Dr. Karlheinz Lipp
Friedrich-Wilhelm-Straße 42, 12103 Berlin
Der aus Ludwigshafen am Rhein stammende Philosoph Ernst Bloch (1885-1977) kritisierte bereits vor 1914 den preußisch-deutschen Militarismus und Imperialismus. Diese Position änderte der Erste Weltkrieg nicht – im Gegenteil: Bloch distanzierte sich vom Kriegsbeginn 1914 und behielt seinen antimilitaristischen Kurs bei. Dieser Krieg bedingte auch Blochs Flucht in die Schweiz, wo er seine Kritik am Ersten Weltkrieg publizistisch fortsetzte.
Ernst Bloch und die 2. Marokkokrise von 1911
Die 2. Marokkokrise gehörte zu den Krisen im Vorfeld des Ersten Weltkrieges. Seit Juni 1910 forderte Alfred von Kiderlen-Wächter, der neue Staatssekretär des Äußern, eine aggressive Außenpolitik des Kaiserreiches. So ermunterte dieser Politiker ausdrücklich deutsche Industrielle und Bankiers entsprechende Interessen an Marokko zu bekunden. Ferner arbeitete Kiderlen-Wächter seit April 1911 eng mit dem Alldeutschen Verband zusammen, um die Öffentlichkeit Deutschlands für eine imperialistische Politik zu mobilisieren.
Im Juni 1911 besetzten französische Truppen illegal die marokkanische Hauptstadt Fes – für Kiderlen-Wächter bedeutete dies eine große Chance für ein kolonialpolitisches Eingreifen. Am 1. Juli erreichte das deutsche Kanonenboot „Panther“ die Stadt Agadir. Diese Militäraktion wurde innenpolitisch überwiegend begrüßt, außenpolitisch scharf verurteilt. So warnte Großbritannien das Kaiserreich vor einem Kurs der Konfrontation und Eskalation. Im November 1911 kam es zu einem Kompromiss. Deutschland erkannte das französische Protektorat an, deutsche Konzerne konnten weiterhin in Marokko tätig sein.
Bloch kritisierte noch im Jahre 1911 grundsätzlich und konkret das Industriekapitel am Beispiel der Firma Mannesmann sowie den deutschen Militarismus im Zusammenhang mit dieser 2. Marokkokrise.
„Fast wäre Krieg geworden. Bis auf weiteres atmet man auf. Der Krieg wäre von Berlin her gemacht worden, mit einem ahnungslosen Volk. […]
Der Streitfall lag weit von hier. Er hieß Marokkokrise und ging außer die Gebrüder Mannesmann und was damit zusammenhängt niemanden etwas an. Die Gebrüder Mannesmann, Erze en gros, auch durch die von ihnen fabrizierten Röhren vage bekannt, haben ‘Interessen’ in Marokko, und diese bilden heutzutage einen großen Teil des Inhalts von Deutschland, Deutschland über alles.
Da Frankreich, das heißt der dort herrschende Typ Mannesmann, ebenfalls das marokkanische Erzvorkommen für sich isolieren möchte, so wurde das deutsche Kanonenboot ‘Panther’ nach Agadir entsandt. Was der oberste Kriegsherr erzdefensiv einen ‘Panthersprung’ nennen ließ und was eben, wenn die englischen Mannesmänner sich nicht eingeschaltet hätten, fast zu einem Krieg geführt hätte, made in Germany. […]
Aber so wenig auch die besonders scharfe Profitgier des jungen, expansiven deutschen Kapitalismus unterschätzt sein mag, er allein, das heißt seine rein wirtschaftliche Überlegung allein, müßte in der Rentabilitätsfrage eines Krieges sich vorsichtig verhalten. Das Geschäft blühte bisher, trotz der angegebenen Hindernisse, auch ohne Landeroberungen in Deutschland nicht schlecht; noch ein Menschenalter Frieden, und das deutsche Kapital besitzt ohnehin das, was man Weltmacht nennt. Wenn anders ihm das revolutionäre Proletariat keine Strich durch die Rechnung zieht, die es schließlich bezahlen muß; doch das steht auf einem anderen Blatt.
