Glaubwürdig von Gott reden. Im Gespräch mit Paul Tillich

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Dr. Michael Großmann

Zager, Werner (Hg.): Glaubwürdig von Gott reden. Im Gespräch mit Paul Tillich (Mit Beiträgen von Werner Zager, Andreas Rössler, Bernd Hildebrandt, Wolfgang Pfüller, Martina S. Gnadt, Martin Schuck, Matthias von Kriegstein, Joachim Kunstmann), Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2012 (ISBN 978-3-374-03069-9), 193 S., kart., 28,- Euro.

Es stellt eine grundlegende, in manchen theologischen Ansätzen aber offensichtlich in Vergessenheit geratene Wahrheit dar, dass Gott immer größer ist als unser Denken: Deus semper maior. Wenn es sich so verhält, dann ergibt sich daraus, dass unsere Rede über Gott nur symbolisch und bruchstückhaft sein kann. Wer diese Schlussfolgerung anerkennt und damit eine vernunftbegleitete, die eigenen Grundlagen kritisch reflektierende Theologie verficht, wird an Paul Tillich (1886–1965) nicht vorbeikommen.

Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass sich der Bund für Freies Christentum im Rahmen seiner Jahrestagung im Oktober 2011 dieser herausragenden Gestalt gewidmet hat. In dem daraus hervorgegangenen Band Glaubwürdig von Gott reden werden acht Anläufe unternommen, Tillichs aus vielen Quellen gespeistes Denken für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Dabei reicht die thematische Bandbreite der Beiträge von der Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Philosophie über das „Gottesverständnis im interreligiösen Dialog“ bis hin zum Ausleuchten der Anstöße, die Tillichs Ansatz für Gebet und Predigt geben kann. Die einzelnen Aufsätze geben im besten Sinne des Wortes radikale, an die Wurzeln reichende Antworten, die sich nicht hinter allzu bequemen Dogmen verstecken.

Zu einem derartigen allzu bequemen Dogma kann beispielsweise das Prinzip der Trinität geraten. Darauf geht Wolfgang Pfüller in seinem Beitrag zur interreligiösen Dimension der Gottesfrage ein. Das Gottesverständnis stellt nach seiner Auffassung einen „Testfall komparativer Theologie“ dar, der sich in der Spannung zwischen Transzendenz und Immanenz manifestiert. In der Tat steht jede Religion vor dem Problem, ihre Vorstellung des Absoluten zwischen diesen Polen zu verorten. Laut Pfüller läuft das Christentum vor dem Hintergrund des Inkarnationsgedankens Gefahr, die Transzendenz Gottes zugunsten seines Offenbarseins zu vernachlässigen. Seiner an Tillich orientierten Auffassung nach kann uns nur ein trinitarischer Monotheismus, dem es nicht in einem quantitativen Sinne um die Zahl drei, sondern um ein qualitatives Verständnis geht, davor bewahren, in einen Tritheismus abzudriften. Pfüllers Aufsatz endet mit dem wertvollen Hinweis auf Anselm von Canterbury, der – was viele seiner Kritiker anscheinend nicht zur Kenntnis nehmen wollten – ebenfalls daran festhielt, dass Gott größer ist als alles, was gedacht werden kann.

Als komplementäre Ergänzung zu diesen Überlegungen lässt sich Andreas Rösslers Beitrag verstehen. Rössler geht von der Frage aus, was wir überhaupt meinen, wenn wir „Gott“ sagen. Über den auf Tillich fußenden Grundsatz, dass alle religiöse Rede als Symbol und Gleichnis zu verstehen ist, gelangt er zu der Charakterisierung des Tillich‘schen Gottesverständnisses als „trinitarischen Panentheismus“. Zugleich macht auch er deutlich, dass Trinität als qualitative, nicht quantitative Kategorie zu verstehen ist – und dass mit diesen Begriffen kein Netz zur Verfügung steht, in das wir uns angesichts der Sehnsucht nach Sicherheit fallen lassen könnten. Vielmehr schweben wir bei der Suche nach dem letzten Grund immer auch – der Autor verweist hier u.a. auf Schelling – über einem Abgrund.

