Johann Friedrich Butenschoen – ein Streiter für die protestantische Freiheit

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Dr. Klaus Bümlein
Ludwigstraße 80, 67346 Spey
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Butenschoens abenteuerliche Lebensgeschichte will ich nicht chronologisch darstellen: 1764 in Norddeutschland geboren, 1842 hier in Speyer gestorben. Vor allem sehen wir mit dem ingeniösen Werk Wolf Spitzers den Mann in unserer Nähe, an den wir heute erinnern. Statt einer Nacherzählung der Biographie will ich etwas anderes versuchen: ein Porträt  Butenschoens aus den Quellen. Mit einigen authentischen Zitaten. Wir wollen uns den Mann von verschiedenen Seiten anschauen. Mit dem Mut zur Lücke, ja zum Fragment. Wer war Johann Friedrich Butenschoen?

1. Kämpfer für den eigenen Bildungsweg.

Von früh an hatte Butenschoen um vieles zu kämpfen. Gegen den Willen des Vaters erstritt er sich den Besuch des Gymnasiums. Ohne Geldmittel rang er um die Erweiterung seiner Kenntnisse, seines Bildungshorizonts: an den Universitäten in Kiel, in Jena, in Heidelberg. Immer wieder schloss er sich an Vorbilder an, die ihn weiter bringen konnten: an Lavater in Zürich und den Kantianer Reinhold in Jena, an Pfeffel in Colmar und – an Friedrich Schiller. Schiller ließ einen Beitrag in seiner „Neuen Thalia“ erscheinen; Butenschoen dankte überschwänglich für ein gewiss nicht üppiges Honorar. Aber die Finanznot blieb drückend; sie verhinderte, trotz aller Anstrengung, einen Studienabschluss. Der junge Butenschoen kämpfte sich durch finanzielle Krisen und existentielle Abgründe hinweg. Bezeichnend, was er 1789 an den hoch verehrten Schweizer Historiker Johannes von Müller schrieb. „Einst war ich auf dem Wege der Verzweiflung, Sie rissen mich mit Ihrer mächtigen Hand heraus.“ Der Kämpfer für protestantische Freiheit hatte zunächst einen Platz im Reich der Bildung zu erkämpfen, mit Rückschlägen und vielen Ungewissheiten, manchen Irrwegen. Aber das Motiv des energischen Kämpfens um seine Ziele gehörte zu Butenschoen in all seinen Wirkungskreisen.

2. Mann des öffentlichen Wortes, als Literat und als Journalist

Schon 1789 ließ Butenschoen erste literarische Versuche erscheinen. Er brachte eine Cervantes-Auswahl heraus, mit einer Lebensgeschichte des großen Spaniers. Im gleichen Jahr erschien ein „historisches Lesebuch“ über „Cäsar, Cato und Friedrich von Preussen“. Später folgten Werke über Alexander den Großen (1791). Nach der Revolutionszeit ließ er 1796 seinen Roman „Petrarca“ erscheinen. „Ein Denkmal edler Liebe und Humanität“. Sie war keinem geringeren als „Herrn Hofrath Schiller zu Jena“ zugeeignet. Von Schiller ist allerdings keine Reaktion bekannt. Er war ja umringt von literarischen Bittstellern, bald sollte ein Schwabe namens Friedrich Hölderlin dazu zählen. Dafür verfasste August Wilhelm Schlegel eine vernichtende Rezension. Trotzdem arbeite Butenschoen weiter, an einer Fortsetzung des Petrarca, später an andern literarischen, historischen Projekten bei Cotta. Noch 1826 ließ der Konsistorialrat Butenschoen in Speyer „Reise-Schilderungen, Flucht-Abentheuer und Robinson-Sagen zu Stärkung und Richtung des jugendlichen Muthes“ erscheinen.

Aber Butenschoen blieb nicht lange ein Literat ohne direkte Einwirkungsabsicht in die Gesellschaft. Er wurde und blieb sein Leben lang ein kritischer Journalist. „Argos oder der Mann mit den hundert Augen“, so hieß die Straßburger Zeitschrift der deutschsprachigen Jakobiner. Der Hirte aus der griechischen Mythologie, der „Argos Panoptes“ war seit dem 17. Jahrhundert in der deutschen Literatur kein Unbekannter. Mit „Argos-Augen“ wollten die Autoren Missstände beobachten und anprangern, die republikanischen Menschheitsideale unterstützen. „…bald wird der bisher unterdrückte, erniedrigte Mensch wieder dastehen, als das Meisterstück einer erstaunenden Schöpfung“(Klio, 343). Nach dem Ende des „Argos“ und der Schreckenszeit, der „terreur“, war der Journalist Butenschoen wieder zur Stelle: „Klio“, „Straßburger Neue Zeitung“ (1797/98), „Flora“ (bei Cotta) hießen einige der Blätter, an denen sich Butenschoen beteiligte.

