen Boden unter den Füßen zu haben, der auf einen transzendenten Grund verweist. Mit einem Wort: In der Schwebe hatten mir die Stufen Trittfestigkeit gegeben!
Habe ich mit dieser meinem Erleben folgenden Reflexion auf einen transzendenten Grund die Möglichkeit zu einem neuen Existenzverständnis vielleicht verhindert? Ich glaube nicht. Denn für Luther, Schleiermacher und vielleicht auch uns alle gilt auch diese positive Seite der Medaille: Unser Selbst- und Weltverhältnis in Wissen und Handeln ist begründet und umgriffen von einem Verhältnis zum schöpferischen Unendlichen. Es fehlt nie, wird aber immer nur explizit am Weltverhältnis. Die Gottesbeziehung erschließt sich nicht anders als durch geschichtliche Erschließungsereignisse.
– So zeigt mir mein Denken ans Mittagessen beim Gebet, dass ich ferne stehe zum das Weltbewusstsein schlechthin dominierenden Gottesbewusstsein Jesu. Mir bleibt daher nur der Glaube, dass dieses kräftige Gottesbewusstsein als Gemeingeist in der christlichen Kirche und deren Gottesdiensten geschichtliche Gegenwart erlangt und auch mich trägt.
– So zeigen mir die sicheren Stufen unserer Treppe, dass ich Anteil habe an einem Weltbewusstsein, das immer schon im Gottesbewusstsein eingebettet ist und das ich nicht erst schaffen muss.
Demnach muss als Gegenstand dogmatischer Klärung die je eigene und durch einen Gemeingeist bestimmte Glaubenserfahrung erfasst werden, verstanden als Frömmigkeit, deren Gewiss-Sein bestimmt ist von der Gleichursprünglichkeit von Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis.
Dogmatik fragt nach der Gewissheit der Gemeinschaft, in der es Frömmigkeit gibt. Man könnte die christliche Glaubenslehre von daher auch genauso gut als kirchliche Dogmatikbezeichnen. Das selbst- und welttranszendierende Woher unserer relativen Freiheit und Abhängigkeit im Weltverhältnis wird bekannter Weise als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit bezeichnet. Zu dieser transzendentalen Bedingung des Menschseins gehört wesentlich die Sozialität von Frömmigkeit. Auch wenn es geschichtlichen Wandel und Variation von Frömmigkeit und frommer Gemeinschaft gibt, gilt dieser Grundzug invariant. Das spezifisch Christliche dieses Grundzugs beruht darin, dass innerhalb der christlichen Frömmigkeit alles auf die durch Jesus vollbrachte Erlösung bezogen wird.
Die Dogmatik denkt ihrem Gegenstand, der christlichen Frömmigkeit, nach und formuliert Glaubenssätze, die im Zusammenhang die geltende Lehre einer christlichen Kirchengesellschaft zu einer gegebenen Zeit darstellen.
Das Werden und der Gehalt der christlichen Frömmigkeit müssen im Zusammenhang dogmatischer Sätze deutend entwickelt werden.
Als einheitlicher Gegenstand christlicher Frömmigkeit wird das Bestimmtsein des unmittelbaren Selbstbewusstseins durch die Gnade, d.h. durch das Gottesbewusstsein Jesu gesehen. Dessen Werden umfasst also die Schöpfungs- und Urstandslehre, die Sündenlehre und die Gnadenlehre.
Für die Darstellung des Gehalts christlicher Frömmigkeit ist grundlegend, die Einheit von Selbst- und Weltbewusstsein auf der einen sowie von diesem Endlichkeits- und dem Gottesbewusstsein auf der anderen Seite. Das Bewusstsein von endlichem Selbst und endlicher Welt und von Gott stellt den einheitlichen Gehalt christlicher Frömmigkeit dar, der in seinem Werden zu entfalten ist.
2. Die Eschatologie innerhalb der Glaubenslehre
Eilert Herms macht darauf aufmerksam, dass der dritte Teil der GL einige Eigentümlichkeiten enthält, die den systematischen Gehalt der Eschatologie betreffen. Zwei der drei Teile dieses dritten Teiles der GL („Entwicklung des Bewusstseins der Gnade“) werden in „Hauptstücke“ eingeteilt.