Folglich gehören zwei dazu, um den Panthersprung und was ihm hätte folgen können wirklich im ‘Interesse’ liegen zu lassen; nicht das deutsche Kapital, diesfalls vertreten durch die Gebrüder Mannesmann, sondern ebenso das preußisch-deutsche Heer, die sogenannte Schutzrüstung, dieses aus noch halbfeudalen Zeiten stammende, aus der bürgerlichen Gesellschaft fast herausgehobene, fast als Selbstzweck sich gebärende Gefahrengebilde.
Zweifellos, beide stehen sich bei, es gäbe den deutschen Militarismus nicht in solchem Umfang, wenn das deutsche, besonders hoch entwickelte Großkapital nicht einen solchen Expansionstrieb zeigte: aber der deutsche Generalstab ist eine eigene Macht, wie in keinem Land, und fast eben eine eigene Logik. Er freilich scheut, ex officio, kein Risiko des Krieges, und seine Exportindustrie ist der Krieg selber. Hier ist eine alte Wurzel des Übels, der preußische Leutnant, den uns die Welt nicht nachmacht; die andere, neuere, kapitalistische Wurzel ist heute gleichsam originärer, doch sie allein würde den Krieg kaum so bedenkenlos, so ohne Risikoscheu treiben.
Das ist die explosible Lage im Land des Mannesmannhaftesten Kapitals und eben auch, fast vorkapitalistisch, der schneidigsten Offiziere. Im Land, wo überdies (im Ernstfall keineswegs nur überdies) das Proletariat von Kriegervereinen durchsetzt ist, um vom Kleinbürgertum zu schweigen“ (Bloch, Politische Messungen, 16-18).
Beginn des Ersten Weltkrieges
Ernst Bloch blieb auch bei Kriegsbeginn bei seiner strikten antimilitaristischen Haltung. In einem kleinen Artikel kritisierte er die angebliche Unschuld Deutschlands am Krieg, die Kriegspropaganda, den Gesinnungsmilitarismus, die kriegsgeile Presse sowie die kriegsbejahende Position der Mehrheit der SPD.
„Wie sehr fühlt man sich allein und geschlagen! Was draußen siegt, ist nicht unser Siegen, der Aufschwung geht spurlos an uns vorüber. Fast alle setzen aus, setzen sich ein, um zu verteidigen, was nicht mehr eine Stunde hätte weiter ertragen werden sollen. Der Schmock [prinzipienloser Journalismus] und die Lüge um die Roheit herum halten ungestört Ernte, blasen noch an, was ohnehin schon lichterloh genug brennt.
Die Luft hallt von Beschimpfungen wider, von einfältigsten Klischees, während jeder an seinem eigenen Gesicht nur die verfolgte deutsche Unschuld, wie aus der Fibel, abzulesen versteht. Weiber wünschen Blut zu sehen und Wunden, um sie engelrein zu verbinden. Heimsoldaten ohne Ende, rohe Spießer und Dummköpfe, die sich das Gehirn an den Festreden verdorben haben, sind überrascht, ein ‘solches’ Volk zu sein. Wissen nicht genug die Zeit zu preisen, die aus Sozialisten eine Hammelherde machte und aus Geist einen Gassenhauer.
Alles, Brot, Gesichter, Zeitungen, Gedanken, ist durchbacken vom Krieg. Fast das ganze Volk, übel gewohnt, schlecht geführt, besteht nur noch aus Gier, aus Machtbesessenen, die es sind, und solchen, die es werden wollen“ (Bloch, Politische Messungen, 20).
Flucht in die Schweiz im Jahre 1917
Der für den Herbst bzw. Winter 1914 fest eingeplante Sieg des deutschen Militärs blieb aus, der Erste Weltkrieg wurde fortgeführt und erweitert. Die politischen und militärischen Behörden verschärften nun – anders als vor 1914 – den Druck auf die Friedensbewegten. Bereits ab dem 3. Oktober 1915 durfte der pazifistische „Bund Neues Vaterland“, dem auch die Gebrüder Adolf und Georg Bley aus dem nordpfälzischen Kirchheimbolanden angehörten, den eigenen Mitgliedern keine Mitteilungen mehr schicken – ein klarer Verstoß gegen das Vereinsrecht des Kaiserreichs.
