Frank-Matthias Hoffmann
Johanna-Wendel-Straße 15, 66119 Saarbrücken
Begegnungen, Vertreibung, Kriege. Gedenkbuch zur Geschichte der Universität Heidelberg. Im Auftrag der Evangelischen Universitätsgemeinde Heidelberg. Herausgegeben von Helmut Schwier. Heidelberg 2011, 124 Seiten, 16,- Euro
Die Heidelberger Peterskirche ist als Universitätskirche von Beginn an mit dem Geschick der Universität Heidelberg verbunden. In ihr wurden Marsilius von Inghen (gest. 1396), Gründungsrektor der Ruperto Carola, und zahlreiche Angehörige der Universität begraben. Erinnerungen an sie werden möglich durch die dort erhaltenen Epitaphien und Inschriften. In der südlichen Seitenkapelle, der Universitätskapelle, erinnern die dortigen Gedenktafeln sichtbar an Männer und Frauen, Professoren und Studierende. Aber wie viele Menschen aus dem Umfeld der Universität gibt es, an die nichts mehr erinnert?
Die Evangelische Universitätsgemeinde Heidelberg leistet nun einen wichtigen Beitrag, wenigstens einige Namen und Lebensschicksale von Menschen in Erinnerung zu rufen und bekannt zu machen, die mit der Universitätsgeschichte eng verbunden sind. Daher wurde auf ihre Veranlassung ein Gedenkbuch erstellt, das nun gedruckt vorliegt und gleichzeitig als künstlerisch gestaltetes Unikat in der Universitätskapelle zugänglich ist. Zusammen mit den dortigen drei Glasfenstern von Johannes Schreiter dient es der Erinnerung an die Geschichte der Universität, an Begegnungen, Vertreibungen und Kriege.
Das Buch hat vier große Teile. Im ersten Teil „Geschichte der Universität“ werden nachgezeichnet die scholastische Universität 1386 bis 1556 und die evangelische Universität 1556 bis 1685. Erwähnenswert darin, dass unter jüngeren Magistern und Studierenden die Reformation Zustimmung fand. Martin Luther hatte in der Heidelberger Disputation am 26. April 1518 seine neuen theologischen Einsichten vorgetragen. Die ersten drei evangelisch-theologischen Lehrstühle ab 1556 umfassten die Fächer NT, AT und Dogmatik. Unter Kurfürst Friedrich III., der dem reformierten Bekenntnis angehörte, entstand der Heidelberger Katechismus 1563.
Es folgen die Darstellungen der Universität im Zeitalter der Pfälzer Gegenreformation 1685 bis 1803 und des bürgerlichen Zeitalters 1803 bis 1918. In dieser Zeit erhielt der Philosoph Hegel seine erste Professur, bevor er nach Berlin wechselte. Heidelberger Studenten nahmen am Wartburgfest 1817 und am Hambacher Fest 1832 teil, engagierten sich auch in der Revolution von 1848/49. Bedeutend sind auch die Gelehrten Ernst Troeltsch, Gustav Radbruch, Wilhelm Windelband und der Kreis um Max Weber.
Es folgt die Darstellung der Universität im 20. Jahrhundert im Wechselspiel zwischen Demokratie und Diktatur. 1933 wurde die akademische Selbstverwaltung zugunsten des Führerprinzips auf Rektor- und Dekansebene abgeschafft. Heidelberg galt seit dieser Zeit als besonders „braune Universität“. Das Ausmaß der Vertreibungen von „nicht arisch versippten“ Professoren und anderen missliebigen Dozenten war beträchtlich: von 201 habilitierten Mitgliedern des Lehrkörpers verloren 56 ihr Amt und wurden vertrieben.
Nach 1945 wurden zum moralischen Aushängeschild und zum mahnenden Gewissen der Universität der leider bereits 1946 verstorbene Neutestamentler Martin Dibelius und vor allem dann der Philosoph Karl Jaspers. Abgeschlossen wird diese Zeitspanne mit der bleibenden verpflichtenden Mahnung: „…Wissenschaft muss in Grundlagenforschung nach Wahrheit suchen, nicht nach kurzatmiger Rentabilität und ökonomischer Effizienz“ (S. 25).
Auf den Seiten 29 bis 44 werden unter dem Titel „Begegnungen“ Wissenschaftler aus allen Fakultäten vorgestellt, die das Gesicht der Universität und den deutschen Wissenschaftsbetrieb insgesamt wesentlich prägten. Die Spannbreite umfasst die Ockhamisten der Gründerzeit, die frühen Humanisten und Reformierten, die Liberalen von 1848 bis hin zum Protestantenverein von 1863.
