Helmut Aßmann
Herzogstraße 74, 67435 Neustadt-Gimmeldingen
Im Jahr 1905 wurde im Tal der Könige in Ägypten das Grab von Juya und Tuya entdeckt, deren Mumien in das Ägyptische Nationalmuseum in Kairo gebracht wurden. Im Totenbuch Juyas fand sich der Titel „Vater des Pharao“, und tatsächlich findet sich bei der Pharaonin Teje, der Frau Amenophis III., die Angabe über ihre Eltern Tuya und Juya, was eine große Seltenheit ist. Damit steht aber auch fest, dass Juya der Großvater Echnatons war, der als Amenophis IV. die Thronfolge nach dem Tod seines Vaters antrat und den Thron 17 Jahre innehatte. Ebenso ist er der Großvater der Nofretete, der Gattin Echnatons, die nach seinem Tod seine Nachfolge antrat, ihn aber nur um weniger als ein Jahr überlebt hat. Ihre Mumie wurde nie gefunden. Sie verfiel wie ihr königlicher Gemahl der dammnatio memoriae.
Nach dem Tod seines Vaters hatte Echnaton Aton zum alleinigen Reichsgott erklärt und ihn gleichzeitig mit seinem Vater identifiziert. Das bedeutete seine Legitimation als Herrscher und die Erneuerung einer repräsentativen Monarchie mit dem Pharao als Co-Regent des Gottes Aton, der an die Stelle des verstorbenen Amenophis III. trat. Es bedeutete aber auch die Fortsetzung der Co-Regentschaft zwischen Echnaton und seinem Vater, die ja schon zu dessen Lebzeiten bestand, allerdings auf einer anderen, nämlich einer religiösen Ebene. Das politische Verhältnis der Co-Regentschaft zwischen Vater und Sohn wird nun auf der Ebene der Reichsreligion als Co-Regentschaft zwischen dem Gott Aton und Echnaton fortgesetzt, wobei Nofretete in die Dreiecksbeziehung einbezogen wird, obwohl sie wahrscheinlich, anders als Echnaton, von keiner pharaonischen Abstammung war, sondern von Eje, dem Bruder der Königin Teje abstammte, aber eben damit auch eine Enkelin von Juya war.
Diese Erhöhung der Nofretete , die auch ihren Ausdruck in dem mythologischen Zwillingspaar von Tefnut und Schu, den Kindern des Gottes Atum, findet, mit dem das königliche Paar sich identifizierte, verlangt nach einer Erklärung. Die neue Religion sollte ja nicht nur der Legitimation des Echnaton, sondern auch der seiner königlichen Gemahlin dienen. Sie machte den Bruch mit der bisherigen Amun-Religion erforderlich und die Preisgabe des alten Herrschaftssitzes Theben, an dem die Amun-Priesterschaft bislang die religiöse Legitimierung des Herrschers als Sohn des Sonnengottes Amun-Re legitimiert hatte. Dieser Vorgang der Einbettung des Herrscherpaares in einen mythologischen Kontext ähnelt in der Neuzeit dem Vorgang, bei dem sich Ludwigs XIV. und seinen Bruder Philipp mit dem Zwillingspaar Diana und Apollo, den Kindern des Zeus und der Latona identifizierte, weil sie, wie diese vor der Eifersucht der Hera, ebenfalls nach dem Tod ihres Vater Ludwig XIII. von Paris nach Versailles fliehen mussten, wo ihr Vater beim Aufstand der Fronde ums Leben gekommen war.
Die Flucht von Paris nach Versailles und der Vergleich mit dem mythologischen Geschwisterpaar Diana und Apollo wiederholte also gewissermaßen die Flucht Echnatons und der Nofretete von Theben nach Amarna und ihrem Vergleich mit dem göttlichen Geschwisterpaar Schu und Tefnut, den Zwillingskindern des Gottes Atum. Während aber die Regentschaft Ludwig XIV. nicht von dieser mythologischen Gleichsetzung abhing, er war ja durch seine Krönung durch den Papst legitimiert, war diese im Fall Echnatons eine politische Notwendigkeit, um die Rolle der Nofretete als seiner königlichen Gemahlin in den Rang einer Göttin zu erheben. Gleichzeitig erhob er bei seinem Regierungsantritt, der die Jahre der Co-Regentschaft mit seinem Vater beendete, seinen Vater zum Gott Aton, womit seine göttliche Abkunft und damit die Legitimität seiner Herrschaft als Sohn des Gottes Aton gesichert wurde.
Auch dieser Vorgang fand seine Wiederholung in der Geschichte, und zwar in der Entstehung des Christentums. Nachdem Jesus Gott als seinen Vater und zugleich als den Vater aller Menschen verkündigt hatte, wurde er im Umkehrschluss nach seinem Tod, und dann auch retrospektiv schon bei seiner Taufe als der Sohn Gottes verkündigt. Was Echnaton in einer politischen Zeremonie beim Thronbesteigungsfest getan hatte, nämlich den Gott Aton mit seinem verstorbenen Vater zu identifizieren und sich selbst durch die Priesterschaft zum Sohn des Aton proklamieren zu lassen, das geschah bei der Entstehung des Christentums durch die Verkündigung Jesu als des eingeborenen Sohnes Gottes. Er, der Gott seinen Vater genannt hatte, wurde zum Sohn Gottes; das heißt aber, dass seine Herrschaft im Himmel und auf Erden und die Errichtung des Reiches Gottes damit begründet werden sollte.