Viele Jahre später entfaltete er in der „Neue(n) Speyerer Zeitung“ (1816-1821) eine weithin wirksame publizistische Arbeit. Friedrich Herbert Müller hat 1986 diese Seite Butenschoens intensiv dargestellt. Auch hier kommentierte „Argos“ scharfsichtig und kritisch die Entwicklungen nach dem Wiener Kongress. Er blieb der Aufgabe treu, die er bei Immanuel Kant formuliert fand: „Zur Aufklärung des Publikums wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allen, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die, von seiner Vernunft in allen Stücken Gebrauch zu machen“ (Motto der NSpZ für 1818). Von dieser Grundposition aus kritisierte er romantisch-rückwärtsgewandte Autoren wie Adam Müller oder Friedrich Schlegel als „Karfunkelbrüder“ ( M.149) [2], wandte sich gegen neue antisemitische Tendenzen (Müller, 171), versuchte die Einschränkungen der Pressefreiheit, nach den Karlsbader Beschlüssen, zu unterlaufen – mit Argus-Augen, so lange es ihm möglich war. Auch nach dem aufgenötigten Ausstieg auf die Mitarbeit in der „Neuen Speyerer Zeitung“

3. Verfechter der Revolutions-Ideale

Butenschoen war im Dezember 1792 auf einer Winterreise von Jena über Weimar, Frankfurt und Mannheim nach Straßburg gezogen. In Speyer hörte er zum ersten Mal die „Marseillaise“.  Mit Begeisterung schloss er sich der „Volksgesellschaft“ an, der Vereinigung der deutschsprachigen Jakobiner. Der ehemalige Franziskaner Eulogius Schneider (1756-1794) wurde immer stärker zum Wortführer der radikalen Veränderer. Der Germanist Wilhelm Kühlmann in Heidelberg stellte seinen Eulogius-Schneider-Vortrag unter den Titel: „Theologe, Prediger, Literat, Mörder“.  Der einstige Übersetzer des griechischen Kirchenvaters Johannes Chrysostomus und aufklärerische Prediger hatte schon in seinen Gedichten 1790 den „Abschied von der Theologie“ erklärt.

Schneider ließ in Straßburg die Guillotine aufstellen und wurde für Monate die treibende Kraft der revolutionären Propaganda und Praxis. Butenschoen arbeitete ihm zu. Im „Argos“ erschienen Beiträge von ihm. Darin  bejahte er die militärische Erziehung der Jugend und war selber bei den siebzig Freiwilligen, die in der Vendée die revolutionsresistenten Bauern und Adligen niederkämpfen wollten. Mit Sympathie schilderte er nach der Rückkehr das Fest, mit dem am 20. November 1793 das Straßburger Münster zu einem „Tempel der Vernunft“ umgewidmet wurde. „Anstelle des Hochaltars, der entfernt worden war, thronte die vielbrüstige Bildsäule der Natur, neben ihr die der Freiheit“ (Max Reichard, Neue Christoterpe 1894, 185). „Die Revolution hat sich in ihrer ganzen Erhabenheit gezeigt, und über alles, was lebt, und was leben wird, die Segensworte ausgesprochen. Seyd vernünftig, so seyd ihr glücklich! Die Wahrheit allein ist heilig, Pfaffengauckeleien sind verbannt aus der Frankenrepublik“ (Cotta 175).

Freilich hielt Butenschoen Abstand zu den Forderungen der Ultras, etwa in acht Tagen „alle steinernen Statuen, die sich im Tempel der Vernunft befinden“, niederzureißen. Das erschien ihm als „eine Art Wahnsinn“ (2.12.1793). Delatre hatte Jesus „als den größten Scharlatan aller Zeiten“ bezeichnet. Dagegen verteidigte Butenschoen den Heiland als „Jesus-Christ sansculotte, préchant les principes sacrés de l’égalité et une morale sévere“ (M.56). Schließlich wurde Butenschoen selber verhaftet, wie vor ihm sein Lehrmeister Eulogius Schneider. Schneider wurde hingerichtet. Mit Mühe und Not entging Butenschoen dem Todesurteil. Bis Oktober 1794 blieb er im Gefängnis, in der Conciergerie in Paris. Der Sturz Robespierres hat wohl auch ihm das Leben gerettet. Nach der  Freilassung suchte er sich allmählich Rechenschaft zu geben.

