Kirchenreformen im Vergleich

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Interessante Beiträge in der Zeitschrift „Evangelische Theologie“ 2-2013

Hans-Jürgen Volk
Kirchstraße 3 – 5, 57612 Eichelhardt

Ausgangspunkt dieses lesenswerten Heftes der Zeitschrift „Evangelische Theologie“ ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das von Isolde Karle, Karl Gabriel und Detlef Pollack initiiert wurde. Untersucht und verglichen werden Reformbemühungen in verschiedenen evangelischen Landeskirchen, katholischen Bistümern und evangelischen Freikirchen – ausgehend von der Frage: „Wie reagieren die Kirchen auf die gesellschaftlich-religiösen Wandlungsprozesse der letzten Jahrzehnte?“

Am Beginn des Projekts stand eine Tagung, die vom 29.9. bis 1.10.2011 in Münster stattfand und an der evangelische und katholische Theologinnen und Theologen, Soziologinnen und Soziologen und eine Politikwissenschaftlerin sowie kirchliche Expertinnen und Experten teilnahmen. Die im Heft vorliegenden Artikel sind ausgewählte Beiträge dieser Tagung. Es handelt sich also um eine erste Etappe eines breiten Diskurses, deren Ergebnisse gewiss ergänzungsbedürftig sind und Lust auf mehr machen.

In ihren einleitenden Anmerkungen zum Heft stellen Isolde Karle und Karl Gabriel die das Forschungsprojekt begleitenden Fragestellungen vor: „Welche Wirklichkeitsbeschreibungen und Problemdefinitionen liegen den strategischen Zielsetzungen der jeweiligen Kirchen zugrunde? Wird die Krise der Kirche primär als finanzielle oder als theologisch-geistliche oder als eine Krise mangelnder Akzeptanz in einer sich fortschreitend säkularisierenden gesellschaftlichen Umwelt betrachtet? Inwiefern spielen theologische Gründe für die propagierten Reformen eine Rolle? Wird die neue öffentliche Aufmerksamkeit für Religion als eine Gelegenheit benutzt, um die Attraktivität der kirchlichen Arbeit zu erhöhen? Gibt es auch gegenläufige Tendenzen, die dem Bemühen um Profilierung und Aktualisierung der kirchlichen Praxis kritisch gegenüberstehen? Welche Argumente werden jeweils geltend gemacht und welche Grundannahmen gelten als unhinterfragbar?“

Dann wird auf ein „verstärktes religionssoziologisches und theologisches Forschungsinteresse an den christlichen Kirchen als Organisation“ verwiesen. Dies hat zur Folge, „dass zunehmend Forschungen zu den christlichen Kirchen durchgeführt werden, die den Blick von außen auf sie selbst als Organisationen richten und nicht von den Kirchen selbst organisiert werden“.

Interessant ist der Hinweis auf die Rational-Choice-Theorie, unter deren Einfluss sich „in den USA eine Form der Religionssoziologie entwickelt hat, die religiösen Wandel mit Hilfe eines ökonomischen Marktmodells zu erfassen sucht und religiöse Vielfalt vor allem unternehmerisch erklärt“. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Autoren wie Michael Nüchtern mit seinem Buch aus dem Jahre 1997 „Kirche in Konkurrenz“ das „Marktmodell“ für die Kirche propagiert haben, als sich ein Rückgang der Finanzkraft der Kirche äußerstenfalls sehr vage abzuzeichnen begann. Dennoch sehen die Autoren, am deutlichsten ist hier Christoph Meyns, im Rückgang der Kirchensteuereinnahmen das entscheidende Motiv für die Um- und Rückbauprozesse insbesondere in den Ev. Landeskirchen. Gabriel und Karle schreiben: „Unter dem Druck ökonomischer Entscheidungszwänge haben kirchenleitende Ebenen – wie in anderen Bereichen der Gesellschaft auch – verstärkt Konzepte und Methoden aus der Betriebswirtschaftslehre zunächst in Diakonie und Caritas, dann aber auch im Bereich der verfassten Kirche rezipiert.“ Die Hoffnung auf eine erhöhte missionarische Wirksamkeit und die Steigerung der Wirtschaftlichkeit kirchlicher Organisationsstrukturen sei damit verbunden.

