Leserbrief zu „Moral ohne Gott – braucht Ethik Religion?“ von Dr. Manfred Croissant

Print Friendly, PDF & Email

Martin Pfisterer
Luisenstraße 42, 76344 Eggenstein-Leopoldshafen

Leserbrief zu Nr. 9/2006, S. 332 ff

„Moral ohne Gott – braucht Ethik Religion?“ von Dr. Manfred Croissant

Gleich zu Beginn seines Artikels schreibt der Verfasser einige schwergewichtige Sätze:

1. „Unsere Welt ist zutiefst erlösungsbedürftig.“

2. „Gottes gute Schöpfung hat mit der Existenz des Menschen … offenbar eine frühe strukturelle Entgleisung erfahren.“

3. „Eine wirkliche Entwicklung des vernunftbegabten Wesens Mensch hin zu einem altruistisch empfindenden und verantwortlichen Geschöpf hat nicht stattgefunden.“

Die Reihe solcher Sätze ließe sich noch bedeutend verlängern. Aber stimmen sie auch?

Wer bedürftig ist, hat nicht, dem fehlt es am Genannten. Will Dr. Croissant wirklich sagen, dass unsere Welt und auch unsere Kirchen keine Erlösung haben? Will er die Liebe Gottes für so bedingt und so beschränkt halten, dass sie weder für unsere Welt noch für unsere Kirchen reicht? Was für ein Evangelium verkündigt er? Braucht unsere Welt Erlösung, hat sie sie nötig? Ohne die Liebe Gottes würde sie überhaupt nicht bestehen. Sie lebt davon von Anfang an.

Mir scheint nicht die Existenz des Menschen der Grund des Problems zu sein. Denn er ist Geschöpf Gottes. Die Logik dieses Satzes liefe darauf hinaus, dass Gott selbst das Problem geschaffen hat, das Dr. Croissant beklagt.

Zustimmen könnte ich, wenn er formuliert hätte: Gottes gute Schöpfung hat durch den (freien) Willen des Menschen … offenbar eine frühe strukturelle Entgleisung erfahren.

Soweit ich sehe, ist der Gedanke der (ethischen) Evolution der ganzen Bibel unbekannt. Nach Dr. Croissant hätte es Entwicklungsstufen gegeben, auf denen der Mensch keine ethische Verantwortung gehabt hätte. Wie hätte er dann dem Bild Gottes entsprochen? Wer markiert den Zeitpunkt, ab dem er diese Verantwortung hat oder haben sollte? Vielleicht ist – um in diesem Entwicklungsgedanken zu bleiben – der Zeitpunkt überhaupt noch nicht gekommen? Warum dann jammern?

Als Beleg für die Moral ohne Gott wird Franz-Josef Wetz mit seinem Buch „Illusion Menschenwürde“ angeführt. Dr. Croissant fasst dann zusammen:

„Die Maxime einer solchen Ethik im Wetz´schen Sinne könnte dann lauten: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg´ auch keinem andern zu!!“ (S. 333. rechte Spalte, 1, Absatz Zeilen 10-12).

Sollte Dr. Croissant tatsächlich übersehen haben, dass Jesus das Gleiche gesagt hat, nur eben positiv formuliert: „Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt – das ist alles, was das Gesetz und die Propheten fordern“ (Mt.7,12 nach Die Gute Nachricht).

Möchte Dr. Croissant allen Ernstes, dass ich seine Einstufung als „Moral ohne Gott“, als „einer anthropomorphen, einer homozentrierten Ethik“ (S. 333. rechte Spalte, 4. u. 5 Zeile von unten) für das Wort Jesu aus der Bergpredigt übernehme?

Insgesamt wirft der Artikel die Frage auf, was für ein Gottesbild steckt dahinter? Ist es das herkömmliche? Dort Gott – hier Mensch? Und Religion als Verbindung zwischen beiden? Diese aber gemanaged von Menschen?