Er war ernüchtert und schrieb in das Gästebuch seines Förderers Pfeffel ein: er habe gesehen, „was menschlicher Wille vermag und menschliche Schwachheit verderben kann“ (7). Aber die Ziele der Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und der Kampf gegen Unterdrückung und Dünkel, für die Rechte, die Freiheitsrechte zumal, blieben ihm verpflichtend. „Auch jetzt bin ich noch bereit, für sie (diese Ziele) zu sterben“ (Klio 18). Vieles spricht dafür, dass auch der altgewordene Butenschoen, der Beamte in königlich- bayrischen Diensten, genau so dachte.

4. Vernunftfreund mit Leidenschaft

„Er hat eine glühende, hochfliegende Phantasie, einen selbständig denkenden Geist und ein reines naives Herz.“ So schilderte Maria Anna von Gerando, eine Freundin Pfeffels, den Butenschoen der neunziger Jahre, den sie gut kannte. Dieser Vernunftfreund hatte eine glühende, eine feurige Seele. Der Freundin hatte Butenschoen auch seine leidenschaftliche Neigung zu der Pfeffel-Tochter Friederike gestanden. Es war eine unglückliche Liebe. Denn immer noch war Butenschoen weit davon entfernt, durch eine feste finanzielle Lebensstellung eine Familie ernähren zu können. Anderseits hatte er der Straßburgerin Catherina Elisabetha Nagel offenbar die Ehe versprochen; sie war es, die ihm in den gefährdetsten Gefängniszeiten in Straßburg und vielleicht in Paris beistand. Er heiratete sie und hatte mit Elisabet Nagel acht Kinder. Sie starb in Speyer 1819.

Auch in späteren Jahren fiel Butenschoen durch seine feurige Energie auf. Das leuchtet auch aus seinem „Weinlied“. „Feurig auf seinem Horst/sprudelt der Wein von Forst.“ In diesem Huldigungsgedicht für König Max Joseph von Bayern (1823) werden auch Kallstadt und Deidesheim, Rupertsberg und Dürkheim, St. Julian und Bockenheim, Grünstadt und Asselheim besungen. Nicht zu vergessen Speyer: „Narrenberg züngelt gern/ süß schmeckt beim Freudenstern/ Speyerer Gift“.

Eine feurige Energie spricht aus der kritischen Arbeit des Journalisten wie dem revolutionären Elan des Jakobiners. Aber auch sein späteres politisches Urteil ließ immer wieder diese Glut spüren. „Der alte Feuerkopf“ – so charakterisierte ihn der Medizinstudent Pagenstecher, der Butenschoen 1817 in Speyer aufsuchte. Beides, leidenschaftliche Energie und ein vernunftorientiertes Ethos, bestimmten Butenschoens Wirken in den Bereichen, die wesentlich zu ihm gehören: sein pädagogisches und sein kirchliches Wirken.

5. Erzieher und Pädagoge

Die Arbeit der Selbsterziehung seit frühen Jahren und das erzieherische Handeln für andere gehörten bei Butenschoen eng zusammen. Eine lebenswichtige Bezugsperson wurde ihm neben den Universitätslehrern der blinde elsässische Dichter Pfeffel in Colmar. In dessen Pädagogium in Colmar fand er eine Anstellung, zu ihm kehrte er nach den Revolutionsenttäuschungen für Jahre zurück. In der praktischen pädagogischen Arbeit festigte sich seine Überzeugung: „Es gibt kein ehrwürdigeres Amt, aber auch keine schwereren Pflichten, als Volkslehrer zu sein im ganzen Sinne dieses herrlichen Berufs“ (Weltbote 22.5.1794; 4). Auch sein „Petrarca“ war von einer pädagogischen Vision durchzogen: „Beym Unterrichte muß der ganze Mensch handeln und gleichsam im durchsichtigen Feuer stehen“ (Petrarca 249; 8).

An der Colmarer „Ecole centrale du Haut-Rhin“ unterrichtete er Geschichte und Geographie. Hier wirkte er auch als Bibliothekar – keine unwichtige Seite – mit Kontakten zu dem Trierer Wyttenbach.