„Kirche unter Druck“

Der mitunter peinlichen „Aufbruch“-Rhetorik exponierter Kirchenfunktionäre stellt Christoph Meynsnüchtern die Realität kirchlicher Rückbauprozesse mit all ihren Konflikten und schmerzhaften Verlusten gegenüber, wobei er sich vor allem auf Erfahrungen aus der Nordelbischen Kirche stützt. Auf Grund der gegenwärtigen ökonomischen Perspektiven hält er einen weiteren Verlust an Finanzkraft und die daraus folgende Notwendigkeit einer Fortsetzung der Rückbauprozesse für wahrscheinlich. Meynsstellt in diesem Zusammenhang zwei Forderungen auf:

– Konsequenter Abschied „von ökonomischen Denk- und Sprachmustern“. „Mikroökonomisch orientierte Analysen, die religiöse Gemeinschaften als Unternehmen auf dem Markt der Sinnangebote interpretieren, und darauf aufbauende betriebswirtschaftliche Handlungsempfehlungen sind nicht in der Lage, die für die Vitalität und Stabilität religiöser Überzeugungen, Praktiken und Zugehörigkeiten wichtigen Faktoren zu erfassen.“

– Die evangelische Kirche muss sich „davon lösen, den Erfolg ihrer Arbeit an sichtbaren Maßstäben zu messen“. Im Blick auf die „seit Jahrzehnten parallel zueinander laufende Zahl der Austritte aus der evangelischen und der katholischen Kirche“ stellt Meyns fest: „Die Kirchen können das Verhalten ihrer Mitglieder im Rahmen der geltenden staatskirchenrechtlichen Regelungen so gut wie nicht beeinflussen.“

Bemerkenswert sind die Anmerkungen von Meyns zum Finanzdiskurs. Völlig korrekt sieht er in der schlechten Beschäftigungslage der 90er Jahre und vor allem in der staatlichen Steuerpolitik die Ursache für den Verlust an Finanzkraft der Kirchen an. „Die Ursachen für die gegenwärtigen Schwierigkeiten der evangelischen Kirche liegen also nicht im angeblichen Konkurrenzdruck durch andere Sinnanbieter auf einem Markt religiöser und weltanschaulicher Angebote …, sondern in der starken Abhängigkeit ihrer institutionellen Stabilität und ihres wirtschaftlichen Wohlergehens von der staatlichen Religions- und Steuerpolitik.“

Bedeutsam ist der Hinweis von Meyns auf Forschungen zur Steuermoral, nach denen „das lokalvorhandene Wissen um die Höhe der Steuereinnahmen und ihre Verwendung zusammen mit der Möglichkeit, darüber mitzuentscheiden, das Vertrauen der Steuerzahler und ihre Bereitschaft zur Zahlung von Steuern stärkt.“ Und umgekehrt gilt: „Je weiter weg die steuererhebende Körperschaft und je anonymer der Einzug, desto schwächer fällt dagegen die Zahlungsbereitschaft aus.“ Nun haben die Landeskirchen nicht nur bei der Kirchensteuer ihrem Drang zur Zentralisierung nachgegeben – in der rheinischen Kirche steht z.B. das formal noch existierende Ortskirchensteuerprinzip in Frage – und damit „wahrscheinlich ungewollt der Anonymisierung des Mitgliedschaftsverhältnisses und der Distanzierung von der Kirche Vorschub geleistet“. 

Die Ursachen für die „gegenwärtigen Schwierigkeiten der ev. Kirche“ sah Meyns in der zu großen Staatsnähe bzw. in der ausgeprägten Abhängigkeit von politischen Entscheidungen. Erstaunlich und ein wenig widersprüchlich ist, dass er dennoch eine Verstärkung der „Lobby-Arbeit bei Parteien, Parlamenten und Regierungen“ fordert und am bisherigen Kirchensteuereinzugsverfahren offenbar trotz allem festhalten will. Dass es sich hierbei womöglich nur um einen pragmatischen Zwischenschritt handelt, legt sein Hinweis auf die Arbeiten der Ökonomin Elinor Ostrom zu gemeinwirtschaftlichen Ansätzen nahe.

