Volker Küster: Einführung in die Interkulturelle Theologie

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Frank Schuster
Leipziger Straße 5, 67663 Kaiserslautern

Volker Küster: Einführung in die Interkulturelle Theologie, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011; 304 Seiten, 23,99 €; ISBN 978-3-8252-3465-2.

Interkulturelle Theologie ist aus der Pluridisziplin Missionswissenschaft, Ökumenik und Religionswissenschaft hervorgegangen. Bei Volker Küster, einem genuin Pfälzer Theologen, Studienfreund aus Heidelberger Tagen bei Theo Sundermeier und nach 13 Jahren wissenschaftlicher Tätigkeit in den Niederlanden mittlerweile Lehrstuhlinhaber an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, haben wir es mit einem sehr profilierten und international renommierten Vertreter dieser Forschungsrichtung zu tun. Mit der „Einführung in die Interkulturelle Theologie“ legt er ein (Lehr-)Buch vor, das – nicht zuletzt im Vorfeld der 10. Vollversammlung des ÖRK im südkoreanischen Busan sowie des nächsten Schwerpunktthemas unserer Landessynode „Partnerkirchen“ – eine wichtige Orientierungshilfe darstellt.

„Dieses Buch erscheint in ökumenisch dürftiger Zeit. Entgegen einem gesamtgesellschaftlichen Trend, der viel beschworenen Globalisierung, werden traditionelle westliche Kirchen und Theologien – selbst einst Vorreiter einer globalen Bewegung, der weltweiten Ausbreitung des Christentums und der ‚großen Tradition’ europäischer Theologie – stets provinzieller“ (S. 10). Küster hat durch zahlreiche Forschungsreisen (die Niederlande als „alte Kolonialmacht“ boten reichlich Möglichkeiten), Studierende und Doktoranden aus aller Herren Länder festgestellt, dass die Kirchen des Nordens, ungeachtet ihrer finanziellen Mittel, längst ein gutes Stück der Deutungshoheit über weltweite theologische Entwicklungen verloren haben. In einstigen „Missionsgebieten“ haben sich längst junge, eigenständige Kirchen entwickelt, die selbstbewusst auf ihre „kontextuellen Theologien“ schauen und diese nicht nur vor Ort praktizieren, sondern auch wissenschaftlich daran arbeiten.

Hatte der „Altmeister“ der Interkulturellen Theologie, Walter J. Hollenweger, in seinem gleichnamigen dreibändigen Werk in den 1980er Jahren ein enormes Reservoir von Fallgeschichten zusammengetragen, ohne allerdings schon einen theoretischen Rahmen zu umreißen, hilft Küsters Buch nun bei der Systematisierung. 

In Teil I klärt er (historisch wie geografisch breit aufgestellt) Begriffe und Methoden: Missionstheologie (Modelle, Weltmissionskonferenzen, kirchl. Verlautbarungen) – Kontextuelle Theologie (von Akkomodation zu Inkulturation, von Kontextualisierung zur ‚Globalisierung’; Hermeneutik des Verdachts; 3. Welt-Theologien in sich verändernden Kontexten)  – Interkulturelle Theologie (Genese, Funktionen, Perspektiven). Der „Begegnung mit dem Fremden“ kommt dabei eine besondere Rolle zu: „Ich votiere dafür, an die Ränder zu gehen und in der Folge vom Rand her zu denken. Die Christologie … muss dann kenotisch gedacht werden (Phil. 2,6-11). In der Menschwerdung hat Gott sich selbst entäußert und erniedrigt. Im Kreuz identifiziert sich Gott mit den Marginalisierten dieser Erde. Jesus ist draußen vor das Tor gegangen (Hebr. 13,11-14). Hans Jochen Margull sprach in diesem Zusammenhang von ‚Verwundbarkeit’. Die Gotteslehre bietet mit der Perichorese – der wechselseitigen Durchdringung und Kommunikation der drei trinitarischen Personen – eine Denkfigur, die den christlichen Glauben relational und pluralismusfähig macht“ (S. 123).

In Teil II startet er Suchbewegungen im interreligiösen Dialog (wer, mit wem, über was?), der für ihn einen „dritten Raum im Zwischen der Religionen“ eröffnet: „Ein Raum im Grenzbereich zwischen den verschiedenen Glaubenssystemen, in den jeder das Beste mitbringt, was seine Religion ihm zu bieten hat, ohne den Rückzugsraum des Heiligen aufzugeben. Doch wer sich einmal auf den Weg gemacht hat, wird verändert zurückkehren und dadurch auch Spuren in seiner eigenen Religionsgemeinschaft hinterlassen“ (S. 151).  

