Rainer Neu – Das Mediale.

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Die Suche nach der Einheit der Religionen in der Religionswissenschaft, Stuttgart (Kohlhammer) 2010

Helmut Aßmann

Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen

Bereits in der Einleitung verrät Neu seine Vorgehensweise. Er schreibt, dass Schleiermacher sich mit Vehemenz für die Rehabilitierung der Religion einsetzt, „dass Religion Teil eines erfüllten menschlichen Lebens ist“. Religion ist „Anschauung und Gefühl des Universums“. „Darin bestünde die Erfahrung, aus der alle Religionen hervorgegangen seien, und darin liege ihre Einheit begründet, auch wenn sie von diesen Erfahrungen mit unterschiedlichen Worten redeten.“

Neben Schleiermachers „Reden über die Religion“ (1799) zitiert Neu im Eingang Herders„Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ (Berlin/Weimar 1784): „Was war´s, das den Menschen über die Tiere erhob? Man sagt: ‚Vernunft und Sprache’. So wie er aber zur Vernunft nicht ohne Sprache kommen konnte, so konnte er zu beiden nichts anders als durch die Bemerkung des Einen im Vielen, mithin durch die Vorstellung des Unsichtbaren im Sichtbaren gelangen.“

Worin aber besteht die Einheit der Religionen? Sie besteht nach Neu in dem Medialen. Sie besteht nicht im Heiligen (Rudolf Otto) oder im Göttlichen, sondern in dem, was zwischen dem Heiligen und dem Profanen als Mittler tätig ist. Dieses findet Neu in dem Schamanen der animistischen Religionen, aber auch in der Architektur der Tempel. Aufschlussreich und kenntnisreich legt er dar, wie das Mediale sowohl in den indischen Tempeln, wie auch im jüdischen Tempel, im Baustil der Romanik und der Gotik Gestalt gewinnt in der Tempelhalle (hekal), die zwischen dem Allerheiligsten und dem Vorhof liegt, wie am Beispiel des salomonischen Tempels aufgezeigt wird, was sich dann später in den Formen romanischer und gotischer Dome ausweitet.

Nach der Darstellung der sakralen Baugeschichte in fünf Abschnitten („Der indische Tempel“, „Der jüdische Tempel“, „Die Entwicklung der Basilika zum Sakralbau“, „Die Hagia Sophia: aus der Finsternis zum Licht“ und „Die gotische Kathedrale: das Mediale weitet sich aus“), wendet sich der Verfasser der Entdeckung des Mittlers in der Frühromantik zu und behandelt in fünf Abschnitten „Wilhelm Wackenroder und Ludwig Tieck: Natur und Kunst als Offenbarung des Göttlichen“, „Friedrich Schlegel“, „Novalis: im Endlichen das Unendliche entdecken“, „Friedrich Schleiermacher: Anschauung und Gefühl des Universums“ und „Friedrich Schelling: das Göttliche als Einheit aller Gegensätze“.

Danach folgen vier Abschnitte unter der Überschrift „Religionsphänomenologie: die Suche nach dem Heiligen“. Hier behandelt Neu „Rudolf Otto: das Heilige als eine Kategorie a priori“, „Nathan Söderblom: die Erfahrung der Heiligkeit Gottes“, „Gerardus van der Leeuw: die Vergegenwärtigung der Macht“ und „Mircea Eliade: die Dialektik des Heiligen“.

Unter der Überschrift: „Religionssoziologie: Wechselwirkungen des Heiligen und des Profanen“ behandelt der Verfasser „Numa Denis Fustel de Coulanges: das Heilige begründet soziale Beziehungen“, „Emile Durkheim: die profanen mit den heiligen Wesen zur Kommunion bringen“, „Max Weber: religiös motiviertes soziales Handeln“ und „Niklas Luhmann: das Überschreiten der Grenze“.

Erst im kurzen 6. Kapitel: „Das Mediale als Gegenstand der Religionswissenschaft“, entfaltet Neu seine These.