Der nächste gezielte Schlag folgte am 7. Februar 1916, als dem „Bund Neues Vaterland“ mitgeteilt wurde, dass er für die Dauer des Krieges seine Betätigung einstellen müsse. Die Sekretärin dieser Friedensorganisation, Lilli Jannasch, wurde willkürlich verhaftet und ohne Angabe von Gründen 14 Wochen inhaftiert – eine illegale Aktion. Auch ihre Nachfolgerin, Elsbeth Bruck, erfuhr ein ähnliches Schicksal.
Die Lahmlegung des „Bundes Neues Vaterland“ bedeutete nur den Anfang der Repressalien, wenig später traf es auch die Deutsche Friedensgesellschaft: Verbote und Beschlagnahmungen von Publikationen, Verfolgungen, Observierungen und Verhaftungen. Die treibende Kraft hinter diesen Handlungen stellte die dritte Oberste Heeresleitung (Hindenburg, Ludendorff) dar, de facto eine Militärdiktatur, die nicht nur die militärischen, sondern ebenso die politischen Entscheidungen dominierte und den entsprechenden Druck ausübte.
Dieser Druck bildete einen Grund für die Flucht des Kriegsgegners Bloch. Hinzu kamen ferner die Verschlechterung der allgemeinen Lage (Rationierung aller Grundnahrungsmittel) für die Zivilbevölkerung sowie die Angst Blochs im dritten Kriegsjahr zur Armee eingezogen zu werden. Bei seiner Musterung im Jahre 1916 wurde Bloch, vor allem wegen der Intervention des Kriegskritikers Karl Jaspers (Philosoph an der Universität Heidelberg) aufgrund seiner starken Kurzsichtigkeit nur zunächst vom Wehrdienst befreit.
Im Frühjahr 1917 verließen Ernst Bloch (nach der Abfassung des Manuskripts seines Werkes „Geist der Utopie“) und seine Frau Else von Stritzky Deutschland und siedelten in die Schweiz über, zunächst nach Thun, dann nach Interlaken. Von der Schweiz aus wollte Bloch, wie auch der Pirmasenser DADA-Mitbegründer Hugo Ball (Flucht mit seiner Partnerin und späteren Ehefrau Emmy Hennigs in die Schweiz schon im Jahre 1915 wegen der patriotischen Stimmung in Deutschland), die Kriegspolitik des Kaiserreiches publizistisch bekämpfen. Daher schloss sich Bloch, wie auch Ball, der Zeitschrift „Die Freie Zeitung“ an und veröffentlichte insgesamt 106 Artikel, teilweise unter seinem Namen, teilweise unter Pseudonymen (aus berechtigter Angst vor der deutschen Spionage) in diesem wichtigen Organ des deutschen demokratischen und antimilitaristischen Exils.
Beispiele von Blochs publizistischer Kriegskritik
Mit dem Kaiser Wilhelm II. setzte sich Bloch kritisch und äußerst süffisant auseinander, etwa im Zusammenhang mit dem Frieden von Brest-Litowsk, in dem das Kaiserreich die Friedensbedingungen für die Sowjetunion diktierte.
„Es ist immer wieder eine Lust, ihm zuzuhören. Auch diesmal, wo man sich nichts weiter versah, als daß die Friedensparodie in Brest-Litowsk zum Ende gespielt wurde, hat Wilhelm II. gehalten, was seine an erleuchtenden Reden nicht arme Vergangenheit versprach.
Während man östlich schachert und täuscht, mit öligen Mienen, sollen im Westen weiter ‘mit eiserner Faust und mit blitzendem Schwert die Pforten eingeschlagen werden bei denen, die den Frieden nicht haben wollen’. Dazu ist bekanntlich der Kaiser der rechte Mann. Vielseitig wie er schon ist, hat er der Welt 1914 den Krieg beschert und nun möchte er ihr mit denselben Mitteln, mit Faust und Schwert und dem Spezialgott Deutschlands dazu den Frieden als Weihnachtsgeschenk bringen. […]
Man hat tatsächlich in dieser Rede in nuce das ganze unveränderte, unbelehrbare Glaubensbekenntnis des deutschen Militarismus; kein Friede ohne den deutschen Sieg, keine Nachgiebigkeit gegenüber der Demokratisierung und der Zivilisation, kein Christentum ohne die Unterstützung der eisernen Faust und des blinkenden Degens, kein Gott, der nicht als Herr der Heerscharen, mithin als eine Art von alleroberstem Kriegsherrn und Kollegen Wilhelms II. verehrt würde“ (Bloch, Kampf, 139).