In einem recht abstrakten aber nichts desto weniger anregenden Beitrag interpretiert Henriette Rösch „den Reformdiskurs … als einen Problemlösungsversuch für das Problem der Indifferenz der Umwelt gegenüber dem Religionssystem und damit auch der EKD“. Zu bemängeln ist allerdings, dass die Ausführungen der Autorin im Wesentlichen eine recht wohlwollende Interpretation von Texten aus dem Bereich der EKD darstellen und sich weniger, wie es eigentlich der Anspruch des Studienprojektes ist, mit den erkennbaren Folgen und Problemen des Reformprozesses im realen Leben der Kirche beschäftigen. Nach Ansicht von Rösch bietet der Reformdiskurs verschiedene Lösungsansätze für das Indifferenzproblem mit „zum Teil widersprüchlichen Zielvorgaben“. Einerseits setzt man auf „Flexibilisierung, Profilierung und Marktorientierung“. „Die Überführung der indifferenten Mitgliedschaft in stabile Mitgliedschaft soll hingegen mit Bindungsstrategien –  Stichwort ‚Beheimatung im Glauben’ – geschehen.“ 

Rösch zeichnet ein freundlich-idealisiertes Bild einer Kirche, die in einer fragwürdigen Marktideologie verfangen den Druck nach innen mit dem Stichwort „Profilierung“ erhöht, um mit niederschwelligenAngeboten die potentiellen „Kunden“ zu erreichen. Richtig formuliert sie: „Spitzt man es also zu, antwortet die EKD über die Strategie einer Flexibilisierung und Niederschwelligkeit auf das Problem der ihr entgegengebrachten Indifferenz mit eigener Indifferenz.“ Und so scheitert der Transfer vom interessierten „Kunden“ zum engagierten Kirchenmitglied, zumal die betriebswirtschaftlich inspirierten Blaupausen des Reformprozesses so etwas gar nicht vorsehen.

Dass der Reformprozess innerhalb der Landeskirchen der EKD tatsächlich gefährliche Erosionsprozesse ausgelöst hat, darauf verweist Jens Schlamelcher in seinem Beitrag „Von der Gemeinschaft zur Organisation“. Er konstatiert eine „Verschiebung der amtskirchlichen Programmatik“ die zu einer „Marginalisierung der kirchlichen Kernmilieus“ bei gleichzeitiger Stärkung der Organisation führt. „Die Aufrechterhaltung der organisatorischen Funktionalität gelingt durch den Entzug von Ressourcen, die für die Gemeinschaftsbildung zur Verfügung gestellt werden.“ Schlamelcher, der sich auf aktuelle Gemeindestudien bezieht, sieht Angesichts der Tendenzen, die sich im realen Alltag der ev. Kirche abzeichnen, die Gefahr einer sich beschleunigenden Entkirchlichung statt eines „Wachsens gegen den Trend“. Sein Fazit: „Wenn die Kirche ihr eigenes Kernmilieu abstößt, bleibt nicht viel mehr übrig als eine formale, amtskirchliche Organisation, die Dienstleistungen für Kunden bereitstellt.“

Blick nach Außen

Holger Eschmann weist in seinem Artikel über „Reformprozesse in der Evangelisch-methodistischen Kirche“ auf eine ähnliche Ausgangslage wie bei den evangelischen Landeskirchen hin. Sinkende Mitgliederzahlen und zurückgehende Finanzmittel werden auch hier als Begründung für Reformmaßnahmen angeführt. Von 1998 bis 2008 sank die Mitgliederzahl der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland von 39.000 auf 33.364, 2013 sie bei 31.800 Mitgliedern (Quelle REMID). Hierbei setzt man allerdings andere Akzente. Zwar soll auch bei den Methodisten die regionale Kooperation ausgebaut werden, vor allem aber geht es um die Stärkung der Gemeindearbeit vor Ort. Aus diesem Grundsatzziel werden drei Rahmenziele abgeleitet: „1. Spielräume für Gemeinden und Bezirke eröffnen, 2. die Arbeitszufriedenheit der Pastorinnen und Pastoren erhöhen und 3. die Konferenzwerke (wie z.B. das Jugendwerk, das Bildungswerk oder die Rundfunkarbeit) als Dienstleister der Gemeinden verstehen.“

Über „Reformbemühungen im Bund Freier evangelischer Gemeinden“ schreibt Ansgar Hörsting, der zugleich Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden ist. Ca. 39.500 Mitglieder in 462 Gemeinden gehören dem Bund an. Interessant sind die Prozesse zur Meinungsbildung auf Grund der kongregationalistischen Struktur des Bundes. Er scheint die Vitalität der vielfältigen Aktivitäten durchaus zu fördern. Allerdings muss beachtet werden, dass Hörsting der führende Repräsentant des Bundes ist. Hätte man Nikolaus Schneider oder Wolfgang Huber gebeten, Texte zum EKD-Reformprozess zu schreiben, so hätten diese kaum die Mängel und Defizite in den Vordergrund gestellt. Tatsache ist allerdings auch, dass diese Spielart evangelischen Christseins seit vielen Jahren expandiert und man berechtigte Hoffnung hat, bis zum Jahr 2015 weitere 100 Gemeinden gründen zu können.