Butenschoens nächste pädagogische Station wurde 1804 Mainz, das kaiserliche „Lycée“ im ehemaligen Jesuitenkolleg. Hier unterrichtete er neben Geschichte auch Latein, Griechisch, Deutsch, Englisch, Geographie und Buchführung. 1809 wurde er mit Visitationsreisen zu den Schulen im Département Mont-Tonnerre betraut. Er konnte sich eine umfassende Kenntnis der Schulverhältnisse vor Ort verschaffen.

Nach dem Sturz Napoleons und der Übergangszeit kam Butenschoen im schließlich bayrischen Rheinkreis ans neu errichtete Konsistorium in Speyer. Hier fand er, nach dem Tod von Elisabet Nagel, seine zweite Frau Philippine Ilgen (1787-1866). Auch mit ihr hatte er vier Kinder: Sie wuchsen am Rand des alten Speyer, in der Karmeliterstraße auf. Dieses Haus galt als „Gespensterhaus“, wie der Speyerer Liberale Kolb in seinen Erinnerungen berichtet. Der Vernunftkämpfer Butenschoen ließ sich davon nicht einschüchtern; hier wohnte er bis zu seinem Tod 1842.

In Speyer wuchs Butenschoen die entscheidende pädagogische Lebensaufgabe zu. Denn die journalistische Arbeit bei der Neuen Speyerer Zeitung blieb ja Nebenarbeit, auch um das schmale Gehalt für die Familie aufzubessern. Es ging um nicht weniger als um den Neuaufbau des gesamten Schulwesens. „Alles muß neu geschaffen werden“ (28.2.1817; 15). 40 % der pfälzischen Bevölkerung galt als Analphabeten. Butenschoen legte Gesamtpläne vor für die Organisation des öffentlichen  Unterrichts: zwei Lyzeen in Zweibrücken und Speyer, Gymnasien in Landau und Kaiserslautern, Lateinschulen, Stadt- und Bürgerschulen (16). Volksschulen in den Dörfern. Die Lehrerbildungsanstalt in Kaiserslautern sollte künftig allen Lehrern eine gediegene Ausbildung verschaffen. Mit dem ersten Leiter Friedrich Wilhelm Balbier (1778-1832) stand Butenschoen in besonders vertrauensvollem Verhältnis. „Ich bin mit Hochachtung, Freundschaft und Liebe ganz der Ihrige.“ So unterschrieb Balbier einen Brief an Butenschoen vom  23.7.1820 (19). Auch die anständige Finanzausstattung der Lehrer lag ihm am Herzen, der Neubau von Schulhäusern. 330 Schulen wurden zwischen 1817 bis 1827 neu gebaut.

Butenschoen übte das Amt des „Kreisscholarchen“ bis 1825 aus. Nicht alle seine Pläne wurden umgesetzt. Auch seine Tendenz, das Konfessionelle möglichst in der Schule zurückzudrängen, traf auf Widerstand, vor allem in der katholischen Kirche. Besonders der Leiter des Speyerer Lyzeums Dr. Georg Jäger (1778-1863) wurde zum erfolgreichen Gegenspieler. Die Ausbildung der Lehrer in Kaiserslautern war zunächst simultan ausgerichtet. 1841 wurde die katholische Lehrerausbildung nach Speyer verlegt (18). Aber Butenschoens Verdienste waren groß und nachhaltig. „Die ganze neue Organisation der deutschen wie lateinischen Schulen und Gymnasien ist, neben Herrn von Stichaner, dem dadurch nichts entzogen werden soll, sein Werk. Ebenso die Organisation des Schullehrerseminariums in Kaiserslautern“ (NSPZ 25.5.1842; 31).

6. Mitgestalter der Kirchenunion

Butenschoen, der in so vielen pädagogischen Aufgaben verpflichtet war, wurde seit 1816 Mitglied des protestantischen Konsistoriums in Speyer, zusammen mit den beiden Theologen Georg Friedrich Wilhelm Schultz, lutherisch, und Lukas Weyer, reformiert (dann Heintz, seit 1819 David Müller). Direktor der Behörde wurde der Jurist Johann Wilhelm Fliesen (1766-1852). Das königliche Konsistorium war noch längst nicht am Domplatz sesshaft, sondern musste sich mit seinen zwei bis drei Mitarbeitern mit verschiedenen Provisorien behelfen. In der Maximilianstraße 5 bis 1824; dann für zehn Jahre bei der Posthalterei und dem Gasthof „Zum goldenen Hirsch“ in der Schustergasse (26).