Mit den Kriegsgewinnlern und der Korruption in Deutschland beschäftigte sich Bloch in einem Artikel.
„Saubere Dinge sind letzthin im Hauptausschuss des Reichstags aufgedeckt worden. Man munkelte und wusste ja schon vorher allerlei. Aber einiges davon ist jetzt wenigstens in grelles öffentliches Licht gestellt worden.
Die großen, ausschließlich für [den] Heeresbedarf, ausschließlich für das ‘vaterländische Interesse’ arbeitenden Daimlerwerke, haben seit Jahren nicht nur Überforderungen schamlosester Art geübt, vier Millionen Mark monatlich über den rechtmäßigen Gewinn hinaus; sondern auch die vorgelegten Buchungen gefälscht und außerdem, falls eine neue Mehrforderung nicht zugestanden würde, mit dem Streik gedroht. Jetzt ist Anzeige erstattet, aber vielleicht braucht Daimler, trotz des bewiesenen Betrugs, auch nicht mehr zu fürchten als die vor kurzem wegen ähnlicher Geschäfte angeklagt und wieder freigesprochene Maschinenfabrik Wiesbaden.
Hier ist das Militär sanft und geduldig, hier fordert die ‘Deutsche Zeitung’ mit ihren sehr mächtigen schwerindustriellen Hintermännern ausdrücklich, von einer Strafverfolgung und Militarisierung der Rüstungsbetriebe abzusehen, um ‘die Produktionslust nicht zu schwächen’, um den Streik der Unternehmer nicht zu provozieren.
Dagegen ein Metalldreher, der während des Ausstands in Berlin Zettel mit [der] Streikaufforderung verteilte, wurde unter Versagung mildernder Umstände an Ort und Stelle zu vier Monaten Zuchthaus verurteilt. Deutschland ist, wie man sieht, ein Rechtsstaat; das einzige, was dort die Augen nicht verbunden hat, ist die Justiz.
Man munkelt und weiß aber auch außerdem allerlei. Denn der zweite Fall, der des Kammerherrn der Kaiserin v. Behr-Pinnow, ist ganz offenbar nur ein Ausschnitt, nur ein Glied in einer ganz anderen Kette, die die Regierung offenbar noch weniger gerne aufrollen lassen will.
Dieser Edelmann hat armen Sacknäherinnen, die ihm und seiner Wohltätigkeitsaktion zugewiesen worden waren (denn der Kammerherr der Kaiserin macht ja keine Geschäfte), die Hälfte ihres Verdienstes unterschlagen und derart mit einem einbezahlten Kapital von 25 000 Mark in neun Monaten viereinhalb Millionen verdient. Schon die stillen Teilhaber an den Wucher- und Schieber-Geschäften der Meta Kupfer stammen aus sehr hohen Kreisen; aber nun geht es offenbar noch höher hinauf, so also sieht der Opfertod fürs Vaterland in diesen Kreisen aus. […]
Die herrschenden Schichten Deutschlands sind heute besessen vom zügellosesten, brutalsten Kapitalismus und Materialismus; es wird gestohlen wie noch nie und nirgends bisher, der unbestechliche Beamte, der Stolz Preußens, wankt bedenklich und wird schwach vor dem Schmiergeld, Einbruch, Brandstiftung, Raubmord füllen die Spalten jeder großstädtischen Zeitung. Daimler und Herr von Pinnow sind nur Augenblicksbilder aus der Homogenität des gesamten, gegenwärtig in Deutschland herrschenden Systems“ (Bloch, Kampf, 221f.).
Bloch war keineswegs ein prinzipieller Gegner von Krieg und Gewalt. In der Auseinandersetzung zwischen der Entente (Großbritannien, Frankreich, USA, Italien) sowie den Mittelmächten (Deutschland, Österreich-Ungarn) unterschied der Philosoph die beiden Seiten deutlich – und befürwortete die Gewalt auf Seiten der Entente, da nur so der Militarismus der Mittelmächte besiegt werden könne. Die Form der Gewaltanwendung sei kein Krieg sondern ein kurzzeitiger, vorübergehender und notwendiger Kampf. In diesem Zusammenhang differenziert Bloch zwischen zwei Staatsmännern, dem US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson und dem deutschen Kaiser Wilhelm II.