Breiten Raum nimmt darin auch die Analyse des Wegs der Ökumenischen Vereinigung der Dritte Welt-TheologInnen (EATWOT) ein, die im wissenschaftlich-theologischen Diskurs des Nordens m.E. leider viel zu wenig Beachtung findet, so dass dieser kraftvolle und geistreiche Aufbruch in der 3. Welt bei uns verschlafen zu werden droht. 

Schließlich trägt Küster noch Relevantes zur Begriffsklärung bzgl. Mission und Dialog in der hiesigen ökumenischen Debatte (Einheit in versöhnter Verschiedenheit) bei.

In Teil III schließlich entwickelt er ebenso prägnant wie eindrücklich eine kleine interkulturelle Glaubenslehre in den Sparten Christologie (für ihn der hermeneutische Schlüssel), Gotteslehre, Pneumatologie, sowie Ekklesiologie, Anthropologie und Eschatologie.

Um Lust auf mehr zu machen, hier ein paar – subjektiv ausgewählte – Kernsätze: Stichwort „Die vielen Gesichter Jesu Christi“: „Jesu Frage an seine Jünger ‚Wer sagt ihr, dass ich sei?’ (Mk.8,29) stellt sich in den Kontexten der Dritten Welt stets aufs Neue. An ihrer Beantwortung entscheidet sich letztendlich, ob der christliche Glaube in diesen Ländern eine dauerhafte Heimat findet oder nicht“ (S. 210). Stichwort: „Kirche mit anderen sein“: „Die Ekklesiologie ist der Lackmustest, ob es der jeweiligen kontextuellen Theologie gelingt, in der Kirche vor Ort Wurzeln zu schlagen. … Da, wo die Initiative vom Volk ausgeht, bzw. charismatische Führungsgestalten auftauchen, ob in den lateinamerikanischen Basisgemeinden (sozio-ökonomischer und politischer Typus) oder in den Unabhängigen Kirchen Afrikas ( kulturell-religiöser Typus) entstehen kontextuelle Gestalten des Christentums, die zugleich eigene Formen von Kirche-Sein hervorbringen“ (S. 249 u. 261). Stichwort „Christliches Menschenbild im Kontext von Armut und Unterdrückung“: „Die Inkulturations- und Dialogtheologien teilen mit den Befreiungstheologien auch das Interesse an den Geschichten (stories) gerade der kleinen Leute. Dass der Mensch in Geschichten verstrickt ist, ist eine transkulturell gültige anthropologische Konstante“ (S. 273). Und schließlich: „Christliche Eschatologie wird allgemein in zeitlichen Kategorien gedacht. … Die Zeit steht in der Spannung zwischen dem ‚schon jetzt’ des in Jesus Christus angebrochenen Gottesreiches und dem ‚noch nicht’ seiner vollkommenen Verwirklichung. … Es liegt in der Konsequenz des Glaubens an das befreiende Geschichtshandelns Gottes …, dass die künstliche Trennung zwischen Heilsgeschichte und Weltgeschichte durch die kontextuellen Theologien vielfach aufgehoben wurde. …

Gott setzt sich immer wieder in Beziehung zur Schöpfung: im Exodus, in der Kenosis bzw. Inkarnation in Jesus Christus und in der Gegenwart im Geist (Christus praesens). In Jesus Christus hat Gott am Kreuz das Leiden der Welt geteilt, in ihm ist er stets aufs Neue in den Armen und Unterdrückten gegenwärtig. In der Würde ihres Menschseins und ihrer letztendlichen Befreiung ist das Reich Gottes bereits angebrochen. Sünde, Rechtfertigung und Versöhnung werden in ihrer sozialen Dimension erkannt. Die Kirche als Solidargemeinschaft vor Ort ist nicht nur prophetisch, sondern auch missionarisch. Sie sucht Gott immer wieder an den Rändern auf. Wer die gottgeschaffene Vielfalt der Kulturen und Religionen nicht als bedrohend zu empfinden gelernt hat, sondern als bereichernd erfährt, kann sie im messianischen Fest in der Vorfreude auf das Kommen Gottes feiern. Dialog, Respekt und Nachbarschaftlichkeit werden dann zur Signatur spätmoderner christlicher Existenz in der eschatologischen Spannung zwischen dem ‚schon jetzt’ und dem ‚noch nicht’“ (S. 275/76 u. 283).

Bliebe zu wünschen, dass junge Studierende im 21. Jahrhundert eigentlich kein theologisches Examen machen sollten, ohne sich eingehend mit Interkultureller Theologie befasst zu haben.

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