Das Buch Joseph

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Patrick Roth, SUNRISE. Das Buch Joseph. Roman, Göttingen, Wallstein Verlag, 509 S., 24,80 Euro

Manfred Roos
Breslauer Straße 26, 67806 Rockenhausen

Es gibt unsägliche Romane zur Bibel, das meiste zu Jesus. Es gibt sehr wenige zu Josef, dem Mann im Hintergrund. Und ausgerechnet zu dieser biblischen Figur gibt es ein Buch, das wie kein anderes die Bibel ernstnimmt und in einer atemberaubend spannenden Weise vergegenwärtigt: Den Roman „Sunrise“, am dem Patrick Roth fünf Jahre lang geschrieben hat und der in diesem Jahr erschienen ist und schon die dritte Auflage erreicht hat. 

Was heißt: die Bibel ernstnehmen? Es heißt zum einen, sie in Zeitgenossenschaft zu lesen. Es ist Patrick Roth, Filmemacher und Autor, der da gelesen hat. Einer, den Fragen nach seinem eigenen Leben und unserer Gesellschaft bewegen.  Und die Bibel ernstnehmen heißt weiter, sich einzuhören in das Konzert der Stimmen, die altes und neues Testament auch in sich selber nun einmal sind, und die biblizistisches, wortwörtliches, fundamentalistisches Lesen der Bibel in sich selber verbieten. 

So erfahren wir von einem Josef, der der Träumer aus dem neuen Testament ist, aber immer auch von dem anderen Josef des Alten Testaments mit, der ja auch ein Träumer war. Während der Josef des AT klar seine Träume deutet (und so auch Karriere macht am Hof des Pharao), ist und bleibt der Josef in „Sunrise“ Handwerker (wird sogar eine Zeit lang in eine Räuberbande gepreßt, aber ich will nichts aus dem Roman erzählen) auch in der Art, wie er vorsichtig auf seine Träume hinhorcht und in ihnen die Stimme Gottes verstehen will. Und gerade in Josefs unbändigem Verstehenwollen, das ihn mit Haut und Haar, mit jeder Faser seines Lebens bestimmt, brechen neu die Fragen auf, was das nun für ein Gott ist, dem Jesus stirbt. Ich formuliere das hier bewusst so offen. Weil auch das im Prozess des Lesens entdeckt sein will.

Patrick Roth gelingt es, das allzu Bekannte der biblischen (und außerkanonischen) Tradition so zu verknüpfen, dass es in neuen und ungewohnten Zusammenhängen zu leuchten beginnt.

Während der Diskussionen bei einem wunderbaren Symposion zu „Sunrise“ (10./11.10.2012 im Deutschen Literaturarchiv Marbach, veranstaltet von Dr. Michaela Kopp-Marx und Prof. Georg Langenhorst) habe ich ein schönes Beispiel für das gehört, was Roth macht. Ein Diskussionsteilnehmer hat an die Verhüllung des Reichstages durch Christo und seine Frau erinnert. Der Reichstag, vorher eher gelangweilt zur Kenntnis genommen, ist gerade durch die Verhüllung wahrgenommen worden. Der Josefsroman, sehr grob gesprochen, verpackt Bibel auf eine so sensationelle Weise, daß neu gesehen werden kann (und das Sehen und Erkennen ist ohnehin auf vielfältige Weise Thema darin).

Roth schreibt diesen Roman in einer Art von Bibelsprache, die sich der alten annähert, aber eben Roth’sche poetische Sprache ist. Als ob das, was auszusagen ist, eben nicht in der alltäglichsten Sprache zu sagen ist. Und es gelingen ihm sprachmächtigste Bilder. Es gibt im Josefsroman eine Gottesvision von ezechielischer Wucht und Stärke, die wohl nicht nur mein Innerstes aufgerührt hat und vor der sich nun bewähren muss, was jeden Sonntag auf der Kanzel neu gesagt werden will. 

Es ist kein einfaches Buch. Vieles wird erst vom Ende her verstehbar. Es braucht die zweite Lektüre. Und, so man es zulassen will, liest dieses Buch die eigene Seele. Und wird zu dem produktiven Dialog, den ich mir über das Christentum in unserer Zeit wünschen möchte. Und: Es ist ein zugleich spannendes und immens kluges Buch. Es ist in seiner Art ein Solitär in der deutschen Buchlandschaft. Und ich halte es für ein Geschenk für uns Kirchenleute.

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