Im Gespräch mit Tillich werden neben Schelling noch weitere Gewährsleute genannt. So ruft z.B. der Herausgeber Werner Zager in seinem den Band eröffnenden „Streifzug durch die liberale Theologie“ mit Julius Kaftan, Wilhelm Herrmann, Wilhelm Bousset und Ernst Troeltsch Denker in Erinnerung, die in ihrem Streben nach intellektueller Redlichkeit und nach Freiheit von dogmatischer Verengung gerade heute wegweisend sind. Bernd Hildebrandt beruft sich in seinem Aufsatz Sich mit Vernunft Gott nähern? auf Immanuel Kant und dessen Vernunftkritik. Freilich verweist er auf die Antinomienlehre der Kritik der reinen Vernunft, von deren Gültigkeit der Versuch abhängt, den nach den letzten Dingen fragenden Verstand in seine Schranken zu weisen.

An dieser Stelle wäre ein Anknüpfungspunkt für eine weitere Diskussion gegeben, bei der auch Ansätze einbezogen werden könnten, die eine Metaphysik nach Kant ins Auge fassen. Hier sei nur die objektiv idealistische Philosophie Vittorio Hösles erwähnt, die den Hegel‘schen Ansatz sprachkritisch zu transformieren versucht. Derartige Versuche lassen uns jedoch in das Fahrwasser eines Rationalismus geraten, der sich – wie Martin Schuck betont – als reduktionistische Form von Theologie erweist. Schuck benennt die Gefahr, in die sich eine menschliche Vernunft begibt, die „sowohl Ursprung als auch Norm des theologischen Denkens“ sein will. Demgegenüber hält er fest: „Ein glaubwürdiges Reden von Gott wird unter den Bedingungen eines ‚gottlosen‘ Alltags dort ansetzen müssen, wo die Sinnfragen des modernen Menschen aufbrechen, nämlich nirgendwo anders als im Alltag selbst.“

Dass sich das Programm einer rationalen Metaphysik nicht nur von unserer Lebenswelt, sondern auch weit von dem „Metapherngestöber“ (R. Zwick nach Paul Celan) der Gottesbilder entfernt, die uns in der Bibel begegnen, macht vor allem Joachim Kunstmann in seinen Überlegungen deutlich: Der biblische Gott wird nicht durch kirchlich verwaltetes, dogmatisch verengtes Denken angemessen erfasst, sondern durch Erfahrungen, die vorrangig in der Form des Erzählens weitergegeben werden. Doch auch darüber legt sich letztendlich die „Unsagbarkeit Gottes“, die jeder Versuchung zu allzu forscher Theoriebildung einen Riegel vorschieben sollte.

In die gleiche Kerbe haut Martina Gnadt, die in aller Klarheit hervorhebt, dass wahrhaftiges Beten sich stets das „Nicht-verzweckt-Werden-Gottes“ vor Augen halten muss. Hierin sieht sie ein wesentliches Anliegen Tillichs und variiert damit das den gesamten Band durchziehende Thema: Theologie, die sich Paul Tillichs Lektion anmerken lassen will, sollte sich davor hüten, die Fülle Gottes in das Prokrustesbett unserer begrenzten Denkschemata zu pressen. Angemessen ist eine symbolische Sprache, die – Matthias von Kriegstein weist in seinem Aufsatz über aufgeklärtes Predigen darauf hin – keineswegs defizitär ist in dem Sinne, in dem wir im Alltag oft sagen, eine Geste oder Handlung sei „nur“ symbolisch zu verstehen. Im Gegenteil: Denken in den Bahnen Tillichs geht laut von Kriegstein davon aus, „dass das Symbol mehr ausdrückt und andere Tiefenschichten erreicht als eine gegenständliche Sprache“.

Die Rede von Gott vollzieht sich somit als fragende und prinzipiell nicht abschließbare Suchbewegung, die ohne die Glaubenserfahrung nicht auskommt. Diese Einsicht ins Gedächtnis gerufen und aus mehreren Blickwinkeln beleuchtet zu haben, ist das Verdienst dieses Bandes.

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