Der erste Abschnitt („Von dem Zustande des Christen, sofern er sich der göttlichen Gnade bewusst ist“) enthält die beiden Hauptstücke „Christologie“ und „Soteriologie“. Wobei Herms anzeigt, dass diese Einheit unter Ausschluss der Pneumatologie gedacht wird und die konstitutive externe Beziehung des Gnadenbewusstseins als Geschäft Christi nicht erkennbar wird.
Der zweite Abschnitt („Von der Beschaffenheit der Welt bezüglich auf die Erlösung“) zeigt auf, dass das wesentliche dieses Zustandes der Welt für Schleiermacher die Existenz der Kirche in der Welt ist. Die drei Hauptstücke dieses Abschnitts lauten:
1. Von dem Entstehen der Kirche (Erwählungslehre; Mitteilung des heiligen Geistes)
2. Von dem Bestehen der Kirche (Schrift, Verkündigung, Sakramente, Gebet…)
3. Von der Vollendung der Kirche (Wiederkunft Christi, Auferstehung des Fleisches, jüngstes Gericht, ewige Seligkeit, Anhang: ewige Verdammnis)
Die Eigentümlichkeit dieses dritten Hauptstücks besteht in der Bezeichnung „prophetischeLehrstücke“.
Herms hebt hervor, dass der Gegensatz von Sünde und Gnade als Gegensatz zweier menschlicher Gesamtleben verstanden werden muss. Das eine Gemeinschaftsleben ist durch die Sünde gewirkt, das andere durch die Erscheinung des Erlösers. Dabei wird das Verhältnis des neuen zu dem alten Gesamtleben als ein dynamisches gesehen, als ein auf die Überwindung des alten durch das neue Gesamtleben ausgerichtetes. Das Gesamtleben der Gnade tritt dem Gesamtleben der Sünde in überwindender Dynamik entgegen und umfasst die Erlösung des Einzelnen. Die wichtige Konsequenz daraus fast Herms zusammen:
– Alles, was in der Christologie und Soteriologie gesagt wird, muss der Sache nach als Implikat der Ekklesiologie verstanden werden (132).
– Das individuelle Subjekt ist selig oder unselig ausschließlich kraft seines Einbezogenseins in das Gesamtleben der Sünde oder Gnade (ebd.).
Die Gnadenlehre muss demnach laut Herms jeden am Einzelsubjekt orientierten Interpreten Schleiermachers überraschen (133).
Aus der Perspektive Gottes und seines ewigen Ratschlusses bedeute die Erscheinung Jesu Christi nichts anderes als: die „Vollendung der Schöpfung der menschlichen Natur“ (ebd.). Für Schleiermacher vollzieht sich das Geschäft Christi der Sache nach ausschließlich innerhalb des neuen Gesamtlebens der Kirche, weshalb die Ekklesiologie den Zusammenhang von Christologie und Pneumatologie impliziere (133 f).
Wenn die Gnadenlehre Gnade als Vollendung der Schöpfung begreift, dann muss auch auf ein Geschehen geblickt werden, durch das Gott die Schöpfung vollendet. Dieser Sachverhalt ist Thema des dritten Hauptstücks im zweiten Abschnitt: Die „Vollendung der Kirche“ (134).
Sie wird von Schleiermacher beschrieben als dasjenige Geschehen, welches das Gnadengeschehen insgesamt vollendet. Hier soll also das Geschehen beschrieben werden, in welchem das Gesamtleben der Gnade das Gesamtleben der Sünde überwindet. Das heißt, dass am Ende des „Kampfes“ das Gesamtleben der Gnade allein existiert. Es wird eine kosmische (universelle) Eschatologie vorgetragen, die die individuelle impliziert (135). Schleiermachers Glaubenslehre habe insofern nicht einen anthropologischen, sondern einen kosmologischen Grundzug, was sich nirgends so deutlich, wie in seiner Eschatologie, zeige.