Diese religionsgeschichtliche Parallele zwischen der Entstehung des Christentums und der Amarna-Religion besteht m.E. deshalb zu Recht, weil in beiden Fällen die Metaphorik von Vater und Sohn das Verhältnis zwischen dem Herrscher und dem Gott bestimmt. Auch Christus ist eine Herrschergestalt, auch er herrscht seit der Himmelfahrt als König, wenn auch nicht im politisch-immanenten Sinn, sondern in einem religiös-transzendenten. Sein Reich ist nicht von dieser Welt. Er herrscht in der Unendlichkeit. Hierin ist seine Herrschaft der Herrschaft Echnatons, die eine Herrschaft in der Endlichkeit war, überlegen, und dies ist auch der Grund für das Scheitern der Religionspolitik Echnatons. Sie scheiterte an der Endlichkeit des Herrschers und des Herrscherpaares.
Die Kulturrevolution Echnatons, die als der Versuch, den Monotheismus in Ägypten einzuführen, anzusehen ist, hat in einer bemerkenswerten Radikalität die bisherige ägyptische Religion durch eine neue ersetzt, die zum Einen der Festigung seiner Macht diente, aber zum Andern auch einen Umsturz der Verhältnisse in Ägypten herbeiführte, insofern als die alten Götter und ihre Bilder abgeschafft wurden und neue Bilder an ihre Stelle traten (Theoklasmus und Ikonoklasmus). In der Theogonie wird das Herrscherpaar mit den Kindern des Gottes Atum gleichgesetzt, aber in der religionspolitischen Realität wird der Herrscher mit dem Sohn Atons gleichgesetzt.
Die Dreiecksbeziehung zwischen Nofretete, Echnaton und Aton, die in den Reliefs dargestellt wird, gleicht diese Divergenz zwischen Theogonie und politischer Ideologie und die damit verbundene Ungleichheit zwischen Herrscher und Herrscherin aus. Das heißt, dass die mythologische Konstellation Atum ¨C Tefnut und Schu herangezogen werden musste, um die theologische Konstruktion Aton ¨C Echnaton zugunsten von einer Dreieckskonstellation Aton ¨C Echnaton ¨C Nofretete zu korrigieren. Hier wird unversehens eine Kollage zwischen Atum und Aton vollzogen, die uns heute wie ein Willkürakt erscheinen mag. Die Einbeziehung Nofretetes in die Machtkonstellation bedeutete nichts weniger als ein Abweichen von einem konsequenten Monotheismus und wir haben es bei Echnaton weder mit einem konsequenten Monotheismus noch mit einem Henotheismus zu tun, da ja dieser auf die Hilfskonstruktion einer Götterdreiheit neben Aton angewiesen ist, um die königliche Gemahlin in die so geschaffene Götterdreiheit mit einbeziehen zu können.
Es muss uns verwundern, wie scheinbar leicht hier mit den verschiedenen Göttern umgegangen worden ist und wie der mythenschaffende Prozess durch machtpolitische Überlegungen gesteuert werden konnte, ja, wie die Mythologie die tatsächlichen Machtverhältnisse spiegelt. So bleibt die Religion von Osiris und Isis, den Zwillingskindern von Geb und Nut aus der älteren ägyptischen Religion, bei Echnaton ganz ausgeblendet, während Schu und Tefnut, das Zwillingskinderpaar des Atum, zur Konstellation der Begründung der Macht herangezogen werden. Dieser Widerspruch aus mythenkritischer Sicht kann nur erklärt werden, wenn es gelingt, das eigentliche Agens des mythenbildenden Prozesses zu finden. Diese Kraft des mythenbilden Prozesses könnte sich in der Gestalt des Juya zeigen, genauer gesagt in der Religion Juyas, der Großvaters beiden Regenten. Da der Machtbereich Ägyptens das heutige Palästina und das heutige Israel umfasste, sind auch die Hebräer Einwohner Ägyptens gewesen, die selbstverständlich nicht auf die Stammesgebiete ihrer Vorfahren beschränkt in dem, was wir heute unter Ägypten verstehen, wohnten.
So kann Juya durchaus ein Hebräer gewesen sein. Die Gebetshaltung seiner Mumie mit zum Gebet aneinandergelegten Handflächen weist zumindest auf eine andere als die ägyptische Religion hin. Ein weiteres Indiz ist der Name Juya. In allen Namen aus der Zeit ist der Gottesname in der Form eines Epithetons an den Namen angehängt. Dies könnte im Namen Juya auch der Fall sein. Das Epitheton wäre dann die Silbe Ya, also eine auch im Hebräischen geläufige Abkürzung des Namens Jahwe. So ist es berechtigt, wenn ich frage: War Juya ein Jahweverehrer? Wenn diese Frage bejaht werden kann, hätten wir das Agens des mythenbildenden Prozesses gefunden. Es bestünde eben in dem Verwurzeltsein der Juyaiden in einem grundsätzlich anderen als dem ägyptischen Gottesverständnis. Will sagen: Die Unbekümmertheit im Umgang mit der ägyptischen Religion und ihrer Mythologie, auch wenn diese zulasten des Monotheismus ging, kommt aus Gottvertrauen oder, um es mit einem Begriff der alttestamentlichen Weisheit auszudrücken, aus der Furcht Gottes.
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