Friedrich Schmidt-Roscher: Gol

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Ein brasilianischer Fußballkrimi, Gommersheim: Jochen Werz Verlag, 2014, ISBN 978-3-939434-22-1,

Taschenbuch, 235 Seiten, 9,90 Euro.

Prof. Dr. Arnd Götzelmann Martinskirchweg 25, 67346 Speyer

Rechtzeitig vor dem Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien ist ein spannender Krimi mit pastoralem Tiefgang erschienen. Aus mehreren Gründen erscheint es interessant, ihn an dieser Stelle zu besprechen – freilich ohne den ganzen Plot vorwegzunehmen: Zum einen stammt er aus der Feder unseres Haßlocher Kollegen Dr. Friedrich Schmidt-Roscher, der auf einem Bauernhof in Großsteinhausen / Westpfalz aufwuchs, zum zweiten wird er im Verlag Jochen Werz, des Mannes unserer Gommersheimer Kollegin Martin Horak-Werz, aufgelegt und zum dritten hat er trotz des Spielortes Brasilien viel Pfälzer Lokalbezug und ein kirchliches Grundthema.

Der Einstieg bringt die Sache im wahrsten Sinne des Wortes auf den Punkt – auf den Mittelpunkt eines WM-Stadions in Sao Paulo nämlich: Im Anstoßkreis liegt – malerisch dahin drapiert – eine blonde junge Frau. Sie wirkt wie im Schlaf, doch auf ihrer Stirn klafft ein kleines Einschussloch, das urplötzlich zum Tode geführt hat. Schnell kommt die Kriminalprotagonistin des Buches an den Tatort, Kommissarin Gabriella Gil, alleinstehend ist sie und zu allen polizeilichen und halblegalen Aktionen bereit. Sie hat ihren letzten Arbeitstag bei der Mordkommission der Policia Civil in Sao Paulo und beginnt anschließend bei der Sondereinheit „Gol Sao Paulo“, die eingesetzt wurde, um die Spiele zu beschützen und Brasilien in der globalen Öffentlichkeit anlässlich der WM gut dastehen zu lassen. Diese 32-jährige Frau wird später Einiges einstecken müssen, immer wieder kluge Schlüsse ziehen und sich auch noch verlieben.

Der pastorale Protagonist namens Christian Forte kommt sozusagen als Ersatzspieler auf den Platz, denn er wird vom Oberkirchenrat Rust (!) von der EKD aus Hannover kurzfristig angefragt, ob er den Fußballpfarrer Heinz Adler, der einen schweren Skiunfall hatte, bei der WM als Seelsorger des deutschen Teams vertreten könne. Da seine Frau Sabine eine vehemente Fußballkritikerin ist, macht er seine beiden Kinder zu Verbündeten. Zu Dritt wird Sabine überredet und, nachdem ein Ruhestandspfarrer die Vertretung in der Schule, an der Forte als Pfarrer arbeitet, übernehmen will, sagt er in Hannover zu. Alles wie im echten Pfarrersleben. Auch, dass es einen katholischen Amtsbruder gibt, der die ökumenische Parität sichern soll. Der korpulente Monsignore Michael Braun hatte ein paar Jahre in Angola verbracht und spricht fließend portugiesisch, spielt aber später kaum mehr eine relevante Rolle in der Geschichte.

Der Krimi dreht sich zunächst um den Mord an der jungen Frau im Anstoßkreis, doch dann wird der WM-Pokal aus der Suite eines Funktionärs des Weltfußballverbandes gestohlen. Der Safe war geöffnet worden. Es ergeben sich Hinweise auf nächtliche Orgien in dem Hotelzimmer und der Pokal muss innerhalb einer Woche von der Polizei gefunden werden, um kein Problem bei der WM-Eröffnung zu provozieren. Sodann erhält Forte in der neogotischen Basilica de Nossa Senora da Luz in Curitiba von einem Journalisten einen Umschlag zugesteckt mit dem Hinweis, er werde verfolgt. Der Journalist verschwindet tatsächlich. Bei der Suche nach dem Journalisten kommt Forte fast durch ein Attentat um, kann sich mithilfe der deutschen WM-Organisationsassistentin Barbara Schuster aber retten. In der Erzählung sind die parallel laufenden Ermittlungen des Teams Forte/Schuster und Gil/Gol-Kollegen sehr geschickt miteinander verflochten. Die Szenenwechsel sorgen für zusätzliche Spannung. Der ganze Plot fokussiert sich schließlich auf eine evangelikale Freikirche in Brasilien und ihre finsteren Machenschaften zusammen mit einem „Baulöwen“, der zugleich Fußballsponsor ist.

Forte, wie Schmidt-Roscher ein an Pfälzischer Lokalgeschichte interessierter Mensch, findet durch seine biblisch-historische Kombinationsgabe heraus, wo der verschwundene Journalist recherchiert hat: in einem entlegen brasilianischen Dorf, in dem sich Auswanderer aus der Westpfalz und dem Hunsrück niedergelassen haben. Die Pfälzische Mundart wird denn auch zum Türöffner für Fortes Recherchen. Interessant sind hier z.B. die Namen der Pfälzer Familien in diesem Ort, die der WM-Pfarrer dem migrationshistorischen Band von Roland Stein entnimmt und die wie zufällig manchen Namen von Pfälzer Pfarrern ähneln: „Abel, Bauer, Christmann, Clemens, Frech, Hofer, Hofgard, Hoffmann, Keller, Knerr, Maurer, Manter, Nägli, Ruble, Schmidt, Schäfer, Weber und Zinßmeister.“ Nebenbei erfährt man etwas über die Lebensgeschichten von Pfälzer Auswanderern im 19. und 20. Jahrhundert in den deutsch-brasilianisch Dörfern.