Dieser Aufbau des Werkes zeigt schon, dass Religionswissenschaft einen Gegenstand hat, der eine eigenständige Wissenschaft erfordert, neben der Religionsphänomenologie und Religionssoziologie nur Teilerkenntnisse liefern können. Hatten Herder und Schleiermacher den Blick auf die Religionen geöffnet und damit für das Eine in den Vielen, somit eine Religionsphänomenologie begründet, so gelingt es der Systemtheorie von Niklas Luhmann, eine Religionssoziologie zum Abschluss zu bringen, die von der klassischen Tradition des medialen Modells von Einheit, Polarität und Integration ausgeht, die Hegels These, dass der Gegensatz „die Einheit der Identität und der Verschiedenheit“ ist (G.W.F.Hegel, Wissenschaft der Logik II, Werke 6; Frankfurt 1969, S.55). In Luhmanns Modell drängt Polarität zu Integration. „Systeme werden nicht von außen gesteuert, sondern sie reagieren nach ihrer Eigenlogik auf die Veränderung ihrer Bedingungen“ (260).

„Die Funktion der Religion besteht in der Unterscheidung zwischen dem, was vertraut und beobachtbar ist, und dem, was unvertraut und unbeobachtbar ist“ (ebenda).

Nach Luhmann ist eine Kommunikation religiös, „wenn sie Immanentes unter dem Gesichtspunkt der Transzendenz betrachtet“ (N. Luhmann: Die Religion der Gesellschaft, Frankfurt am Main, 2000). „Erst von der Transzendenz aus gesehen erhält das Geschehen in dieser Welt einen religiösen Sinn“ (77). Die Differenz beobachtbar/unbeobachtbar stellt sich im Religionssystem Luhmanns als binäre Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz dar. Die Immanenz/Transzendenz-Differenz kommt in Luhmanns Religionstheorie zweimal vor, 1. als durch das System produzierter Unterschied, und 2. als im System beobachtbarer Unterschied.

Religion wird zu einem Teil der Gesellschaft, weil durch das Beobachten der Differenz diese erst in das System hereinkopiert wird und damit die in der Transzendenz liegende unvertraute Welt in der vertrauten Welt zur Erscheinung kommt. Religion entsteht „durch einen Wiedereintritt der Differenz von vertraut/unvertraut ins Vertraute und Umgängliche“ (261).

Luhmanns Begriff des Beobachtens wird zum Schlüsselbegriff seines differenztheoretischen Ansatzes. Daraus ergibt sich für den Bereich der Religion das Problem: „Man kann einen transzendenten Gott nicht denken, ohne mitzudenken, dass er die Welt, also auch den Menschen beobachtet….Wenn der Mensch sich beobachtet weiß, möchte er aber auch seinerseits den beobachten, der ihn beobachtet“ (Luhmann, Die Unterscheidung Gottes, in: ders., Soziologische Aufklärung. 4. Beiträge zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, Opladen 1987, 227-236)

Diese Kriterien, sagt Neu, erfüllen die Unterscheidung zwischen dem offenbaren und dem verborgenen Gott, dem deus revelatus und dem deus absconditus. „Durch den Wiedereintritt der Unterscheidung in das Unteschiedene entsteht eine verdeckte Duplikation des Vorhandene, Vertrauten.“ Religion ist der Versuch, sich das Unbeobachtete vertraut zu machen. Wie dieses Unterschiedene in die vertraute Welt eintritt und wie die von daher bestimmte Wahrnehmung der Transzendenz bestimmt wird, darin besteht der Unterschied zwischen den Religionen. Das Mediale besteht in der Systemtheorie Luhmanns „in Vermittlern oder Vermittlungen, die in Form von Handlungen oder Taten die in der Transzendenz liegende unvertraute Welt in der vertrauten Welt erscheinen lassen“.

„Auch in Luhmanns Systemtheorie erweist sich das Mediale als der Gegenstand der Religionswissenschaft.“ Mit diesem lapidaren Satz beschließt Rainer Neu die Abhandlung über Luhmanns religionssoziologischen Ansatz, dem er das Konzept des Medialen entnimmt. „Medial nennen wir das Bestreben der Pole heilig-profan sich in einem Dritten zu durchdringen und zu vermitteln. Das Mediale ist der dynamische Aspekt des Heiligen, die Dimension seiner Selbstmitteilung“ (272).

Lesenswert ist das Buch wegen seiner gründlichen Darstellung der oben genannten theologischen, philosophischen, religionssoziologischen und religionsphänomenologischen Entwürfe, wegen seiner Darstellungen der sakralen Architektur vor allem des Mittelalters und wegen der Geschlossenheit, mit der alles auf ein Ziel hin gerichtet ist, dem Nachweis des Medialen als dem Gegenstand der Religionswissenschaft.

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