3. Grundfragen der Eschatologie
Zunächst stellt Herms die Frage, inwiefern Schleiermacher in der Eschatologie den bisherigen Gegenstandsbezug durchhält. Bisher hatte Schleiermacher sprachliche Darstellungen christlich-frommer Gemütszustände geliefert, d.h. Darstellungen des unmittelbaren Selbstbewusstseins in seiner Bestimmtheit durch die Stetigkeit des Gottesbewusstseins Jesu in seiner Dominanz über das Weltbewusstsein (136). Wenn auch eschatologische Aussagen diesen Gegenstandsbezug teilen, dann doch als verschieden von allen bisherigen Aussagen. D.h. derselbe Gegenstand wird unter einem anderen Aspekt betrachtet. Herms fragt also nach einer besonderen Perspektive, die im christlich-frommen Selbstbewusstsein selbst enthalten ist.
Sie bestehe darin, dass sie sich inhaltlich auf einen Zustand dieses unmittelbaren Selbstbewusstseins selber richtet, in welchem genau dasjenige Bestimmungsmoment beseitigt wird, das für alle bisher zur Sprache gebrachten Aspekte und Implikationen des christlich-frommen Selbstbewusstseins wesentlich war. Nämlich: sein Bestimmtsein durch den Gegensatz von Sünde und Gnade (137). Das auf Teilhabe an Erlösung bestimmte unmittelbare Selbstbewusstsein schließt also notwendig auch die Perspektive auf denjenigen Zustand ein, in dem der es gegenwärtig schon bestimmende Prozess der Erlösung zum Ziel gekommen sein wird, also auf einen Zustand jenseits des Gegensatzes (ebd.). Vorher jedoch gilt: Entweder erleben wir vom Sündenbewusstsein her: Vgl. das Denken ans Essen beim Gebet. Oder wir erleben die Angefochtenheit von der Gnade her: Vgl. das Getragensein durch die Stufen der Treppe, die auf den geschöpflichen Grund und das eschatologische Ziel verweisen. D.h.:
– Eschatologische Aussagen bringen die gegenwärtige Perspektive des unmittelbaren Selbstbewusstseins auf den noch ausstehenden Zustand seines Erlöstseins zur Sprache. Sie zielen auf ein Sein jenseits des Gegensatzes von Sünde und Gnade.
– Eschatologische Aussagen haben Anteil an allen Aussagen des christlich-frommen Selbstbewusstseins, sie unterscheiden sich jedoch von anderen Glaubenssätzen dadurch, dass sie nicht die Perspektive auf das Erlöstwerden, sondern auf das Erlöstsein haben. Der Inhalt eschatologischer Aussagen nimmt die Perspektive auf die Vollendung des Prozesses jenseits des Gegensatzes von Sünde und Erlösung.
Dies bringt jedoch Darstellungsprobleme mit sich. Eschatologische Aussagen müssen einen besonderen Inhalt darstellen. Und es muss in ihnen ein angemessener Umgang mit der Tradition gefunden werden.
Will man Aussagen über die Vollendung der Kirche machen, dann müssen dies Aussagen sein, die jede diesseitig erfahrbare Kirchlichkeit überschreitet. „Das Vollendetsein der Kirche fällt notwendig in eine „Zukunft“, die ganz „jenseits aller menschlichen Dinge“ liegt (139). Sie ist analogielos und auch spekulativ schwer vorzubilden.
Aber auch auf die individuelle Person bezogen gelingt es nicht, uns eine „anschauliche Vorstellung“ von der Existenzweise der Persönlichkeit nach dem Tode zu bilden und zur Sprache zu bringen (ebd.). Die Bedingungen von Zeit und Raum in dieser Existenzweise sind ohne Mitteilung. Beides: der vollendete Zustand der Kirche wie der nach dem Tode fortdauernde Zustand der Persönlichkeit sind analogielos und die Bestimmtheit von Zeit und Raum für die Existenz jenseits des Todes unbekannt.