„Die vielfach geworfene, verworfene Welt ist so beschaffen, daß nur von oben her, mit Kuß und reiner Gesinnung, das Böse in ihr nicht zu heilen ist. Sondern die Macht muß der Macht entgegenstehen, soll diese überwunden werden […]. Aber nach gelungenem Werk, voll Ekel über die aufgedrängten Gegenmittel, soll sich selbst die Macht, die Macht des Guten, so reinlich als möglich des Machthaften selbst entledigen: und die Welt der Entente, der gerade im Krieg der Militarismus gesinnungsmäßig noch fremder geworden ist als vorher, braucht nicht die eigene Verstrickung in den Machtgedanken als Ziel, als Substanz zu fürchten […].
Durchaus aber ist Schlacht und Wehrpflicht bei der Entente nur Kampf gegen deren Erreger, nur Methode, grausam erzwungen; nicht Gesinnung, nicht Symptom, nicht Staatssubstanz wie bei den Zentralmächten: sie steht im Kampf aber sie führt nicht Krieg, die Welt; sie führt Kampf gegen den Krieg, sie steht auf den Barrikaden gegen das System des Krieges, sie ist sich gründlich, grundhaft wehrender Pazifismus und, mit voller Paradoxie des Wortes, kämpfende Christenheit, ecclesia militans.
Wilson, der kämpft, ist Pazifist geblieben, mehr als je. Wilhelm II., der sich in ‘Friedens’-Intrigen gegen diesen Kampf, gegen diesen nachgespielten Akt der Französischen Revolution erschöpft, ist Militarist geblieben, ebenfalls mehr als je“ (Bloch, Kampf, 315 und 317).
50 Jahre später: Bei der Entgegennahme des Friedenspreises des deutschen Buchhandels im Jahre 1967 vertrat Bloch immer noch die Position, wonach zwischen dem Kampf (gegen Unrecht) und Krieg im Namen des Unrechts deutlich unterschieden werden müsse.
Der Januarstreik 1918
Am 28. Januar 1918 begann in Berlin der Massenstreik für Frieden und Demokratie, der von den Betriebsobleuten, also nicht von den Parteien SPD oder USPD, organisiert war. Insgesamt beteiligten sich ca. 400.000 Personen in ganz Deutschland an diesem Streik, der eine Woche dauerte. Dieser Streik erreichte auch Frankenthal und Ludwigshafen. Ernst Bloch kommentierte aus dem Schweizer Exil zweimal den Januarstreik. Zunächst begrüßte der Philosoph die Arbeitsniederlegungen.
„Die vergangenen Tage standen ausnahmslos unter dem Zeichen der deutschen Streiks. Es ist kein Zweifel, der Krieg fängt jetzt an in Deutschland selber zu toben, und sein Ausgang entscheidet den allgemeinen Ausgang sogleich. Könnte das Volk dort siegen, vermöchte sich eine dem Volk verantwortliche, von ihm gewählte oder auch nur gutgeheißene, vom Volkswillen erfüllte Regierung in Deutschland zu etablieren, so fiele mit den Junkern der Kriegsgrund weg und der Verständigungsfriede käme automatisch in Sicht“ (Bloch, Kampf, 177).
Die vom Aktionsausschuss des Streiks angestrebten Verhandlungen mit der Regierung kamen nicht zustande, da die Regierung Gespräche mit Arbeiterräten ablehnte. Die drastischen Repressionen des Staates gegen die Streikenden erfolgten sehr bald. Kriegsgerichte verhängten in Schnellverfahren Gefängnisstrafen, viele revolutionäre Obleute wurden zum Kriegsdienst einberufen, alle Streikenden bekamen einen entsprechenden Vermerk.
Zum Ende des Streiks vermerkte Bloch. „Es ist nicht zu sagen, wie friedlich diese Woche war. Denn die deutschen Arbeiter haben sich wieder verkrochen und sind lammfromm geworden. Und der deutsche Soldatenrock, der ehemals in den Anfängen dieses Krieges ‘des Kaisers Rock’ hieß und dem Träger höchste Ehre verlieh, derselbe Rock, in den die Freiwilligen der ersten Zeit so begeistert schlüpften, ist unterdessen vom Generalkommando zum Schlafkleid für streikende Vaterlandsverräter degradiert worden“ (Bloch, Kampf, 182).