Im Kapitel „Vertreibungen“ (Seite 45 bis 112) wird deutlich, welch wechselhafte Geschichte die Universität durchlaufen hat und wie schmerzhaft für viele Dozenten die konfessionell bedingten Wechsel der universitären Prägung für viele gewesen sind. Die Universitätsgeschichte selbst begann sehr früh mit Vertreibungen: Die Universität erbte nach der Vertreibung der Heidelberger Juden 1391 deren Grundbesitz und Habe.
Das konfessionelle Zeitalter führte an der Universität mehrfach zu Entlassungen und Migrationen von Lehrern der Universität. Erwähnt seien nur Hieronimus von Prag (er vertrat Thesen von John Wyclif), Kasper Olevian (er hat zusammen mit Zacharias Ursinus den Heidelberger Katechismus und den Text der pfälzischen Kirchenordnung 1563 formuliert) und Kuno Fischer (eine der bekanntesten und populärsten Professoren in Heidelberg).
Ein besonderes Kleinod stellen die Kurzbiogramme der im sogen. „Dritten Reich“ vertriebenen Dozenten: Mehr als ein Drittel der Heidelberger Lehrstuhlinhaber verloren innerhalb von fünf Jahren ab 1933 ihr Amt. Obwohl viele Heidelberger Professoren die Weimarer Republik mehr als Dozenten anderer deutschen Universitäten unterstützten, öffneten sich die Studierenden in Heidelberg sehr früh republikfeindlichen, nicht selten auch militaristischen und rassistischen Parolen. Wesentlich auf ihren Druck hin scheiterte 1931 die Berufung Günther Dehns zum Praktischen Theologen wegen dessen pazifistischer Ansichten. Bei den Biogrammen, die alle lesenswert sind, seien besonders hervorgehoben: Marie Baum, die ab 1935 zur engsten Mitarbeiterin des Heidelberger Stadtpfarrers Herrmann Maas in der von ihm gegründeten „Hilfsstelle für bedrohte Nichtarier“ wurde. Immerhin wurde ihr zum 75. Geburtstag die Würde eines Ehrenbürgers der Universität verliehen. Auch Hans Philipp Ehrenberg wurde vertrieben. Als „Judenchrist“ wurde er gezwungen, 1937 auch sein Pfarramt aufzugeben und konnte aus dem KZ Oranienburg in Sachsenhausen im April 1939 dank der Intervention von Bischof Bell, Chichester, mit seiner Familie nach England emigrieren. Pikant: Nicht die Heidelberger, wohl aber die Bonner Evangelisch-theologische Fakultät verlieh ihm 1956 die Ehrendoktorwürde.
Vertrieben wurden aber auch der in Mußbach geborene Mediziner Albert Fraenkel, der Philosoph Karl Jaspers und Ernst Levy, einer der bedeutendsten Römischrechtler seiner Zeit.
Der in Freinsheim geborene Gynäkologe Maximilian Neu beging zusammen mit seiner Frau, als er den Ausweisungsbefehl bekam und die Deportation angekündigt wurde, am 20. Oktober 1940 Selbstmord. Mich hat die Lektüre dieser Biogramme sehr bewegt.
Im letzten Kapitel „Kriege“ wird die Geschichte der Fakultät in folgende Epochen eingeteilt: Die erste Krise der Universität im Städtekrieg 1388 bis 1389, die Kriege unter Kurfürst Friedrich I. (1451-1476), die Krise der Pfalz am Anfang des 16. Jahrhunderts, der 30-jährige Krieg (1618-1648), die Kriege Ludwigs XIV (1661-1715), die Koalitionskriege gegen Frankreich und die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts.
Die Konzeption des Buches ist wirklich gelungen und es sei jedem empfohlen, der in Heidelberg studiert hat oder sich dieser Universität verbunden fühlt. Übrigens werden bis heute im Universitätsgottesdienst am Volkstrauertag die Namen und Schicksale der 1933 entrechteten und vertriebenen Angehörigen der Universität vorgestellt und in Liturgie und Predigt aufgenommen. Auch wird ein Kranz an der Gedenkstätte an der Außenseite der Peterskirche niedergelegt.
Zum Schluss ein Dank denen, die das Gedenkbuch konzipiert und erarbeitet haben:
Dr. Anneliese Seeliger-Zeiss und die Professoren Adolf Martin Ritter, Gottfried Seebaß, Gerd Theißen und Eike Wolgast. Der Herausgeber Helmut Schwier ist Professor für Neutestamentliche und Praktische Theologie an der Universität Heidelberg und Universitätsprediger an der Peterskirche. Ein beeindruckendes Buch!