Zwei Beiträge setzen sich mit den Reformbemühungen der katholischen Kirche auseinander. Allerdings liest man wenig über die Veränderungen in der Organisation, die in vielem den in den evangelischen Landeskirchen sichtbaren Phänomenen ähneln. Lesenswert sind beide Beiträge gewiss, denn sie wecken das Verständnis für die Befindlichkeiten innerhalb des Katholizismus in Deutschland. Wilhelm Damberg stellt die gegenwärtige Situation der katholischen Kirche in einen historischen Zusammenhang, beginnend mit der Beschreibung der ultramontanen Bewegung im 19. Jahrhundert. Michael N. Ebertz geht auf die unterschiedlichen Strömungen im Katholizismus ein, aus dem sich für ihn fünf Optionen ergeben, wie auf die Krise dieser Kirche reagiert werden kann.

Resümee und kritische Anfragen

In einem abschließenden Beitrag sind Franz-Xaver Kaufmann und Detlef Pollak um einen Vergleich der kirchlichen Reformbemühungen aus soziologischer Sicht bemüht.

Für die Ev. Kirche ergibt sich danach das Bild einer Kirche im „Reformstress“, da die Ursachen der Probleme – Indifferenz, Mitgliederschwund und angeblicher Verlust an Finanzkraft – vor allem im eigenen, defizitären kirchlichen Handeln gesucht wird. Für die katholische Kirche wird eine „Reformblockade“ festgestellt. Dies mag im Blick auf grundlegende Fragen wie Zölibat, Weiheämter für Frauen oder die ökumenisch interessante und brisante Frage der gemeinsamen Eucharistiefeier durchaus zutreffen. Nachweislich führen die katholischen Bistümer jedoch ähnliche Veränderungen in ihrer Organisationsstruktur durch wie die evangelischen Landeskirchen – oft begleitet von den gleichen Beratungsunternehmen und ähnlichen Frustrationseffekten in den Gemeinden. Beim „Bund Freier evangelischer Gemeinden“ macht man eine „Reformeuphorie“ aus. Inwieweit ein Vergleich einer Gruppierung von knapp 40.000 Mitgliedern mit Volkskirchen sinnvoll ist, mag dahingestellt bleiben.

In Vielem mag man den Autoren und der Autorin zustimmen und ist dankbar für hilfreiche und situationsgerechte Analysen, die ja deutlich abseits des kirchlichen Mainstreams liegen. Dennoch sind zwei Punkte ärgerlich:

Finanzdiskurs:

Bei den Autoren scheint Konsens darüber zu bestehen, dass die „Rückbauprozesse“ in den ev. Landeskirchen auf Grund der zurückgehenden Finanzkraft unvermeidlich waren und auch in  Zukunft fortgesetzt werden müssen. Dieser Wahrnehmung muss sowohl im Blick auf die tatsächliche Finanzentwicklung, wie auch bezogen auf die hinter den „Reformmaßnahmen“ stehenden Motive widersprochen werden.

Im Jahr 1987 lag das Nettokirchensteueraufkommen in der Ev. Kirche im Rheinland bei 440 Mio. Euro. Ausgelöst durch den Einheitsboom stieg es nach einer stetigen Aufwärtsbewegung in den 80er Jahren rasant ab 1990 bis zu einem Aufkommen von 640 Mio. Euro 1994. Tatsächlich stellen die sehr guten Jahre zwischen 1992 und 1994 einen Ausreißer nach oben dar. Auf Grund von Steuerreformen der Kohl-Regierung, wachsender Arbeitslosigkeit und konjunktureller Schwäche sank das Kirchensteueraufkommen in den Folgejahren – Christoph Meyns stellt die Faktoren, die die Kirchensteuereinnahmen beeinflussen, in seinem Beitrag sachgemäß dar und hebt sich damit wohltuend ab von den Propagandisten aus dem Kreis kirchenleitender Funktionäre, die fälschlicherweise bis heute einen monokausalen Zusammen zwischen Mitglieder- und Finanzentwicklung herstellen wollen. 