Dem Kriegsende entgegen
Spätestens ab dem Frühjahr 1918 zeichnete sich die militärische Niederlage des Kaiserreiches ab.
Diese prekäre Lage verschwieg die deutsche Propaganda. Bloch reflektierte in einer Schrift vom Juni 1918 die bevorstehende Kriegsniederlage Deutschlands.
„An Volk und Heer
Nicht Euch, Freunde, bekämpfen wir. Nicht Euch, deutsche Soldaten, nicht Dich, deutsches Volk, wünschen wir besiegt zu sehen. Aber den Herren und Junkern, Euren erbarmungslosen Treibern, den Anstiftern, Erhaltern und Verlängeren dieses Krieges, wünschen wir ein Ende, ein Genug; ein Abtreten von der Bühne, auf die sie Euch alle, die Ihr schuldlos und getrieben seid, zum Sterben für die rasendsten, volksfremdesten Gewaltgedanken gerufen haben.
Wacht auf! Reibt Euch endlich den Schlaf und die Lügen aus den Augen! Seht die Welt, wie sie ist; wie sie werden will, neu besser, glücklicher als vordem, als je. Seht auch die schändliche Rolle, die man Euch darin zugedacht hat; die Euch die Verfechter des Morschen, Alten und Unerträglichen, die Verfechter des Zwangs und Fürsten-Machtprinzips, in dieser Welt zugedacht haben.
Es zittert der ganze Erdball von den Pulsschlägen einer neuen Freiheit; die Völker wollen sich endlich in diesem Zeichen vereinen, und nur Ihr, Soldaten, Männer aus dem großen, herrlichen, deutschen Volk, wollt Euch verhärten und Eure Kraft gegen euch selbst, gegen die Verwirklichung der Freiheitsideen Eurer Dichter und Philosophen stellen? Haben dazu Schiller, Fichte, Kant unter Euch gelebt, Euch in der Jugend begeistert und erzogen, damit Ihr von der dürrsten, unfruchtbarsten Gewaltkaste Preußens zum Volk der Knechtschaft erduldend, über alle andern Völker Knechtschaft verhängt? Wacht endlich auf! Verlaßt diesen Schlaf und den grauenvollen Irrtum Eures jetzigen Daseins! […]
Ihr sollt vielmehr durchaus den Krieg gewinnen. Aber ihr sollt den Krieg Eurer Freiheit gewinnen. Und nicht etwa den Krieg der Krämer und Wucherer, der Junker und Kriegshetzer zu Hause; denen soll in Wahrheit ihre Macht und ihre Mentalität in Stücke zusammengeschlagen werden, damit die Welt, und Deutschland mit ihr, sich anderen Zielen, als denen der Gewalt und der Hinterlist zuwenden kann, damit die starke innere Front, der Barrikadenbau gegen rechts, wie er einmal die Parole des ganzen deutschen Liberalismus und der gesamten deutschen Sozialdemokratie bildete, endlich den vollen Triumph über Potsdam und seinen Kronrat, über die Pest der Gewalt, über die preußischen Junker als die natürlichen Feinde der Freiheit erlebt“ (Bloch, Kampf, 457f.).
Im September 1918 publizierte Bloch eine weitere Schrift mit ähnlichen Inhalten. Das Ende des Ersten Weltkrieges und des Kaiserreiches erlebte Bloch in der Schweiz und kehrte 1919 nach Deutschland zurück.
Quellen und Literatur
Bloch, Ernst: Politische Messungen, Pestzeit, Vormärz. Gesamtausgabe, Band 11, Frankfurt a. M. 1977
Ders.: Kampf, nicht Krieg. Politische Schriften 1917-1919. Hg. von Martin Korol.
Frankfurt a. M. 1985
Korol, Martin: Deutsches Präexil in der Schweiz 1916-1918. Hugo Balls und Ernst Blochs Opposition von außen gegen die deutsche Politik in der Schweiz während des Ersten Weltkrieges. Diss. Bremen 1999
Lipp, Karlheinz: Pazifismus in der Pfalz vor und während des Ersten Weltkrieges. Ein Lesebuch. Nordhausen 2015
Zudeick, Peter: Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch – Leben und Werk. Bühl-Moos 1987
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