Umso erstaunlicher, dass diese kleine Behörde in kurzer Zeit das große Werk der Vereinigung von reformierten und lutherischen Christen zustande brachte. Viele Faktoren spielten dafür eine günstige Rolle: der Wille an der Basis der Gemeinden – sie wurde sogar nach ihrer Meinung gefragt; der Wunsch des Königs, in dem einst so konfessionell zersplitterten Region links des Rheins überschaubare Verhältnisse zu erreichen; das Reformationsjubiläum von 1817, das die gemeinsamen Quellen bei Luther und Zwingli in Erinnerung brachte; die aufklärerischen Kräfte in der Pfarrerschaft und die Erfahrungen von Revolution und Napoleonszeit. Die alten Mauern zwischen den Konfessionen waren längst brüchig geworden.

Butenschoen war also keineswegs allein Vater der pfälzischen Kirchenvereinigung; aber sein Anteil ist hoch einzuschätzen. Er spielte eine höchst aktive Rolle bei der Vorbereitung der Union. Er übersandte das Ergebnis der Abstimmung nach München, glättete und pointierte die überwältigende Zustimmung (Quellenband). Auch bei der Durchführung der Unionssynode, im August 1818 in Kaiserslautern, war Butenschoen wichtig. Er verlas am Ende die neu geschaffene „Vereinigungsurkunde“, die, nach wenigen kleinen Änderungen, einstimmig angenommen wurde. Er entwarf die schwungvolle „Dankadresse“ der Generalsynode an König Max Joseph.

Auch bei den nächsten „Generalsynoden“ war Butrnschoen aktivst beteiligt. An seine Tochter Minna schrieb er 1821, nach der Ankunft in Kaiserslautern – das ist eines der ganz wenigen persönlich- familiären Zeugnisse: „Heute um acht Uhr, es ist 6, ziehen wir in unser Sitzungslokal u. dann in die Kirche. An Arbeiten wird es mir wohl nicht fehlen. Meine Gesundheit ist im ganzen genommen gut, doch hatte ich wieder, gestern Abend, Schmerzen und Angst. Ich hoffe dennoch, dass alles gut gehen werde. An Sorgsamkeit will ich’s nicht mangeln lassen“ (27). Bei dieser Synode ging es um die zentrale Frage nach dem Bekenntnis der neuen Unionskirche, um das Gesangbuch – und um den Katechismus.

7. Der große Katechismus

Mit seinen 339 Fragen und Antworten war der erste Pfälzer Unions-Katechismus kein Werk für Kinder. Theo Schaller erzählte von alten Leuten, die noch damit gelernt hatten; bis 1853 war er in Gebrauch. Respektvoll hieß er „de groß Katechism“. Hier möchte ich das Vermächtnis Butenschoens sehen, hier kommen seine pädagogischen und vernunfttheologischen Absichten, seine Arbeit am öffentlichen Wort, sein Einsatz für die Ideale von 1789 und für die neuen Erfordernisse der Unionskirche seit 1818 zusammen. Hier treffen wir auf das Bündnis Verstandesklarheit und protestantischem Feuer. Hans-Georg Lößl hat diesem Katechismus seine Dissertation gewidmet und gezeigt: Dieser Katechismus hatte Vorlagen. Er war auch keineswegs eine Einzelarbeit Butenschoens.

Und doch, dieser Katechismus trägt seine unverwechselbare Handschrift. Schon die erste Frage lässt die Ausrichtung erkennen. Es geht nicht um die Frage nach dem tragfähigen „Trost“ wie im Heidelberger Katechismus. Sondern um existenzwichtige Erkenntnis. „Welche Kenntniß muss uns vor jeder anderen werth und theuer seyn?“ „Die Kenntniß unserer Bestimmung, oder dessen, was wir sind, seyn und werden sollen.“ Die Bestimmung des Menschen: Sie lässt nach unseren Kräften und Eigenschaften fragen. Die Antwort ist klar: Die wichtigsten Kräfte heißen „Vernunft“, „Willens-Freiheit“ und das „Verlangen nach Wohlseyn und Glückseligkeit“. Aus solchen Grundbestimmungen heraus entwickelt der Katechismus die christlichen „Glaubenslehren“ (Fr. 15-194) und „Sitten- und Tugend-Lehren“ (Fr. 195-339). Immer in der Anknüpfung an die biblischen Themen, zugleich mit dem Versuch, redlich das vernünftig Fassbare zur Geltung zu bringen. Ein Traktat „de libertate christiana“ in der Vernunft-Sprache von 1820, anregend, einleuchtend, provozierend.