Unter den Bedingungen gegenwärtigen Lebens kommt die vollendete Kirche also an ein Ende, was eine Diskontinuität zwischen bestehender und vollendeter Kirche bedeutet. Jedoch ist für die Fortexistenz der Persönlichkeit mit einer Kontinuität zu rechnen, wenn die Zeitlichkeit als vorbereitender Anfang der individuellen Person gesehen wird.
Ein eschatologisches Darstellungsproblem zeigt sich darin, dass die individuelle Vollendung von der Fortexistenz nach dem Tode bestimmt ist und die Vollendung der Kirche in einem Verschwundensein der Sünde und damit in einem streitlosen Zustand.
Aber keines von beidem, auch nicht wenn man beide Zustände kombiniert, führt aufgrund seiner Analogielosigkeit und Zweckfreiheit zu einer klaren Darstellbarkeit des Zustandes. Dennoch wird aus diesem Darstellungsproblem nicht die Konsequenz gezogen, dass eschatologische Aussagen gegenstandslos wären. Eschatologische Aussagen sind im christlich frommen Selbstbewusstsein begründet.
Das christlich fromme Selbstbewusstsein ist auf das Ziel der Streitfreiheit von Sünde und Gnade ausgerichtet. Diese Streitfreiheit ist der umfassende Inhalt des christlichen Gebets, sein Eintreten als völlige Gebetserhöhung verstanden. Insofern könnte meine Ausgangsfrage, „Haben Sie schon einmal (richtig) gebetet?“ dahingehend beantworten, dass dies erst geschehen könnte, wenn die Kirche im vollendeten Zustand der Streitfreiheit wäre.
Über die Fortexistenz des Menschen nach dem Tode macht Schleiermacher abgrenzende Aussagen: Aussagen darüber gehören nicht zum unmittelbaren Gottesbewusstsein, sondern sind im Glauben an die „Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur in der Person Christi“ und an deren „Unveränderlichkeit“ mit enthalten (142).
Herms streicht mit Schleiermacher heraus, dass „ausschließlich das Christusgeschehen der Grund dafür (ist), dass dem christlich-frommen Bewusstsein die Überzeugung von der Fortexistenz der menschlichen Persönlichkeit nach dem Tode wesentlich eignet“ (143). Dies beinhaltet einen Doppelaspekt: einerseits die von Gott ausgehende Vereinigung seines Wesens mit der menschlichen Natur in Jesus von Nazareth und andererseits die vom Erlöser Jesus ausgehende Aufnahme der Gläubigen in seine Kräftigkeit des Gottesbewusstseins und Seligkeit.
Herms resümiert: „Die Christus- und Gottesgemeinschaft ist das eine und einzige Fundament der christlichen Gewissheit, dass der Tod über die menschliche Persönlichkeit keine zerstörerische Macht ausübt“ (143). Die „glaubende“ Teilhabe an der Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur gilt allen Menschen als solchen. Die Gewissheit von der Fortexistenz der menschlichen Person sei demnach zwar ausschließlich im Christusgeschehen begründet, sei aber kein christliches Privileg.
Weil nun aber der Glaube zwar eschatologische Aussagen machen muss, wenn er seine Gewissheit zur Sprache bringen will, aber Aussagen über individuelle Fortexistenz und kirchliche Streitfreiheit (persönliche Fortdauer und Vollendung der Kirche) analogielos und nicht vorstellbar sind, können sie nur in „Versuchen eines nicht hinreichend unterstützten Ahnungsvermögen“ liegen. Diese Versuche werden daher als „prophetische Lehrstücke“ bezeichnet.
4. Durchführung der Eschatologie
Den Aufriss der Eschatologie gibt Herms wieder: Die Lehre von der „Auferstehung des Fleisches“ bringt die persönliche Fortexistenz zur Sprache. Die Rede vom „Jüngsten Gericht“ und von der „Ewigen Seligkeit“ bezeichnet den Raum der streitfreien Kirche, in den die persönliche Fortexistenz fällt. Und fundamental für die Einheit beider Sachverhalte ist das Ereignis, welches das „nicht hinreichend unterstützte Ahnungsvermögen“ als „Wiederkunft Christi“ zur Sprache bringt.