Sehr schön kommt der Westpfälzer Dialekt Fortes bzw. Schmidt-Roschers ins Spiel, z.B. im Kontakt mit der brasilianischen Postbeamtin in Nova Concordia (Neu Eintracht), die darauf beharrt ihren Schalter pünktlich zu schließen, bis Forte sie auf Deutsch anspricht und sie antwortet: „Ach, sie sind Deitsche. Saan se des doch gleich. Es immer scheen Landsleit aussem Reich se treffe. Wie kommen ihr noo Intracht? Han ihr doo Vewandtschaft?“ Forte lacht: „Ei sie spreche jo pälzisch. Wo komme ihr Vorfahre dann her?“ „Die sind aus Kusel ingewannert und die anner Seit vum Hunsrick.“ Da ist der Bann gebrochen und sie lässt den Schalter für Forte und Kollegin doch offen.

Insbesondere für Pfälzer Pfarrerinnen und Pfarrer interessant sind manche Passagen, die die pastorale Berufsausübung des Fußballpfarrers illustrieren. So hören wir Forte in dem Gespräch zwischen ihm und dem Mannschaftsarzt nach einem Tischtennismatch sagen: „Im Predigerseminar war die Tischtennisplatte manchmal wichtiger als langweilige Vorträge. Mit meinem Freund Richard hab ich in der Mittagspause immer gespielt.“ Forte denkt bei sich dann weiter, ohne es auszusprechen, dass sie später sogar einmal um Beerdigungen spielten. Das sind gewiss Geschichten, von denen das gilt, was die Einbandinnenseite vorn die Leserin und den Leser gleich wissen lässt: „Die Handlung des Romans ist frei erfunden und etwaige auftretende Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Auch die Handlungen der Personen der Zeitgeschichte sind fiktiv.“

Forte hält natürlich auch Andachten und Gottesdienste. Geplant ist eine wöchentliche Andacht im deutschen Quartier, wegen der schlimmen Ereignisse werden dann aber mehr daraus. Bei Anreise der Nationalspieler gibt es einen ökumenischen Gottesdienst. Monsignore Braun übernimmt die Liturgie und Forte die Predigt. Er legt die 1. Korintherstelle aus, indem das Leben des Christen mit einem Wettkampf in der Laufbahn verglichen wird. Die fünfzig Gottesdienstteilnehmer bekommen vom Teampfarrer zu hören, dass Paulus Sportler war, kein Fußballer, aber Läufer, der das Evangelium nach Europa brachte und dazu 7.000 km gelaufen ist. Das Leben sei ein Kampf, wie auch Fußball ein Kampf sei. Der schwerste Kampf des Christen sei aber der gegen sich selbst. Den habe ein anderer schon für uns gewonnen: Christus.

Forte besucht auch Gottesdienste. So schließt er sich Cacaus Vorschlag an, an Pfingsten einen Gottesdienst der evangelikal-enthusiastischen „Assembléia de Deus“ zu besuchen. Cacau weiß, dass der charismatische Pastor früher Fußballer war und sich nach einem „schlechten Leben“ zu Jesus bekehrt habe. Überhaupt erweist sich Cacau – hier gibt es offenbar eine Ähnlichkeit zur echten Person der Zeitgeschichte – als sehr fromm. Bei einer Andacht im deutschen Quartier greift er sogar zur Gitarre und singt mir der Teamgemeinde ein Lied.

Die Bedeutung der Einzelseelsorge wird in dem Krimi auf ebenso spannende Weise eingeflochten. Ein Nationalspieler fragt Forte, ob es in der evangelischen Kirche so etwas wie Beichte gebe, was Forte mit der Zusicherung der Vertraulichkeit des Seelsorgegespräches bejaht. Doch es kommt lange nicht zu einer passenden Gelegenheit. Diese Spannung wird am Ende zugunsten eines delikaten Themas aufgelöst, das die Gesellschaft und insbesondere den Fußball aktuell beschäftigt.

Bei der Lösung des Falles verhelfen Forte seine Bibelkenntnisse ebenso wie seine Kombinationsgabe zum Erfolg. Der protestantische Pfarrer trägt seine beruflichen Aufgaben professionell in die Fußballwelt und schafft es, nebenbei noch als sympathischer Hobbyermittler zum schmerzhaften Ziel zu kommen.

Der FCK-Fan Friedrich Schmidt-Roscher hat sich dem Genre Krimi seit 2005 verschrieben. In seinem Kriminaldebut Gol, an dem er vier Jahre lang arbeitete, schafft er es, eine prickelnde Spannung im Umfeld der Fußball-Weltmeisterschaft Brasiliens aufzubauen. Gewürzt mit Humor, angereichert mit pastoraltheologischen Finessen und versehen mit internationalem pfälzisch-brasilianischen Lokalkolorit knüpft er an andere Pastoralkrimis in der Tradition von Don Camillo und Peppone an, entwickelt jedoch seinen eigenen – pfälzisch-protestantischen – neuen Stil. Das Buch kann als packende Lektüre empfohlen werden – insbesondere den Zeitgenossen, die mit der Pfalz und ihrer protestantischen Kirche etwas zu tun haben. Wer zudem noch Fußballfan ist, wird den Krimi besonders gern lesen. Fußballinteresse ist dabei allerdings keine notwendige Voraussetzung. Schauen wir mal, wie sich die Prognosen des Buches zu den tatsächlichen Spielergebnissen im Sommer verhalten werden!

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