Rumpelkammer Sakristei: Böse Beobachtungen eines Wanderpredigers

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Dr. Ludwig Burgdörfer
Westbahnstraße 4, 76829 Landau

Es ist ja nur ein Nebenraum. Und nicht überall in unseren evangelischen Kirchen gibt es ihn.

Aber da und dort eben doch. Angeblich ist sein Name von „Sekretarium“ abgeleitet – und das markiert ihn eben als einen besonderen, abgesonderten Raum. In ihm wird untergebracht, was für das gottesdienstliche Handeln gebraucht wird: Vasa sacra, Kerzen, liturgische Kleidung, Paramente, Altardecken u.s.w. Darüber hinaus soll er als Umkleideraum dienen, in dem man sich sammelt und womöglich auch mit denen zusammen ist, die den Gottesdienst mit gestalten. Backstage unterm Kirchendach. Sportlern, Musikern, Sängern, Künstlern muss man den Sinn nicht erklären. Alle wissen ganz genau, wie wichtig der Rückzug vor dem Auftritt ist.

Wie wichtig die Sammlung vor der Sendung. Wie entscheidend auch für die innere Spannung und Stimmung. Ein Fehlstart passiert  womöglich weniger, wenn es an Startbedingungen dieser Art nicht fehlt. Besinnungslosigkeit als Grundstimmung wird der viel gelobten liturgischen Präsens nicht dienlich sein. Vor dem feierlichen Einzug und Beginn  können so die handelnden Personen schon eingestimmt und abgestimmt und ganz bestimmt geistesgegenwärtiger sein. Verschonung aller vor dem Blitzstart, jedweder Hektik und Fahrigkeit. Das wird im Gottesdienst sofort und ganz lange wahrzunehmen und abzuspüren sein. Ohne das warming up, ohne die Besinnung und das konzentrierte Gebet, kommen wir nur schwer in die Nähe Gottes oder gar zu uns selbst und zueinander.

Auf meiner Reise als Wanderprediger durch mehr als 300 Orte habe ich allerdings Sakristeien betreten, deren innerbetriebliche Befindlichkeit dieser Sinnbestimmung nicht zuträglich sein konnte. Im Gegenteil. Der betörende Charme von Rumpelkammern hat mir nicht selten einen Schrecken eingejagt. Die am häufigsten angetroffenen Gegenstände waren folgende:

Gießkanne, Weihnachtsbaumständer, Kerzenreste, Urkunden von nicht erschienenen Goldenen Konfirmanden, Liedblätter aus den letzten zehn Jahren, Staubsauger, Gartenschlauch, vergessene Schirme und Handschuhe, nicht überreichte Bibeln und jede Menge Stifte, Putzeimer, Zahlenkasten für die Liedertafel, jede Menge Besen und Lappen, leere Weinflaschen und volle, Lichterketten und Adventskranzreste, die Brot für die Welt-Büchse und Blumenvasen, Streichholzschachteln mit abgebrannten Streichhölzern, CD-Player, jede Menge Kabel, Gemeindebriefe zurück bis zur Zeit der Reformation, an der Wand ein alter Spiegel, ein museales Waschbecken, wenig Licht, der Sicherungskasten, offen natürlich, die ganze Heizungssteuerung, Gartengeräte und Streusalz auch, Schneeschieber und ein Rollstuhl für den Notfall, Erste Hilfe-Koffer und Feuerlöscher, Garderobenständer und Mülleimer…

Das ist meine Inventarliste, die ich in den letzten Jahren innerlich angelegt habe bei der Reise durch unsere Kirchenlandschaft als Wanderprediger im Auftrag des Herrn.

Falls wir so etwas wie eine Sakristei in den Kirchen haben, dann ist das leider oft die Abstellkammer für alles, was nicht hinter dem Altar versteckt werden kann und manchmal so etwas wie eine Deponie für allerhand archäologisch wertvollen Plunder.

Und genau in dem Raum beginnen wir unsere Gottesdienste dann, ziehen wir den Talar an und bereiten wir uns vor innerlich. Zur Sammlung schließt man ja ohnedies am besten die Augen. Und das ist dann in solchen Fällen auch das einzige, was man tun kann.

Ich frage mich schon lange, wofür diese Tendenz zur Verwahrlosung der Sakristei steht, was sie anzeigt, wieso sie passieren kann. Und ich werde den Verdacht nicht los, dass sie nur ein Zeichen dafür ist, wie verzettelt und flüchtig wir in die Gottesdienst hinein gehen und wie wenig Kultur der Sammlung in unsere Praxis eingegangen ist.

Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich in Gottesdienste hinein stolpere, völlig atemlos, weil ich als Gast allerhand zu erfragen habe. Also gibt es immer allerhand zu besprechen. Und dann ist die Sakristei mit der beschriebenen Ausstattung oft völlig ungeeignet, um sich zu ordnen und zu konzentrieren.

Da beneide ich oftmals unsere katholischen Geschwister. Was habe ich schon vor ökumenischen Gottesdiensten staunend teilhaben dürfen an feierlicher Gottesdienstkultur vor Beginn des Gottesdienstes. Wie viel Würde und Konzentration, wie viel Ordnung und Sauberkeit, wie viel Aufmerksamkeit für das liturgische Gewand, wie viel Andacht und Gebet und gemeinsame Aufstellung zum Einzug, der dann schon ein erster Teil der Ausrichtung auf das Zentrum abbildet. Mitunter sind da eigens dafür zuständige Sakristane anwesend, die für dieses Raumklima sorgen. Nicht, dass ich deswegen aus Versehen katholisch werden möchte, aber ich verspüre deutlich einen Bedarf, diesen vergessenen Raum der andächtigen Sammlung neu zu entdecken. Ich möchte gerne meine Präsenz und Verinnerlichung anberaumen, sie einziehen lassen, ihr einen Ort geben, möchte mit anderen zusammen, die am Gottesdienst beteiligt sind ein Bündnis schließen und in Ruhe und Abgeschirmtheit offen werden für das bevorstehende Wunder der anzubetenden Gegenwart Gottes.

Wir brauchen also unbedingt Rumpel-Kammer-Diener, die damit aufräumen.

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