Die wesentlichen Gehalte der vier traditionellen eschatologischen Glaubenssätze werden zusammengefasst.
4.1 Wiederkunft Christi. – Die Vollendung der Kirche kann nur als ein Sprung gedacht werden, als Akt der königlichen Gewalt Christi. Hierbei sei an einen realen kosmischen Vorgang gedacht, aufgrund derjenigen göttlichen Aktivität, die sich mit der menschlichen Natur vereinigt hat.
4.2 Auferstehung des Fleisches. – Allen menschlichen Einzelwesen stehe eine an den gegenwärtigen Zustand anknüpfende Erneuerung organischen Lebens bevor.
4.3 (a) Jüngstes Gericht und (b) ewige Seligkeit. –
(zu a. negativ) Der wesentliche Gehalt dieser Rede sei die Scheidung des Lebens in der Gemeinschaft mit Christus vom Bösen, so dass kein wechselseitiger Einfluss mehr möglich ist.
(zu b. positiv) Der Lebensinhalt der ewigen Seligkeit beschränke sich auf eine Selbsttätigkeit, die bloße Darstellung Gottes, deren Inhalt die seligmachende Schau ist. Diese eschatische Gotteserkenntnis sei nicht durch Unvermitteltheit, sondern durch Leichtigkeit von der jetzigen unterschieden. Die Analogielosigkeit dieses Zustandes bestehe darin, dass hier eine Tätigkeit ohne jede Wirksamkeit zu denken sei, die ein freies, rein in sich selbst erfülltes Tätigsein sei, was nur denkbar als reines Genießen ist.
Die in einem Anhang behandelte Rede von der „ewigen Verdammnis“ sei mit der christlichen Gewissheit von der Güte Gottes und der ewigen Seligkeit inkompatibel.
5. Konsequenzen
Das Referat zeigt die Schwierigkeiten eschatologischer Rede, die sich im je eigenen Erleben widerspiegeln. Diese Schwierigkeiten sind nicht Ausdruck persönlicher Unzulänglichkeiten, wie mangelnder Frömmigkeit, sondern Ausdruck des Lebens im Widerstreit von Selbst- und Weltbewusstsein im Unterschied zum Gottesbewusstsein. In der Unstetigkeit unseres Gnadenbewusstseins zeigt sich eine Vorläufigkeit, die jedoch nicht als simples Hin- und Herschwanken zu beschreiben wäre, sondern eine Bewegung hin auf die Überwindung des Gegensatzes hat. So kann eine eschatologische Rede schon am Gnadenbewusstsein partizipieren. Das hat wichtige pastorale Folgen, diese Partizipation bedeutet einerseits das Eingetaucht-Sein in den christlichen Gemeingeist Christi, der der Geist der Kirche ist, andererseits bedeutet diese Partizipation das Ausgerichtet-Sein auf die Überwindung jeden Gegensatzes. In dieser Partizipation als Teilhabe und Ausrichtung ist jedes pastorale Reden gerechtfertigt und geheiligt. Wir dürfen also den ganzen Reichtum der eschatologischen Bilder, die die christliche Tradition entwickelt hat, seelsorgerlich zur Sprache bringen. Auch wenn wir selbst in actu immer wieder zu verzweifeln drohen, wie es das Leiden an unserer eigenen und der anderer Endlichkeit mit sich bringen mag, können wir in der Teilhabe am kirchlichen Gemeingeist und der Ausrichtung auf das Telos der Gnade ohne Selbstzweifeln andere angefochtene Herzen trösten.
Der Autor, Pfarrer der EKHN, ist Schulseelsorger und Pfarrer im Schuldienst am Rabanus-Maurus-Gymnasium in Mainz.
[1] Vortrag beim Institut für Ethik anlässlich der Pfarrerfortbildung im September 2009; die Seitenzahlen beziehen sich auf: Eilert Herms, Schleiermachers Eschatologie nach der zweiten Auflage der Glaubenslehre, in: E.H., Menschsein im Werden, Tübingen 2003, 125-149.
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