Zu einem Einbruch bei den Kirchensteuereinnahmen kam es erst durch die rot-grüne Steuerreform, die zwischen 2000 und 2005 in drei Stufen umgesetzt wurde. 2005 lag das Netto-Kirchensteueraufkommen der rheinischen Kirche bei 492 Mio. Euro. Seitdem entwickelt es sich – ähnlich wie in den 80er Jahren – mit einer relativ stetigen Aufwärtsbewegung nach oben. 2012 wurde ein Jahresergebnis von ca. 595 Mio. Euro erzielt. Dies ist eine Steigerung von 103 Mio. Euro (20,9 %) gegenüber 2005. Friedhelm Schneider weist auf eine ähnliche Finanzentwicklung in der EKHN hin. Angesichts einer seit nunmehr acht Jahren anhaltenden insgesamt positiven Entwicklung bei den Kirchensteuereinnahmen kann man vor allem geplante „Rückbauprozesse“, also den weiteren Abbau von Pfarrstellen und Stellen bei anderen kirchlichen Berufsgruppen, kaum fiskalisch begründen.

Tatsächlich fließen die Finanzmittel in andere Kanäle. In der rheinischen Kirche werden 2013 ca. 24% des Nettokirchensteueraufkommens der Versorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte zugeführt. Eine Landeskirche, die derart risikofreudig und großzügig Gelder angesichts des niedrigen Zinsniveaus und der nach wie vor labilen Situation auf den Finanzmärkten in einem Kapitalstock parkt, kann man kaum als arm und in einer Finanzkrise befindlich bezeichnen. Zudem erweisen sich die Einführung des neuen kirchlichen Finanzwesens (NKF) und die im Rheinland geplante Verwaltungsstrukturreform als Kostentreiber.

Die tatsächlichen Motive der Strukturmaßnahmen der evangelischen Landeskirchen werden im Beitrag von Henriette Rösch angedeutet: Es geht um die Umgestaltung einer Kirche hin zu einem marktkonformen religiösen Dienstleistungskonzern – koste es, was es wolle.

Fehlende Partizipation – Top-Down-Strategie:

Mit die ärgerlichste Passage des Heftes findet sich im Resümee von Kaufmann und Pollack unter IV. „Akteure“. „Die Reformprozesse im Raum der evangelischen Kirchen der EKD weisen eine starkintegrationalistische Tendenz auf. Alle betroffenen Akteure sollen an einem Tisch zusammensitzen und über die anstehenden Reformschritte beraten.“ „Auch wenn wichtige Impulse der Kirchenreform vom Rat der EKD kamen, entscheidet jede Kirchengemeinde, jeder Kirchenkreis, jede Landeskirche selbst über die Ausrichtung ihrer Arbeit. Auf Grund der auf Konsensbildung orientierten presbyterial-synodalen Leitungsstrukturen sind die Prioritätensetzungen nur langsam zu realisieren. Alle relevanten Akteure sollen einbezogen, niemand übergangen werden.“ Bei diesen Sätzen hat man förmlich den frustrierten Oberkirchenrat vor Augen, dem selbst die Restbestände einer presbyterial-synodalen Ordnung noch auf die Nerven gehen.

Diese idealisierende Beschreibung aus der Vogelperspektive hat einen geradezu provozierenden Charakter gegenüber Akteuren vor Ort, die seit Jahren bemüht sind, gegenüber Fehlentwicklungen des Reformprozesses Korrekturen herbeizuführen. Hierbei musste die Erfahrung gemacht werden, dass die ev. Kirche sich durchaus weitherzig und elastisch präsentiert bei „weichen“ Themen wie Gottesdienstgestaltung, Jugendarbeit oder der Beteiligung am Abendmahl. Dort, wo Kirche nach außen spricht bei Themen wie „Asyl“ oder „Mindestlohn“, ist es auch nach wie vor möglich, diese ausgehend von einzelnen Kirchengemeinden auf Landessynoden zu Sprache zu bringen. Betonhart zeigen sich die Akteure der landeskirchlichen Leitungsebene allerdings beim „kalten Herz“ der Kirchenreform, dort, wo es um Fusionen, neue Verwaltungsstrukturen, die Lenkung der durchaus nicht knappen Finanzmittel oder die Einführung der Doppik geht. Kaufmann und Pollack erwecken den Eindruck, ein zentrales Problem sei ein Zuviel an Partizipation. Das Gegenteil ist der Fall. 