Was wird unter Erlösung verstanden? Die herkömmliche Christologie vom Sühnetod Jesu? Die historisch-kritische Exegese hat doch schon lange entdeckt, dass das eine Botschaft über Jesus ist, aber nicht die Botschaft des Jesus. Dessen Botschaft war sehr einfach: Das Reich Gottes ist herbeigekommen. (Ist!! Nicht wird.) Ändert euch, d.h. lebt so, dass ihr zu diesem Reich Gottes passt! Vertraut meiner frohen Botschaft, dass das Reich Gottes herbeigekommen ist. Ihr sollt vollkommen sein, weil (oder wie) euer Vater im Himmel vollkommen ist.

An keiner Stelle hat Jesus gesagt: Macht euch keine Sorgen, was ihr nicht fertig bringt, das bügle ich mit meinem Tod für euch aus.

So könnte es ja geradezu umgekehrt sein, dass nämlich das, was Dr. Croissant als Moral mit Gott versteht, die wirkliche Moral ohne Gott ist, weil die Ethik Jesu zwar nicht verbis expressis, aber in der Logik als gottlos hingestellt wird.

Auf die rhetorische Frage (S. 333. rechte Spalte, 2 Absatz, ab Beginn) „Also haben wir doch eine Chance auf die Herstellung einer schönen und heilen Welt?“ kann ich nur antworten: Ganz gewiss! Denn sonst hätte Jesus uns nicht aufgefordert: Seid vollkommen, wie (weil) euer Vater im Himmel vollkommen ist.

Die Christologie vom Sühnetod Jesu zur Behebung unserer Unterlassungen hat die abendländische Christenheit seit der jungen Kirche, ganz besonders aber seit Anselm von Canterbury, ethisch kraftlos gemacht. Diese ethische Entkräftung setzt Dr. Croissant leider fort, indem er gegen Ende schreibt (S. 336, linke Spalte, 3 Absatz): „Unsere Welt ist zutiefst erlösungsbedürftig. Aber eine selbstgebastelte Ethik hilft ihr nicht weiter. In der durchaus als schmerzlich empfundenen dialektischen Spannung&xnbsp; zwischen dem ‚schon jetzt’ und dem ‚noch nicht’ sind wir ihr mehr denn je ein zeitgemäßes und lebensdienliches Zeugnis von der befreienden Liebe unseres Gottes und unserer Rechtfertigung aus Gnade schuldig.“

Genau dies war nicht die Botschaft Jesu. Oder rechnet Dr. Croissant die zentralen Sätze der Botschaft des Jesus (nicht über Jesus) auch zur „selbstgebastelten Ethik“?

Was auch den Menschen unserer Zeit mit liebevoller und überzeugender Deutlichkeit gesagt und&xnbsp;&xnbsp; vorgelebt werden kann, hört sich mit den Worten Jesu immer noch so an:

„Das Reich Gottes ist herbei gekommen. (Leider ist schon im Vater-unser aus dem Reich Gottes gleich wieder eine zukünftige und immer noch nicht gegenwärtige Sache gemacht worden. Genau das kann uns Jesus nicht zu beten gelehrt haben!!) Ändert euch. Seid vollkommen, weil (wie) euer Vater im Himmel vollkommen ist. Liebe Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele und aus allen dienen Kräften und deinen Nächsten wie dich selbst! Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt – das ist alles, was das Gesetz und die Propheten fordern.“

Es ist keinesfalls so, dass fast kein Mensch sich das sagen lassen möchte. Ich kenne auf jeden Fall ernsthafte Menschen genug, die ohne Religiosität sich der Ethik Jesu verpflichtet wissen. Wurde er nicht deswegen am Kreuz ermordet, weil er die Religiosität seiner Zeit mitsamt ihrer Ethik abgelehnt hat?

Um die Titelfrage von Dr. Croissasnt zu beantworten: Ethik braucht keine Religiosität, sie lebt von der Liebe – in der sind wir aber schon längst geborgen.

Ähnliche Artikel:

Keine passenden Beiträge gefunden

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
Menü