Immer wieder überraschen originelle Formulierungen. So die ökologischen Pointen in Frage 326: „Sollen wir unsere fromme Gesinnung nicht selbst in unserm Verhalten gegen Thiere und leblose Dinge beweisen? Ja, wir sollen auch der Thiere uns erbarmen, und sie nie quälen oder martern. Bäume, öffentliche Gebäude und Kunstwerke sollen wir nie beschädigen, weil alle diese Dinge uns und andern zum Nutzen und Vergnügen gereichen.“ Oder die Toleranz-Gedanken in Frage 317: „Wie sollen wir uns gegen die Mitglieder anderer Kirchen-Gesellschaften verhalten? Wir sollen friedfertig und verträglich gegen sie seyn; über nichts, was ihnen heilig ist, spotten; ihnen unsern Glauben nicht aufdringen, oder sie wegen des ihren anfeinden oder erfolgen, und dieses um so weniger, je fester wir selbst auf unsrer Gewissensfreiheit halten und dieselbe behaupten.“ Dazu wird neben andern Bibelstellen auch Apostelgeschichte 10,35 zitiert: „In allerley Volk, wer Gott fürchtet und recht thut, der ist ihm angenehm.“

Nie mehr später war die Bestimmung des Protestantischen so glühend mit den Freiheitszielen verschmolzen wie in Frage 136: „Warum heißt sie (unsere Kirche) protestantisch?“ „Weil sie das edelste Recht des vernünftigen Menschen, frey und redlich in der Erkenntniß der wohl geprüften Wahrheit fortzuschreiten, mit christlichem Muthe in Anspruch nimmt, gegen alle Geistesknechtschaft , wie gegen allen Gewissenszwang ewigen Widerspruch einlegt, und ungestörte innere Glaubensfreiheit festhält“.

8. Streiter für protestantische Freiheit

„Erkämpfte Freiheit“. So hat ein Theologe 2007 den ersten Teil seiner Lebenserinnerungen überschrieben. Immer wenn ich diesen Titel Hans Küngs höre, muss ich an Butenschoen denken. Auch er hatte die Freiheit erkämpft, erstritten für sich und andere. Die geschenkte, die verdankte Freiheit trat dabei zurück. Schon in der Revolutionszeit erstrebte er die Freiheitsrechte, gerade für Benachteiligte und Geknechtete. Dabei blieb auch der späte Butenschoen. Nach dem Hambacher Fest gab es in Speyer eine Visitation des Konsistoriums. Der königliche Visitator urteilte über Butenschoen:„Dieser interessante Mann hat die französische Revolution durchgemacht und ist, deren Gräuel verabscheuend, den Grundsätzen der Freyheit und der unbeschränkten Rechtsgleichheit (…) zugetan (…)“ (So Grupen als Visitator des Konsistoriums 1832; 29).

Ob Butenschoen die Tiefen der in Christus verdankten Freiheit erfasst hat, wie sie bei Paulus und Johannes, bei Luther und Calvin gezeigt sind, das mag dahin gestellt bleiben. Wir Pfälzer sollten ihn nicht vergessen. Jürgen Moltmann, dem Butenschoen bis dato unbekannt war, schrieb mir dieser Tage: Der Mann „war eine Offenbarung für mich. Er (…) war von den Freiheitsideen der frz. Revolution begeistert und hat diese in protestantische Freiheit umgesetzt. Dafür gebührt ihm ein rühmendes Gedenken. (…) Nicht nur Barth, sondern auch Bloch würde sich über Butenschoen gefreut haben“(Brief vom 25.10.2013).

Wir können dankbar sein für das neue, wunderbare Butenschoen-Werk Wolf Spitzers.

[1] Ansprache bei der Präsentation der Butenschoen-Büste von Wolf Spitzer am 4.11.2014 in Speyer

[2] Abgekürzt M. bedeutet:  Friedrich Herbert Müller, Johann Friedrich Butenschoen und die ‚Neue Speyerer Zeitung’ (1816-1821), Speyer 1986. Zahlen ohne weitere Angabe verweisen auf meinen im Druck befindlichen Beitrag zu Butenschoen im nächsten Band der ‚Pfälzer Lebensbilder’.

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