Auf www.zwischenrufe-diskussion.de wird in zahlreichen Beiträgen dargestellt, wie eine einst vitale, durch eine ausgeprägt basis- und gemeindeorientierte Ordnung gekennzeichnete Landeskirche Opfer einer Top-down-Strategie wurde. Hingewiesen sei hier vor allem auf die Berichterstattung über die Landessynoden 2011 bis 2013. Auf der Homepage von Manfred Alberti wird eindrucksvoll dargestellt, welchen Bedeutungsverlust Presbyterien in den vergangenen Jahren in der rheinischen Kirche hinnehmen mussten. Mit welchen brachialen Methoden in der EKBO Strukturreformen umgesetzt werden, konnte man unlängst im Deutschen Pfarrerblatt nachvollziehen. Eine bedeutsame Stellungnahme im Blick auf die Zentralisierungs- und Hierarchisierungstendenzen, die von der EKD ausgehen, formulieren Eberhard Cherdron und Martin Schuck ebenfalls im Deutschen Pfarrerblatt in einer „Streitschrift zum Reformationsjubiläums 2017 – Evangelische Existenz heute!“

Das Puzzle vervollständigen

Das Heft der „Evangelischen Theologie“ 2-2013 bietet erste Puzzlesteine, die naturgemäß noch kein vollständiges Bild darstellen können. Die im einleitenden Artikel von Gabriel und Karle formulierten Fragen wecken jetzt schon Interesse im Blick auf weitere Ergebnisse des Forschungsprojekts. Man darf gespannt sein auf einen Vergleich von Reformprozessen der verschiedenen Landeskirchen. 

Wesentliche Reformmaßnahmen wurden mit dem zweifelhaften Argument dauerhaft sinkender kirchlicher Finanzkraft kirchenpolitisch durchgesetzt. Sind durch die Einführung der Doppik, durch Prozesse der Regionalisierung, durch Fusionen und Änderungen der Verwaltungsstruktur tatsächlich nachhaltig finanzielle Belastungen reduziert worden, oder hat sich entgegen der ursprünglichen Verheißungen der gegenteilige Effekt eingestellt? Hat sich die Bindungskraft der Kirche erhöht, fühlen sich durch die von Rösch beschriebene Strategie, das Indifferenzproblem anzugehen, tatsächlich mehr Menschen von der ev. Kirche angesprochen und in ihr beheimatet, oder gibt es auch hier gegenläufige Tendenzen? Diese Fragen aus dem Bereich akademischer Forschung beantwortet zu bekommen, wäre äußerst spannend.

Vor allem: Welche Agenda verbirgt sich tatsächlich – neben zahlreichen gewiss redlichen und offen kommunizierten Motiven – hinter der „Kirchenreform“? Alle Autoren, auch Isolde Karle in ihrem ansonsten äußerst hilfreichen Buch „Kirche im Reformstress“, klammern die Frage nach einer politischen Einordnung der „Kirchenreform“ aus. Dabei fallen die Parallelen zwischen der Umgestaltung von öffentlichen Verwaltungen, der Einführung der Doppik für kommunale Gebietskörperschaften oder den unguten Transformationen im Hochschulbereich oder im Gesundheitswesen einerseits und den kirchlichen Umbauprozessen anderseits ins Auge. Liest man beispielsweise die Stellungnahme von Wolfgang Lieb, Zur Zukunft der Hochschulen in NRW, so fühlt man sich permanent an vergleichbare Effekte der kirchlichen „Reformen“ erinnert. Auffällig ist zudem die Gleichzeitigkeit der rot-grünen „Reformpolitik“ unter dem Stichwort „Agenda 2010“ mit dem durch „Kirche der Freiheit“ initiierten „Reform“prozess, der gewiss in den Landeskirchen unterschiedliche Vorgeschichten hat, aber spätestens seit 2006 einen bemerkenswerten Uniformismus in Strukturfragen und der Kommunikation von Finanzproblemen bewirkt.

Der Verfasser ist Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland und betreibt die reformkritische Website www.zwischenrufe-diskussion.de. Dort ist der Beitrag zuerst erschienen.

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